WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -
~ R E I S E T A S C H E ~
Wort der Woche ~ REISETASCHE ~
Der nachfolgende Text ist ein Tatsachenbericht, völlig wertneutral und absolut objektiv.
Es war im Jahre 1996. Unten die Kordilleren, wie ich sie damals aus dem Flugzeug sah.
Eine Chilenin auf Reisen
Woran man Japaner erkennt:
am Fotoapparat, ihr rudelweises Auftreten und dass sie den Deutschen bis zur Schulter reichen.
Woran man einen Chileno erkennt:
an seinem unglaublich vielen Gepäck. Unter 50 kg Gepäckübergewicht läuft da nichts. Und da ich Halbchilenin bin, reise ich mit doppelt so viel Gepäck.
Es war 1996, meine Rückreise nach Deutschland stand bevor, nachdem ich ein halbes Jahr bei meiner Mutter verbracht hatte. Ich war dabei zu packen. Wenn ich eines hasse wie die Pest, ist es Koffer zu packen. Es mag daran liegen, dass es schier unmöglich ist, Gepäck für mindestens fünf Koffer in drei Koffer hineinzuzwängen.
Unendlich viel Zeug hatte sich angesammelt, da ich, wie bei jedem Aufenthalt in Chile, sämtliche Basare besucht und etliche handgefertigte indianische Sachen gekauft hatte, Puppen, Wandteppiche, Keramiken. Ich kann einfach nicht wiederstehen. Ich liebe diese artesania sudamericana.
Es gab immer ein lustiges Ritual, wenn ich in Chile war und wieder zurück nach Deutschland flog. Ich ließ mein sämtliches Gepäck, das ich aus Deutschland mitbrachte, also alle Klamotten und Taschen, in Santiago, dafür nahm ich nur dort Angesammeltes mit zurück. Meine Mutter und meine Schwester kloppten sich um meine begehrte Habe, während ich versuchte, möglichst gute Tauschgeschäfte mit ihnen zu machen. Auf diese Weise ergatterte ich schon die schönsten Schatullen, Figuren und Kugeln aus Lapislazuli oder Malachit, die heute noch meine Glasvitrine füllen.
Ich saß völlig entnervt vor den Koffern. Drei große Koffer waren bereits zum Bersten gefüllt und ich hab sie nur zubekommen, weil meine Mutter sich draufsetzte. Mein Gewicht reichte nicht aus. Natürlich ließ ich niemals eine unpassende Bemerkung meiner Mutter gegenüber über diesen Tatbestand fallen, aber heimlich ins Fäustchen lachte ich mir schon. Außerdem hatte ich zwei breite Riemen um die Koffer geschnallt, damit sie nicht aufplatzten. Mit den drei Koffern hatte ich bereits 45 kg zu viel Gepäck. 20 kg sind erlaubt und manche von diesen Damen am Schalter sind dermaßen stur. Ich hatte immer den totalen Horror davor.
Tja, jetzt saß ich da. Drei Koffer und mein Bett war noch übersäht mit vielen Sachen, die ich auf jeden Fall mitnehmen wollte. Z.B. einen wunderschönen peruanischen Poncho, eine mexikanische große Überdecke für ein Doppelbett u.s.w. Also keine Kleinigkeiten, sondern große, schwere Sachen. Kurz vorm Nervenzusammenbruch hatte ich alles fertig gepackt. Drei Koffer und 10 große Handgepäckstücke, wobei eins an Bord erlaubt ist. Und ich hatte mich schon von etlichen Sachen getrennt und sie gerecht unter meiner Schwester und meiner Mutter aufgeteilt. Wie gesagt - bereits Tradition. Das Dumme ist nur, dass z.B. eine Kugel aus Lapislazuli wesentlich schwerer ist als ein T-Shirt.
