Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

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Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 03.07.2011, 00:52

Gespräch im Kurhotel:

Sie: "Ich nehme einfach nicht ab!"
Er: "...." (kaut)
Sie: "Mein Mann hat schon sechs Kilo abgenommen, und ich esse genau dasselbe und mache auch das ganze Bewegungsprogramm mit, und dabei nehme ich überhaupt nicht ab, kein Gramm nehme ich ab!"
Er: "..." (kaut)
Sie: "Und das Tollste ist, das Allergemeinste ist, dass er auch noch meine Portion mitisst! Ich habe abends nicht so Appetit, seit drei Tagen esse ich immer nur ein Stück Käse und schiebe ihm den Teller dann rüber, er ist das dann auf. Und dabei hat er fast sieben Kilo abgenommen. Und ich nehme einfach überhaupt nicht ab!"
Er: "Sie müssen Trennkost essen, ich esse seit fünf Wochen Trennkost und habe schon elf Kilo abgenommen!"
Sie: "Aber ich esse doch Trennkost!! Ich esse ja morgens nur noch diese Pflaumenpampe und abends keinen Fitzel Brot mehr, nur noch Tomate und ein Stück Käse, den Rest kriegt mein Mann! Und trotzdem nehme ich einfach nicht ab!"
Er: "Dann essen Sie ZUWENIG! Essen Sie mehr, dann nehmen Sie auch ab!"
Sie: "...!!!!" (schiebt angewidert den Teller weg)
Bedienung (zaghaft): "Kann ich hier abräumen?"
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 04.07.2011, 00:13

Ein bekannter Schauspieler. Behaupten meine Gesprächspartner im Speisesaal, zitieren die Fernsehzeitung, geben Sendezeiten an, nennen ihn „den anderen Dicken, neben dem, den Sie kennen, dem berühmten, Sie wissen ja“. Vorabendprogramm. Gucke ich nie. Den berühmten Dicken kenne ich, den anderen Dicken nicht. Auch nicht, als er mir endlich gezeigt wird, nachmittags auf der Sonnenterrasse. Er sitzt im Rollstuhl und trinkt Bier. Vor sich die Zeitung, die Zigarettenschachtel.
Er will nicht angesprochen werden, teilt man mir mit. Dann wird er grantig. Vorsicht. Keine Autogrammwünsche.
Das glaube ich gern. Er sieht explosiv aus mit dem feuerroten Kopf, dem Doppelkinn, den finster gerunzelten Augenbrauen. Er trägt Spezialschuhe, die nicht zum Laufen taugen, was auch sinnlos wäre, da er ohnehin nicht laufen kann. Die Schuhe sind oben und unten dick gepolstert. Er raucht ununterbrochen. Liest die Zeitung. Verharrt eine Viertelstunde lang mit in den Kopf gestützter Hand. Bejaht dem Kellner, der das leere Glas wegräumt und „noch eins?“ fragt. Ein neues Glas wird hingestellt. Neue Zigarette. Einen Käsekuchen.
Abends im Speisesaal belehrt man mich, dass er sicher schwere Sorgen habe, er habe schlimme Diabetes, nicht wahr, und die Ärzte wollten ihm einen Fuß „abnehmen“. Abnehmen. Komisches Wort. Die meisten hier wollen abnehmen. Das ist das Grundübel. Man nimmt den Leuten das Gepäck ab, den Therapieplan bei Betreten des Schwimmbads, das Handy, die Anamnese (was mich immer an Amnesie erinnert) und mit zweifelndem Zungenschnalzen die Behauptung, dass man gar nicht recht wisse, wieso man überhaupt hier sei, da Blutdruck Zucker Gewicht Alkohol Nikotin doch alles im Rahmen sei.
Der bekannte Schauspieler, denke ich ein wenig patzig, sollte sich nicht so anstellen. Dem Aussehen nach ist er mindestens Mitte sechzig. Trinkt Bier und raucht Kette. Warum auch nicht. Er kann sich ja zur Ruhe setzen.
Am nächsten Tag sehe ich den bekannten Schauspieler das erste Mal lachen. Es geschieht im Fitnessraum. Er fährt mit dem Rollstuhl ein Gerät, dessen Zweck ich aus meiner Position (auf dem Trainingsfahrrad sitzend) nicht genau erkennen kann, aber er steckt seine Chipkarte ein, zieht probeweise an den Haltegriffen, setzt sich in Positur, bringt die Zeitung in Anschlag, liest einen langen kleingedruckten Artikel (sicher Feuilleton), zieht dabei rhythmisch an den Griffen, dass die Adern an seinen dicken Armen hervortreten, bläst die Backen auf und lacht über etwas, was in der Zeitung steht.
Da haben die Ärzte wohl Entwarnung gegeben, sagt man mir im Speisesaal. Der Fuß darf dranbleiben. Nachmittags sitzt er auf der Sonnenterrasse, Bier und Zigaretten neben sich, blinzelt in die Linde hinauf, grüßt den Kellner: Noch eines bitte.
Neugierig geworden, suche ich ihn nach meiner Heimkehr bei Google und stelle fest, dass er fünf Jahre jünger ist als ich, noch nicht mal fünfzig. Bisschen früh für Ruhestand.
Im Kloster Benediktbeuern habe ich mir eine Postkarte gekauft. Sie zeigt einen Hasen mit aufgerichteten Ohren und Aufschrift. Linkes Ohr: Da rein. Rechtes Ohr: Da raus.
Ich nehme mir die Zeitung vor, suche nach dem Vorabendprogramm. Auf den Googlefotos lacht er. Immer.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.07.2011, 00:21


