Was offen blieb (vorher:Vergegnung)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 23.06.2008, 17:21

Nein, ich wollte nicht wissen,
warum du in Indien warst und wie die Namen der Mönche lauteten
auf dem heiligen Berg.

Wie lang du unter den Kranken wohntest
und ihnen das Blut aus den Armen lief
und dein Vater, ja, dass er ein guter Mann war,
schon lange bevor er starb -

Wissen wollte ich, warum deine Hand so warm war,
als sie meine nahm,
warum sie so lang dort verweilte.

Wie der Schnee schmeckte, ja, das hätte ich gern erfahren,
und die Nuancen des Meeres unter dem winternden Himmel.

Und warum deine Augen glänzten
einen Moment nur, als sie in meinen ruhten,
bevor sie weiterwanderten
deinen Worten nach.


Änderung: wohntest, statt weiltest
Zuletzt geändert von leonie am 25.06.2008, 18:55, insgesamt 2-mal geändert.

scarlett

Beitragvon scarlett » 23.06.2008, 17:42

Liebe leonie,

das gefällt mir sehr sehr gut!

Ich würde mir wünschen, dass daran kein einziges Wort verändert würde.

Natürlich könnte man über die glänzenden Augen, die in denen des LI ruhen, feilschen und diskutieren und so weiter ...
Aber ich werde das nicht zerreden, dafür ist mir das Gedicht zu schade.

Einzig der Titel - der erscheint mir zu aufgesetzt, unecht, zu gesucht, der erschlägt diesen Text förmlich.
Ich meine, das hat er nicht verdient.

Schön, dass du ihn noch in diesem Monat eingestellt hast!

Chapeau!
scarlett

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.06.2008, 19:11

Hallo leonie,

dein Gedicht spricht mich sehr an. LI möchte wissen, was DU fühlt und sieht, was LI betrifft und nicht alles andere. DU ist weitweg von LI, bei der Begegnung immer noch in Indien. Den Titel würde ich überdenken. Du könntest z.B. etwas in Richtung: "weit fort" oder "so fern" wählen. Das würde besser passen als "Vergegnung", ein Wort, das es nicht gibt. Mir ist schon klar, was du damit ausdrücken möchtest, doch klingt das m.E. nicht gut. Ein Anmerkung/Idee zum Textende:

bevor sie weiterwanderten
deinen Worten nach.

hier gefiele mir besser:

bevor sie weiterwanderten
mit deinen Worten


Gern gelesen!
Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.06.2008, 19:27

Liebe Monika,

vielen Dank, ich freue mich!
Ja, über den Titel denke ich noch nach!

Liebe Mucki,

wie gesagt, ich denke noch über den Titel nach. Für mich wäre "Vorbei" vielleicht fast noch treffender als Deine Ideen. Aber eben auch noch nicht optimal.

Für mich ist an der von Dir genannten Stelle das Nacheinander wichtig. Die Augen und die Worte sind gerade nicht "gleichzeitig", die Worte gehen, die Augen verweilen einen Moment, bevor sie dann folgen...

Danke Dir! Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.06.2008, 19:46

Hi leonie,

ok, mit den Worten am Schluss ist mir jetzt klar und kann ich nachvollziehen. Dann muss es so bleiben, jep.

Tja, der Titel. "Vorbei" ist auch noch nicht optimal, da stimme ich dir zu. Ich denke weiter nach. Vielleicht fällt mir noch was ein. Mit dem Titel ist es wirklich immer so eine Sache. Ich nehme oft den Beginn des Textes als Titel, markiere ihn also einfach fett, ohne einen Extratitel noch drüber zu schreiben (dann halt nur ganz oben im Faden), wäre vielleicht auch eine Möglichkeit ...
Saludos
Mucki

Nachtrag: Idee für Titel, der mir gerade spontan einfiel:
"Was du mir nicht gesagt hast ..."

Niko

Beitragvon Niko » 23.06.2008, 19:53

mensch leonie!
granatig gut!
ich halte es wie scarlett! jedes wort hat ein gutes gewicht. jedes wort ist ein gewogener teil einer guten balance des ganzen. das ist ein wunderschöner text. wenngleich ich den titel schon sehr sperrig finde.
weiterwandern / deinen worten nach würde ich dringend lassen!

es gibt gedichte, liebe kollegin, die machen etwas mit einem. weil jedes wort so ist, wie es ist. weil du den text beseelt hast.
wunderschön! danke für´s nachspüren dürfen!
lieben gruß: Niko

Max

Beitragvon Max » 23.06.2008, 20:12

Liebe Leonie,

ich denke, da ist Dir ein guter Text gelungen.

Nachdenken würde ich noch einmal über die folgenden Stellen.

1.) Die Überschrift - die wirkt wirklich verkopft.

2.) Zeit. Ich könnte mir den aufs lyr. Du bezogenen Teil im Präsens vorstellen:
Etwa so:

Ich will nicht wissen,
warum du in Indien warst und wie die Namen der Mönche lauten
auf dem heiligen Berg.

Wie lang du unter den Kranken weiltest
und ihnen das Blut aus den Armen lief
und dein Vater, ja, dass er ein guter Mann war,
schon lange bevor er starb -

Wissen will ich, warum deine Hand so warm ist,
wenn sie meine nimmt,
warum sie so lang dort verweilt.

Wie der Schnee schmeckt, ja, das würde ich gern erfahren,
und die Nuancen des Meeres unter dem winternden Himmel.

