Exil ist ein Wort, das mit sehr starken Assoziationen belegt ist. Verfolgung, Freiheitsbeschränkung, Verbannung ... Das kann der Text aber auch für mich nicht aufgreifen und thematisieren. Das birgt aus meiner Sicht die große Gefahr, dass der Eindruck der Dramatisierung, der Jammerei entsteht.
Da Titel und "hier" so dicht aufeinanderfolgen, frage ich mich, ob sich das LIch bereits im Exil befindet. Auch die Kommentare scheinen da in unterschiedliche Richtungen zu gehen. Am Ende sehe ich es als Drohung im Sinne:
Wenn ich hier nicht gehört werde, bin ich wohl unerwünscht, ich werde vertrieben, ich gehe ins Exil. scarlett hat geschrieben:das LI flieht nicht, es ist einfach außen vor- es wird gar nicht erst hinter die mauer gelassen.
Wo steht das im Text? Und wo wäre dann die Heimat des LIch, aus der es vertrieben wird?
Im Gedicht findet aus meiner Sicht von Seiten des LIch eine klare Aufteilung, Abgrenzung statt. Ich & Du und der "böse", selbstgefällige Rest der "Hier-Welt". Da es sich auch unmittelbar aufs Schreiben bezieht, ich die Worte des LIchs lese, und so unweigerlich mitangesprochen bin, drängt das Gedicht hier auch die Frage auf:
Wo stehst du Leser, bist du auf meiner Seite. Für mich immer ein schwieriger Ausgangspunkt, der mich auf Distanz gehen lässt.
Ein LIch schreibt (sich) gegen die Wand, egal wie, ob laut oder leise, grell oder pastell, es geht ihm nicht um das Schreiben, sondern um das Gehörtwerden, das Erkanntwerden, um Sich. Das Du scheint da nicht ausreichend und offenbar fühlt es sich von allen anderen nicht verstanden, nicht erhört. Aus dieser gefühlten Situation heraus, klagt es (an), was am stärksten durch die herausgestellte "Selbstgefälligkeit" deutlich wird. Das LIch nimmt sich aber aus, sagt, ihm sei das Selbstgefällige fremd. Durch die Herzzeile schwingt da für mich auch der Anfang eines Kindergebetes mit hinein:
Ich bin klein, mein Herz ist rein ..., das ist aber sicher nur eine Ergänzung, die sich gut einfügt, aber so nicht mitgelesen werden muss.
Schön gemacht ist die doppelte Leseweise des "unerhört". LIch bleibt unerhört, das ist ja unerhört! LIch sieht sich in der Opferrolle, die Schuldverteilung ist klar, die Gut/Böseverteilung auch. Diese Anklage, dieses Urteil, die Haltung des LIch, die darin zum Ausdruck kommt, unterstützt für mich den Eindruck, dass LIch hier fleißig selbst an seiner Mauer baut, das aber nicht sieht.
Wovon bekomme ich zu lesen ... vom Blick auf das eigene Sagen, das LIch kreist um Sich und seine Wahrnehmung. Der Blick reicht aber nicht hinaus, es sieht die Mauer, aber die Gesichter bleiben ungesehen, ich erfahre nichts von ihnen. LIch relativiert, überdenkt, hinterfragt die eigene Einschätzung in keinster Weise. Weder taucht die Frage auf, wer die Mauer errichtet hat, oder ob sie überhaupt außerhalb der Wahrnehmung des LIch existiert, noch die Frage, wie es zu diesem Eindruck des Unerwünschtseins kommt, noch wird das Urteil auch auf das eigene Verhalten und die eigene Wahrnehmung hin befragt. Der Text bietet mir als Leser keinerlei Anhaltspunkte, wie es zu dieser Wahrnehmung kommt, ob denn tatsächlich etwas stattgefunden hat, das das Wort "Exil" in irgendeiner Weise rechtfertigen würde. Natürlich könnte ich mich mit LIch "solidarisieren", seine Wahrnehmung ohne eigene Einsicht in das Geschehene als richtig und einzige Sichtweise annehmen, aber warum sollte ich das tun?
Ich kann es als Protestgedicht lesen, ich kann es als emotionales Trotzgedicht lesen, aus einer Kränkung, Verletzung des LIch heraus, als Anlassgedicht, als Aufzeigen, wie diese Mechanismen funktionieren und wie schnell man sich selbst "einmauert", die Mauer immer höher zieht, wie man, wenn man sich nicht gehört fühlt (Über-)Steigerungen einbaut, laut wird, zu große Worte verwendet, (ver)urteilt, abschätzig gegen andere wird ... Was ich aber im Text nicht finde sind diese Aspekte:
scarlett hat geschrieben:Die Bemühungen des LIs, dieses Trennende zu überwinden, die Mauer zu durchbrechen, scheitern an der Selbstgefälligkeit derer, die diese Mauer errichtet haben und jeden Versuch des LIs ins Leere laufen lassen/torpedieren.
Zum Überwinden- und Durchbrechenwollen einer Mauer gehört meiner Ansicht nach erst einmal das Wahrnehmen, Betrachten des Anderen und das Hinterfragen des Eigenen, der eigenen Wahrnehmung. Beides sehe ich im Gedicht nicht.
Mir persönlich fehlt dann am Ende wohl ein wenig der Blick des LIch in den Spiegel, ein kleines Schmunzeln über sich selbst, oder zumindest ein kleines Erkennen. So bleibt mir der unangenehme Eindruck, dass die Autorin sich der anderen Seiten ihrer Geschichte selbst nicht bewusst war, dass das Gedicht nicht geschrieben wurde, um eine Haltung, Mechanismen aufzuzeigen, um so ein Einhaken beim Leser hervorzurufen, dass sie kein Hinterfragen in Gang setzen wollte, sondern tatsächlich eine blinde Solidarisierung und ein Einstimmen in die (An)Klage intendierte. Dass das offensichtlich bei manchen Lesern auch so funktioniert, sie es tatsächlich mit dieser Haltung lesen, würde mich als Autorin nachdenklich machen und für mich gegen das Gedicht in seiner jetzigen Fassung sprechen.