Viele Blicke werfe ich zurück, fliege in Zeitraffer durch mein Leben und sammle alle lachenden Augenblicke. Pack sie in einen seidenen Beutel und gehe zum Fluss. Ich öffne den Beutel, streue das Lachen in meine Zukunft. Die Strudel wirbeln die Augenblicke durcheinander. Gut so. Ich lass mich überraschen.

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.08.2011, 17:16

Erneut bestimmt ein schwarzer Hund den Tagesablauf.
Erinnerungsmuster ohne Wiedererkennungswert wirbeln durch ein Chaos.
Worte so karg wie Gedanken üppig, verstaubt Sprache beim Räumen.
Ranzige Sätze ihrer möglichen Bewegung entledigt, erstarren im Diffusen wo es kein Entrinnen und auch kein Verorten gibt.
Ich hole mir ein Lächeln aus dem Fluss.

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Eule
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Beitragvon Eule » 14.08.2011, 02:22

... und schwappe die Böschung hoch, meine Läufe kämpfen gegen das Abrutschen, der Himmel kippt, steht Kopf, seitlich quer, flimmert, bis ich wieder festen Halt spühre. Ich schüttle die Tropfen aus meinem Fell, knurre leise, nehme Witterung auf, jage versuchsweise einer Kaninchenspur nach, die immer schwächer wird. Es wird Zeit, denke ich, mein Hunger läßt mir keine Wahl, bringt mich auf die richtige Fährte und führt mich zuverlässig in den Bau. Mein Beherrscher begrüßt mich freundlich, streicht mir übers Fell, füllt meinen Teller und ich höre die vertrauten Stimmen meiner Familie. Pass doch auf, sagt Mama gerade, der Hund bekommt eh schon zu viel. Folgsam hebe ich die Pfote.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 14.08.2011, 11:28

