Meine Katze Angst

Sam

Beitragvon Sam » 09.10.2010, 18:45

Meine Katze Angst

Meine Angst ist eine Katze, die kommt und geht wann sie will.
Wie jetzt in der U-Bahn. Die Tür öffnet sich zischend und die Angst tippelt herein. Sie springt auf meinen Schoß und ich schließe die Augen. Meine Angst begrüßt mich mit Bildern.

Die dunkle Öffnung eines Gewehrlaufs. Ein schwarzes Loch, das deine Gedanken aufsaugt. Mit dem Lauf so dicht am Auge ist das Denken unmöglich. Es war nicht an dem Ort, wo sie uns mitnahmen, sondern drei Tage später auf dem Boot. Die zwei jungen Männer und ihre gelassene Sprachlosigkeit. Der eine das Gewehr auf den gekreuzten Beinen, der andere unentwegt auf uns zielend. Kein Spaß, auch nicht für sie. Humorlos wie das Platschen der Paddel im trüben Flusswasser. Die Absurdität der Situation lässt Überlegungen wie Harz tropfen. Man ist unfähig sein eigenes Ende zu Denken. Es geht nicht um dich. Deine Angst ist die Besorgnis um einen guten Freund. Um den Menschen, dem du seit seiner Geburt beim Leben zusiehst.

Eine Frau setzt sich neben mich. Sie riecht nach frisch geschälten Gurken und Schokolade. Eau de Cologne oder vielleicht Haarspray. Ihre blonden Strähnen glänzen zerbrechlich, als wären sie aus Glas.

Angst ist ein dreidimensionales Gefühl. Ein massiges Gebilde, eingegraben an einer bestimmten Stelle des Körpers. Andere Gefühle durchströmen dich. Nicht aber die Angst, die hat ihr Zuhause in der geografischen Mitte des Leibes und ist so konkret wie sexuelle Erregung. Und auf eine gewisse Weise mit ihr verwandt. Zwei Mal habe ich ejakuliert - aus Angst. Als sie dem Amerikaner vor unseren Augen die Zunge abschnitten. Und als sie ein paar Tage später Enrico erschossen. Es lief einfach heraus aus meinem schlaffen Penis. Danach Brennen im Schritt, stundenlang, wie Schweiß in den Augen.

So waren diese Tage: Angst und Schmerz kämpften um die Herrschaft über dich. Manchmal ließ die Angst sich verjagen, wie man eine Katze verjagt, die ihre Krallen am Sofa wetzen will. Zwar wusste man, sie kommt zurück, aber ein paar Minuten alleine mit seinem Schmerz waren wie ein tiefer Schlaf.

Die Angst bleibt dir wie eine Tätowierung. Doch sie verändert sich, wenn die eigentliche Gefahr vorbei ist. Wird vom Nebel, der sich in die Landschaft krallt, zu einem, die Hitze des Tages stundenweise unterbrechenden tropischen Regen. Sie schlägt dir unverhofft ins Gesicht, wie eine zornige Frau. Als ich zwei Monate später in Frankfurt landete und die Leute im Flieger nach der Landung applaudierten. Maschinengewehrsalven. Eine Patrouille der Armee kreuzt zufällig unseren Weg. Jemand hat eine Fernbedienung für deinen Kopf und schaltet um auf ein Programm mit Standbildern. Das ewige Grün lässt dich würgen und schnaufen.

Ein Mädchen setzt sich mir gegenüber. Aus ihrer Stofftasche holt sie ein Buch und beginnt zu lesen. Sie hat dünne Augenbrauen. Die Haut darunter ist rot und leicht geschwollen. Frisch gezupft, denke ich.

Lesen ist gut. Cees Noteboom schreibt in einem Buch, dass die Erinnerung ein Hund ist, der sich hinlegt wo er will. Das gefällt mir. Wie einen Hund kann man seine Erinnerung trainieren. Lesen ist die Hundeschule der Erinnerung. Meine Katze Angst aber ist eine launische Göttin, die sich nicht dressieren lässt.

