Drei Wünsche 2. FassungManchmal wünsche ich mir, mein Vater hätte gesoffen. Dass er wankend und fluchend in der Nacht nach Hause gekommen wäre, seine Schuhe in die Ecke gepfeffert und wütend nach mir gebrüllt hätte, ich solle ihm helfen, ins Bett zu kommen. Und wenn ich nicht schnell genug da gewesen wäre, dann hätte er ausgeholt und mir mit seiner rauen Hand eine Backpfeife verpasst, dass ich quer durch das Zimmer geflogen wäre.
Doch ich sehe meinen Vater, wie er an meinem Bett sitzt mit müden Augen, sprachlos. Ich möchte meinen Kopf an seine Schulter lehnen, möchte, dass er seine Arme um mich legt, und doch liege ich mit verkrampften Zehen in meinem Bett, bis er endlich aufsteht, mir eine gute Nacht wünscht und das Licht ausschaltet. In der Dunkelheit meine ich ihn noch immer dort sitzen zu sehen, mit gierig vorgebeugtem Kopf, als ob er die Wärme meines Körpers einatmen wolle.
Manchmal wünsche ich mir, meine Mutter hätte mit Zigarette und Lockenwickler am Herd gestanden und Bourbon getrunken. Dann hätte sie mir erzählt, dass sie gerne Schauspielerin geworden wäre, aber als ich geboren wurde, musste sie sich um mich kümmern. Und wenn es an der Tür geklingelt hätte, dann wäre sie mit dem Postboten oder dem Klempner oder dem Versicherungsvertreter im Schlafzimmer verschwunden und ich säße noch auf dem Stuhl in der Küche und hörte ihr Stöhnen.
Aber meine Mutter hielt das Haus sauber, und wenn sie sich nach getaner Arbeit hinsetzte und aus dem Fenster schaute, als warte sie auf eine erlösende Botschaft, kam ich zu ihr und legte meinen Kopf auf ihren Schoß. Dann drückte sie mich fest an sich und ich spürte ihr Herz, das im Einklang mit meinem zu schlagen schien. „Du bist mein lieber Junge“, hauchte sie mir dann ins Ohr, „wir gehören doch zusammen“. Und ich schwor mir im tiefsten Innern meiner Kinderseele, sie niemals zu verlassen und immer zu beschützen.
Manchmal wünsche ich mir, meine Eltern hätten sich gestritten, dass die Fetzen fliegen. Dass mein Vater gebrüllt und meine Mutter mit Geschirr nach ihm geworfen hätte. Rasend vor Wut wäre sie schließlich mit dem Brotmesser auf ihn losgegangen, und er hätte seine Hände um ihren Hals geschlungen und sie gewürgt, bis sie ohnmächtig geworden wäre.
Aber es war nur das Geräusch des Umblätterns da, Seite für Seite, Seite für Seite. Meine Mutter mit einem Buch auf dem Sofa, mein Vater im Sessel. Gedankenverloren, als spräche sie zu einem schwebenden Wesen im Raum, sagt meine Mutter: „Ich wäre gerne mal wieder verliebt.“ Mein Vater blättert eine Seite um. Liest – und fast nebenbei: „Ja. Ich auch.“ In der Sekunde des Erschreckens begegnen sich kurz ihre Blicke, voller Scham voreinander, um dann im nächsten Augenblick in betäubendem Schweigen zu versinken. Und ich auf dem Teppich davor, mit meinem Lastwagen in der Hand und dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und nicht zu wissen warum.
Wenn mich die Kraft verlässt, Lärm zu machen, wenn ich hören kann, wovon mein Körper mir erzählt, dann ahne ich, dass meine Wünsche schon längst in Erfüllung gegangen sind. Dass die Angst, die ich fühle, die Wahrheit ist – und keine grausamen Lügen braucht, um wirklich zu sein.