... und verziehe mich schmollend auf meinen Platz wohlwissend, dass meine Menschen im Recht sind, ich es mir mit ihnen nicht verderben darf, denn Sie haben den Schlüssel zum Kühlschrank. So wedele ich mich durch mein Leben, direkt mitten in Menschenherzen hinein. Sätze wie: „Das Glück hat eine kalte Schnauze“ oder „Auf Nero ist Verlass“, lassen auch mein Herz schneller schlagen, obgleich es nur Buchtitel sind, die meine Frau neulich erwähnte. Aber sie ist es auch, die lange Spaziergänge mit mir macht und mich ausgiebig schnüffeln lässt, damit ich die neuesten Nachrichten aus dem Revier aufnehmen kann. Bei ihr darf ich in den Fluss. Sie wirft mir einen Stock – nicht Stöckchen. Da macht es Spaß, so zu tun, als hätte sie mich im Griff.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.08.2011, 16:57


Und sie nahm den Stock, brach ihn über ihrem rechten Schenkel entzwei, wankte zum Fluss hinunter, warf sich hinein und schwamm auf einem Lächeln fort.

Gerda

Beitragvon Gerda » 20.08.2011, 09:40

Fortschwimmen auf einem Lächeln. Wie das wohl wäre. Vielleicht, als ob man gewiegt wird.
Es könnte aber auch sein, dass das Lächeln die Tarnung des Flusses ist, dir Täuschung, und der Fluss nach der nächsten Kurve zum reißenden Strom wird, der alles wegspült, als hätte es das bisschen Leben nie gegeben. Möglich ist genauso, dass er ganz ruhig, ohne ein Wässerchen zu trüben Richtung Meer, fließt dich mitnimmt auf die lange Reise.
Wenn du nichts wagst, deine Neugierde begräbst bist du sowieso schon gestorben.
Schmeckst du das Salz auf den Lippen?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 22.08.2011, 01:24


die nacht ist ein fluss. wenn ich sie zu mir lasse, berühre, in mir fühle. fließt sie in mir, umgibt mich ihre dunkle haut wie ein weiches kleid, lässt mich in den schlaf schwimmen. kein wehren, kein gegen, nur zulassen. mit ihr das lied der schatten singen.

Klara
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Beitragvon Klara » 24.08.2011, 00:00