Ich steige aus der Bahn und laufe neben der Rolltreppe die Stufen hinauf. Die Sonne scheint und verliert ihre Wärme an den kalten Wind. Die Katze ist in der U-Bahn geblieben. Die Bäume an der Straße sind kahl und wirken freundlich. Man kann bis zum Ende der Allee schauen. Nichts behindert den Blick, nirgends droht eine Überraschung. Ich laufe los und genieße die Geräuschlosigkeit meiner Schritte.
Die Katze findet allein nach Hause.
Zuletzt geändert von Sam am 11.10.2010, 17:10, insgesamt 2-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 16.10.2010, 11:56

Hallo Lisa,

ich lese gerne auch Kommentare, die ihr Nichtüberzeugtsein von meinem Text ausdrücken. Deswegen- vielen Dank!

Zunächst das Thema Katze betreffend:

Haustiere, vor allem Hunde und Katzen sind nicht selten Projektionsfläche, ihr instinktives Verhalten wird vom Menschen als "willentlich" interpretiert, Körpersprache und Minik oftmals 1:1 in menschliche Kommunikationsverhalten übersetzt. Dieser Oberflächlichkeit bedient sich auch der Text. Das Eigenwillige, das Kommen-und-Gehen-wann-immer-sie-will der Katze ist für den Erzähler eine Oberfläche, auf der er das unwillkürliche Erscheinen seiner Angst ausbreiten kann. Denn Kern des Textes ist weniger die Angst an sich, als ihrer ständige aber unvorhersehbare Wiederkehr. Die Katze ist nicht ein Symbol für die Angst, wie man sie empfindet, sondern eher dafür, wie man mit ihr (oder sie mit jemanden) lebt.


Allerdings wird er dann von dem Rahmen eingefärbt und da Texte, die sich mit solchen Ereignissen (ich nenn es mal "authentische Berichterstattungen" immer in der Gefahr schweben zu gewollt, parabelhaft oder dergleichen daherzukommen, so passiert durch den Rahmen meines Erachtens genau das mit deinem Text hier.


Ich mag mich irren, aber würde man auf das "Authentische" verzichten, die Angst also in der Luft schweben lassen, käme der Katze eine ganz andere, wesentlich vielschichtigere Bedeutung zu. Und dann würde genau das passieren, was du, aber auch Yorick angesprochen haben. Es würde banal (was es ja vielleicht sowieso ist), bzw. das Bild begänne arg zu hinken.

Zum Thema U-Bahn schreibe ich gleich bei Gabriella noch etwas.


Hallo keinsilbig,

vielen Dank für deine Gedanken zu dem Text!

Es freut mich natürlich, dass er für dich so passt, wie er ist und dass du die Katze auch so interpretierst, wie ich es gedacht habe. Die Eigenwilligkeit von Katzen ist ja irgendwie exemplarisch, und so schmusig sie auch sein können (ich lebe mit vier Katzen zusammen), bist du niemals sicher, ob sie dir nicht im nächsten Moment eine verpassen.

Von den vier Katzen haben zwei übrigens ihr Zuhause selbst gewählt. Auch das finde ich bemerkenswert und hat etwas Analoges zur Angst nach der Angst, die hier beschrieben wird.



Hallo Gabriella,

auch dir vielen Dank für deinen Kommentar!

Ich freue mich, dass du die Katze ebenso stimmig findest, wie keinsilbig. Nun aber etwas zur U-Bahn, was ja auch Lisa angesprochen hat. (Quoth ja auch, aber in einem anderen Zusammenhang)

Du schreibst:

Sicher, die Beliebigkeit dieses Ortes passt schon, jedoch fände ich es treffender, wenn sich Analogien auftäten zwischen U-Bahn-Setting und Kriegstrauma. Wenn da z.B. in der Beschreibung der Kriegsszenen ein Element der bedrückenden Enge auftauchte oder jemand in der U-Bahn einen Luftballon zerknallen lässt, der Knall das LI an die Gewehrschüsse erinnert, also ein verbindendes Glied zwischen U-Bahn und Kriegstrauma entsteht.