Es grauste mir vor dem nächsten Tag, dem Abflug, aber ich hatte mir was ausgedacht. Erstens sagte ich meiner Mutter, sie solle alle meine Handgepäckstücke bis auf meine Handtasche (eine Frau ohne Handtasche ist verdächtig bzw. sowas gibts ja gar nicht) nehmen und sich weiter weg stellen, wo man sie vom Schalter nicht sehen kann. Ich bin dann mit den drei Koffern und meiner Handtasche zum Schalter, bzw. erst mal schaute ich so in die Runde. Es waren 5 Schalter von LTU geöffnet. Ich checkte ab, wer denn so am Nettesten aussah. Außerdem stellt sich auch prinzipiell immer die Frage: geh ich zu einem Mann oder einer Frau. Bei einem Mann könnte man ja mal verführerisch mit den Wimpern klimpern. Aber das war eh kein Thema diesmal. Nur Frauen waren da, und eine sah irgendwie sehr freundlich aus. Ich ging zielstrebig zu ihr, auf keinen Fall bereit, auch nur einen einzigen Peso an Übergewicht zu zahlen. Sie schaute auf das Gepäck, runzelte die Stirn, wollte gerade etwas sagen, als ich ihr ins Wort fiel und meinte:
"Ich weiß, ich weiß. Ich habe sehr viel Übergewicht an Gepäck, aber bitte lassen Sie es durchgehen. Ich hab schon so viel da lassen müssen, und das hier ist nur der "kleine" Rest und außerdem, schauen Sie mal hier!" Ich zeigte ihr ein Foto von mir, auf dem ich in voller Lebensgröße mit meinem Höchstgewicht (89,5 kg) zu sehen war. Da ich mich ansonsten überhaupt nicht verändert hatte, war das Foto, 4,5 Jahre alt, noch up to date.
Ich sagte: "Sehen Sie das Foto, das war ich vor einem halben Jahr, und jetzt sehen Sie mich an (ich wog 45 kg). Und stellen Sie sich jetzt einfach vor, ich wäre immer noch so fett, dass ich zwei Sitzplätze bräuchte, allein für meinen Hintern! Und da würde ich ja auch nicht extra zahlen müssen, oder?" Dabei setzte ich den größten Unschuldsblick auf, zu dem ich in der Lage war. Die Frau am Schalter brach in lautes Lachen aus. Sie sagte, immer noch grunzend:
"Eine originellere Geschichte habe ich noch nie gehört. Okay! Ich stelle die Koffer gar nicht erst auf die Waage. So weiß ich zumindest nicht, wieviele kg ich hab durchgehen lassen und das, obwohl die Maschine voll ausgebucht ist!"
Aber mal ehrlich: Da ist doch was dran, oder? Wenn ein Passagier 120 kg wiegt und ein anderer 45 kg und beide den gleichen Preis zahlen, dann stimmt doch was nicht?
Also, die erste Hürde war geschafft! Dieses Gepäck war ja durchgecheckt bis Frankfurt, also darum brauchte ich mir keine Gedanken mehr zu machen. Ein tonnenschwerer Stein fiel mir vom Herzen. Aber ich hatte ja noch das andere Problem. 10 Handgepäckstücke! Da war einmal der Poncho, den zog ich mir über, obwohl ich wie ein Schwein schwitzte, (es waren übrigens 38 Grad in Santiago zu dieser Zeit) dann mein Notebook, drei große Reisetaschen (fast schon kleine Koffer), einen Schlafsack (den wollte ich unbedingt mitnehmen, das war ein ganz tolles Ding aus USA nach Chile exportiert, sowas gibts hier gar nicht), meinen Mega-Shopper, die mexikanische Decke, einen Wandteppich und meinen großen Kosmetikkoffer. Und ich musste das ja alles bis ins Flugzeug tragen (wenn sie mich denn reinließen mit so viel Zeug) und in Amsterdam noch mal, da musste ich den Flieger wechseln. Also, schnell verabschiedet. Ich hasse Abschiede. Und los ging's zum Gate. Und, oh Wunder, die ganzen Handgepäckstücke waren überhaupt kein Problem. Die kannten ja die Chilenos. Die ließen mich einfach so passieren. Ha! Ich liebe die Chilenen. Also, wieder eine Hürde geschafft.
Jetzt kam dieser ellenlange Flug. 18,5 Stunden bis Amsterdam, begleitet mit zahlreichen Turbolenzen, aber vor denen hatte ich schon lange keine Angst mehr. Ich saß am Fenster, sehr wichtig für mich. Ich sitze immer am Fenster, so kann ich wenigstens was sehen, wenn wir abstürzen.
