Fragmente

Der Anonymus bietet Mitgliedern die Möglichkeit, ein Werk sowohl anonym einzustellen, als auch anonym (auf die Rückmeldungen) zu antworten. Bitte lest euch die FAQs gut durch, bevor ihr etwas in diese Rubrik einstellt.)
Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 19.08.2011, 12:44

Als Kind wohnte ich auf dem Mond. Ich trug ein dunkelblaues Kleid und weiße Söckchen.
Ich rannte und fiel und rannte und fiel. Meine kleine Porzellandose zersprang. Den rosa Deckel fand ich nicht mehr. Das Licht war Staub und die Krater tief.
Ich verirrte mich in einem Birkenwäldchen mit sandigem Boden. Meine Zehen bohrten sich in den Sand. Ich wisperte, nur die Wurzeln hörten die Geschichte.
Diese Geschichte vom schwarzen Schuppen, den nie wieder ein Kind betreten hat. Oder doch?
Ein zerfetztes „Micky Mouse“ Heft raschelte im Wind. Bunte Bildchen wehten vorbei. Schwarze Wolken hatten sich versammelt, mein gänseweißes Bein zitterte.


Als Kind verbarg ich meine Tränen. Ich trug einen runden schwarzen Hut und einen blau karierten Mantel und lief über den Onkel. Mein Haar war kurz geschnitten zu einem Bubikopf. Die alte Tante gab mir eine leichte Ohrfeige und brachte mich aufs Klo.
Meine Beine baumelten.
Auf dem Schulhof fiel ich hin, meine grüne Wollstrumpfhose war zerrissen. Sie war neu. Ich fürchtete meine Mutter und ihren Zorn. Ich malte Papierfetzchen dunkelgrün an und stopfte sie unter das Loch. Es wollte nicht halten. Der Lehrer rief mich zur Tafel, die Zahlen tanzten vor meinen Augen. Sie ergaben keinen Sinn. Meine Gedanken sprangen. Mein Kopf lief rot an.
Als Kind schlief ich zwischen knarrenden Schränken. Ich fürchtete die Dunkelheit, ich fürchtete das Verschwinden meiner Mutter. Ich lauschte auf jedes Geräusch. Ich lief raus und rein. Ich wollte nicht allein einschlafen.
Allein versank ich im Nichts.

ArthurMoloch

Beitragvon ArthurMoloch » 19.08.2011, 13:36

Mau.

Zunächst hatte ich angenommen, daß es eine Art "stream of consciousness"-Text sein soll, aber dazu ist er zu strukturiert und fühlt sich nicht "richtig" an.

Als Erzählung wiederum ist er mir zu sehr Aufzählung und teils mißverständlich formuliert:

Ich trug einen runden schwarzen Hut und einen blau karierten Mantel und lief über den Onkel.


Google hat mich gerade belehrt, daß dies ein umgangssprachlicher Ausdruck für innenrotierte Beine ist, eine Fehlstellung. Ich kannte den Ausdruck nicht. Wieviele Leute können das wissen? Zur Verwirrung trägt bei, daß gleich im übernächsten Satz eine Tante vorkommt, die Ohrfeigen verteilt und das Kind aufs Klo bringt.

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noel
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Beitragvon noel » 19.08.2011, 13:43

mein gott, wie ich das nachEmpfinde
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.08.2011, 16:08

Für mich ist der Text keinesfalls mau. Aber ich finde die beiden Fragmente nicht glücklich zusammengestellt, zu sehr hat man das Gefühl, da läuft was im Kreis oder wiederholt sich ähnlich. (Sollte das im Vordergrund stehen, was es ja könnte, dann hätte ich eine andere Form als das Fragment oder die Fragmente gewählt).

Der erste Teil würde mir allerdings wohl ausreichen (mal schauen, wie es morgen nach nochmaligem Lesen ist), den zweiten brauche ich nicht. Ich hätte als zweites Fragment lieber etwas "Herangezoomtes", eine einzelne Begebenheit im Brennglas (warum gab es von der Tante eine Ohrfeige, und warum eine leichte, und wie schwer wog sie, auch wenn sie leicht war). Auch den Schluss finde ich weniger überzeugend. "Mein gänseweißes Bein zitterte" - also der Schluss des ersten Fragments - sagt für mich viel deutlicher, wie diese Kindheit war, als das eher klischeehafte "Allein versank ich im Nichts".

Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 19.08.2011, 16:29

Ich rannte im Kreis. Meine Mutter hielt mich fest am Arm. Sie verdrosch mich mit dem Teppichklopfer. Er tanzte auf meinem Gesäß. Immer und immer wieder im Kreis herum.
Ich sprang wie ein Böckchen. „Willst du am Klopper riechen? Mein Fräulein…“ sagte sie hämisch.
Sie schlug, bis sie keuchte. Dann ließ sie sich auf einen Stuhl neben dem Herd in der schattigen Küche fallen. Sie stöhnte, hielt sich den Magen. Ich kauerte vor ihr. Ich hatte sie erschöpft, ich hatte mein Zimmer nicht aufgeräumt. Nun hatte sie ihre Kraft verloren.
Sie schloss die Augen, atmete betont und würdigte mich keines Blickes.


Wenn die Nacht kam, knisterte das Parkett. Gläser klirrten in der Küche. Ich lag im großen Bett. Mir war heiß. Der Weg durch den Gang zum Klo war weit. Man musste an der Tür zum Treppenhaus vorbei mit dem Spion. Eine Treppe führte bis in den Keller. Das Licht war fahl.
Ich wusste, dass dort unten das Steinkind lebte. Es hatte zu große Zähne und einen grinsenden Mund. Es spuckte Kirschkerne auf den Mond und steckte in einem Kartoffelsack.
Manchmal sah ich es um die Ecken huschen. Es blieb nie stehen.

Ich hatte die Milch verschüttet. Die Flasche war in der Tasche zerbrochen. Die Milch floss über den Asphalt. Wie gebannt starrte ich auf das Rinnsal. Ich zog die Tasche auf, Scherben, viele kleine Splitter, alles war nass. Ich überlegte fieberhaft, suchte einen Ausweg. Dachte an meine Mutter. Die hohen Kastanienbäume an der Allee rauschten, die Straße lag im Schatten.
Ein heißer Augusttag, wolkenlose Bläue. Ein schwarzer Flügel streifte mich.

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noel
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Beitragvon noel » 19.08.2011, 17:35

waka waka, das berürhrt mich
innerwendig
grrrrrrrrrrrrrrr
Zuletzt geändert von noel am 20.08.2011, 08:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.08.2011, 17:41

Hallo anonymer Autor,

du hast diese beiden Texte in einen Faden gestellt. War es Absicht, da der Titel "Fragmente" heißt?
Dann ist es natürlich ok.
Ansonsten kannst du ruhig für jeden Text einen eigenen Faden öffnen, ganz wie du möchtest.

Saludos
Gabriella
P.S:
Nur zur Info für die Kommentatoren hier:
beide Texte stammen vom selben User (wer es ist, weiß ich natürlich nicht)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.08.2011, 18:49

Ich rannte im Kreis [...] finde ich gut, denn da ist es ja, das Heranzoomen.

Wenn die Nacht kam [...] finde ich auch gut. Aber da geht es ja mehr um Widrigkeiten, die nicht primär menschengemacht sind. Eine Ansammlung verschiedenster Ängste wäre mir, wie ich oben schon andeutete, zu sehr Aufzählung, zu viel Betonung, zu viel Kreisen um die Angst. Dafür halte ich die Form der Fragmente nicht optimal geeignet. Hier fehlt mir ein Kontrapunkt, eine Gegenreaktion, eine (vielleicht künstlerische) Äußerung, eine Folge.

Nur Unbilden der Kindheit zu schildern wäre mir zu mitleidsfordernd ... ich weiß nicht, ob ich das verständlich ausdrücken kann; es geht ja keinesfalls um ein Verschweigen oder Zuschütten. Aber eben auch nicht ums Aufzählen. Was eventuell sprachliche Feinheiten, gekonnt gewobene Bilder zeitweise etwas "unter den Scheffel stellt", um es mal mit einer biblischen Anleihe zu formulieren.


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