perdu

Nicole

Beitragvon Nicole » 05.11.2010, 19:37

Nach Luft schnappend wache ich auf. Die Augen noch geschlossen, schiebe ich beide Hände unter die Decke, streichele meinen Körper von den Brüsten abwärts zum Bauch und tiefer. Ich spreize die Beine ein wenig und massiere mit leichtem Druck. Nichts. Die Erregung will sich nicht wieder einstellen. Ich strampele die Decke von mir, stehe auf, gehe in die Küche und zünde mir eine Zigarette an. Die Weinflasche und das Glas vom gestrigen Abend stehen noch auf dem Tisch. Mit einer Fingerspitze fische ich eine Fliege aus der Neige und schenke nach. Der Wein verteilt den Geschmack verendeter Trauben auf der Zunge.

Ich stand mit Dir auf einem Boot, mein Rücken an Deiner Brust. Deine Hände streichelten meine Arme, Dein Atem wärmte meinen Nacken. Ich drehte den Kopf, bot dir den Hals. Deine Zunge zog eine feuchte Spur vom Ohr hinunter zur Kehle. Verharrtest dort, bis mein Kopf als Zeichen der Kapitulation ganz im Nacken zu liegen kam. Deine Hände verließen die Arme und wanderten über den Rippenbogen nach oben zum Hals. Umfassten ihn kurz mit festem Druck. Dann langsam wieder abwärts. Deine Fingerspitzen liebkosten meine Haut, andächtig fast, als gehörten sie einem Blinden, der seine Bibel liest.

Plötzlich ein Knall, das Boot zerbarst unter uns, ich fühlte eiskaltes Wasser mich verschlingen. Wir sanken, strudelten Richtung Meeresboden. Du löstest dich, schobst mich von dir. Wie von einem Katapult beschleunigt, schoss ich nach oben. Wollte dir nachtauchen und bewegte mich doch stetig aufwärts, sah dich unter mir verschwinden. Dann durchbrach mein Kopf die Wasseroberfläche.


Draußen wird es langsam hell. Ich leere das Glas und räume die Spülmaschine ein. Deine Tasse bleibt auf der Arbeitsplatte stehen. Der Kaffeerest ist inzwischen eingetrocknet, festgeklebte Staubflusen spielen Eisblume in graubraun. Nach einer schnellen Dusche ziehe ich Jeans und eines deiner Holzfällerhemden an, nehme Schlüssel und Handtasche und verlasse das Haus. In der Straßenbahn setze ich mich direkt hinter den Fahrer, von irgendwo hinter mir dröhnt Eminem „Yo I won't tell no lie, not a moment goes by that I don't pray to the sky…“ Ich steige aus, kaufe in einem Blumenladen eine orangefarbene Gerbera, wickele den Draht von ihrem Stiel und ziehe ihn aus dem Blütenkopf.

Der Aufzug hält in der siebten Etage. Zwei Schwestern stehen auf dem Flur und stecken die Köpfe zusammen. Ich nicke zur Begrüßung und hole mir einen Kaffee. Es ist 6:30h. Ich betrete dein Zimmer und schalte die Deckenbeleuchtung an. Deine Augen sind geöffnet, blinzeln nicht. Zur Begrüßung küsse ich dich auf die Stirn. Die Gerbera stelle ich in das Wasserglas auf dem Tischchen neben dem Bett. Sie lässt den Kopf hängen, ein wenig so, wie du den Unterkiefer. Ein Speichelfaden rinnt aus deinem rechten Mundwinkel. Ich wische ihn fort und setze mich neben dich auf das Bett. Von dem Tischchen nehme ich das Buch, lege deine Hand auf meinen Oberschenkel und beginne vorzulesen. „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen…“

Ich wache auf.
Zuletzt geändert von Nicole am 07.11.2010, 09:57, insgesamt 1-mal geändert.