In Flugzeugen kann ich grundsätzlich nicht schlafen, auch nicht lesen. Ich döse immer so vor mich hin und höre Walkman oder quatsche mit anderen Passagieren. Oft ergeben sich lustige Grüppchen. Bin ja ein kommunikativer Mensch. Was mich immer fasziniert, ist das Sprachgemisch. En peu francais ici, mucho español alla, much english und Deutsch. Und durch das Spanisch gehts auch bestens mit Italienern, Portugiesen und Brasileros, also null problemo.
Am nächsten Tag landeten wir in Amsterdam. Ich kenne wirklich viele Flughäfen, schon aufgrund der vielen Zwischenlandungen und Reisen. Aber Amsterdam ist für mich der scheußlichste, ekligste und unüberschaubarste Flughafen überhaupt. Und ich behaupte, dass ich nun wirklich nicht doof bin, vor allem auf Flughäfen nicht. Aber dieser war ein Alptraum. Ellenlange Wege ohne Rolltreppen. Eine ca. 3 km lange Duty-free-Fläche und kein Wagen weit und breit. Und ich mit meinem 10 Gepäckstücken, schwitzend wie Sau, hatte wieder den Poncho an, völlig übermüdet von dem langem Flug, da ich ja keine Sekunde geschlafen. Ich hatte mich total verlaufen. Ich sah keine Schilder, keinen Wagen, nichts. Ich hörte inzwischen den zweiten Aufruf nach meinem Namen, befand mich irgendwo im Nirgendwo im Flughafen, ohne die geringste Ahnung, wo sich die Gates befanden und hatte einfach keine Kraft mehr, auch nur noch einen Schritt zu gehen, geschweige denn, meine 10 Handgepäckstücke zu tragen, die im übrigen irre schwer waren. Allein die mexikanische Decke hatte ein unglaubliches Gewicht. Ich stand kurz vom Zusammenbruch.
Dann konnte ich nicht mehr. Ich schmiss mit Karacho, außer meinem geliebten Notebook, mein sämtliches Gepäck auf den Boden, setzte mich auf denselben, um mich herum die verstreuten Gegenstände und stieß einen lauten Fluch aus.
Inzwischen hörte ich meinen dritten Aufruf, so what! Mir war echt alles egal.
Dann kam mein Retter, mein Erlöser! Ein Pakistani hatte mich gesehen, meinen Schrei gehört und sah mich jämmerliches Häufchen Elend da sitzen und sagte mir: "Keep here, okay? I will organize a car for you! Five minutes, okay? Don't worry!" Und tatsächlich! Er kam nach ca. 5 Minuten wieder und hatte einen Wagen! Hurra! Man, war ich glücklich. Er half mir dann auch zum Gate, ich war ihm so dankbar, dass ich ihm einen dicken Kuss auf die Wange drückte und sagte: "You are my angel! Thank you so much!" Seine Augen strahlten, als er von dannen zog.
Ich war dann endlich am Gate und die Stewardess sagte mit bitter-saurer Miene:
"Da sind Sie ja endlich, wir haben Sie schon dreimal aufgerufen!"
Ich: "Dann bauen Sie mal hier einen anständigen Flughafen und nicht so einen Mist, bei dem man sich ja überhaupt nicht zurechtfindet, dann kommen die Passagiere auch pünktlich." Ich war auf 180, mein Puls raste wie bekloppt. Als sie meinen Haufen Handgepäck sah, meinte sie:
"Tut mir leid, aber Sie können nur 1 Handgepäckstück mit an Bord nehmen. Den Rest müssen Sie einchecken lassen, Sie müssen also zurück zum Schalter!"