Eine solche analoge Szene gibt es, bei der Beschreibung der Landung und dem Applaus der Fluggäste. Dies war aber kurz nach der Entführung. Ich denke, man kann in dem Text erkennen, dass seitdem etwas Zeit vergangen ist. Der Erzähler hat gelernt, oder hat wenigstens Fortschritte darin gemacht, mit seiner Angst zu leben. Sonst wäre das Bild der Katze nicht stimmig, das ja auch eine gewisse Vertrautheit beinhaltet. Er kennt seine Katze schon ganz gut.
Weshalb ich die U-Bahn gewählt habe, hat weniger mit der Enge etwas zu tun (das wäre z.B. bei jemanden, der verschüttet oder irgendwo eingekerkert worden war vielleicht naheliegender, als bei einem Entführungsopfer im Dschungel), sondern mit Unüberschaubarkeit des Ortes und mit den Menschen, denen man dort sehr nahe ist. Deswegen einmal die genauen Beobachtungen des Erzählers was die Personen angeht, die sich neben ihn setzen und auch die Erleichterung hinterher eine Allee mit blattlosen Bäumen entlangzugehen. Es ging mir weniger darum, den Auslöser für einen Angstanfall zu beschreiben (der wird ja durch das Bild der Katze als willkürlich markiert), sondern die Auswirkungen. Und die sind in diesem Fall eine Mischung aus Erinnerung, Beobachtung bzw. dem Konzentrieren auf völlig unwichtige Einzelheiten und Reflektion.

Egal welchen Ort man gewählt hätte, es wäre entweder ein willkürlicher Gewesen (und damit wäre die Katze irgendwo obsolet), oder einer, der klare Analogien zur eigentlichen Angstursprungssituationen aufweist - was die Katze auch wiederum als Bild schwächen würde. Die U-Bahn erscheint mir am ehesten als Mischung aus beidem.

Damit in Verbindung schreibst du noch:
Vor allem würde das auch den Boden festigen für die Tatsache, dass die Angst verschwindet, als LI die U-Bahn verlässt.


Der Erzähler geht nicht aus der U-Bahn, um der Angst zu entkommen. Er steigt aus und stellt dann fest, dass die Katze in der U-Bahn geblieben ist. Wäre also die U-Bahn an sich, oder das was dort gerade passiert ist (z.B. der von dir erwähnte Ballon) ein Angstauslöser, dem er durch Aussteigen zu entfliehen suchen würde, müsste das meiner Meinung nach auch so geschildert werden. So aber stellt er nur fest, dass die Katze in der Bahn blieb. Und auch der letzte Satz zeugt von dem Wissen des Erzählers um die Tatsache, dass Flucht zwecklos ist.



Hallo Yorick,

ich freue mich sehr, dass du dich hier auch zu Wort gemeldet hast. Herzlichen Dank dafür. Besonders auch für deine Bemerkung am Ende deines Kommentars.

Zum Thema Katze habe ich bei Lisa und auch keinsilbig schon etwas geschrieben. Natürlich denken viele bei Katzen zuerst an das Kuscheltier. Mir ging es bei dieser Metapher allerdings hauptsächlich um die Eigenwilligkeit dieser Tiere, die die meisten ja auch beim Kuscheln und streicheln nicht ablegen. Jetzt im Moment liegt neben meinem Schreibtisch einer unserer Kater auf der Couch, auf dem Rücken ausgestreckt und pennt. Würde ich seinen Kopf kraulen, so ließe er sich das gefallen. Streichelte ich ihm aber den Bauch, bekäme ich wahrscheinlich ruck zuck seine Krallen zu spüren. Egal was eine Katze macht, sie tut es nicht um sich anzubiedern (wie Hunde es so gut können), sondern einzig und allein um ihren Willen zu bekommen. Das ist zumindest von je her meine Erfahrung mit Katzen.

Sehr interessant ist, was du hier schreibst:
Mit den Sätzen nach dem Zitat wird eigentlich das Zitat bestritten, eben nicht wo der Hund will, sondern der Herr. Bewusste selektive Erinnerung könnte das bedeuten. Und das Lesen? Schule der Erinnerung. Ich bin mir nicht sicher.


Du beziehst dich auf das Zitat von Noteboom. Ich wollte es durch die weiterführenden Gedanken nicht bestreiten, sondern den Unterschied zwischen Erinnern und der Angst herausstellen. Das Gelesene geht ja ebenso tief oder oberflächlich in die Erinnerung ein, wie das tatsächlich erlebte. Außerdem findet immer ein Abgleich statt, zwischen dem was man liest, und dem, was man kennt, bzw. an was man sich erinnert. Erinnerung und Lesen sind intellektuelle Vorgänge. Man kann sich ihnen bewusst aussetzen und an oder mit ihnen arbeiten. Die Angst dagegen ist ein Gefühl, das nicht beliebig hervorzurufen ist. Solange man sie nicht empfindet, kann man sich mit ihr auch nicht auseinandersetzen. Außerdem entzieht sie sich jedweder Rationalität, sobald sie empfunden wird, ohne dass eine wirkliche Gefahr da ist.

