Die Nixe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 05.10.2008, 10:17

Wisst ihr noch?
Kennt ihr die Geschichte von der Nixe im Leuchtturm?
Jeder hier kennt sie
aber niemand kann sie erzählen
da streichen sie lieber den Leuchtturm
oder Leberwurst auf die Schulbrote

Keiner kann sich erinnern
weil jeder dabei war
damals als die Nixe in den Leuchtturm zog

Sie hatte keine Beine
und das war schon komisch
wo doch hier alle mit dem Fahrrad fahren
Aber wenigstens war sie schön
Das ist die Traurigkeit ja meistens
sonst wäre sie viel leichter totzuschlagen
wie die Zeit
die den Turm umspülte
während oben die Nixe saß
ohne Namen

Sie hatte gewählt
Entweder
wir bringen sie hoch in die Spitze des Turms
oder
wir erfinden einen Namen für sie
ihr würdet mich doch nur Undine nennen
sagte sie
und als sie lächelte
strampelten alle Fahrradfahrer für den Bruchteil einer Sekunde ins Leere
Und schon saß die Nixe in der Spitze des Turms
und schlug mit ihrem Fischschwanz
dass die Möwen Halleluja schrieen

Da saß sie nun
und weil das nicht das Ende der Geschichte sein kann
lassen wir noch zwei Männer mitspielen
sagen wir
einen Fischer
und
einen Astronauten
Heirate mich
Du wunderschöne Nixe
sagte der Fischer
mein Haus steht am Meer
und wir fahren jeden Tag hinaus

Heirate mich
sagte auch der Astronaut
ich werde dich unglücklich machen
und dann verschwinden
um dir die Sterne vom Himmel zu holen

Die Nixe erbat sich drei Tage Bedenkzeit
leider konnte sie nicht zählen
und irgendwann erinnerte sie sich weder an die Fragen
noch an die Versprechen
und war glücklich

wisst ihr noch?

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.10.2008, 15:20

Liebe Xanthippe,

das Undine/Nixenmotiv ist ziemlich viel bearbeitet worden und wird es noch. Ich vermisse an diesem Text etwas den Grund, warum ich gerade ihn lesen soll -warum er interessant ist, er enthält irgendwie "alles und nichts" zu diesem Themenkreis und fängt mich dadurch nicht besonders ein.
Gefallen tun mir die konkreten Einschübe (Leberwurst, Fahrradfahren), das könnte ruhig noch mehr machen, denn einen gewisse gegenwärtige Sinnlichkeit könnte den Text doch auch an- und damit hervorheben. So kommt er mir ein wenig wie einer unter vielen vor.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Sam

Beitragvon Sam » 08.10.2008, 16:51

Hallo Xanthippe,

mir gefällt dieses Gedicht sehr gut. Was Nixen/Undinegeschichten angeht, bin ich völlig unvorbelastet und kann mich vielleicht auch deswegen an der ironischen Erzählweise, der leicht verschmitzten Melancholie und den schönen und witzigen Einfällen erfreuen, die das Gedicht bietet.

Doch, das ist ein sehr schöner Text!!

Liebe Grüße

Sam

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 09.10.2008, 17:40

Liebe Lisa,
ich fürchte meine Texte werden bei Dir immer an Deinen profunden Literaturkenntnissen scheitern. Und ich werde mich trotzdem weiter frei bedienen. Auch wenn meine Texte dann nur meine Texte unter vielen sind. Trotzdem, oder gerade deshalb? vielen Dank für Deinen Kommentar

Lieber Sam,
fein, dass Du unbelastet an mein Gedicht gehen konntest und es vielleicht sogar genossen hast. Danke für Dein Urteil.

xanthi


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