Männer, die im Kindbett sterben

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 15.11.2013, 23:10

Männer, die im Kindbett sterben

I
Hört das denn nie auf? Ein Stöhnen,
weil ein neunzigjähriger ihr in den Ausschnitt starrt.
An guten Tagen erzählt er Polenwitze.

Sie schwitzt, er hat ins Bett gekackt.
Ein Wickelkindchen.
Ein Kaktus im Herz.

Sie wäscht ihn, beugt sich
über seinen scheelen Blick, er schnüffelt
durch das Gitter nach der Hitze ihres Schoßes.

Das Kindspech klebt an seinen Backen.
Er greift ans kühle, weiße Gitter.
Den Käfig, quer zu seinem Blick.

Ein säuerlicher Zipfel. Käseschmiere.
Herrenlos rollen seine Bälle und
weichen ihrem Lappen aus.

Zwei Brüste, Restlicht der Erinnerung.
Anfang, Ende aller Gier,
Grenzen seines Schauens.



II
Boden Ahorn, Decke Fichte,
vier Saiten, ungestimmt.
Sein Kindchen.
Delphinhaut hinter den Ohren.

Er trägt den Wurm, zwei Hände voll.
Er legt ihn selbst an ihre Brust, noch während
die Hebamme das feiste Schattenkind
in den Händen wendet.

Ein Krähen. Ein Schrei durch Mark und Bäuche.
Nicht lang, so wird es krabbeln,
wird Sand und Blumenerde essen,
glucksen, juchzen, seinen Namen lallen.

Nächtliche Gänge. Mond, der lang und stille geht.
Wer hätte je gewarnt vor Kinderaugen?
Vor Blicken, die kein vorher kennen.
Es trug die Glückshaut über dem Kopf.

Es blieben leer gesaugte Brüste.
Ein Kind als Stützgewebe.
Gescheiterte Entscheidungen.
Ein Riss. Ein Pflegefall.


III
Er trinkt, sie hält den Schnabelbecher.
Das Sterbeglöckchen hüpft in seinem Hals.

Die Zehen, starr und krumm wie Holz.
Der Schädel, hart in seine Form gespannt.

Er liegt gesäubert. Lacht sie an.
Und Blumenerde wächst ihm aus dem Mund.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 21.11.2013, 09:24

Die Regel für Publikus verbietet ja, dass ich ergänze/erläutere, daran möchte ich mich halten. Aber natürlich freue ich mich über die intensive Diskussion und verfolge die Beiträge.

Erschienen ist der Text im vorletzten Dichtungsring.

Schöne Grüße
Räuber

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birke
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Beitragvon birke » 21.11.2013, 09:42

nera, mit der kopfgeburt zeus der athene kann ich hier nichts in verbindung bringen ...

es geht doch hier um die würde eines menschen.
"männer (menschen!), die würde-los sterben" (müssen), so verstehe ich diesen text. was hat das aber mit dem kindbett zu tun?
dieser begriff ist so speziell, dass er mir hier einfach nicht behagt und auch nicht stimmig erscheint.
aber, wie schon gesagt, das mag sehr subjektiv sein.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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scarlett

Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 14:13

RäuberKneißl hat geschrieben:Erschienen ist der Text im vorletzten Dichtungsring.


das wundert mich nicht.
der text ist einfach stark!

sca

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 21.11.2013, 14:22

scarlett hat geschrieben:
RäuberKneißl hat geschrieben:Erschienen ist der Text im vorletzten Dichtungsring.


das wundert mich nicht.
der text ist einfach stark!

sca


sehe ich auch so!
:daumen:
Schreiben ist atmen

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nera
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Beitragvon nera » 21.11.2013, 14:36

so ein mist räuber! ich würde schon gerne wissen....


geht es hier um würde, birke? oder geht es um eine schilderung einer situation, der wir als leser, unseren empfindungsstempel aufdrücken? mag sein, dass ich diese situation nur deshalb nicht so "würdelos" empfinde, weil ich sie tagtäglich vor augen habe. es ist nun mal wie es ist und das ist sicherlich nicht schön, weder für den alten, noch für eine pflegerin, die hier belästigt wird. ich finde solche äußerungen, wie, dass alte menschen nicht gerne gepflegt werden, im übrigen ziemlich klischeehaft. das sagen in der regel menschen, die keine alten pflegen.aber das ist eine andere diskussion.

im kindsbett werden kinder geboren, die 10 monate im körper der frau gewachsen sind, auch nicht gerade ein sehr ästhetisches ereigniss. wenn dein leben lang eine idee in dir wächst, ein wunsch bis du dick davon bist und du schaffst es nicht, sie/ihn zu verwirklichen, und es schmerzt, dann scheint mir es schon eine passende metapher, das totenbett mit einem kindsbett zu vergleichen.