Das hatte jetzt aber gerade noch gefehlt. Nee, nicht mit mir! Ich war ja eh schon auf 180. Jetzt war ich auf 360! Ich fing an, in englisch zu schimpfen, was das Zeug hält. Das wäre das allerletzte und ich dächte nicht im Traum daran, noch mal zum Schalter zu gehen. Sie könne mich mal. Und dann hab ich ihr die Gepäckstücke, außer meinem geliebten Notebook natürlich, vor die Füße geknallt und schrie: "Machen Sie damit, was Sie wollen, ist mir total egal!" Die war so verdutzt über meinen Wutausbruch, zudem ja wissend, dass ich aus dem Flieger von Santiago kam und nach meinem Aussehen sicherlich auch schlussfolgernd, dass ich Chilenin sei (Grundregel Nr. 1: Leg dich nie mit einer Chilenin an! Vor allem nicht, wenn sie wütend ist!), so dass sie kopfschüttelnd sagte: "Okay, forget it." Dann schleppte ich mich durch einen ca. 400 m langen Finger zum Flieger.
Dort bekam ich den besten Platz, nämlich den Notfallplatz, keiner vor mir, nur einer neben mir. Mein Gepäck wurde in 10 verschiedenen Fächern im ganzen Flieger verteilt. Ich setzte mich hin, wollte mich gerade entspannt in die Lehne fallen lassen, als ich plötzlich einen üblen Geruch wahrnahm, so schlimm, dass sich mir der Magen umdrehte. Ich wandte mich zur Seite und merkte, dass der Gestank von meinem Sitznachbarn ausging. Ich schnauzte ihn wütend an: "Sagen Sie mal, haben Sie Knoblauch gefressen oder was? Das stinkt ja abscheulich! Das darf doch wohl nicht wahr sein!" Der Typ guckte nur doof und zog sich auf einen anderen Platz zurück. Jetzt hatte ich endlich meine Ruhe.
Ich lehnte mich zurück und machte kurz die Augen zu, als mir jemand auf die Schulter klopfte.
"Miss, we are approaching Frankfurt. Please fasten your seat belt." Was war denn jetzt los? Wir waren doch noch gar nicht gestartet? Tja, ich war sofort eingeschlafen und erst bei der Landung wieder aufgewacht! Das war das erste Mal, dass ich im Flugzeug geschlafen habe!
Ich brauchte in Frankfurt für mein Gepäck drei große Wagen und zwei Personen, die mir halfen, die schweren Wagen zu schieben. Ich konnte keinen einzigen alleine bewegen.
Das nächste Mal reise ich als Rucksacktourist!
Es war im Jahre 1996. Unten die Kordilleren, wie ich sie damals aus dem Flugzeug sah.
Eine Chilenin auf Reisen
Woran man Japaner erkennt:
am Fotoapparat, ihr rudelweises Auftreten und dass sie den Deutschen bis zur Schulter reichen.
Woran man einen Chileno erkennt:
an seinem unglaublich vielen Gepäck. Unter 50 kg Gepäckübergewicht läuft da nichts. Und da ich Halbchilenin bin, reise ich mit doppelt so viel Gepäck.
Es war 1996, meine Rückreise nach Deutschland stand bevor, nachdem ich ein halbes Jahr bei meiner Mutter verbracht hatte. Ich war dabei zu packen. Wenn ich eines hasse wie die Pest, ist es Koffer zu packen. Es mag daran liegen, dass es schier unmöglich ist, Gepäck für mindestens fünf Koffer in drei Koffer hineinzuzwängen.
Unendlich viel Zeug hatte sich angesammelt, da ich, wie bei jedem Aufenthalt in Chile, sämtliche Basare besucht und etliche handgefertigte indianische Sachen gekauft hatte, Puppen, Wandteppiche, Keramiken. Ich kann einfach nicht wiederstehen. Ich liebe diese artesania sudamericana.
Es gab immer ein lustiges Ritual, wenn ich in Chile war und wieder zurück nach Deutschland flog. Ich ließ mein sämtliches Gepäck, das ich aus Deutschland mitbrachte, also alle Klamotten und Taschen, in Santiago, dafür nahm ich nur dort Angesammeltes mit zurück. Meine Mutter und meine Schwester kloppten sich um meine begehrte Habe, während ich versuchte, möglichst gute Tauschgeschäfte mit ihnen zu machen. Auf diese Weise ergatterte ich schon die schönsten Schatullen, Figuren und Kugeln aus Lapislazuli oder Malachit, die heute noch meine Glasvitrine füllen.