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Manchmal wünsche ich mir, mein Vater hätte gesoffen. Das er wankend und fluchend in der Nacht nach Hause gekommen wäre, seine Schuhe in die Ecke gepfeffert und wütend nach mir gebrüllt hätte, ich solle ihm helfen ins Bett zu kommen. Und wenn ich nicht schnell genug da gewesen wäre, dann hätte er ausgeholt und mir mit seiner rauen Hand eine Backpfeife verpasst, dass ich quer durch das Zimmer geflogen wäre.
Doch ich sehe meinen Vater, wie er an meinen Bett sitzt mit müden Händen, sprachlos, schließlich aufsteht und mir eine gute Nacht wünscht. Und in der Dunkelheit meine ich ihn noch immer dort sitzen zu sehen, mit vorgebeugtem Kopf, als ob er die Wärme meines Körpers einatmen wolle.
Manchmal wünsche ich mir, meine Mutter hätte mit Zigarette und Lockenwickler am Herd gestanden und Bourbon getrunken. Dann hätte sie mir erzählt, dass sie gerne Schauspielerin geworden wäre, aber als ich geboren wurde, musste sie sich um mich kümmern. Und wenn es an der Tür geklingelt hätte, dann wäre sie mit dem Postboten oder dem Klempner oder dem Versicherungsvertreter im Schlafzimmer verschwunden und ich säße noch auf dem Stuhl in der Küche und hörte ihr Stöhnen.
Aber meine Mutter hielt das Haus sauber, und wenn sie sich nach getaner Arbeit hinsetzte und aus dem Fenster schaute als warte sie auf eine erlösende Botschaft, kam ich zu ihr und legte meinen Kopf auf ihren Schoß. Dann drückte sie mich fest an sich und ich spürte ihr Herz, das im Einklang mit meinem zu schlagen schien. „Du bist mein lieber Junge“, hauchte sie mir dann ins Ohr, „wir gehören doch zusammen“. Und ich schwor mir im tiefsten Innern meiner Kinderseele sie niemals zu verlassen und immer zu beschützen.
Manchmal wünsche ich mir, meine Eltern hätten sich gestritten das die Fetzen fliegen. Das mein Vater gebrüllt und meine Mutter mit Geschirr nach ihm geworfen hätte. Rasend vor Wut wäre sie schließlich mit dem Brotmesser auf ihn losgegangen, und er hätte seine Hände um ihren Hals geschlungen und sie gewürgt, bis sie ohnmächtig geworden wäre.
Aber es war nur das Geräusch des Umblätterns da, Seite für Seite, Seite für Seite. Meine Mutter mit einem Buch auf dem Sofa, mein Vater im Sessel. Gedankenverloren, als spräche sie zu einem schwebenden Wesen im Raum, sagt meine Mutter: „Ich wäre gerne mal wieder verliebt.“ Mein Vater blättert eine Seite um. Liest – und fast nebenbei: „Ja. Ich auch.“ In der Sekunde des Erschreckens begegnen sich kurz ihre Blicke, voller Scham voreinander, um dann im nächsten Augenblick im betäubenden Schweigen zu versinken. Und ich auf dem Teppich davor, mit meinem Lastwagen in der Hand und dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und nicht zu wissen warum.
Wenn meine Wünsche wahr werden, dann könnte ich der Angst in mir einen Namen geben. Sie hätte einen Grund da zu sein. Und ich könnte anderen Menschen davon erzählen, die dann Zeugen wären und Vertraute. Dann hätte ich Namen für all das Namenlose in mir, Bilder für die Sprachlosigkeit. Und könnte mir selbst die Erlaubnis erteilen, die Trauer in mir zu spüren – und die Berechtigung, Klage zu erheben.
Wenn mich die Kraft verlässt Lärm zu machen, wenn ich hören kann, wovon mein Körper mir erzählt, dann ahne ich, dass meine Wünsche schon längst in Erfüllung gegangen sind. Das ich die falschen Geschichten nicht mehr brauche, um das Grauen in den echten zu entdecken. Das die Angst, die ich fühle, die Wahrheit ist – und keine grausamen Lügen braucht um wirklich zu sein.