Helene in der Provence

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Anonymus
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Beitragvon Anonymus » 17.07.2008, 12:55

Eine Reise mit dem Vater in die Provence hatte Helene sich zur Matura gewünscht und nun spazierten sie durch Arles. Über den Blumenmarkt, einzelne Blütenblätter wirbelten durch die Sommerluft. Der Mistral wehte Helenes weiten Rüschenrock hoch, sie kreischte vor Lachen, während ihr Vater bemüht war, die flatternden Zipfel einzufangen, damit nicht die ganze Welt ihren Slip sah.
„Na und?“, sagte sie. „Lass die geilen Böcke doch ein bisschen schauen. Sei stolz auf deine schöne Tochter.“ Helene riss sich los, drehte Walzerfiguren zwischen den Blumenfrauen in ihren blauen Schürzen über dicken Taillen. Männer in weißen Leinenanzügen lüpften freundlich lächelnd Strohhüte und klopften den Dreivierteltakt mit ihren Spazierstöcken aufs Pflaster.
Helene breitete die Arme aus, ihr Rock flog und der Vater schämte sich ihrer. Er ertrug nie, wenn sie sich aufführte. So traurig war er, dass er nicht stolz auf seine Tochter sein konnte. Helene wusste das. Schon lange störte sie das nicht mehr. Als sie zwölf war, erwischte er sie beim Erforschen ihres Geschlechtes. „Schwein“, hatte er gesagt und die Tür in Panik zugeschlagen. Niemals wurde das erwähnt zwischen ihnen. Helene ergriff einen bunten Strauß. In der Mitte steckte eine Rose in altrosa Schattierungen. Rundum weiße, gelbe, lila Blumen. „Für dich, Papa“, sagte sie.
Der Vater reichte der Blumenfrau das Geld über die Körbe hinweg.

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 17.07.2008, 15:44

Der Text enthält Ansätze zu einer spannend erzählten Sinnlichkeit. Mir gefallen die Schilderungen des Marktes, die direkten Reden sind mir zu grob. Sie sprengen die andere Erzählung, die feiner ist.

Man könnte ein schönes, surreales Stückchen mit Nostalgielementen daraus machen,

übrigens auch aus dem anderen Helenetext.

Wüstenfuchs

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.07.2008, 18:07

Ja, interessantes Beziehungsbild, aber solche Formulierungen:

„Lass die geilen Böcke doch ein bisschen schauen. Sei stolz auf deine schöne Tochter"


...erscheinen mir zumindest ein bisschen aufgesetzt. Spricht man so als junges Mädchen zu seinem Vater? Spricht man so in einer eher beschämenden/beklemmten Situation?

Anfangs wirkt es auch so auf mich, als ob das Mädchen sich seiner Reize und Signale gar nicht bewusst ist, was gerade eine gewisse Lolita-Erotik enthält... Die verschwindet dann durch solche Antworten.

Das mit der Körpererkundungstour finde ích auch gut erzählt, gute Idee.

Und dan vielleicht noch etwas grundsätzliches:

Es ist m.M. nach in der Literatur angenehmer, wenn du eine Geste der Scham findest und der Protagonist sie ausführt. Zum Beispiel: Zu Boden blicken. Erröten. Ablenkende Handlungen.

...als wenn du schreibst: "Der Vater schämte sich"

Könnte noch länger sein!

Ach ja, das Wort "lupfen" habe ich nie gehört. Was heißt das?

Liebe Grüße,
l

aram
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Beitragvon aram » 17.07.2008, 18:19

"lupfen" habe ich nie gehört. Was heißt das?


lou, "lupfen" und "lüpfen" sind zwei verschiedene wörter, wenn auch beides synonyme für hochheben/anheben. bei "lüpfen" geht es m.e. eher um das 'freigesetzte' (hut, rock lüpfen), bei "lupfen" um das 'hochgesetzte' (gepäckstück, gaspedal lupfen)

Louisa

Beitragvon Louisa » 17.07.2008, 19:19

Lüpf!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.07.2008, 20:28

ich dachte immer man lüftet seinen rock!

Mir gefällt diese kurze Sequenz, weil sie abschließt, was sie erzählen will, aber man sich zwei ganze Leben denken kann.

Ich würde allerdings auch die Passage der wörtlichen Rede, die fuchs und lou ansprechen, ändern und überdenken - aus genannten Argumenten und weil dieser Satz:

"Niemals wurde das erwähnt zwischen ihnen."

überhaupt nicht mit der offenen Art Helenes zu vereinbaren ist.

Und sagt man "schwein" zu einer Frau?

Hab ich trotzdem gern gelesen,
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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