Das waren so ungefähr meine Hintergedanken bei diesem Zitat.


Den Strang mit den traumatischen Erlebnissen habe ich als sehr skizzenhaft wahrgenommen. Für mich zu wenig, um lebendig zu werden, zu viel um als Kulisse zu dienen.


Ja, das ist womöglich ein Problem. Hier die Balance zu halten ist sehr schwierig. Wie ich schon erwähnte, hat der Text schon einige Jahre auf dem Buckel. Womöglich würde ich ihn heute ganz anders schreiben, oder vielleicht auch überhaupt nicht mehr. Aber durch das Monatstheme Angst ist mir eingefallen, dass das Ding noch im Keller einer Festplatte lagert. Und irgendwie ist man ja immer eitel genug, seine Erzeugnisse dem Leser vor die Füße zu werfen, auch wenn es nicht mehr ganz so taufrisch ist.



Hallo Quoth,

Du würdest das heute anders schreiben!


Ja, denke ich auch. Aber dann so anders, dass es wieder etwas ganz Neues und Eigenes wäre und mit diesem Text nichts mehr zu tun hätte.


Euch allen zusammen nochmals vielen Dank!


Gruß

Sam

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Beitragvon Lisa » 16.10.2010, 22:11

Lieber Sam,

danke für deine ausführliche Antwort, ich genieße die Diskussionen zu deinen Texten immer!



Erstmal kurz zum zweiten Punkt:


Allerdings wird er dann von dem Rahmen eingefärbt und da Texte, die sich mit solchen Ereignissen (ich nenn es mal "authentische Berichterstattungen" immer in der Gefahr schweben zu gewollt, parabelhaft oder dergleichen daherzukommen, so passiert durch den Rahmen meines Erachtens genau das mit deinem Text hier.



Ich mag mich irren, aber würde man auf das "Authentische" verzichten, die Angst also in der Luft schweben lassen, käme der Katze eine ganz andere, wesentlich vielschichtigere Bedeutung zu. Und dann würde genau das passieren, was du, aber auch Yorick angesprochen haben. Es würde banal (was es ja vielleicht sowieso ist), bzw. das Bild begänne arg zu hinken.


Ich glaube, hier hast du mich falsch verstanden. Unter keinen Umständen soll das Authentische wegfallen! Ich sehe doch nicht im Mittelteil das Problem, sondern im Rahmen. Wenn der anders wäre, würde der andere Teil ja nicht eingefärbt werden und wäre in sich gesichert!


Und nun zum Kern:


Denn Kern des Textes ist weniger die Angst an sich, als ihrer ständige aber unvorhersehbare Wiederkehr. Die Katze ist nicht ein Symbol für die Angst, wie man sie empfindet, sondern eher dafür, wie man mit ihr (oder sie mit jemanden) lebt.


Erstens bin ich mir nicht sicher, ob das stimmt.
Und zweitens weiß ich nicht, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt. Was ist der Unterschied zwischen Angst und dem Kommen und Gehen von Angst?

Dieser Oberflächlichkeit bedient sich auch der Text.


Ja, darin sehe ich das Problem. Wie soll man - abgesehen von Metaebenen, die der Text aber nicht bietet - in solch einer Oberfläche Tiefe erzeugen können? Denn auch das Kommen und Gehen der Angst soll doch gänzlich/befriedigend erzählt werden? Ich habe nicht verstanden, wieso und wofür die Oberflächlichkeit dem Text von Nutzen soll.

Das Eigenwillige, das Kommen-und-Gehen-wann-immer-sie-will der Katze ist für den Erzähler eine Oberfläche, auf der er das unwillkürliche Erscheinen seiner Angst ausbreiten kann.


