Beitragvon Lisa » 20.06.2011, 22:02
Von einem Gütigen . Häschen in der Grube
von einem Gütigen, der
hört er zu
nicht auf die Uhr sehen kann
von einem, der
hört er zu
nicht auf die Uhr sehen kann
weil er es nicht will
von einem, der zuhört
mir zuhört
mir ganz allein
Das ist einer, den kann ich fressen
den darf ich fressen und der
erlaube ich mir tatsächlich, nicht länger an mich halten zu können
sich verschlingen lässt
sich in diesem Verschlingen auftut
hoch ins ganze Zimmer an Gestalt
durch mich hindurch
mächtig in einem Maße wie es sonst nur zürnende Magier sind
doch eben in Zärtlichkeit. Ganz weich, mit feinsten, schattenlosen Falten unter den Augen
blickte er mich an
Was sicherlich bloß eine Luftzerfetzung wäre
doch eben eine magische
Ich stelle mir seine Liebe vor
als könnte man mit einem Mal Wasser atmen
bloß weil man den Willen dazu hat
.
Nein, nein, vielen Dank für das Angebot …
… ich bleibe hier im dunklen, feuchten ...
… nein, du brauchst nicht den Arzt rufen, hörst du … so hör doch … bitte, ruf ihn nicht ...
… Tag, Herr Doktor …
… sieht schlimm aus? Ja, ich fühl mich auch nicht besonders ...
… das soll ich schlucken? Was ist das? Was macht das mit …
… es tut mir Leid, ich bekomme den Trichter einfach nicht mehr in den Hals, ich muss würgen …
… nun schreien Sie doch nicht gleich so, ich will es ja versuchen, aber dann seh ich meine Läufe doch das Fläschchen fortstoßen und fühle diesen Druck, Ihren Schädel zerschmettern zu müssen …
… aber ja, Sie tun Recht daran, sich nicht zu fürchten, lachen Sie nur … längst hängen mir ja schon wieder die Ohren ganz schlapp herunter …
Diese Arznei,
die alles wieder … macht.
Kann ich denn nur so bei euch sein?
Ja, natürlich fürchte ich den Schimmel, der sich in die filzigen Falten setzt,
was glaubt denn ihr, fürchte so sehr!
Kein anderer ist hier, mit mir, bin ganz allein,
bloß ich kenn das Klirren in meinen Ohren, das Zittern und Jucken,
die Dickglasigkeit meiner Augen.
Beim Atmen pfeife ich und wenn ich unsicher bin, ob ich gerade wache oder träume,
fürchte ich zu wissen, dass die Pfiffe ganze Schreie sind, die bis nach oben,
zu euch in die Wiesen dringen.
Die Wiesen …
… ich ziehe die Füchse in die Wiesen, sagt ihr. Ich seuche euch mit meiner Schlaffheit,
meinem aufgeweichten Weigern.
Ich höre euch darüber flüstern, es dringt nach hier unten über die Wurzeln,
gegen die ich gekippt bin.
Ich verstehe zu gut. Meine Entscheidung zur Krankheit ist nicht länger tragbar.
Ihr wollt nicht befallen werden vom Weheklagen eines einzelnen Häschens, dem es schlecht geht, weil es die Arznei verweigert.
Es ist Zeit für mich zu sterben, folgert euer Wille. Glasklar, ganz ohne Schauder.
Für mich ist nicht vorstellbar, dass euch jemals ein Pilz befallen könnte.
Er würde einfach an euch abrutschen.
Keiner ist gekommen und hat gefragt, warum ich nicht mehr will. Diese Frage kommt in euch nicht vor. Ich sage es euch trotzdem (weil ich sterbe, wird das möglich sein).
Ich ertrug die Ausbreitung des Krankenhauses nicht länger.
Diese Arznei in allen Dingen, im Weizen, Stacheldraht,
selbst im Wind, der über uns durch die Bäume rauscht,
und dann sogar in Felines Augen. Wie ein tauber Schleierdorn tat sie sich dort auf.
Da habe ich mich für den Gram entschieden, habe ihn in mich hineingelegt,
mir unters angstklopfende Herz gestoßen. Habe gemacht, dass ich aufhöre, Arznei zu schlucken.
Der Gram hat mir den Willen dazu genommen. Diesen völkerschlachtenden Willen.