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leonie
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Beitragvon leonie » 07.11.2010, 11:10

Hallo nochmal,

ich kenn "perdu" auch in dem Sinne, ich dachte daran, dass "Verloren" auch "sich verloren fühlen" beinhalten kann, nciht nur "etwas verloren haben", deshalb der Gedanke, ich dachte, es erweitert die Spielräume.

Die Bewegung des Kopfes habe ich verstanden, ich finde die Formulierung unglücklich, also sprachlich unglücklich, nicht inhaltlich. "etwas kommt zu liegen" und dann noch " als Zeichen der Kapitulation", hm, ich weiß nicht, ich hätte gerne eine "elegantere" Formulierung. Vielleicht gehts aber nur mir so.

Deine Deutung, Sam, finde ich wunderbar, mir fielen diese Anspielungen auch auf, aber ich könnte es schwer so auf den Punkt bringen.

Spannender Text!

Liebe Grüße

leonie

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 07.11.2010, 11:27

Liebe Nicole,

ich kannte deine Texte bisher nicht gut und freue mich sehr, mit deiner Manier vertrauter zu werden.

Da schon viel mit Blick aufs Detail kommentiert wurde, nur ein globaler Eindruck.

Anfangs hatte ich Probleme, mich zurechtzufinden. Du öffnest viele Tore, läßt hier etwas vermuten und dort, die schwüle Erotik, der zur Neige gegangene Wein, das Kristallisierte des Staubes, das alles bleibt lange offen, auch die Begegnung im tiefen Wasser. Dabei gelingt es dir, von der Intensität körperlicher Begegnung sehr viel zu vermitteln.

Richtig schön wird der Text für mich dann durch die sehr gut gelenkte Schlusssequenz. Und der letzte Satz ... vielleicht mag er andere möglicherweise irritieren, ich liebe ihn. Eine ganz intime Verbindung zwischen den beiden Protagonisten, ....

Die orangefarbene Gerbera hat sicher eine Bedeutung, vor allem, ihres künstlichen Halts beraubt ...

Bravo!

liebe Grüße
Renée
Bei Proust ist es Catleya --- ist das Gerbera im Deutschen?

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 07.11.2010, 11:28

Liebe Nicole, noch einmal, ich habe etwas Zeit gebraucht, für diesen Kommentar, entschuldige, dass er so spät kam ...

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.11.2010, 13:26

Hallo Nicole,
Nicole hat geschrieben:Ließe ich den letzten Satz weg, näme ich Interpretationsmöglichekeiten. Und das möchte ich eigentlich nicht.

stimmt. Dann unbedingt so lassen!

Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.11.2010, 14:26

Hallo Nicole,

ein interessanter Ansatz, auch die Verschachtelung gefällt mir, Sams Leseweise gibt noch einmal neue inhaltliche Aspekte dazu... aber ich habe mit der Umsetzung Schwierigkeiten.

Der letzte Absatz spricht dafür, dass der Unfall schon lange her ist, bereits eine Gewöhnung eingetreten ist, eine Art Routine. Dagegen spricht allerdings für mich die Beschreibung seiner Kaffeetasse in der Küche.
Dass sie nach der Wende in ihrem Traum, seinem Untergang, der ja dann auch ihre Realität spiegelt, wenn ich es nicht als reinen Traum im Traum lese, nur an ihre Erregung denkt, dass da gar keine anderen Emotionen, Gedanken hochkommen, finde ich etwas irritieren und befremdlich und in diesem Zusammenhang dann auch, dass sie seine Hand auf ihren Oberschenkel legt. (Dass ihre Fingerspitze erst zwischen ihren Beinen und dann im Weinglas fischt finde ich jetzt auch nicht gerade eine prickelnde Vorstellung. :)) Der Einstieg in die Geschichte geht für mich nicht auf, daher wirkt er dann eher nach dem Motto "Sex sells" gestaltet. Vermutlich sind das aber alles für dich wichtige Aspekte der Figurenzeichnung und der Beziehung?

