Beitragvon Klara » 24.08.2011, 00:00
Vor ein paar Tagen hab ich mich wieder unter Menschen gewagt, wie man so schön sagt. Tatsächlich. Unter. Menschen. Es wurde sogar spät (bin sonst so "solide", so täglich), ungewohnt, und es war auch gar nicht so viel Alkohol die Kehle hinunter geflossen (das muss ich noch üben, das Weitertrinken, instinktloses Sein, gegen den Brechreiz, gegen das Besserwissen, das Spaßhaben, das Nehmen), denn ich vertrage nicht so viel, dass ich eine Nacht durchstehe ohne viel Wasser und Salzstangen und eine gute Nahrungsgrundierung, damit man noch stehen kann, und gehen, wann es passt, vor der Übelkeit, vor der Reue, doch wir haben die Kurve gekriegt, die Freundin und ich, bevor die letzten die Bar verließen, in der wir einen überraschend lustigen und, ja tatsächlich, unterhaltsam unlangweiligen Abend verbrachten (waren ungefähr die Vorletzten, haben den Letzten den Vortritt ins Paradies der Ersten überlassen). Das Überraschende war das Beste daran, inklusive der überraschenden Feststellung, dass es schon halb fünf war, draußen, auf der relativ nüchternen Uhr, und ich hab nicht mal gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Zeitvergessen bei all dem Geplänkel und Gekicher und Komplimente-Geben und –fischen, alles Lüge, alles wahr, alles einfach nur so. Man sollte das üben. Das Trinken. Das Vertragen. Das Sich-Ertragen. Das Späte. Das Zumirkommen. Das Mich-Lassen. Üben wie Yoga. Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, Baby! Denn Trinken mag eine Krankheit sein, doch nichts trinken wäre mindestens so schädlich, und die Gloriole der Rechtschaffenheit glänzt auch nur so üppig neben dem matten Gold der verkrachten Liebe. Die Sünde, die wir suchen! Sie findet sich nicht, aber wir suchen, zumindest in Gedanken (was immer das ist: das Sündigen, die Gedanken), und das Leben als solches wäre nichts anderes als ein Balancieren, zwischen sich und Welt und Abgrund, Gewinnen und Verlieren, Bana- und Genialitäten, Hin- und Her, Hass und Vergebung, und vielleicht gibt es auch irgendwas dazwischen, wenn man nur gerade bleibt, gut bleibt, etwas neben der Reue und der Rückschau und der vergeblichen Hoffnung, denn es liegt - man spürt es! man wittert! - so viel Kostbarkeit dazwischen, zwischen dem Heiraten und der Beerdigung, man ist so viele, so vieles auf einmal, und nicht nur deshalb ließe sich dieses merkwürdige Leben lieben, so unsagbar trotzig leben, trotz oder wegen all der Kontrolliererei mit so viel Unbändigkeit lieben, ziellos, dass ich mich ständig am Riemen reiße, reißen muss, weil da so viel Lust ist, (wo soll man damit hin? Wie lange hält der Riemen?) (bei der Last), und so viel wüstes Herz! (in der kalten Wüste), wer wollte davon wissen, von dieser Schwere der Leichtigkeit? Von der Leichtigkeit der Schwere? Von der Leichtigkeit des Seins können nur die charmanten Lügner sprechen. Die meinen das ja gar nicht ernst: Nein, so wiegt man das Leben nicht, unsereins, im sogenannten Hierundjetzt. Hier! Uns! Keinen Hauch könnte man ernsthaft von der Wirklichkeit mitteilen, auch wenn man noch so wenig Worte fände, serviert an Zwiebelknoblauchalkoholübungsatem, an gezwungenem Lächeln mit Sorgenfalten auf der Stirn, weil man sich sorgt und alt wird, weil man zu viel nachdenkt oder traurig ist, was hässlich macht – und plötzlich so schön wird, wenn man das Denken fliegen lässt, auf die Schnauze, gen Himmel, oder Kanu fahren, die Elbe hinunter, an eben wiedergeborenen Bibern vorbei, die leise miteinander sprechen, paddeln, hin zu der Liebe, die nichts mit morgen oder gestern oder irgendeinem Ort, einer Person zu tun hat, und alles, doch alles meint, ein Else-Lasker-Schüler-Verzweiflungsglück trinkend, ertrinkend, ohne deren Genie, dafür geschlagen mit einer Dankbarkeit, gesegnet mit einer Wahrnehmungsverletzung, die einen ins Grab bringen wird, so oder so zu früh, denn es geht immer noch mehr. Berstend vor Glück, das seinen Weg findet durch all die Selbst-Zweifel und Nichtig- und Vergänglichkeiten, denn davon braucht ihm niemand etwas zu erzählen, dem Glück, das nur mein Lachen kennt, aufplatzend wie eine alte Wunde, die längst vernarbt schien, während ich staunend auf vergessene Zeiten schaue, auf Uhren, die mir halb fünf Uhr morgens anzeigen, an einem ganz normalen neuen Tag: diese kindliche Vergesslichkeit, mir selbst gestattet, trotz morgen, trotz gestern, dieses Staunen über mich selbst, das ich mir erlaube, und die Hoffnung, dass, wenn ich das Staunen empfange, vielleicht auch die andere Offenheit wieder keimen darf: zärtlich sein. Zärtlichkeit haschen. Gehen lassen. (Im Spiegel mein Körper: zu viel. Immer zu viel. Ja, du bist. Nicht nur Geist. So what?) Denn darin liegt ja der ganze Wahnsinn versteckt: in der Zärtlichkeit, die man aus gottverdammten Gründen nicht lässt. Zu. Lässt. Als hätte Gott persönlich geboten, sie zu verstecken, als Vorboten der Hölle ver-boten. Als könnte man die Verantwortung für die eigene Haut jemand anderem in die Schuhe schieben. (Wie höre ich jetzt diesen Text auf. Wie ende ich diese unaufhörlichen, unerhörten Zeilen? 00.00 Uhr. Null. Uhr. Eins. Wie das morgen aussieht? Heute ist morgen. Immer schon gewesen.)
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Klara am 24.08.2011, 13:50, insgesamt 3-mal geändert.