Vor ein paar Tagen hab ich mich wieder unter Menschen gewagt, wie man so schön sagt. Tatsächlich. Unter. Menschen. Es wurde sogar spät (bin sonst so "solide", so täglich), ungewohnt, und es war auch gar nicht so viel Alkohol die Kehle hinunter geflossen (das muss ich noch üben, das Weitertrinken, instinktloses Sein, gegen den Brechreiz, gegen das Besserwissen, das Spaßhaben, das Nehmen), denn ich vertrage nicht so viel, dass ich eine Nacht durchstehe ohne viel Wasser und Salzstangen und eine gute Nahrungsgrundierung, damit man noch stehen kann, und gehen, wann es passt, vor der Übelkeit, vor der Reue, doch wir haben die Kurve gekriegt, die Freundin und ich, bevor die letzten die Bar verließen, in der wir einen überraschend lustigen und, ja tatsächlich, unterhaltsam unlangweiligen Abend verbrachten (waren ungefähr die Vorletzten, haben den Letzten den Vortritt ins Paradies der Ersten überlassen). Das Überraschende war das Beste daran, inklusive der überraschenden Feststellung, dass es schon halb fünf war, draußen, auf der relativ nüchternen Uhr, und ich hab nicht mal gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Zeitvergessen bei all dem Geplänkel und Gekicher und Komplimente-Geben und –fischen, alles Lüge, alles wahr, alles einfach nur so. Man sollte das üben. Das Trinken. Das Vertragen. Das Sich-Ertragen. Das Späte. Das Zumirkommen. Das Mich-Lassen. Üben wie Yoga. Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, Baby! Denn Trinken mag eine Krankheit sein, doch nichts trinken wäre mindestens so schädlich, und die Gloriole der Rechtschaffenheit glänzt auch nur so üppig neben dem matten Gold der verkrachten Liebe. Die Sünde, die wir suchen! Sie findet sich nicht, aber wir suchen, zumindest in Gedanken (was immer das ist: das Sündigen, die Gedanken), und das Leben als solches wäre nichts anderes als ein Balancieren, zwischen sich und Welt und Abgrund, Gewinnen und Verlieren, Bana- und Genialitäten, Hin- und Her, Hass und Vergebung, und vielleicht gibt es auch irgendwas dazwischen, wenn man nur gerade bleibt, gut bleibt, etwas neben der Reue und der Rückschau und der vergeblichen Hoffnung, denn es liegt - man spürt es! man wittert! - so viel Kostbarkeit dazwischen, zwischen dem Heiraten und der Beerdigung, man ist so viele, so vieles auf einmal, und nicht nur deshalb ließe sich dieses merkwürdige Leben lieben, so unsagbar trotzig leben, trotz oder wegen all der Kontrolliererei mit so viel Unbändigkeit lieben, ziellos, dass ich mich ständig am Riemen reiße, reißen muss, weil da so viel Lust ist, (wo soll man damit hin? Wie lange hält der Riemen?) (bei der Last), und so viel wüstes Herz! (in der kalten Wüste), wer wollte davon wissen, von dieser Schwere der Leichtigkeit? Von der Leichtigkeit der Schwere? Von der Leichtigkeit des Seins können nur die charmanten Lügner sprechen. Die meinen das ja gar nicht ernst: Nein, so wiegt man das Leben nicht, unsereins, im sogenannten Hierundjetzt. Hier! Uns! Keinen Hauch könnte man ernsthaft von der Wirklichkeit mitteilen, auch wenn man noch so wenig Worte fände, serviert an Zwiebelknoblauchalkoholübungsatem, an gezwungenem Lächeln mit Sorgenfalten auf der Stirn, weil man sich sorgt und alt wird, weil man zu viel nachdenkt oder traurig ist, was hässlich macht – und plötzlich so schön wird, wenn man das Denken fliegen lässt, auf die Schnauze, gen Himmel, oder Kanu fahren, die Elbe hinunter, an eben wiedergeborenen Bibern vorbei, die leise miteinander sprechen, paddeln, hin zu der Liebe, die nichts mit morgen oder gestern oder irgendeinem Ort, einer Person zu tun hat, und alles, doch alles meint, ein Else-Lasker-Schüler-Verzweiflungsglück trinkend, ertrinkend, ohne deren Genie, dafür geschlagen mit einer Dankbarkeit, gesegnet mit einer Wahrnehmungsverletzung, die einen ins Grab bringen wird, so oder so zu früh, denn es geht immer noch mehr. Berstend vor Glück, das seinen Weg findet durch all die Selbst-Zweifel und Nichtig- und Vergänglichkeiten, denn davon braucht ihm niemand etwas zu erzählen, dem Glück, das nur mein Lachen kennt, aufplatzend wie eine alte Wunde, die längst vernarbt schien, während ich staunend auf vergessene Zeiten schaue, auf Uhren, die mir halb fünf Uhr morgens anzeigen, an einem ganz normalen neuen Tag: diese kindliche Vergesslichkeit, mir selbst gestattet, trotz morgen, trotz gestern, dieses Staunen über mich selbst, das ich mir erlaube, und die Hoffnung, dass, wenn ich das Staunen empfange, vielleicht auch die andere Offenheit wieder keimen darf: zärtlich sein. Zärtlichkeit haschen. Gehen lassen. (Im Spiegel mein Körper: zu viel. Immer zu viel. Ja, du bist. Nicht nur Geist. So what?) Denn darin liegt ja der ganze Wahnsinn versteckt: in der Zärtlichkeit, die man aus gottverdammten Gründen nicht lässt. Zu. Lässt. Als hätte Gott persönlich geboten, sie zu verstecken, als Vorboten der Hölle ver-boten. Als könnte man die Verantwortung für die eigene Haut jemand anderem in die Schuhe schieben. (Wie höre ich jetzt diesen Text auf. Wie ende ich diese unaufhörlichen, unerhörten Zeilen? 00.00 Uhr. Null. Uhr. Eins. Wie das morgen aussieht? Heute ist morgen. Immer schon gewesen.)
Zuletzt geändert von Klara am 24.08.2011, 13:50, insgesamt 3-mal geändert.