Mit den verendeten Trauben kann ich wenig anfangen, klingt seltsam gewollt dramatisch für mich. Die Szene braucht das für mich auch nicht.

Die Traumsequenz nimmt mich nicht mit, weder der "erotische" Teil noch das Untergehen, weil ich viel zu sehr beschäftigt werde mit detaillierten und etwas unbeholfen wirkenden Beschreibungen... also wie war das nochmal er hinter ihr und dann der Kopf so und die Zunge da und dann die Arme... und dann plötzlich... wie ein Katapult... Du schreibst: Klar ist es schwer vorstellbar... Ich denke, dann müsste es eben anders geschrieben werden, so dass es eben leicht vorstellbar wird?
Aber ich habe damit auch noch eine andere Schwierigkeit. Wie es jetzt da steht, erzählt sie ihm diesen Traum in Gedanken... aber würde sie ihn ihm wirklich so beschreiben, so mit ihm sprechen? Und warum würde sie ihm den Traum erzählen? Das passt für mich nicht. Dann würde ich eher "er" schreiben, in dem Sinn, dass sie den Traum für sich selbst versprachlichen muss und daran scheitert. Wobei das Scheitern dann für mich auch fast benannt, von ihr erkannt werden müsste.
(Warum schreibst du teilweise das "Du" groß und dann wieder nicht?)

Ein weiteres Detail, das mir nur für den Effekt gewählt scheint, sind die offenen Augen, die nicht blinzeln. Wenn er im (Wach)koma liegt, und nicht in der Lage ist zu blinzeln würde ich davon ausgehen, dass seine Augen zugeklebt wären, damit die Bindehaut nicht austrocknet?

Proust habe ich nicht erkannt. Ich denke, das kann man auch nicht voraussetzen? Wenn die Geschichte also darauf anspielen soll, der Leser diesen Hintergrund mitlesen soll, würde ich einfach das Buch nennen?

Der religiöse Aspekt, den Sam anspricht, bekommt hier ja eine andere Wendung. Die Haut war Bibel, Sex Religion? Eine interessante Frage, wohin dann der Text zeigt, darin dann aber vielleicht auch zu diffus, wenig ausgearbeitet? Eine Möglichkeit wäre dann zum Beispiel auch ihn in einem christlich-moralischen Sinn zu deuten, was vermutlich eher nicht dein Anliegen war?

Das "Ich wache auf." am Ende liegt mir auch nicht, egal wie ich es drehe und wende, auch wenn ich den religiösen Aspekt noch mit hineinnehme.

Ich vermute, dass wir wieder himmelweit auseinanderliegen in unserem Text-Verständnis, aber vielleicht ist trotzdem noch der eine oder andere Gedanken für dich dabei. :-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Sam

Beitragvon Sam » 07.11.2010, 16:29

... falscher User...

Nicole

Beitragvon Nicole » 07.11.2010, 16:33

So, nun nochmal unter meinem Namen.. sorry, es ist ein Kreuz, wenn zwei Leute an einem Rechner schreiben... Es wird Zeit, das das Arbeitszimmer fertig wird und ich meinen Rechner wieder ausmotten kann... :-)

Liebe Renate,

ich freue mich, Dich unter meinem Tet zu lesen. Und ich freue mich noch viel mehr über dein Lob!!
Nein, bei Proust war es, glaube ich, eine Orchidee.
Ich nahm eine Gerbera, weil ich diese Blumen einerseits wunderschön finde, andererseits immer irgendwie traurig bin, weil sie für die Schönheit aufgespiesst werden. Diese Gerbera ist orange, weil dies die für mich fröhlichste Farbe ist. Orange ist Wärme, ist Sonne, ist Sommer ... Die Gerbera wird befreit, weil es ihr gestattet wird, den Kopf hängen zu lassen, traurig zu sein. Und das trotz und entgegen ihrer sonstigen Optik.

