berlin, endlich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
Beiträge: 4510
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 28.08.2008, 21:13

berlin, endlich!

ich seh uns beide endlich
voneinander
fern
getrennt
seh uns sitzen
erstarrt
im nebeneinander
geradeaus schaun wir
vorbei ins leere
doch nach vorne
(sozusagen)
wie auf einem bock zwei kutscher sind
einer zu viel

jede floskel kratzt an mir
wie fingernagel auf tafelschwarz
du hast
deine kreide verlorn
oder geb ich dir keine mehr

ich sehe
alleinerziehende mütter
sie widern mich an
ihr fallen, die falten
um nase und mund
heldenhaft, unversehrt, so beschränkt!
(ohne scham)
und so alt für das eine zweijährige kind
das ihnen schon über den kopf wächst
ach bin
mit ekel gefüllt
und jedes fingernagelgekratzte wort
verstärkt
den gedanken
verflüssigt ihn
bringt ihn ins gas

ich wünschte, ich wüsste, wolang es geht
und wie lange
hab ich keine ahnung

berlin, endlich!
berlin.

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 29.08.2008, 11:32

Liebe Klara,

ich finde diesen Text im Vergleich zu anderen von dir als sprachlich weniger stark - ich finde, du packst an vielen Stellen die Empfindungen und Beobachtungen in sehr gängige Gedichtsprache, z.B. hier:


erstarrt
im nebeneinander


oder auch im Tafelbild. Auch kommt für mich Berlin bzw. das ferne/endliche daran zum lyr. Ich nicht durch, mir fehlt ein Rhythmus oder eine Stimme, die sich erhebt. Auch scheint mir das Thema des textes noch nicht ganz entfaltet - es geht um das lyr. Ich und/bzw. um die alleinerziehenden Mütter, was ich so lese, dass sowohl das lyr. Ich "eigentlich" über die Beobachtung der Mütter von sich erzählt und dann auch wieder tatsächlich beobachtet, nur sind die Teile für mich noch nicht genug aufeinander abgestimmt/verwoben.
Mir fehlt einfach insgesamt an diesem Text das, was mich sonst bei Klaratexten sofort anzieht, das, wo ich sage: Ja, da ist was getroffen --- was ich auch so fühle und was so schwer zu zeigen/teilen ist.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
Beiträge: 4510
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 29.08.2008, 13:00

Hi Lisa,

danke fürs Lesen!

Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, ob das überhaupt "Lyrik" sein soll oder einfach ein "Sprechen".

Auch kommt für mich Berlin bzw. das ferne/endliche daran zum lyr. Ich nicht durch, mir fehlt ein Rhythmus oder eine Stimme, die sich erhebt.

Berlin ist nicht das Ferne, Endliche, nicht in erster Linie, sondern etwas Anderes.

Auch scheint mir das Thema des textes noch nicht ganz entfaltet - es geht um das lyr. Ich und/bzw. um die alleinerziehenden Mütter, was ich so lese, dass sowohl das lyr. Ich "eigentlich" über die Beobachtung der Mütter von sich erzählt und dann auch wieder tatsächlich beobachtet,

Nein, es geht auf keinen Fall um alleinerziehende Mütter! Es geht auch nicht ums Ich, sondern um einen Ekel vor sich selbst.

nur sind die Teile für mich noch nicht genug aufeinander abgestimmt/verwoben.

Das stimmt wahrscheinlich.
Mir fehlt einfach insgesamt an diesem Text das, was mich sonst bei Klaratexten sofort anzieht, das, wo ich sage: Ja, da ist was getroffen --- was ich auch so fühle und was so schwer zu zeigen/teilen ist.

Dies ist ja nun dieser Text und kein anderer "Klaratext". Er kann sich nur mit sich selbst messen (lassen).

Dank dir.
Klara

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 29.08.2008, 13:05

Liebe Klara,

sondern um einen Ekel vor sich selbst.


genau so hab ichs auch gelesen - nur brauchts da für mich sowohl den blick auf die andern, als das, was man vom lyr. ich direkt erfährt.


Berlin ist nicht das Ferne, Endliche, nicht in erster Linie, sondern etwas Anderes.


ich hab das endlich doppeldeutig gelesen (endlich und endlich eben .-)).

Dies ist ja nun dieser Text und kein anderer "Klaratext". Er kann sich nur mit sich selbst messen (lassen)


Das sehe ich anders, bin ja kein scheuklappenleser mit obendreiamnesie, sorry, für mich unmöglich. :-)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 30.08.2008, 10:10

Liebe Klara,

ich habe es schon ein paar Mal gelesen und jetzt gerade ist mir ein Wort eingefallen, was vielleicht erklären kann, warum ich nicht reinkomme in Dein Gedicht, es ist mir zu gradlinig. Diese eine Stelle

"geradeaus schaun wir
vorbei ins leere
doch nach vorne
(sozusagen) "


gefällt mir, weil sie eben gerade nicht so geradeaus ist.
Jetzt les ich mal, was berufenere Kritiker geschrieben haben ;-)

Klara
Beiträge: 4510
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 30.08.2008, 20:57

Hallo Xanthippe,
danke fürs Lesen und Kommentieren.

Mathematiker-Max würde jetzt vermutlich entgegnen: "zu gradlinig" ist unmöglich - entweder gerade oder nicht gerade.

Mir persönlich kann es manchmal nicht gradlinig genug sein, aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Wahrscheinlich hab ich nicht nur schon angenehmere Texte geschrieben, sondern auch schon angenehmere Gefühle gehabt. Wobei "angenehm" nicht unbedingt eine gute Voraussetzung fürs Schreiben ist .... - unangenehm aber offenbar noch lange kein Garant für Qualität ,-(

Grüß dich
klara


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 12 Gäste