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noel
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Beitragvon noel » 24.08.2011, 12:53

danke klara
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Gerda

Beitragvon Gerda » 29.08.2011, 10:45

Vom Trinken um sich ertragen zu können

Anfangs schlidderst du hinein, weil es dich leicht macht. Du fühlst nicht mehr die Last, die du dir bist. Nach einem Glas Wein, wenn du es nicht schon gewohnt bist zu trinken, fühlst du dich nicht mehr abseits und unbequem und nach dem zweiten, glaubst du gar daran, Mittelpunkt der Party zu sein. Spätestens nach dem dritten schwimmst du auf einer Woge der der Zuwendung, die du selbst in Bewegung gesetzt hast, weil der Wein dich leichtsinnig und weich stimmt. Am Ende dann, kommst du nicht wieder heraus. Es geht wie von selbst. Solange, bis du nicht mehr du selbst bist. Nur noch die Marionette deines Trinkens. Der Alkohol hält die Fäden in der Hand. Der Alkohol ersetzt Gefühl und zersetzt es zugleich. Es wird das Wichtigste in deinem Leben, dass du immer genügend Stoff in Trinkweite hast. Dass du trinkst um dich ertragen zu können ist nur noch fadenscheiniger Vorwand. Du hast keine Wahl mehr.
Muss es zu Beginn deiner Saufkarriere, ein guter trockener Roter sein und das zum Getränk passende Glas, wird die Qualität immer unwichtiger und es dauert gar nicht lange, du wirst es sehen, fällst du auch diese Konventionen. Du bist, wenn dich keiner sieht, beim Trinken aus der Flasche angelangt.
Über eine lange, lange Zeit, schaffst du es, nach Außen hin, das Bild der schönen-klugen-lebenslustigen und –hungrigen -geselligen Frau aufrecht zu erhalten. In Gesellschaft begibst du dich nie, ohne dass der Pegel vorher stimmt. Du fällst nie durch den „Genuss“ zu großer Mengen Alkohols auf. Ein stiller Beobachter würde sich wundern, dass dein Lachen nach ein zwei Glas Wein schriller ist, als kurz zuvor, dein Blick verschwommener und deine Schritte ein wenig an hohen Seegang erinnern. Ansprechen wird er dich nicht. Vielleicht später Abschleppen.
Morgens früh ist dein erster Gang noch der, zum Wasserhahn in der Küche um die Schmerztablette hinunter zu spülen. Sobald du sie geschluckt hast, folgt der Blick in den Spiegel und dieser manifestiert dein Gefühl für die Unerträglichkeit des Seins. Noch sind deine Hände ruhig, beim Öffnen der ersten Flasche eines preiswerten Roten, aus dem Angebot einer großen Supermarktkette. Aber auch das wird sich ändern, verlass dich drauf.
Ein kräftiger Schluck, noch einer und noch einer. Jetzt unter die Dusche, dann erneut zum Spiegel. Du erkennst dich jetzt wieder, das was du siehst, stimmt mit dem Bild, was du dir von dir gemacht hast überein. Alles fühlt sich jetzt besser an. Die Wärme im Bauch, die frisch-feuchte Haut. Du schaltest das Radio an. Greifst nach der Flasche, stellst sie wieder ab und machst dir entschlossen einen Kaffee. Dann drehst du dich zur Musik, weil das Leben leicht ist und du dich spürst und dich ertragen kannst. Du wünschst dir dass der Teppich ein fliegender wäre. Du gingst auf und davon, ohne Erdenschwere, ganz leicht dem Blau entgegen. Doch im Fliegen wird die Erlösung nicht zu finden sein.
Vielleicht, nach einem heilsamen Absturz, aber davon ahnst du noch nichts.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 31.08.2011, 23:47