Vielen lieben Dank, Nicole

Nicole

Beitragvon Nicole » 07.11.2010, 16:36

Hi Nifl,

ach, was habe ich beim Lesen Deines (zweiten) Kommentars gelacht! Diese Hundedame würde ich gerne mal kennenlernen...

wegen der Redundanzen/Ungenauigkeiten: vermutlich hast Du Recht. Aber ich übe ja noch...

vieleGrüße an die (vermutlich schwarze?) Dame an Deiner Seite - sie soll den untersten Halswirbel nicht vergessen, hocherotische Stelle :-)

Gruß, Nicole

Nicole

Beitragvon Nicole » 07.11.2010, 16:39

Lieber Sam,

verzeih, das ich gerade mal wieder Deinen Account mißbraucht habe. Warum passiert Dir das eigentlich im ungekehrten Fall nie?!?

Ich könnte vor vielen Deiner Kommentare auf die Knie gehen ... hab vielen Dank für diese tiefsinnige, wunderbare Kommentierung und diese Gedanken!

Deine Nicole

Nicole

Beitragvon Nicole » 07.11.2010, 18:04

Liebe Flora,

ja, natürlich hast Du Recht, wir liegen mal wieder himmelweit auseinander… Macht aber nichts, es macht mir immer wieder Spaß, mich mit Deiner Sicht der Dinge auseinander zu setzen.:-)

Fange ich mal mit der einfachsten Sache an:
Ich schreibe Du mal groß, mal klein, weil ich einfach unaufmerksam bin und beruflich vermutlich zu viele Briefe schreibe… Das Sie und Du in Groß ist ein Reflex. Ich werde den Text nochmal durchforsten und die großen Du’s eliminieren. Oder mich zumindest bemühen, es zu tun.


Weiter:
Aber ich habe damit auch noch eine andere Schwierigkeit. Wie es jetzt da steht, erzählt sie ihm diesen Traum in Gedanken... aber würde sie ihn ihm wirklich so beschreiben, so mit ihm sprechen? Und warum würde sie ihm den Traum erzählen? Das passt für mich nicht. Dann würde ich eher "er" schreiben, in dem Sinn, dass sie den Traum für sich selbst versprachlichen muss und daran scheitert. Wobei das Scheitern dann für mich auch fast benannt, von ihr erkannt werden müsste.

Nein, LI erzählt den Traum nicht. Ldu ist absoluter Mittelpunkt, deswegen ist er kein „er“ sondern ein „du“. Liebe ist eine so personifizierte Sache, dass der Gedanke daran nur mit Dir und nicht mit ihm funktioniert.

Der Einstieg in die Geschichte geht für mich nicht auf, daher wirkt er dann eher nach dem Motto "Sex sells" gestaltet. Vermutlich sind das aber alles für dich wichtige Aspekte der Figurenzeichnung und der Beziehung?