Ich saß völlig entnervt vor den Koffern. Drei große Koffer waren bereits zum Bersten gefüllt und ich hab sie nur zubekommen, weil meine Mutter sich draufsetzte. Mein Gewicht reichte nicht aus. Natürlich ließ ich niemals eine unpassende Bemerkung meiner Mutter gegenüber über diesen Tatbestand fallen, aber heimlich ins Fäustchen lachte ich mir schon. Außerdem hatte ich zwei breite Riemen um die Koffer geschnallt, damit sie nicht aufplatzten. Mit den drei Koffern hatte ich bereits 45 kg zu viel Gepäck. 20 kg sind erlaubt und manche von diesen Damen am Schalter sind dermaßen stur. Ich hatte immer den totalen Horror davor.
Tja, jetzt saß ich da. Drei Koffer und mein Bett war noch übersäht mit vielen Sachen, die ich auf jeden Fall mitnehmen wollte. Z.B. einen wunderschönen peruanischen Poncho, eine mexikanische große Überdecke für ein Doppelbett u.s.w. Also keine Kleinigkeiten, sondern große, schwere Sachen. Kurz vorm Nervenzusammenbruch hatte ich alles fertig gepackt. Drei Koffer und 10 große Handgepäckstücke, wobei eins an Bord erlaubt ist. Und ich hatte mich schon von etlichen Sachen getrennt und sie gerecht unter meiner Schwester und meiner Mutter aufgeteilt. Wie gesagt - bereits Tradition. Das Dumme ist nur, dass z.B. eine Kugel aus Lapislazuli wesentlich schwerer ist als ein T-Shirt.
Es grauste mir vor dem nächsten Tag, dem Abflug, aber ich hatte mir was ausgedacht. Erstens sagte ich meiner Mutter, sie solle alle meine Handgepäckstücke bis auf meine Handtasche (eine Frau ohne Handtasche ist verdächtig bzw. sowas gibts ja gar nicht) nehmen und sich weiter weg stellen, wo man sie vom Schalter nicht sehen kann. Ich bin dann mit den drei Koffern und meiner Handtasche zum Schalter, bzw. erst mal schaute ich so in die Runde. Es waren 5 Schalter von LTU geöffnet. Ich checkte ab, wer denn so am Nettesten aussah. Außerdem stellt sich auch prinzipiell immer die Frage: geh ich zu einem Mann oder einer Frau. Bei einem Mann könnte man ja mal verführerisch mit den Wimpern klimpern. Aber das war eh kein Thema diesmal. Nur Frauen waren da, und eine sah irgendwie sehr freundlich aus. Ich ging zielstrebig zu ihr, auf keinen Fall bereit, auch nur einen einzigen Peso an Übergewicht zu zahlen. Sie schaute auf das Gepäck, runzelte die Stirn, wollte gerade etwas sagen, als ich ihr ins Wort fiel und meinte:
"Ich weiß, ich weiß. Ich habe sehr viel Übergewicht an Gepäck, aber bitte lassen Sie es durchgehen. Ich hab schon so viel da lassen müssen, und das hier ist nur der "kleine" Rest und außerdem, schauen Sie mal hier!" Ich zeigte ihr ein Foto von mir, auf dem ich in voller Lebensgröße mit meinem Höchstgewicht (89,5 kg) zu sehen war. Da ich mich ansonsten überhaupt nicht verändert hatte, war das Foto, 4,5 Jahre alt, noch up to date.
Ich sagte: "Sehen Sie das Foto, das war ich vor einem halben Jahr, und jetzt sehen Sie mich an (ich wog 45 kg). Und stellen Sie sich jetzt einfach vor, ich wäre immer noch so fett, dass ich zwei Sitzplätze bräuchte, allein für meinen Hintern! Und da würde ich ja auch nicht extra zahlen müssen, oder?" Dabei setzte ich den größten Unschuldsblick auf, zu dem ich in der Lage war. Die Frau am Schalter brach in lautes Lachen aus. Sie sagte, immer noch grunzend:
"Eine originellere Geschichte habe ich noch nie gehört. Okay! Ich stelle die Koffer gar nicht erst auf die Waage. So weiß ich zumindest nicht, wieviele kg ich hab durchgehen lassen und das, obwohl die Maschine voll ausgebucht ist!"
