Heimat

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 17.08.2012, 21:46

Ich bin eine Pflanze mit langen Wurzeln.

Einmal wollte sie jemand schneiden.

Ich sagte ihm, dass man Heimat
nicht zurechtstutzen kann.

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birke
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Beitragvon birke » 18.08.2012, 11:06

Ein Text, der mich zum Nachdenken bringt ...

Irgendwie geht er allerdings für mich nicht auf bzw. ist das Bild für mich schief. Klar, ich verstehe die Aussage durchaus ...

Aber zum einen wird mir rein formal in der zweiten Zeile nicht ganz klar: WAS wollte jemand schneiden? Die Wurzeln? Die Pflanze? Ich nehme an, die Wurzeln.

Zum anderen hinkt das Bild für mich aus folgendem Grund:
Bevor man Wurzeln überhaupt schneiden kann, muss man sie wohl ausreißen.
Und dann stellt sich mir die Frage, stehen denn die Wurzeln für „Heimat“?
Oder nicht vielmehr der Boden, in dem sie verwurzelt waren?

Zudem ist /für mich/ Heimat ein weiter Begriff.
Klar kann die Herkunft (wo man „verwurzelt“ ist) Heimat bedeuten.
Man kann aber auch eine "neue" Heimat finden, in der man wieder Wurzeln schlägt.

Genau so gut kann Heimat dann wiederum auch für Menschen stehen, die einem nahe stehen, die man liebt.

Deshalb ist dieser Begriff für mich veränderbar und keine feste Konstante.

Soweit meine Gedanken hierzu.

LG, Diana
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Gerda

Beitragvon Gerda » 19.08.2012, 02:03

Lyrich ist schon älter, deshalb sind seine Wurzeln lang, sie reichen zeitlich zurück und also auch tief in den Heimatboden.
Lyrich ist mit dem, was es als Heimat empfindet, durch einen Dauerzustand fest verbunden.
Jedoch sieht niemand die Wurzeln sondern nur das, was vom Lyrich "Oberirdisch" sichtbar ist und jetzt komme ich auch zu dem Punkt, der es für mich nicht möglich macht, diesem Text weiter zu folgen, denn, niemand kann jemand anderem die Heimat, das Heimatgefühl beschneiden.
Selbst wenn Heimat in der Fremde bedeutet, am fernen Ort die Erinnerungen und Traditionen zu pflegen, wer sollte dem Lyrich das abstreiten können?
Die Zeit der Leibeigenschaft ist vorbei. Ich würde nicht so weit gehen, dass hier ein Wohnortwechsel oder Jobwechsel ausreichende Begründung wäre, von der "Berschneidung" durch eine Person oder durch wie auch immer geartete Umstände zu schreiben. Es geschah willentlich, wie ich dem Kontext entnehme. (wollte sie beschneiden).
Eine Möglichkeit wäre u. U. die Zwangsversteigerung des Elternhauses, das geht mir gerade durch den Kopf.
Was aber bedeutet dann das Belehrende, dass man Heimat nicht zurechtstutzen kann?

Für mich ist Z 1 ins sich stimmig danach geht die Konsistenz nach menem Empfinden verloren, Der Text wird zu abstrakt und damit unbestimmt. Für mich nicht ausgereift, nicht zu enden gedacht.

scarlett

Beitragvon scarlett » 19.08.2012, 06:20

ich denke, dass der knackpunkt an diesem gedicht das pronomen "sie" ist.
es bezieht sich rein grammatisch gesehen auf "die wurzeln" als letztgenanntes substantiv.
das aber macht auch für mich keinen so rechten sinn: ich bin zwar überhaupt keine "gärtnerin", aber dass man wurzeln schneidet/schneiden kann im sinne von "zurechtstutzen", das kann ich mir nicht vorstellen. deshalb funktioniert das so für mich nicht.

anderes ist, so meine ich, hier vielleicht intendiert: dass nämlich die pflanze selbst zurechtgestutzt werden soll im sinne von angleichen/anpassen/zurechtbiegen/in ein anderes system pressen usw.
dass das, bei einer pflanze, die fest verankert ist, nicht funktioniert, liegt auf der hand.
ich denke dabei auch an den alten baum, der nicht verpflanzt werden kann ...

das, was jemand geworden ist, was er in sich trägt /heimat?/ ist nicht so ohne weiteres veränderbar???

für mich geht der text nicht wirklich auf, auch wenn ich die idee dahinter sehr ansprechend finde, daraus könnte man mehr machen.

sca

pjesma

Beitragvon pjesma » 19.08.2012, 11:59

ich kann es nachvollziehen, bzw. mich identifizieren ...man schöpft aus dem fernem ursprung, einerseits, nicht nur aus der gegenwart und vorhandenem...und anderseits, erinnert mich der text ein bisschen auch an die doppelte staatbürgerschafft dilleme...man müsste sich für ein pass entscheiden...und sträubt sich.
als spruch, parabell,sogar als politisches statement- funktioniert es für mich...aber für ein gedicht ist mir etwas zu wenig...
lg, pjesma

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Beitragvon birke » 19.08.2012, 12:34

aber dass man wurzeln schneidet/schneiden kann im sinne von "zurechtstutzen", das kann ich mir nicht vorstellen.

aber doch, liebe mo, beim umtopfen zum beispiel macht man das zuweilen.

aber - hier hinkt für mich das bild trotzdem, denn, wie ich auch schon schrieb, vorher muss man ja die pflanze samt wurzeln ausreißen ... oder zumindest ausgraben und "entwurzeln". und das ist ja nun schon ein grober einschnitt sozusagen.

lg, diana
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Beitragvon Anonymus » 19.08.2012, 17:26

Ein Gruß vom Anonymus:

Liebe Pjesma, es freut mich, dass du das so verstehst. Du hast natürlich recht, mehr als ein Statement, eine ganz kurze Parabel ist es nicht und soll es nicht sein; kein ausgewachsenes Gedicht, nein.

Die langen Wurzeln können auch in die Breite gehen, es gibt Pflanzen, die zeigen sich ganz woanders (über der Erde) als sie ursprünglich (ver-)wurzelten. Da kann man schon einiges abschneiden, ohne die Pflanze zu ent-wurzeln bzw. auszureißen. Und die Pflanze wird woanders wieder auftauchen, weil die langen Wurzeln wieder austreiben (@Birke).

scarlett

Beitragvon scarlett » 19.08.2012, 17:53

na denn, dann passt ja alles.

sca

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Beitragvon Anonymus » 19.08.2012, 18:24

- muss es nicht, Scarlett. Die Schwächelstellen sind da, zweifellos. Trotzdem freut man sich, wenn die Gedanken ankommen.

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Beitragvon birke » 19.08.2012, 19:30

naja, denn ist doch gut, wenn sie wieder austreiben? :smile:

für mich ist das ganze "heimat"-thema ... irgendwie ... schwierig.
denn für mich gilt:

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Beitragvon Eule » 20.08.2012, 10:35

Mir gefällt das Bild mit den langen Wurzeln gut. Je weiter man sie findet, umso länger werden sie. Sie reichen tatsächlich wohl bei jedem auf die ein oder andere Weise um die gesamte Erde.
Ein Klang zum Sprachspiel.


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