Sei sicher, er ist nicht unter dem Aspekt „sex sells“ geschrieben. Ich verlange schließlich keine Tantiemen. Und, sei gewiss, wenn ich über Sex schreiben würde, klänge das anders. Und das weißt Du auch, sonst hättest Du es nicht so formuliert. :-)
Und deshalb weise ich die mitschwingende Wertung „ist Dir sicher ein wichtiger Aspekt, um die Beziehung der beiden zu beschreiben“ lächelnd zurück. Nein, das ist ein sichtbares Zeichen dessen, was zwischen diesen beiden ist, aber nicht der Inhalt. Und Du weißt auch genau, was ich beschrieben habe, ich wünsche es Dir zumindest von ganzem Herzen. Es ist diese sich einstellende, wunderbare Weichheit, die die Berührung eines Geliebten erzeugt. Die Kapitulation, das selbstvergessene Genießen. Dieses rundherum wundervoll zufriedene Glücksgefühl. Ich denke, Du möchtest mich ein wenig provozieren mit diesem Satz… Klappt diesmal nicht. :razz:
Dass sie nach der Wende in ihrem Traum, seinem Untergang, der ja dann auch ihre Realität spiegelt, wenn ich es nicht als reinen Traum im Traum lese, nur an ihre Erregung denkt, dass da gar keine anderen Emotionen, Gedanken hochkommen, finde ich etwas irritieren und befremdlich und in diesem Zusammenhang dann auch, dass sie seine Hand auf ihren Oberschenkel legt.
Der Oberschenkel besteht aus einer etwas größeren Fläche, als nur der Innenseite, direkt neben dem Geschlecht. Mal y soi, qui mal y pense. Es geht lediglich um die Berührung, die LI sich verschafft, während Sie liest.
Der religiöse Aspekt, den Sam anspricht, bekommt hier ja eine andere Wendung. Die Haut war Bibel, Sex Religion? Eine interessante Frage, wohin dann der Text zeigt, darin dann aber vielleicht auch zu diffus, wenig ausgearbeitet? Eine Möglichkeit wäre dann zum Beispiel auch ihn in einem christlich-moralischen Sinn zu deuten, was vermutlich eher nicht dein Anliegen war?
Auch hier lese ich, verzeih, wenn ich mich täusche, eine kleine Spitze, ein Provokation…Lies es genau, es ist nichts weiter geschrieben, als eine Umarmung und das Küssen eines Halses, Nackens, ein Streicheln. Davon kriegt man keine Kinder. Nein, im Ernst, eine derartige Berührung empfinde ich als hocherotisch und sehr intim, sehr vertraut. Das hat mit Sex im engsten Sinne nichts zu tun. (Hätte ich einen One night stand, beispielsweise, würde ich ihm sicherlich nicht den blanken Hals hinhalten, der hätte sich an ganz anderen Körperteilen zu beschäftigen) LDu berührt LI’s Körper wie „seine Bibel“ Ich vermute, Du liest die Bibel oder hast sie schon mal gelesen. Ich verbinde mit dem Leser meiner Bibel (ob es nun die Heilige Schrift ist, oder der Koran, ein Motivationsbuch „wie werde ich ein großartiger Mensch“ oder oder oder) ein behutsamen, achtsamen, sorgsamen Umgang. Dieses Buch ist mir „heilig“. Hier hätte dies im Endeffekt zum Sex führen können, ist aber dem Wesen nach dessen beste Basis: Liebe.
Die Traumsequenz nimmt mich nicht mit, weder der "erotische" Teil noch das Untergehen, weil ich viel zu sehr beschäftigt werde mit detaillierten und etwas unbeholfen wirkenden Beschreibungen... also wie war das nochmal er hinter ihr und dann der Kopf so und die Zunge da und dann die Arme...
Ich empfehle, das einfach mal auszuprobieren.

und dann plötzlich... wie ein Katapult... Du schreibst: Klar ist es schwer vorstellbar... Ich denke, dann müsste es eben anders geschrieben werden, so dass es eben leicht vorstellbar wird?

Nun, ich kann in meinen Träumen fliegen. Das ist im Wachzustand schwer vorstellbar. Aber ich träume es so und ich erlaube LI die Verzweiflung und das Entsetzen so zu träumen. LDu sinkt, Li will hinterher und wird gegen ihren Willen trotzdem zur Oberfläche katapuliert. Hart, erbarmungslos. Unvorstellbar.
(Dass ihre Fingerspitze erst zwischen ihren Beinen und dann im Weinglas fischt finde ich jetzt auch nicht gerade eine prickelnde Vorstellung. :))
Wäre etwas komisch gewesen, ich hätte für die Zartbesaiteten geschrieben: „ich gehe mir die Finger waschen und dann in die Küche, eine Zigarette rauchen, oder? Zumal es LI sicherlich absolut egal ist, wenn die Finger ungewaschen wären. Ich denke, LI hat ganz andere Probleme, als möglicherweise den eigenen Geschmack im Wein…