Aber mal ehrlich: Da ist doch was dran, oder? Wenn ein Passagier 120 kg wiegt und ein anderer 45 kg und beide den gleichen Preis zahlen, dann stimmt doch was nicht?
Also, die erste Hürde war geschafft! Dieses Gepäck war ja durchgecheckt bis Frankfurt, also darum brauchte ich mir keine Gedanken mehr zu machen. Ein tonnenschwerer Stein fiel mir vom Herzen. Aber ich hatte ja noch das andere Problem. 10 Handgepäckstücke! Da war einmal der Poncho, den zog ich mir über, obwohl ich wie ein Schwein schwitzte, (es waren übrigens 38 Grad in Santiago zu dieser Zeit) dann mein Notebook, drei große Reisetaschen (fast schon kleine Koffer), einen Schlafsack (den wollte ich unbedingt mitnehmen, das war ein ganz tolles Ding aus USA nach Chile exportiert, sowas gibts hier gar nicht), meinen Mega-Shopper, die mexikanische Decke, einen Wandteppich und meinen großen Kosmetikkoffer. Und ich musste das ja alles bis ins Flugzeug tragen (wenn sie mich denn reinließen mit so viel Zeug) und in Amsterdam noch mal, da musste ich den Flieger wechseln. Also, schnell verabschiedet. Ich hasse Abschiede. Und los ging's zum Gate. Und, oh Wunder, die ganzen Handgepäckstücke waren überhaupt kein Problem. Die kannten ja die Chilenos. Die ließen mich einfach so passieren. Ha! Ich liebe die Chilenen. Also, wieder eine Hürde geschafft.
Jetzt kam dieser ellenlange Flug. 18,5 Stunden bis Amsterdam, begleitet mit zahlreichen Turbolenzen, aber vor denen hatte ich schon lange keine Angst mehr. Ich saß am Fenster, sehr wichtig für mich. Ich sitze immer am Fenster, so kann ich wenigstens was sehen, wenn wir abstürzen.
In Flugzeugen kann ich grundsätzlich nicht schlafen, auch nicht lesen. Ich döse immer so vor mich hin und höre Walkman oder quatsche mit anderen Passagieren. Oft ergeben sich lustige Grüppchen. Bin ja ein kommunikativer Mensch. Was mich immer fasziniert, ist das Sprachgemisch. En peu francais ici, mucho español alla, much english und Deutsch. Und durch das Spanisch gehts auch bestens mit Italienern, Portugiesen und Brasileros, also null problemo.
Am nächsten Tag landeten wir in Amsterdam. Ich kenne wirklich viele Flughäfen, schon aufgrund der vielen Zwischenlandungen und Reisen. Aber Amsterdam ist für mich der scheußlichste, ekligste und unüberschaubarste Flughafen überhaupt. Und ich behaupte, dass ich nun wirklich nicht doof bin, vor allem auf Flughäfen nicht. Aber dieser war ein Alptraum. Ellenlange Wege ohne Rolltreppen. Eine ca. 3 km lange Duty-free-Fläche und kein Wagen weit und breit. Und ich mit meinem 10 Gepäckstücken, schwitzend wie Sau, hatte wieder den Poncho an, völlig übermüdet von dem langem Flug, da ich ja keine Sekunde geschlafen. Ich hatte mich total verlaufen. Ich sah keine Schilder, keinen Wagen, nichts. Ich hörte inzwischen den zweiten Aufruf nach meinem Namen, befand mich irgendwo im Nirgendwo im Flughafen, ohne die geringste Ahnung, wo sich die Gates befanden und hatte einfach keine Kraft mehr, auch nur noch einen Schritt zu gehen, geschweige denn, meine 10 Handgepäckstücke zu tragen, die im übrigen irre schwer waren. Allein die mexikanische Decke hatte ein unglaubliches Gewicht. Ich stand kurz vom Zusammenbruch.
