Ein Traum

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 07.08.2013, 18:15

Stunden lang schon saß der Dichter da. Plötzlich hörte er eine Stimme. Er verließ für einen Moment sein tieferes Ich und sah: Die Vogelscheuche sprach zu ihm. "Warum bist du so schweigsam? Schon seit Stunden beobachte ich dich, und du sagst kein Wort"
_"Ich rede ja nicht mit Vogelscheuchen!"
-Normalerweise rede auch ich nicht mit Dichtern, aber du scheinst mir ein seltsamer Vogel zu sein.
-Woher weißt du, dass ich ein Dichter bin?
-Weil du dich wie eine Vogelscheuche benimmst. Keine Muse wird sich dir jemals nähern.
-Meinst du, ich sollte meinen Beruf aufgeben?
-Wonach sehnst du dich?
-Nach Liebe ...
-Würdest du mich lieben?
-Dich? Du bist ja eine Vogelscheuche!
-Ich bin ein Mädchen...
Der Dichter näherte sich und sah sich das Ding von der Seite an. Die Nase, die an sich zu groß war, wirkte erhaben, mysteriös ... Er küsste es auf die Lippen. Die Vogelscheuche bewegte sich nicht, sie schien den Atem anzuhalten. "Hilf mir hier runter!". Das tat der Dichter. Jetzt konnte er sehen, dass es ein Mädchen war. Die Beine etwas zu dünn, vielleicht. Er drückte sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. "Ich liebe dich!" sagte er und versuchte, sie auf den Boden zu werfen. "Nicht so hastig!", sagte sie. "Wir kennen uns kaum". Er ließ nicht nach. Je mehr sie sich weigerte, desto schöner erschien ihm das Mädchen, desto mehr versprach er ihr, sie für immer zu lieben. Endlich hatte er sie soweit.
"Warte", sagte sie. "Was ist?" "Ich habe meine Tage..." Die Hitze des Dichters ließ ein wenig nach.
"Seit wann?" "Seit einer Woche fast". Er machte weiter, küsste sie sogar, vorsichtig, an ihrem Sex: es roch nach altem Stroh. "Jetzt habe ich dich!" -rief er aus nach einem gelungenen Angriff und blieb einen Moment lang still, um sie genau zu spüren. Er suchte nach einer poetischen Definition: ein Schlüssel in einem mittelalterlichen Schloss? Dann vergaß er sich und ließ sich gehen: Er war dabei, die schönste der Frauen zu besitzen. Er kam und weinte fast vor Freude.
Jetzt war er leer. Nichts von der Liebe war in ihm geblieben. Er hatte eine Vogelscheuche in den Armen. Er wartete eine Minute und erhob sich vorsichtig, nachdenklich.
"Liebst du mich noch?", fragte das Mädchen.
"Ja ja", sagte der Dichter.

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