Und warum deine Augen glänzen
einen Moment nur, wenn sie in meinen ruhen,
bevor sie weiterwandern
deinen Worten nach.


3.) Das "Nein" am Anfang müsste für mich nicht sein.

4.)
Wie der Schnee schmeckte


klingt wirklich gut und ich frage mich die ganze Zeit, ob ich es schon einmmal gehört habe.

5.)
Nuancen des Meeres unter dem winternden Himmel

Den "winternden" Himmel finde ich ganz stark. Die Nuancen klingen für mich nach Textarbeit ... was hältst Du vvon "Farben des Meeres"?

Das soll aber nicht überdecken, dass es ein wirklich guter Text ist.

Liebe Grüße
Max

DonKju

Beitragvon DonKju » 23.06.2008, 21:17

Hallo Leonie,

zunächst kann ich mich nur den anderen anschließen : Einfach toll ! Und für den Titel - Wie wäre es denn mit der Zeile aus dem Text :

"Wissen wollte ich ..."

Lieben Abendgruß sendet Bilbo

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.06.2008, 21:35

Liebe leonie,

Das ist ein großer Wurf, ich gratuliere dir.

Mir fällt als Titel ein:

Ich hätt so gern gewusst ....

Das ist so spannend dein Text, bin ganz fertig davon. Da hast du mich erwischt, genz persönlich.

Lieben Gruß
Elsa
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leonie
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Beitragvon leonie » 23.06.2008, 23:42

Hallo, Ihr Lieben,

ich freu mich riesig über die schnellen und so positiven Rückmeldungen (reib sich die Augen, kann das wirklich wahr sein oder bin ich unterm falschen Text?). Heute nur noch das Versprechen, dass der Titel sich in jedem Fall ändern wird, alles Weitere muss ich mir in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Ich melde mich morgen nochmal!

Müde Grüße

leonie

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 24.06.2008, 08:05

Hallo Leo,

nach dem ersten Eindruck mag ich jetzt gar nicht an Einzelheiten rumfriemeln, nichtmal darüber nachdenken. Vielleicht ein ander Mal.
Außer, dass mir Bilbos Überschrift-Vorschlag gut gefällt. (Apropos: Die Überschrift würde ich im Text immer nochmal bringen. Die gehört m.E. zwingend in den Text, und nicht nur in die Kopfzeile des Formulars)

Ich gelange ohne Umstände in den Text, kann eintauchen und mich am Ende mit fortnehmen lassen. Viel mehr kann ein Gedicht nicht leisten. Schöne Bilder, frei von Pathos und Überverlyrisierung. Ganz wunderbar.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Beitragvon Ylvi » 24.06.2008, 10:05

Hallo Leonie,

nach so viel Lob darf ich kurz ein paar Bedenken einstreuen. :-)
Es steht nicht unter Liebeslyrik, das scheint ja aber irgendwie doch Thema zu sein. Wobei ich nicht einschätzen kann, in welche Richtung hier deine Gedanken gingen. (Kritik an LIch würde mir hier als erstes einfallen, ich vermute aber, dass das nicht deine Intention war?)

In Z2 würde ich „lauten“ statt „lauteten“ schreiben, rein klanglich, aber auch inhaltlich.

Das doppelte „weilen“ (weiltest, verweilen) stört mich etwas, weil es einen seltsamen Bezug innerhalb des Textes aufweist.

Das „wollen“ des LIch ist sehr dominant gesetzt, was die Zeilen für mich in einen vorwurfsvollen Tonfall wenden, der es mir ein bisschen schwer macht. Auch die „warum“, die eigentlich keine Fragen sind, sondern mehr ein Bestehen auf etwas.

Der Titel, ich weiß nicht, vielleicht passt er für mich tatsächlich. Vergegnet. Da wäre Begegnung möglich gewesen, aber es findet kein Gespräch statt, da ist keine Aufmerksamkeit. Vielleicht wandern die Augen deshalb weiter?


liebe Grüße smile

Last

Beitragvon Last » 24.06.2008, 10:13

Hallo Leonie,

da schließe ich mich meinen Vorrednern an. Starker Text!

Was den Titel angeht bin ich mit dem aktuellen Titel zufriedener als mit den Vorschlägen. "Vorbei" hat zu sehr den Charakter eines Schussstrichs. "Wissen wollte ich..." passt natürlich, aber gibt dem Text weder eine weitere Facette hinzu noch eine Richtung vor, aus der man zu lesen hat.
Eine Begegnung legt den Fokus auf das aufeinander zu kommen, eine Vergegnung auf das aneinader vorbei der Schlussverse: "bevor sie weiterwanderten/ deinen Worten nach."
Aber Max hat schon recht, was das Verkopfte betrifft. Das Gedicht ist nämlich übverhaupt nicht verkopft und benutzt keine Wortneuschöpfungen, weil es die gar nicht braucht. So ganz passt das nicht zusammen...

LG
Last

Niko

Beitragvon Niko » 24.06.2008, 10:25

was den titel betrifft, gebe ich last im vollen umfang recht. es braucht keine wiederholung, sondern es muss ein sprungbrett in den text sein, eine weitere facette.
wichtig wäre mir, dass der titel nicht vor der schwingung des textes steht, sondern schon teil dessen ist.
mal so ideen:

"vorbei begegnet " "was offen blieb" oder "offen-bar" oder vielleicht sogar das "nein" der ersten zeile als titel.

irgendwas in dieser richtung fände ich gut...
lieben gruß: Niko


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