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 14:38

nera hat geschrieben: wenn dein leben lang eine idee in dir wächst, ein wunsch bis du dick davon bist und du schaffst es nicht, sie/ihn zu verwirklichen, und es schmerzt, dann scheint mir es schon eine passende metapher, das totenbett mit einem kindsbett zu vergleichen.


jepp!

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birke
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Beitragvon birke » 21.11.2013, 14:58

nera hat geschrieben:im kindsbett werden kinder geboren, die 10 monate im körper der frau gewachsen sind, auch nicht gerade ein sehr ästhetisches ereigniss.


nein, nicht ästhetisch, aber ein positives zukunftsgerichtetes zunächst mal.
außerdem noch folgendes - mal abgesehen davon, dass /für mich/ der vergleich immer noch hinkt, steht hier etwas von:

durch das Gitter nach der Hitze ihres Schoßes.

Das Kindspech klebt an seinen Backen.
Er greift ans kühle, weiße Gitter.


seit wann ist ein kindbett ein gitterbett?
hier befindet sich der mann im kindERbett.
oder?

hier, liebe nera, stimme ich dir übrigens zu:

ich finde solche äußerungen, wie, dass alte menschen nicht gerne gepflegt werden, im übrigen ziemlich klischeehaft.


es kommt allerdings drauf an, wie sie gepflegt werden.
aber ja, das ist ein weites feld ...
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scarlett

Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 15:05

birke hat geschrieben:
nera hat geschrieben:
seit wann ist ein kindbett ein gitterbett?
hier befindet sich der mann im kindERbett.
oder?


nee, das ist das kranken/pflegebett, an dem gitter angebracht werden können ...

so sehe ich das zumindest.

da findet eine verquickung statt zwischen beiden "betten", die durchaus sinn macht ...

sca

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Beitragvon birke » 21.11.2013, 15:10

na, dann aber zwischen drei betten ;)
ja, das mag sein, sca.

dennoch gibt es noch eine frage, die sich mir stellt:
wenn man es also metaphorisch sieht, was schafft er denn dann hier in dieser situation nicht zu gebären?
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scarlett

Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 15:14

wieso drei?

er hat sein leben nicht auf den weg gebracht ... und wird es auch nicht mehr ... totgeburt.

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Beitragvon birke » 21.11.2013, 15:22

drei - kindbett, kinderbett, krankenbett. ;)
edit - ja, natürlich nur zwei, das "kindbett" ist ja kein bett in dem sinne.

aha, dann handelt es sich deiner meinung nach bei seinem leben um einen einzigen tod?
hui ... und warum ist er dann (wie oder wieder?) ein säugling? jedenfalls fast?
naja, wie auch immer, ich weiß nicht, ob es für mich sinn macht, hier noch weiter zu bohren.

was ich auf jeden fall noch loswerden will, räuber:
meinen glückwunsch zur veröffentlichung!
auch, wenn ich so meine problemchen habe ;) - dass der text stark ist, ist auch für mich keine frage!
(sonst würd ich mich wohl auch nicht so hier reinhängen ... ;))

birke
Zuletzt geändert von birke am 21.11.2013, 15:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 15:30

wo bitte steht was vom kindERbett?
es ist lediglich eine analogie zum kinderbett durch die klappbaren gitter an einem kranken/pflegebett, aber im text selbst steht davon nichts, oder?
Zuletzt geändert von scarlett am 21.11.2013, 15:33, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon birke » 21.11.2013, 15:33

hier, sca, lese /ich/ von einem kinderbett:

durch das Gitter nach der Hitze ihres Schoßes.

Das Kindspech klebt an seinen Backen.
Er greift ans kühle, weiße Gitter.


klar, ist wahrscheinlich das krankenbett, aber die assoziation zum kinderbett ist für mich absolut da.
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Beitragvon scarlett » 21.11.2013, 15:34

ja klar, und die ist ja gewollt.
na egal.


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