Falsche Liebe

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 31.05.2012, 16:45

Ich liebe nichts mehr als
das kleine Hellgrün
und das Lilamatt,
wie es sich knisternd
aus seinen Versprechungen schält,
mich wach lachen lässt,
mir in den Nächten künstliche Träume krendenzt.

Jedesmal zittere ich, wenn es stirbt.

Es ist wie bei jeder Liebe, sage ich mir.

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leonie
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Beitragvon leonie » 31.05.2012, 20:44

Ich ahne, wer diesen Text verfasst hat.
Gefällt mir sehr, ich finde, das Trügerische ist in den Farben und Worten eingefangen, auch die emotionale Verwicklung, in der das lyrIch sich befindet und, wie es scheint, den Normalzustand wieder herstellen will, indem es sich auch noch selbst etwas vormacht.

So ein Schwebezustand zwischen Bangen, Wissen, Sich-etwas-Vormachen und doch nicht-Entrinnen-Können.
Vielleicht habe ich jetzt zuviel hinein gelesen. Aber es macht ja einen guten Text aus, dass er Phantasie und Assoziationen freisetzt.

Liebe Grüße

leonie

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 31.05.2012, 21:27

Schön, dieses Motiv, die Farben, die Formen, die entstehen! Ich sehe Blüten vor mir, Akelei, Glockenblumen, Blattknospen, die sich entfalten. Mit der Vorfreude verbunden ist das schmerzliche Wissen um das bereits im Blühen angelegte Welken. So lese ich diesen Text, aber vielleicht liege ich da auch falsch.

Was mir nicht zusagt und mir für ein Gedicht zu direkt, ja fast plump vorkommt:

Zeile 1: Ich liebe nichts mehr als ...

Das ist für mich völlig entbehrlich, denn die Liebe zu diesen Dingen spricht bereits aus den liebevollen Beschreibungen, die dann folgen. Ein Gedicht soll meiner Meinung nach etwas zeigen und nicht beschreiben.

Auch die künstlichen Träume (was ist das? Gibt es natürliche und künstliche Träume?) leuchten mir nicht ein. Die letzten beiden Zeilen sind mir ebenfalls zu eindimensional. Das Zittern liesse sich gut aus einem zarten Text erfühlen, es müsste nicht ausgesprochen werden, das nimmt ihm die Spannung. Die letzte Zeile ist ein Allgemeinplatz. Und es stimmt nicht. Jede "Liebe" ist anders.

Yorick

Beitragvon Yorick » 01.06.2012, 14:33

I'm a mess without my little China Girl
Wake up in the morning. Where's my, little China Girl?
I hear our heart's beating, loud as thunder
I saw the stars crashing down

(China Girl, David Bowie)


Man könnte sich mit dem Hubschrauber auf den Gipfel des Berges fliegen lassen. Dann hätte man die ganzen Strapazen des Aufstiegs nicht und wäre dennoch oben.

Man könnte Drogen nehmen, sich z.B. einen Joint anstecken, der knisternd auflodert (oder etwas anderes), um ein gutes Gefühl zu erreichen. Dann müsste man sich nicht um die bösen Gefühle kümmern, die da sind.

Man könnte sagen: "Wir sind ein Paar". Dann hätte man jemanden, der einen liebt. Dann müsste man nicht mehr damit leben, dass man sich selbst nicht liebt.

Doch alles was falsch ist, wird in sich zusammenfallen. Hast du dich wirklich auf den Weg gemacht? Hast du deine echten Träume gelebt oder nur von ihnen geträumt? Hast du geliebt oder warst du süchtig nach der Sehnsucht?

Betäubung ist eine warme Decke in kalter Nacht. Niemand friert gerne, also lieben wir warme Decken. Manchmal so sehr, dass wir darüber vergessen, das wir eigentlich die warmen, hellen Tage lieben.

Niko

Beitragvon Niko » 01.06.2012, 16:46

das gedicht wirkt sehr sensibel und ist für mich ein sehr guter text, der mir viele bilder schenkt.

OT:
yorick - ist das von dir, was du da schreibst? - ich find´s enorm und gut. nicht, dass ich dir enormes und gutes absprechen möchte! aber dein kommentar....da sitze ich jetzt einfach völlig verblüfft vor.

liebe grüße: niko

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 01.06.2012, 17:30

wunderschön,

es fließt einem das Wohlgefallen an diesem Text aus der Feder heraus, ganz ungezwungen. Der Schmerz, den man deutlich aber wie unter Narkose von ferne spürt, sitzt tief. Die Leichtigkeit des Über den Dingen seins sagt elegant, wie weh das tut.
lG
an Anonymous ... bin gar nicht sicher und wüßte gern (obwohl ein Schimmer schimmert ...)

Yorick

Beitragvon Yorick » 02.06.2012, 00:48

@Niko: Ja, der Text hat mich dazu inspiriert. Es freut mich sehr, wenn Du etwas aus diesen Sätzen ziehen kannst.

