VerWirrungen

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
Gast

Beitragvon Gast » 15.11.2007, 17:26

Bei der Accountlöschung bat die Autorin darum, dass ihre Texte gelöscht werden. Dieser Bitte kommt die Administration nach.

Herby

Beitragvon Herby » 16.11.2007, 13:05

Von Realität und Illusion

Der Text beginnt statisch und lässt doch frühere Bewegung ahnen: ein Menschlein steht in einem gigantischen Treppenhausirrgarten, Verschnaufpause während der (Orientierungs-)Suche nach der richtigen Treppe hinaus. Es folgt ein beklemmendes Auf und Ab über Stufen, die so völlig anders sind als die Hesseschen und die den Geist nicht weiten, sondern ihn an den Rand des Wahns treiben, da nichts ist, was es zu sein scheint. Realität und Illusion vermischen sich zu einem bedrückenden Zerrbild. In diesem Sinne ist der Schluss konsequent: das Ich stürzt ins Nichts.

Eschers Lithographien wie "Treppenhaus", "Belvedere" oder "Treppauf und Treppab" als Vorlage für eine gelungene literarische Umsetzung in Form einer kafkaesk anmutenden Parabel über die Verstrickung des Menschen in sich selbst, Sinnsuche und Selbstverlust: verstörend, düster, lesenswert!

Sam

Beitragvon Sam » 16.11.2007, 20:09

Abwärts nach oben

Manchmal arbeitet unser Gehirn so angestrengt, dass man für einen Moment den Eindruck hat, alle Kraft, die in unserem Körper steckt, strömt in den Kopf und konzentriert sich in dieser weichen Walnuss hinter unserer Stirn. Man glaubt es rattern zu hören, Vibrationen zu verspüren, es scheint richtig warm zu werden unter der Kopfhaut.
Das kann passieren, wenn man über der Steuererklärung sitzt. Oder aber, wenn man sich in die „Unmöglichen Bilder“ von M.C. Escher vertieft. Die geben unserem Denkschwamm nämlich richtig was zu tun. Und sie machen deutlich, dass die Lernfähigkeit unseres Gehirnes schnell Grenzen gesetzt werden können. Vor allem im visuellen Bereich. Den gerade hier ist das Gehirn extrem träge und verlässt sich am allerliebsten auf seinen Erfahrungsschatz. Das, was wir sehen (oder meinen zu sehen) ist weniger ein 1:1 Bild der Wirklichkeit, sondern eine Interpretation unseres Gehirns der Sinneseindrücke, die ihm vom Sehnerv zugeleitet werden. Abweichungen von der Normalität werden da auch schnell mal „übersehen“ (Darüber gibt es wunderbare Bücher, u.a. von Oliver Sacks).
Ist die Abweichung aber so groß, dass sie nicht mehr übersehen werden kann, bekommt unser Hirn Schwierigkeiten. Es reißt in Windeseile sämtliche Schubladen auf und versucht irgendetwas zu finden, worin es das Gesehene einordnen kann. Der Gehirnbesitzer empfindet diesen Vorgang als Verwunderung, Verwirrung, vielleicht sogar als Beklemmung.

Genau hier scheint mir Gerdas Text anzusetzen. An der Beklemmung, die sich einstellen mag, wenn man Bilder wie Waterfall, Convex/Concave oder besagtes Treppenbild betrachtet. Das Verstörende daran ist aber nicht die Aufhebung der Realität, sondern die Tatsache, dass jede Perspektive, aus der man das Bild betrachtet, immer die falsche ist. Dem ersten Blick wird vom zweiten widersprochen, dem wieder vom dritten und so weiter. Hat sich der Blick aber erst einmal verfangen, dann kann er so schnell nicht wieder heraus aus dem Bild. Denn jeder Fluchtweg erweist sich schnell wieder als Sackgasse. Man macht gewagte Sprünge, von oben nach unten, von links nach rechts, und kommt doch nicht heraus.
Ich lese somit Gerdas Text als Beschreibung einer Betrachtungserfahrung. Der Betrachter wird in das Bild hineingezwungen. Anfangs nimmt er noch Einzelheiten war (das Holz, Gummi etc.), doch je länger er sich dort aufhält, desto größer die Verwirrung. Es gibt am Ende keine Richtung und keinen Weg. Nur Treppen. Man entgleitet sich selbst.
In diesem Moment wendet sich der Betrachter vom Bild ab.

Mir gefällt dieser Text, weil er dazu einlädt, weit über ihn hinaus zu denken, sich mit den Bildern von Escher zu beschäftigen sowie mit den Grenzen der Wahrnehmung, des Sehens und Verstehens.

Maija

Beitragvon Maija » 17.11.2007, 09:50

Leider habe ich über M.C. Eschers "Unmögliche Bilder" noch nichts gelesen, aber ich finde den Text interessant geschrieben. Aber das Thema: Treppen und Stufen interessiert mich nicht mehr so sonderlich, da ich über diese Motive schon zuviel gelesen habe.

Werde schwerer und schwerer, Trägheit erfasst mich, Gleichgültigkeit.


Für mich wäre es interessanter gewesen, wenn der Sog das lyr. Ich erfasst und in eine ungeahnte Bahn trägt. Die Phantasie würde neue Bilder erhalten..., aber dies wäre dann mein Text. ;-)

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Beitragvon Zefira » 17.11.2007, 10:16

Ich schwanke, will handeln, nicht denken. Versuche, weiter nach oben zu kommen.


Mir ist erst eben, beim zweiten Lesen, klar geworden, dass nirgends steht, wo dieses verzweifelte Steigen hin will.

Man kann den Text auch als Gefangensein in einem selbstgewählten Lebensweg lesen - und als das erzählende Ich erkennt, dass es der falsche ist, gibt es kein Zurück mehr.

Eschers treppensteigende Männchen wirken auf mich immer sehr statisch, als ginge es ihnen gar nicht ums Vorwärtskommen, egal ob rauf oder runter. Gerdas Text fügt ihnen eine neue Dimension hinzu.

Lieben Gruß!
Zefira
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(Ikkyu Sojun)

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Beitragvon Elsa » 17.11.2007, 10:26

Zum Verrücktwerden

Ich schätze diesen Text, bin richtiggehend hineingefallen, mich machen Eschers "Vexierbilder" wahnsinnig.

Ähnlich ging es mir als Kind, wenn ich über die Unendlichkeit des Weltalls nachdachte. Plötzlich hatte ich grüne Ringe und Spiralen vor Augen und das Gefühl, nicht weiterdenken zu können, ohne daran zugrunde zu gehen.

Gerda hat exzellent für mich beschrieben, wie einen diese Zähheit, nicht weiterzukommen, überfällt, wie es einen erstickt, weil man zu keinem schlüssigen Ergebnis gelangt. Schließlich kann man nur aufhören, nachzudenken, nachzuschauen, die Treppen zu besteigen. Eine Pattstellung, wie sie auch im realen Leben vorkommt. Nichts geht mehr, weil der Möglichkeiten zu viele sind.

Empfehlenswert.

Lieben Gruß
ELsa
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