Der letzte Absatz spricht dafür, dass der Unfall schon lange her ist, bereits eine Gewöhnung eingetreten ist, eine Art Routine. Dagegen spricht allerdings für mich die Beschreibung seiner Kaffeetasse in der Küche.
Nein. Die Tasse steht da schon lange. (siehe Staubflusen…)

Ein weiteres Detail, das mir nur für den Effekt gewählt scheint, sind die offenen Augen, die nicht blinzeln. Wenn er im (Wach)koma liegt, und nicht in der Lage ist zu blinzeln würde ich davon ausgehen, dass seine Augen zugeklebt wären, damit die Bindehaut nicht austrocknet?

Ich habe nur über Wachkoma Patienten gelesen. Da war von offenen Augen die Rede. Von unkoordinierten Augenbewegungen, auch Zwinkern. Allerdings reagieren Wachkomapatienten nicht auf äußere Reize. Also LDu hier auch nicht auf die Helligkeit.

Proust habe ich nicht erkannt. Ich denke, das kann man auch nicht voraussetzen? Wenn die Geschichte also darauf anspielen soll, der Leser diesen Hintergrund mitlesen soll, würde ich einfach das Buch nennen?

Ich habe Proust auch nur auszugsweise gelesen. Ich setze die Kenntnis auch nicht voraus. Der Anfangssatz spricht, finde ich, für sich. Da ist es (mir) egal, aus welchem Buch dieser Satz stammt.
Wobei ich durchaus Proust im Kopf hatte, weil ich den Titel „la recherche du temps perdu“ sehr passend fand, genauso wie die Tatsache, das dieses Buch so unendlich lang ist, sich also lange, lange vorlesen lässt…. Das das Zitat so wunderbar für mich zum Text passte, war dann, ehrlich gesagt, ein Zufall…

Vielen Dank für Deine Beschäftigung mit meinem Textlein, es ist mir immer wieder eine Freude…

Nicole

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Beitragvon Ylvi » 07.11.2010, 18:43

Hallo Nicole,

jedesmal wieder erstaunlich, wie weit sich das gegenseitige nicht-verstehen auch in die Diskussion zieht. ;-) Du hast nun vieles auch sehr persönlich erklärt, aber für mich ändert das am Text selbst und wie er auf mich wirkt, bzw. nicht wirkt, wenig. Meine Kritikpunkte bleiben bestehen und das, was du als Provokation gelesen hast, war ehrlich gesagt tatsächlich eine Frage. Aber ich denke wir können das einfach so nebeneinander stehen lassen? (Wenn ich nochmal auf etwas eingehen soll, kannst du gerne nachhaken.)
Also nur noch eines. Eine große Stärke von Literatur ist es für mich, das Unvorstellbare so zu erzählen, dass es erlebbar und eben auf eine berührende Weise vorstellbar wird.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Nicole

Beitragvon Nicole » 08.11.2010, 07:30

Hallo Flora,

ja, so ist das wohl, bei uns beiden prallen tatsächlich Welten aufeinander.

Nicole

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Beitragvon leonie » 08.11.2010, 07:52

Liebe Nicole,

was ich wirklich schade finde, ist, dass Du zwar erklärst, was Du meinst, aber Dich nicht mit der Kritik auseinandersetzt, dass Dein Text vielleicht stellenweise besser formuliert sein könnte, um das, was Du zeigen willst, auch beim ersten Lesen deutlich werden zu lassen. Falls Du ihn veröffentlichen möchtest, kannst Du ja auch nicht daneben schreiben, was Du gemeint hast.
Dass Du unterstellst, man verstehe es nicht, weil man es nicht kenne und dazu rätst, es auszuprobieren, empfinde ich Flora gegenüber gelinde gesagt als unverschämt.