Die Hölle hat so viele Gesichter. Wenn ich sie betrete, trage ich kein Leinenhemd. Wenn ich in sie hineinfalle, trage ich keine Flügel. Wenn sie sich mir auftut, kneife ich die Augen nicht mehr zu. Ich keuche: "Ach, du schon wieder!"
Ringe nach Luft, werfe den Höllendurst über Bord und gehe weiter. Bis zum nächsten Rendezvous.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.09.2011, 13:01

Geschichten in denen die Füchsin schläft

Es sind die schmalen, weichen Pfade, auf denen ihr niemand begegnet, als der, dem sie erzählt.
Wahrscheinlich heißt das einfach sich, wenn man es ganz nüchtern betrachtet. Solistisch, solipsistisch, solipsissimuss. Sie dreht sich zum Zischeln, um es zu unterstreichen, um sich selbst herum. Und doch bleibt ihr der Zweifel des Kusses. Und wenn die Sonne durch die hohen Stämme ihre Bahnen wirft, sich aufs Moos setzt, als warte sie nur darauf gesehen zu werden. Gesehen! Wie sie den wachsenden Mantel zum Leuchten bringt, oder ist es anders herum? Da würde man nichts verlieren müssen, jeder Zweifel wäre ein Amen und einfach nur atmen aus der Tiefe des Waldes heraus, in die man hier sieht.
Am Rande der Felsen erscheinen die Rehe, wie jeden Morgen. Sie zwinkert ihnen zu und denkt: Idylle! und sieht schon wie sie rollen, die Augen, über dieses Wort. Als ob dazu nicht auch der Geruch der frischausgebrachten Gülle zählte, die sich so fein reimt, die Haare eines gerissenen Tieres, die sich im fuchsbandwurmgetränkten Heidelbeergesträuch verfangen haben und nun wie Gespinste wehen über die schwarzen Köttel neben ihrem Schuh. Der Hund steht gebannt, wie in eine Fotografie und reckt die Nase in die Luft.
Auch dann ist die Hand nur ein Gedanke entfernt. Schon federt der Boden unter den Füßen. Ach, Worte sind Scharlatane und wir bezahlen jeden Tag für sie. Und doch wird ihr warm, bis sie leuchtet. Die Sonne, die Sonne! Sie winkt mit dem Kopf vorbei an den Höhlen, bei denen man nur die Schwärze des Eingangs sieht.
Im Tal schmeichelt noch Hesses Nebel um die greifenden Ästen und sie fragt, ohne Stimme, wie weit Geschichten tragen. Ob ein Bachlauf steinisch spricht, weil er aus dem Felsen geboren ist. Und als sich die Schleppleine an einer Wurzel verfängt: warum es Kopfbahnhöfe gibt, ob man immer erst ein Stück rückwärtsgehen muss, bevor man die neue Richtung in der Magengrube spürt.
Noch ein kleiner Umweg am Taubenschlag und dem Pantoffelmann vorbei. "Pfiat di Gott."
Alltäglichkeiten sammelt sie wie Steine in den Sohlen. Ob es wirklich Hunde gibt, die nicht jagen und welche Marmelade man zum Frühstück ist. Dass man hier den Ball nicht so weit werfen kann, wie die gemähte Wiese reicht. In den Seen dort unten weiden Spiegelkarpfen, die zu Ostern auf den Tellern landen, keine Kois. Und wie täuschend die After-Eight-Minze zwischen den Fingern riecht und doch bitter auf der Zunge liegt. Ob der bärtige, filzbehütete Mann, der im Morgengrauen Kräuter pflückt ein Urkostler ist, weil Kaninchen doch keinen taufeuchten Löwenzahn vertragen, und wie es hier wohl im Winter aussieht, oder mit anderen Augen.
So flattert die Prosa in ihrem Kopf. Wenn sie schreibt, kommt es ihr vor, als wiederhole sie sich.

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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