Lieben Gruß, Yorick.

Gerda

Beitragvon Gerda » 02.06.2012, 10:41

Gibt es Kriterien für Liebe?

Es schreibt jemand über eine "Falsche Liebe". Kann denn Liebe falsch sein?
Als Bild gewählt - in Anlehnung vielleicht an die "Blaue Blume" - stelle ich mir ein Veilchen vor, was für Bescheidenheit und Reinheit steht. Ein krasser Gegensatz zum Inhalt, wie ich meine.

fenestra schreibt w. o., dass jede Liebe anders sei.
Mein Eindruck ist, dass das Lyrich etwas für Liebe hält, das vielleicht Verliebtheit ist, eine Art narzisstisches Gefühl, welches sich kurfristig einstellt, wenn das Lyrich frischverliebt ist. Insofern gestaltet sich jede vermeintliche Liebe für das Lyrich gleich. Lyrich liebt das in ihm ausgelöste Gefühl, auch jenes der künstlich erzeugten Träume, nicht ein Gegenüber.
Wenn Träume künstlich sind, was kann dann noch als "echtes" Liebegefühl gelten?
Es hält das Gefühl, was sich selbstbezogen bei ihm einstellt für "Liebe".
Möglicherweise tritt im Rückblick auf "viele Lieben" eine Erkenntnis zutage, die dieses Empfinden als "Falsche Liebe" entlarvt.
Für mich ist dieses "frühlingshaft-leicht" anmutende Gedicht ein Beispiel dafür, wie mit "lieblichen" Worten ein Misslingen von Beziehung dargestellt wird. Es beschreibt im weitesten Sinne Bindungsunfähigkeit. Interessant auch im gesellschaftlichen Kontext, in dem immer weniger Beziehungen gelingen.
Unter dem Aspekt ist es für mich gelungen.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 02.06.2012, 12:46

Es gibt Kriterien für die Art, wie Gedanken und Gefühle vermittelt werden. Aus jedem Text spricht die Haltung des Schreibenden.

Was hier im Text "Falsche Liebe" thematisiert wurde, ist meiner Ansicht nach "falsch" (als Wertung oder Eigenschaft zum Nomen Liebe hinzugefügt) im weitesten Sinne. Es kann eine falsche / verlogene Liebe gewesen sein (oder sein) Falsch im Sinne von "der Realität nicht entsprechend" also eine Illusion, eine Täuschung. Es kann auch die falsche Liebe gewesen sein, weil man an der echten vorübergegangen und sozusagen die falsche (Liebes)Ausfahrt gewählt hat.

Soweit zum vielschichtigen Titel

Das Gedicht engt dann diesen weit angelegten Begriff der "falschen Liebe" ein,
Was mit dem kleinen Hellgrün und demm Lilamatt gemeint ist, bleibt mir rätselhaft. Ich akzeptiere (hier) diese enigmatische Formulierung, vor allem wegen des Lilamatt. Ich vermute Augen- und Lidschatten, Haut-Lilamatt..jedenfalls fühle ich mich zu dieser Assoziation inspiriert. Die Iris und ihre schillernden Farbnuancen, oder eine Nuance nachtmüder Hautstellen an den Gelenken ...

Ich liebe nichts mehr als
das kleine Hellgrün
und das Lilamatt,


wie es sich knisternd
aus seinen Versprechungen schält,


es - das Grün, das Lilamatt schält sich aus seinen Versprechungen... auch hier bleibt unklar, was? knisternd? Stoff?


mich wach lachen lässt,

das knisternde Element könnte genauso gut eine entsprechende Zigarette sein, ein mit Feuer konsumiertes Gift, ich denke an die speziellen Löffel, durch die Absinth gegossen und dann absorbiert wurde.

mir in den Nächten künstliche Träume krendenzt.


womit man bei den künstlichen Träumen wäre, wobei natürlich auch der Film knistert, wenn er durch den Projektor läuft.

Jedesmal zittere ich, wenn es stirbt.


das Licht, das Feruer, das Grün, das Lilamatt?

Diese Liebe, die von ganz besonderer Natur zu sein scheint (wenn auch am Ende als eine unter vielen bezeichnet), wäre eine Liebe zu Künstlichem, eine, die stirbt?



Es ist wie bei jeder Liebe, sage ich mir.


Mir hat wohl bei der ersten, relativ flüchtigen Lektüre vor allem diese letzte Aussage besonders gefallen. Die Tatsache, dass sich das Lyrich einreiht in die Allgemeinheit, in das große Ganze, wo eben ... alles ist, wie immer, im Ablauf sich wiederholend und selten das Einzigartige erlebt wird oder zur Erfüllung kommt. Diese feine Bescheidenheit, diese "Lassitude" (Erschöpfung, einer Sache müde sein) vor dem stets Wiederkehrenden, die finde ich hier sehr passend und sehr gut ausgedrückt.


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