Nichts für ungut, aber sowas ärgert mich einfach.

leonie

Nicole

Beitragvon Nicole » 08.11.2010, 10:07

Liebe Leonie,
es steht Dir frei, Dich zu ärgern und das nehme ich auch nicht krumm. Warum sollte ich, ich nehme mir ja selber auch das Recht raus, mich über Dinge zu ärgern und dies zu schreiben.
Wie kommst Du auf die Idee, ich setze mich mit Kritik nicht auseinander? Ich würde wohl kaum erklären, warum ich etwas so und nicht anders geschrieben habe, wenn ich mich nicht mit den Leseeindrücken befassen würde. Allerdings setze ich nicht jeden Kritikpunkt um. Ich nehme mir, aber darüber sprachen wir ja bereits an anderer Stelle, das Recht heraus, für mich zu entscheiden, was davon zu mir und zu meinem Text passt.
Was soll ich denn sonst Deiner Meinung nach antworten oder besser, wie soll ich Deiner Meinung nach darauf reagieren? Ich halte nichts davon, wie wild nach jedem Kommentar an meinem Text rum zu ändern, um nachher 3-4 verschiedene Versionen da stehen zu haben. Ich stelle einen Text ein, um mir ein Leserfeedback abzuholen. Wenn ich das bekomme, denke ich darüber nach. Und entscheide, ob und was ich ändere. Das kann aber, siehe Klavier, eine Zeitlang dauern und ich werde, so wie dort auch, sicher nicht alle Vorschläge berücksichtigen. Ich möchte gerne nach Änderungen auch noch das Gefühl haben, dieser Text ist von mir. Ich vergleiche nicht gerne(ich weiß ja, zu welchen Entrüstungsstürmen das führen kann), bin aber immer wieder erstaunt, das bei anderen Schreiberlingen ein „habe über Eure Änderungsvorschläge nachgedacht, bin aber zu der Erkenntnis gekommen, das es für mich in der Erstfassung richtig ist und deswegen bleibt es, wie es ist.“ akzeptiert wird, bei mir aber immer als „beratungsresistent“ ausgelegt wird. Und das, liebe Leonie, ist beispielsweise ein Punkt, über den ich mich ärgere.
Bei Flora und mir gibt es, denke ich, ein prinzipielles Problem. Wir sind, da bin ich mir relativ sicher, auch im „echten Leben“ komplett verschieden. Sie weiß das und ich weiß es auch. Ich finde es schön dass sie trotz allem meine Texte kommentiert. Ich gehe dann, soweit es mir möglich ist, auf ihren Kommentar detailliert ein und sage ihr zu den angeführten Punkten meine Meinung. Aber was soll ich sonst tun? Einen Satz einfügen beispielsweise, das LI sich die Finger wäscht, bevor sie eine raucht, weil Flora die Tatsache, dass ich es nicht beschrieben habe, als unappetitlich empfindet? Soll ich die Hand vom LDu nun auf das Knie von LI legen, weil Flora aus dem Tatsache, das LI die Hand von LDu auf den Oberschenkel legt, scheinbar eine rein sexuelle Färbung in der Beziehung der beiden liest?
Der Text steht nicht in der Schreibwerkstatt und auch nicht unter Gemeinschaftsprojekt. Ich werde sicherlich die eine oder andere Kleinigkeit noch ändern (z.B. die von Nifl ange“meckerte“ feuchte Spur wird bei Gelegenheit „entfeuchtet“), aber ich werde den Text nicht grundlegend ändern. Und um ihn für Flora annähernd annehmbar zu machen, müsste ich vermutlich einen komplett anderen Text schreiben und das in einer Art und Weise, die nicht die meine wäre. Ich denke oft, wenn Flora und ich miteinander Kommentare tauschen, es ist ungefähr so, als würde ein Vogel einen Fisch erklären wollen, wie sich fliegen anfühlt.
Nicole
Ach ja, die Unverschämtheit: Das kläre ich, wenn notwendig, gerne mit Flora per PN. Liebe Flora, solltest Du Gesprächsbedarf haben, melde Dich einfach, ja?


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