Dann konnte ich nicht mehr. Ich schmiss mit Karacho, außer meinem geliebten Notebook, mein sämtliches Gepäck auf den Boden, setzte mich auf denselben, um mich herum die verstreuten Gegenstände und stieß einen lauten Fluch aus.
Inzwischen hörte ich meinen dritten Aufruf, so what! Mir war echt alles egal.
Dann kam mein Retter, mein Erlöser! Ein Pakistani hatte mich gesehen, meinen Schrei gehört und sah mich jämmerliches Häufchen Elend da sitzen und sagte mir: "Keep here, okay? I will organize a car for you! Five minutes, okay? Don't worry!" Und tatsächlich! Er kam nach ca. 5 Minuten wieder und hatte einen Wagen! Hurra! Man, war ich glücklich. Er half mir dann auch zum Gate, ich war ihm so dankbar, dass ich ihm einen dicken Kuss auf die Wange drückte und sagte: "You are my angel! Thank you so much!" Seine Augen strahlten, als er von dannen zog.
Ich war dann endlich am Gate und die Stewardess sagte mit bitter-saurer Miene:
"Da sind Sie ja endlich, wir haben Sie schon dreimal aufgerufen!"
Ich: "Dann bauen Sie mal hier einen anständigen Flughafen und nicht so einen Mist, bei dem man sich ja überhaupt nicht zurechtfindet, dann kommen die Passagiere auch pünktlich." Ich war auf 180, mein Puls raste wie bekloppt. Als sie meinen Haufen Handgepäck sah, meinte sie:
"Tut mir leid, aber Sie können nur 1 Handgepäckstück mit an Bord nehmen. Den Rest müssen Sie einchecken lassen, Sie müssen also zurück zum Schalter!"
Das hatte jetzt aber gerade noch gefehlt. Nee, nicht mit mir! Ich war ja eh schon auf 180. Jetzt war ich auf 360! Ich fing an, in englisch zu schimpfen, was das Zeug hält. Das wäre das allerletzte und ich dächte nicht im Traum daran, noch mal zum Schalter zu gehen. Sie könne mich mal. Und dann hab ich ihr die Gepäckstücke, außer meinem geliebten Notebook natürlich, vor die Füße geknallt und schrie: "Machen Sie damit, was Sie wollen, ist mir total egal!" Die war so verdutzt über meinen Wutausbruch, zudem ja wissend, dass ich aus dem Flieger von Santiago kam und nach meinem Aussehen sicherlich auch schlussfolgernd, dass ich Chilenin sei (Grundregel Nr. 1: Leg dich nie mit einer Chilenin an! Vor allem nicht, wenn sie wütend ist!), so dass sie kopfschüttelnd sagte: "Okay, forget it." Dann schleppte ich mich durch einen ca. 400 m langen Finger zum Flieger.
Dort bekam ich den besten Platz, nämlich den Notfallplatz, keiner vor mir, nur einer neben mir. Mein Gepäck wurde in 10 verschiedenen Fächern im ganzen Flieger verteilt. Ich setzte mich hin, wollte mich gerade entspannt in die Lehne fallen lassen, als ich plötzlich einen üblen Geruch wahrnahm, so schlimm, dass sich mir der Magen umdrehte. Ich wandte mich zur Seite und merkte, dass der Gestank von meinem Sitznachbarn ausging. Ich schnauzte ihn wütend an: "Sagen Sie mal, haben Sie Knoblauch gefressen oder was? Das stinkt ja abscheulich! Das darf doch wohl nicht wahr sein!" Der Typ guckte nur doof und zog sich auf einen anderen Platz zurück. Jetzt hatte ich endlich meine Ruhe.
Ich lehnte mich zurück und machte kurz die Augen zu, als mir jemand auf die Schulter klopfte.
"Miss, we are approaching Frankfurt. Please fasten your seat belt." Was war denn jetzt los? Wir waren doch noch gar nicht gestartet? Tja, ich war sofort eingeschlafen und erst bei der Landung wieder aufgewacht! Das war das erste Mal, dass ich im Flugzeug geschlafen habe!
Ich brauchte in Frankfurt für mein Gepäck drei große Wagen und zwei Personen, die mir halfen, die schweren Wagen zu schieben. Ich konnte keinen einzigen alleine bewegen.
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