Versuch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Eule
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Beitragvon Eule » 30.09.2011, 10:13

Versuch


aber verschwunden
versteckt bis zum abend

gehen jahrtausende
durch die milliardenatome

minutenweise stockt der
atem vielleicht gibt es uns
Ein Klang zum Sprachspiel.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 30.09.2011, 13:40

Hey Eule, Karl Popper hat es ja seinerzeit als Skandal angesehen, dass die Philosophen darüber stritten, ob diese Welt überhaupt existiere, während die Menschheit sich mit „pragmatischen“ Problemen herumzuschlagen habe. In der akademischen Philosophie stehen die Positionen wohl fest. Den Solipsismus vertritt kaum noch jemand, (also dass nur ich existiere und alles andere meine Einbildung ist). In der Lyrik diese Frage aufzuwerfen, ob es uns überhaupt gibt, hat eine andere Wertigkeit. Ich finde es sehr reizvoll; man wird angeregt, alles nochmal zu überdenken oder besser, sich intuitiv damit auseinanderzusetzen. Der Solipsist behauptet sich ja schließlich immer noch, ist resistent gegen Logik.

Lieber Eule, ich habe deinen Text gerne „inhaliert“.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Jelena

Beitragvon Jelena » 02.10.2011, 06:14

Lieber Eule,

ein nachdenkliches Gedicht, dass sich beim ersten Lesen nicht gleich erschließt. Es trägt für mich einen Anflug von Aphorismus.
Der ständige Versuch der Selbstsicherheit findet bei Tageslicht statt, wenn wir absorbiert sind von Gedanken, Handlungen, Kommunikation. Dann ist es leichter zu glauben, dass es uns tatsächlich gibt.
Mit dem Abend kommt die Dunkelheit. Wir können während einer klarer Nacht tief in den Raum und in den Sternenhimmel schauen und die Milliardenatome werden uns bewusst. Uns stockt vielleicht der Atem gegenüber dieser unbekannten Größe und vielleicht sind wir uns dann nicht mehr sicher, wer wir sind und ob es überhaupt möglich ist, dass wir irgendeine Bedeutung haben. Selbst unser Atemstocken hätte nur die Winzigkeit einer Minute im Vergleich zu dem, was sich weit über uns auftut. Dieser Augenblick wäre der Versuch des Zweifelns am eigenen Selbst und vielleicht würde das Ich sich dadurch sogar näher gekommen. Er kann nur so kurz dauern.

Gerne gelesen, Jelena.

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Eule
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Beitragvon Eule » 02.10.2011, 15:34

Hallo Kurt, hallo Jelena, danke für Eure positiven Kommentare ! Der Solipsismus wird manchmal als narzistischer Standpunkt interpretiert, ist aber im Grunde vielleicht nur eine Art von Existenzialismus.

Die Frage nach dem Selbst oder dem "Wesen" der Wirklichkeit begegnet den meisten Menschen dagegen viel häufiger und könnte dann auch als Erstaunen, als Versuch zu verstehen empfunden werden.
Ein Klang zum Sprachspiel.


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