Es ist eben die Frage, was "ausbreiten" heißt. Es eröffnet sich natürlich durch das Bild der Katze ein Erzählraum (wie es das durch jedes Bild tut). Aber für mich ist dieser Raum wie gesagt nicht tief genug. Erzählt der Protagonist da wirklich, wie seine Angst kommt und geht? Oder erscheint es dem Leser nur so, als könnte der Mann es ihn wirklich nachempfinden lassen, und das eben gerade weil das "oberflächliche" Bild der vermenschlichten Katze unbemerkt lässt, dass der Leser das, wovon der Mann da redet, gar nicht kennt (und zwar, indem das Erzählen mit dem Katzenbild auf ein etabliertes Erzählen zurückgreift, das in sich eine abgeschlossene Bedeutung hat, die nicht in Konflikt mit der Intention des Textes treten kann. (mit etabliert meine ich genau das, was du oben ganz zu Beginn deiner Antwort erläutert hast). Es gibt viele Texte, die gerade aufgrund dieser Mechanismen großes Ansehen genießen: Der sich an der Oberflächlichkeit haltende Leser (und das ist ja eine Lebenshaltung, die die meisten als Strategie gewählt haben) findet einen Text, der vermeintlich von Angst erzählt, eben geanu darum so gut, weil er gar nicht von Angst erzählt, sondern ein ebenso oberflächliches Erzählmuster benutzt, dessen sich der Leser bedienen kann, ohne Schwierigkeiten mit sich und seinen Abmachungen zu bekommen und doch ein katharsisches Gefühl erleben kann, da er ja denkt, jetzt etwas von Angst erzählt bekommen zu haben. Hat er aber in Wahrheit gar nicht. Für mich eines der Geheimnisse, weshalb etwa Kitsch so hartnäckig konsumiert wird.

Soweit ich Angst kenne (das Gefühl wie sie kommt und geht) hat das in meinen Augen nichts mit einer Katze oder den ihr unterstellten Projektionen zu tun. Für mich wirkt der Erzähler dadurch unehrlich (und sei es auch durch Verdrängung oder dergleichen) und integriert bzw. "süffisant". Angst aber ist für mich etwas, was den Angsthabenden (und sei es nur für den Augenblick, in dem sie kommt) aus dem "Miteinander" hinauszittert, isoliert, angreift, stresst. Für mich kann man das nicht in einem unerwarteten Besuch einer Hauskatze ausdrücken.
Ich glaube, ich reagiere da so stark ablehnend auf die Geschichte, weil gerade in Bezug auf soziale Strukturen, eine große Last der Angsthabenden ist, dass sie ihre Angst nicht zeigen dürfen, weil sie anderen befremdlich erscheint, sie überfordert, "Probleme macht", schwach wirkt und dergleichen. Und der Protagonist ist dann einer, dem der Leser zugleich abnehmen soll, dass er von Angst gezeichnet ist (der Mittelteil bestimmt/initiiert das ganz eindeutig), zugleich ist er aber absolut angepasst. Das fühlt sich für mich unangenehm an, weil der Text für mich unterschwellig damit die Botschaft sendet, dass man keine Angst haben darf, sondenr nur das, was als Konsens als Angst festgelegt wird.

Die Überlegungen zur U-Bahn habe ich gern gelesen und kann ihnen folgen. Ich denke, wenn ich die anderen Probleme nicht hätte, ginge das gut für mich auf.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Sam

Beitragvon Sam » 28.10.2010, 18:04

Hallo Lisa,

entschuldige bitte, dass ich dir jetzt erst antworte!

