o.t.

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 20.08.2011, 09:11

bin an deiner seite
auf dem höllenritt
lass die tränen stecken
geh nur immer mit

fühle dein erschauern
kann bloß bei dir sein
kratze wund die mauern
denn jeder stirbt allein

Oldy

Beitragvon Oldy » 20.08.2011, 09:45

Hallo,

der letzte Satz enttäuscht in seiner Banalität (wobei dieser Aussage auch noch falsch ist).
Was mich jedoch mehr stört, ist das einfache, "leiernde" Reimschema. Das liest sich so runter, ohne Höhen und Tiefen.
Welche Mauern werden denn da Wund gekratzt? Und warum muss das Sterben ein Höllenritt sein? Das ist mir zu einseitig, zu oberflächlich.

lg
Uwe

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 20.08.2011, 10:28

Hallo, Du Anonymer!

Für mich geht das leider auch nicht auf. Was rüberkommt, ist - bei mir - nur: negativ, dramatisch "gewürzt" mit Begriffen wir Höllenritt, erschauern, Tränen und wund.

"bin an deiner Seite" hat ja im ersten Moment was Tröstliches (ist also nicht-negativ); leider wird diese Aussage gründlich aufgelöst, vor allem durch den letzten Satz, den ich (gleich ob er stimmt oder nicht) einfach zu abgenudelt finde, abgesehen davon, dass ich seine Funktion hier nicht verstehe.
Zuletzt geändert von Amanita am 20.08.2011, 19:19, insgesamt 1-mal geändert.

ArthurMoloch

Beitragvon ArthurMoloch » 20.08.2011, 19:15

Es ist immer ein bißchen riskant, eine Phrase zu verwenden, die über einen Schriftsteller in die deutsche Alltagssprache eingegangen ist. Hans Fallada, von dem "Jeder stirbt für sich allein" stammt, hat auch noch "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt" und "Kleiner Mann - was nun?" in Volkes Schnauze eintätowiert, das ist beinahe genieverdächtig.

Ich habe Hans Falladas Roman "Jeder stirbt für sich allein" zwar leider noch nicht gelesen (er ist vor einiger Zeit neu und in ungekürzter Fassung neu aufgelegt worden), kenne aber grob den Inhalt und komme daher zu der Vermutung, daß sich zumindest der Grundton des Gedichts auf ihn bezieht.

An der Phrase "Jeder stirbt für sich allein" selbst kann ich nichts Verkehrtes finden - sie ist weder abgedroschen, noch falsch - wohl aber an ihrer Verwendung in diesem Gedicht: wenn man aus einer solchen "Wortmarke" nicht etwas herausarbeitet, das ihr selbst oder dem, der sie geprägt hat, literarisch gesehen zumindest ebenbürtig ist, sollte man nochmal dran arbeiten.

Oldy

Beitragvon Oldy » 20.08.2011, 21:20

Hallo Arthur,

An der Phrase "Jeder stirbt für sich allein" selbst kann ich nichts Verkehrtes finden - sie ist weder abgedroschen, noch falsch

Abgedroschen auf keine Fall und falsch nur dann, wenn man gar nicht Fallada im Hinterkopf hatte. Denn der hatte das wichtige Wort "sich" in Titel, was die Aussage vollkommen verändert.
Letzteres war hier wohl nicht gemeint (sinnvoller Tod, wie empfinde / bewerte ich meinen baldigen Tod?).

lg
Uwe
Zuletzt geändert von Oldy am 20.08.2011, 21:50, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Zefira » 20.08.2011, 21:27

Ich habe eine Zeitlang viel Fallada gelesen und glaube persönlich nicht, dass das Gedicht etwas mit "Jeder stirbt für sich allein" zu tun hat - sowohl Thema als auch (noch wichtiger) Grundton sind völlig verschieden.

(Ich verleihe die Bücher gern, wenn gewünscht, bei mir liegen sie nur noch rum!)

Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.08.2011, 22:13

mitgefühl statt mitleid

das gedicht beschreibt in einfachen, fast liedhaft konstruierten zwei vierzeilern eine extremsituation zwischen einem LI und einem LD.
"höllenritt" sowie der satz "jeder stirbt allein" verweisen eindeutig darauf, dass es hier um enen aussichtlosen kampf des du geht- ähnlich der geschichte bei fallada, in dem ein Arbeiterehepaar einen aussichtslosen Kampf gegen das Naziregime führt und von diesem vernichtet wird. das wars dann aber auch schon mit den verweisen auf das berühmte vorbild.
vernichtet wird in diesem - ich vermute mal - sehr persönlichen gedicht, das LD von einem "regime", das man sich - zumindest ich - leicht als unheilbare krankheit vorstellen könnte. krebs, z. b., der sich in einem endstadium durch höllenschmerzen äußern kann.

dem LI bleibt angesichts dieser situation nur eines: anwesend, begleitend, mit-fühlend zu bleiben, den eigenen schmerz zu ertragen, ohne in mitleid, dem ja immer etwas zwielichtiges anhaftet, zu verfallen.

