Helene im Tiergarten
Verfasst: 10.09.2008, 19:35
Helene im Tiergarten
Frau Stein steht aufgeplustert vor Helenes Schulbank, der hintersten im Klassenraum. Der kohlschwarz gefärbte Farah-Diba-Dutt wippt über ihrer Stirn, und Helene nagt an den Fingernägeln, um nicht loszulachen. Dazu sticht Frau Stein mit Spinnenfingern nach ihr. Sie waren auf Anhieb Feinde gewesen, als sie die neue Klassenlehrerin wurde, weil ihre Vorgängerin ein Baby bekam.
Frau Stein hebt die dünnen Striche, die ihre Augenbrauen darstellen sollen. „Achtjährige rauchen nicht auf dem Schulklo. Man raucht überhaupt nicht! Ich erwarte eine Entschuldigung, dann darfst du mit in den Zoo.“
„Gehen“, bessert Helene nach.
„Das kommt auch auf dein Sündenregister...“
„Verzeihung“, schießt Helene heraus.
Nachdem Frau Stein alle Schüler mitnehmen muss, gibt sie sich offensichtlich damit zufrieden. „An dir ist Hopfen und Malz verloren“, sagt sie noch und stampft zur Tafel.
Im Schönbrunner Affenhaus brechen alle in entzückte Schreie aus. Helene nicht. Diese Kreaturen sind abscheulich, sie belästigen sie regelmäßig in Albträumen. Geduldig wartet sie.
Ihr schmecken Zigaretten nicht. Das hat sie Papa gesagt. Als er fragte, warum dann, antwortete sie: „Weil ich Regeln ablehne.“
Er lachte vor Frau Stein und der Direktorin, was aber in Helenes Schwarzbuch geschrieben wurde.
Am Ende der Tour durch den Zoo gelangt die Klasse an Helenes Lieblingsort: Das Meereshaus, in dem sie schon viele Stunden verbrachte, um im stillen Dunkel zu sitzen und dem Tanz der Fische durchs blaugrün schimmernde Wasser zuzusehen.
Frau Stein treibt die Schüler an den Aquarien vorbei; sie nehmen in Sachkunde gerade Reptilien durch. Im angeschlossenen Terrarium liegen in Dschungelhitze Warane, Schlangen, Echsen hinter den Scheiben. Ganz hinten befinden sich die Krokodile; das Ziel Frau Steins. Die Glaswand reicht Helene bis zum Kinn. Der schlammgrüne Riese döst mit offenem Maul. Er liegt zur Hälfte in der Pfütze, die einen Teich darstellt. Windgleich fliegt Helene über die Absperrung, gefolgt von einem Aufschrei der Mitschüler. Frau Stein muss handeln, das weiß Helene.
Lächelnd legt sie sich zwischen die Zahnreihen des Krokodils. Sie ist seine Freundin. Viele Nächte lag es unter ihrem Bett und behütete sie. Sie atmet seinen Atem ein, der nach Fisch und Urzeit riecht.
Frau Stein klettert herüber, ihr enger Rock reißt auf. Es schüttelt sie vor Angst. „Komm sofort aus dem Maul heraus“, flüstert sie.
Das Krokodil bewegt den Schwanz, Helene hebt den Arm und streichelt die Schnauze über sich. Der Gaumen ist tiefrosa, ein Samtbett, bewehrt mit Palisaden.
Es spuckt Helene aus und schießt auf Frau Stein zu. Ihre Knochen knacken unter den Kaubewegungen, dann ist sie verschwunden bis auf den Dutt. Den mag nicht einmal das Krokodil.
Seither raucht Helene keine Zigaretten mehr.
Frau Stein steht aufgeplustert vor Helenes Schulbank, der hintersten im Klassenraum. Der kohlschwarz gefärbte Farah-Diba-Dutt wippt über ihrer Stirn, und Helene nagt an den Fingernägeln, um nicht loszulachen. Dazu sticht Frau Stein mit Spinnenfingern nach ihr. Sie waren auf Anhieb Feinde gewesen, als sie die neue Klassenlehrerin wurde, weil ihre Vorgängerin ein Baby bekam.
Frau Stein hebt die dünnen Striche, die ihre Augenbrauen darstellen sollen. „Achtjährige rauchen nicht auf dem Schulklo. Man raucht überhaupt nicht! Ich erwarte eine Entschuldigung, dann darfst du mit in den Zoo.“
„Gehen“, bessert Helene nach.
„Das kommt auch auf dein Sündenregister...“
„Verzeihung“, schießt Helene heraus.
Nachdem Frau Stein alle Schüler mitnehmen muss, gibt sie sich offensichtlich damit zufrieden. „An dir ist Hopfen und Malz verloren“, sagt sie noch und stampft zur Tafel.
Im Schönbrunner Affenhaus brechen alle in entzückte Schreie aus. Helene nicht. Diese Kreaturen sind abscheulich, sie belästigen sie regelmäßig in Albträumen. Geduldig wartet sie.
Ihr schmecken Zigaretten nicht. Das hat sie Papa gesagt. Als er fragte, warum dann, antwortete sie: „Weil ich Regeln ablehne.“
Er lachte vor Frau Stein und der Direktorin, was aber in Helenes Schwarzbuch geschrieben wurde.
Am Ende der Tour durch den Zoo gelangt die Klasse an Helenes Lieblingsort: Das Meereshaus, in dem sie schon viele Stunden verbrachte, um im stillen Dunkel zu sitzen und dem Tanz der Fische durchs blaugrün schimmernde Wasser zuzusehen.
Frau Stein treibt die Schüler an den Aquarien vorbei; sie nehmen in Sachkunde gerade Reptilien durch. Im angeschlossenen Terrarium liegen in Dschungelhitze Warane, Schlangen, Echsen hinter den Scheiben. Ganz hinten befinden sich die Krokodile; das Ziel Frau Steins. Die Glaswand reicht Helene bis zum Kinn. Der schlammgrüne Riese döst mit offenem Maul. Er liegt zur Hälfte in der Pfütze, die einen Teich darstellt. Windgleich fliegt Helene über die Absperrung, gefolgt von einem Aufschrei der Mitschüler. Frau Stein muss handeln, das weiß Helene.
Lächelnd legt sie sich zwischen die Zahnreihen des Krokodils. Sie ist seine Freundin. Viele Nächte lag es unter ihrem Bett und behütete sie. Sie atmet seinen Atem ein, der nach Fisch und Urzeit riecht.
Frau Stein klettert herüber, ihr enger Rock reißt auf. Es schüttelt sie vor Angst. „Komm sofort aus dem Maul heraus“, flüstert sie.
Das Krokodil bewegt den Schwanz, Helene hebt den Arm und streichelt die Schnauze über sich. Der Gaumen ist tiefrosa, ein Samtbett, bewehrt mit Palisaden.
Es spuckt Helene aus und schießt auf Frau Stein zu. Ihre Knochen knacken unter den Kaubewegungen, dann ist sie verschwunden bis auf den Dutt. Den mag nicht einmal das Krokodil.
Seither raucht Helene keine Zigaretten mehr.