Deine Argumentation die Katze betreffend ist nachvollziehbar und womöglich werden (bzw. würden) die meisten Leser deine Meinung teilen.
Es sieht so aus, als würden hier zwei festgelegte Denkmuster zusammenprallen. Einmal das Bild, das die meisten von einer Katze haben und zum anderen, dasjenige, wie man sich allgemein Angstzustände vorstellt. Spielt man das gegeneinander aus, so kommt man wahrscheinlich zu dem Schluss, zu dem auch du kommst.
Lässt man sie aber nebeneinander stehen, dann können sie sich, so hoffte ich jedenfalls, gegenseitig so beeinflussen, dass sie aus dem vorgefertigten Muster heraustreten und eben doch soetwas wie Tiefe entsteht. Die Katze ist eben nicht das Kuscheltier, da ihr Kommen und Gehen eigentlich etwas Unheilvolles ist (wie in alten Aberglauben z.B.), aber auch die Angst verliert die ganz scharfen Konturen. Sie wird zu etwas, mit dem man lebt.
Zumindest im Falle des Erzählers. Angst ist wie jedes Gefühl individuell, sie ist nicht messbar und somit kann man auch kein allgemeingültiges Bild für die Angst finden. (Im Übrigen gibt es im Text auch andere Bilder für die Angst, z.B. das der zornigen Frau, die einem unerwartet ins Gesicht schlägt.)
So stellt sich mir weniger die Frage, ob man allgemein Angst mit einer Katze vergleichen kann, sondern ob das Bild innerhalb des Textes seine Wirkung entfaltet und in Bezug auf die dargestellte Person passend ist. Ich habe versucht den Erzähler so darzustellen, dass ersichtlich ist, wie er versucht, auch auf einem rationellen und intelektuellen Weg mit der Angst umzugehen. Deswegen auch der Bezug zu dem Hund Erinnerung, den er für dressierbar hält. Die Angst aber nicht. Das deutet meiner Meinung nach eine schon zurückliegende intensive Beschäftigung mit seiner Angst aus. Und - das ist zwar nicht so erwähnt, aber der Rückschluss ist durchaus zulässig - dass er mit dem Bild der Katze seiner Angst eine Position in seinem Leben zugewiesen hat. Er kann sie zwar nicht beherrschen, hat ihr aber durch die Bennenung den Schrecken des Fremden und von Außen auf ihn einstürmenden genommen.
Damit wäre die Katze also weniger Bild der Angst, sondern eher ein Bild für die Art und Weise, wie er versucht mit der Angst umzugehen. Natürlich könnte die Bennenung auch anders ausfallen, aber bei der Wahl des Bildes kommt dann wieder das eigenwillige Kommen und Gehen ins Spiel, das ja für Katzen (also richtige Katzen und nicht so vollgefressene Stubentiger) typisch ist.

Gruß

Sam

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 31.10.2010, 16:28

Lieber Sam,

nicht entschuldigen, ich bin selbst oft so langsam!

Lässt man sie aber nebeneinander stehen, dann können sie sich, so hoffte ich jedenfalls, gegenseitig so beeinflussen, dass sie aus dem vorgefertigten Muster heraustreten und eben doch soetwas wie Tiefe entsteht.


Ja, das wäre bestimmt der Schlüssel. Ich will auf keinen Fall sagen, dass ich das letztlich beurteilen kann, aber bei mir geht das gerade nicht. Das liegt für mich daran, dass ich denke, dass der Text sowohl in Bezug auf die Angst als auch auf die katze eben gerade auf bestehende Muter zurückgreift, diese braucht, um verstanden zu werden. Wenn ich die beiden dann nicht wie im von mir beschriebenen nachteiligem inne vermischen will, sondern wie du sagst, nebeneinander stehen lassen will, dann bekomme ich einfach nur das Gefühl, dass das eine (Katze) mit dem anderen (Angst) nichts zu tun hat.

dass er mit dem Bild der Katze seiner Angst eine Position in seinem Leben zugewiesen hat. Er kann sie zwar nicht beherrschen, hat ihr aber durch die Bennenung den Schrecken des Fremden und von Außen auf ihn einstürmenden genommen.


Ich denke natürlich auch nicht, dass es nur die große, auf einen einstürmende Angst gibt, sondern Lebensformen, in denen man sich mit ihr, soweit das geht, eingerichtet hat. Und ich habe auch verstanden, dass die Geschichte davon erzählen soll und das ganze ist auch sauber aufgebaut, in sich stimmig, gut durchdacht. Aber am Ende eräzhlt der Text eben für mich trotzdem nicht von Angst. Es scheint nur so. Ich meine damit nicht, dass die Angst zu sehr unter Kontrolle ist, ich meine eben eher das Beschreibungsmittel (Katzenbild) - das ist trotzdem für mich nicht fein genug in der Art, wie ich es schon beschrieben habe. Genauso wenig wie der Text von einer großen den Angsthabenden völlig fertig machenden erzählt, erzählt er meines Erachtens von jemanden, der einen Umgang mit seiner Angst gefunden hat. Auch hier wirkt der Text auf mich nicht treffsicher, er eröffnet einen fiktiven Raum, in der etwas mit Rückgriffen auf etablierte Vorstellungen bestimmt, aber dies bleibt ohne Nabelschnur zu etwas, was ich als "echt" bezeichnen würde.

Na ja, ich denke, wir sind hier einfach nicht ganz voneinander zu überzeugen...
Ist doch auch mal erfrischend :-)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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