über die qualen des LIs gibt die stelle mit den mauern auskunft- das bereits trennende wird angegriffen, zerkratzt, in einem akt der verzweiflung, ein aufbäumen gegen das unwiderrufliche- während das Du davon nichts mitbekommt.
die tränen bleiben stecken in seiner gegenwart, es gibt - vermutlich - anderes zu tun ...
und die struktur des textes liefert mir dafür einen hinweis: es sind fast schon automatisierte bewegungen, die durchgeführt werden, es werden die sätze gesprochen, in einer beinah schon beschwörend klingenden einfachheit, unterstützt von einfachen reimen - sie halten zusammen, was auseinander zu brechen droht.

und natürlich stimmt der satz "jeder stirbt allein" hundertprozentig- oder stirbt etwa ein lebender mit und weiß demzufolge, wie sich das anfühlt? nein nein, das ausfechten dieses letzten kampfes, der vielleicht nicht immer ein "kampf" sein muss, hier wird es aber so dargestellt und berichte über ähnliche situationen sprechen diesbezüglich eine beredte sprache, - das ausfechten bleibt jedem selbst überlassen. und man wird erst wissen, wie das so ist, wenn es für einen selbst soweit ist.

ein starker text, der sich nicht scheut, unter dem kleid der angeblichen "einfachheit" eine tiefe erkenntnis zu versprachlichen: mitleid - nein danke, respekt und mit-fühlen - ja bitte.

wohl dem , der in seinen letzten stunden einen solchen menschen, wie hier das LI, an seiner seite weiß.

respekt!

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 20.08.2011, 22:22

Danke, Scarlett, denn jetzt sehe ich etwas klarer! Sprachlich ist es zwar immer noch nicht "meins", aber ich konnte dank Deiner Interpretation wenigstens inhaltlich etwas strukturieren.

Oldy

Beitragvon Oldy » 20.08.2011, 22:29

und natürlich stimmt der satz "jeder stirbt allein" hundertprozentig- oder stirbt etwa ein lebender mit und weiß demzufolge, wie sich das anfühlt? nein nein, das ausfechten dieses letzten kampfes, der vielleicht nicht immer ein "kampf" sein muss, hier wird es aber so dargestellt und berichte über ähnliche situationen sprechen diesbezüglich eine beredte sprache, - das ausfechten bleibt jedem selbst überlassen. und man wird erst wissen, wie das so ist, wenn es für einen selbst soweit ist.

Ich erlaube mir als Kundiger der palliativen Pflege hier vollkommen gegensätzlicher Meinung zu sein. Wäre dem nicht so, können wir diesen Bereich ad acta legen.
Meine Erfahrung sagt mir, das dem nicht so ist.
kratze wund die mauern
denn jeder stirbt allein

Will heißen: Er kratz die Mauern wund, weil jeder für sich allein stirbt.
Warum dann das Kratzen, wenn dem so ist. Wo liegt der Sinn?
Nur diese beiden letzten Zeilen gehen nicht auf und sind wohl eher dem Zwang zum Reim geschuldet. Ich erkenne sehr wohl, was der A. ausdrücken wollte. Nur so geht es nicht.

lg
Uwe

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.08.2011, 22:47

Oldy hat geschrieben:Ich erlaube mir als Kundiger der palliativen Pflege hier vollkommen gegensätzlicher Meinung zu sein. Wäre dem nicht so, können wir diesen Bereich ad acta legen.
Meine Erfahrung sagt mir, das dem nicht so ist.


und wie ist es dann?
wär mal interessant, deine ansicht diesbezüglich zu hören.

ich komme nicht nur aus einem arzthaushalt, in meiner familie gibt es seit generationen ärzte, also bin ich nicht ganz "unwissend". also erzähl mal.

kratze wund die mauern
denn jeder stirbt allein



Oldy hat geschrieben:Will heißen: Er kratz die Mauern wund, weil jeder für sich allein stirbt.
Warum dann das Kratzen, wenn dem so ist. Wo liegt der Sinn?


ja, weil das ich nichts tun kann, das trennende muss akzeptiert werden, es ist ein akt der hilflosigkeit und wut und verzweiflung. irgendwohin muss das ich ja auch mit seinen gefühlen, oder?

Oldy hat geschrieben:Nur diese beiden letzten Zeilen gehen nicht auf und sind wohl eher dem Zwang zum Reim geschuldet. Ich erkenne sehr wohl, was der A. ausdrücken wollte. Nur so geht es nicht.


doch, für mich gehen sie auf und da ist nix dem reim geschuldet, der reim erfüllt hier meiner meinung nach eine ganz bestimmte funktion. aber ich wiederhole mich nicht gern.

und nochmals doch, genau so geht es, wie man sieht, zumindest für mich als einen leser.

scarlett

Oldy

Beitragvon Oldy » 20.08.2011, 22:54

und nochmals doch, genau so geht es nicht, wie man sieht, zumindest für mich als einen leser.
Das sei mir doch belassen, nicht wahr?
Und muss ich dir als Mitglied einer Ärztefamilie wirklich erklären, was Palliativ und Sterbebegleitung heißt? Ich habe übrigens nicht von Palliativmedizin gesprochen.
Wir haben gegensätzliche Ansichten und ich habe diesbezüglich kein Akzeptanzproblem.

lg
Uwe

scarlett

Beitragvon scarlett » 20.08.2011, 23:03

Oldy hat geschrieben:Wir haben gegensätzliche Ansichten und ich habe diesbezüglich kein Akzeptanzproblem.


ich auch nicht, dann ist ja alles gut.

der text gibt nun mal eine ganz bestimmte sicht vor und allein daraus sollte die argumentation erfolgen.
offensichtlich erlebt/empfindet das LI das hier eben anders als du aufgrund deiner erfahrungen.

und nein, erklären musst du mir wahrlich nichts, es geht ja auch nicht um sterbebegleitung sondern um den moment des sterbens an sich.

lassen wir es gut sein, ich akzeptiere deinen standpunkt ja, auch wenn ich ihn nicht verstehe bzw. teile.

scarlett

ArthurMoloch

Beitragvon ArthurMoloch » 22.08.2011, 23:50

Oldy: Hast natürlich recht. Ob "für sich" oder nicht da steht, macht inhaltlich gesehen tatsächlich einen Unterschied.


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