Ja, ich hab das gemacht. In einem Traum. In dem machte ich mich zu einem Kind, das mir eine abgebrochene schmiedeeiserne Stange in die Seite stieß. Es probierte sich aus irgendeinem Schatten heraus aus, der nicht böse oder gut zu nennen ist. Einfach dass die Augen sehen, was geschieht, wenn man so etwas tut. Ergriffen von der kräftigen Farbe meines Blutes, das das Fell tränkte, meinem pochenden Herzen darunter und dem flatternden weißen Näschen, doch ohne Scheu vor dem Tode, stand es da und schaute. Und ich wurde ganz ruhig in meiner Todesangst da in seinen Augen. Ich lag in meinem Blut und dachte, so muss es sich anfühlen, in den Armen gehalten zu werden.
Ich habe die Grube, in der ich nun liege, vorgefunden, als es mir nicht gut ging, was bedeutet: ich hoppelte täglich an ihr vorüber. Ich sah gleich, am Anfang führt sie ganz seicht, gar zart hinab und doch besaß sie eine ungeheure Anziehung auf mich, zog mich hinab. Und als Mutter zu mir und meinen Geschwistern sagte, nun sei es an der Zeit, da wusste ich: in dieser Grube dort werde ich mich niederlassen.
Ein paar Wochen kam ich hinunter und wieder hinauf, verbrachte die Tage zwischen Klee. Doch dann dieser Kopfschmerz. Die Sonne brannte so hell. Wie wohlig kühl empfing mich dagegen meine Grube. Abends drückte ich mein Köpfchen gegen ihre feuchten Wände.
Mit der Zeit schien es mir immer beschwerlicher morgens aus ihr hinauszuschlüpfen, um mich unter die anderen zu begeben, meine Beine ließen mich im Stich, die Läufe zitterten, ich brach ein, rutschte hinab und stemmte mich nur unter großen Anstrengungen nach oben. Seit ein paar Tagen wollte es mir gar nicht mehr gelingen und nun versuche es auch nicht mehr.
Ich vermag nicht zu sagen, ob meine Entscheidung zur Krankheit etwas Gutes ist. Vielleicht ist sogar gerade die Entscheidung zur Krankheit die Krankheit selbst. Ja, ich weiß noch nicht einmal, ob es eine Entscheidung war.
Und doch hebt sich nichts in mir zu etwas anderen.
.
Ich sehe das Haus. Genauer sehe ich nur ein einzelnes Zimmer, das mit der hölzernen Schrägwand in dem orangen Licht. Das Zimmer ist leer. Es ist so leer, dass es das ganze Haus bedeutet, und ich fühle mich in diesem leeren Zimmer. Vielleicht stand mal ein Gitterbettchen dort und es war mein Zimmer. Aber ich erinnere mich nicht. Es ist schon viel, dass ich dieses leere Zimmer sehe und mich darin fühle.
Mir ist, als läge ich immer noch in diesem Haus. Riesengroß, wie diese Maus in einem meiner Bücher, die mir unheimlich erschien. Wo ich mich doch eigentlich vor kaum etwas gefürchtet habe als Kind. Doch vor dieser riesigen Maus, die sich kaum regen konnte auf den Seiten da im Buch, vor der schon.
Ich liege also immer noch dort und selten kommt ein Mensch hinein in das Haus, noch seltener schaut er in das orange Zimmer. Sieht mich dort liegen. Aber wenn doch, so ist er winzig klein gegen mich. Er muss diesen Berg von Säugling besteigen. Wenn er mich begehrt, streichelt er die Anlagen zu den Brüsten, sofern er sie findet. Das rührt mich. Aber ich bin so groß, erheben kann ich mich nicht. Schon mein Auge ist tellergroß und aufgerissen wie eine feuchte, schwarze Sonne. Ich mag‘s auch gar nicht.
Die Stange ist weit in mich eingedrungen. Es geht mir nicht gut.
Ich erinnere mich, ich war das, die sie sich ins Fleisch gestoßen hat,
auf Geheiß von Gestalten, die mit mir nichts zu tun haben
(dass sie nichts mit mir zu tun haben, war der Grund).
.
Seine Liebe stelle ich mir vor
als könnte ich mit einem Mal Wasser atmen
bloß weil ich den Willen dazu habe
, ich Häschen.