Untergrabene Gänge von Gedanken und Gedankengängen

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Kurt
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Beitragvon Kurt » 01.10.2011, 00:51

Käseschmierig von Geburt, aus düsterer Höhle, zeigt’ ich der Welt den Steiß. Sie streckte mir den ihren hin, ein wahres Arschgesicht. Hatte mich daran verschluckt, verharrte in eigener Dunkelheit. Ein Maulwurfsdasein. Meine Rache war jedoch süß. Kandisberge versetzte ich, gehörige Brocken ins Licht zwischen die Leute geworfen. Sie schmolzen dahin, ärgerten sich grau an meinem Scheinhaufen. Kein Maulwurf weiß es – aber ich immer noch füttere die Hoffnung, den Nacktmull um mich; nur wächst ihm kein Fell. Zuhause habe ich meine Fenster mit Blumen verstellt, in den langen Diskonächten den Geist mit Drogen. Meine derzeitigen Vergnügungen entarten zunehmend in einen Umkehrprozess zur Lebensfreude, bedeuten Spießrutenlaufen vorbei am schmerzhaften Bewusstwerden grau erlebter Alltagsrealität, sind Rettungsversuche auf scheinbare Glücksinseln. Offenbar hat sich der Blick, die Gewohnheit, mit der ich alles automatisch erledigte, verändert. Nur das Bewusstsein hat es noch nicht angepasst, wird untergraben von Unzufriedenheit; das Wissen um sie tritt zunächst vage auf im verborgenem Spiel geistiger Hemisphären. Die Magenader singt gegen Angst domauf vom Puls vergangener Zeit. Auf seichtem Seelengrund die Badener Spätlese spült Trübsinn aus der Wohlstandswampe, inkarnierter Humor, dem Fugentod entwichen, fängt zu stinken an, ein bleierner Rettungsring sucht Auftrieb – vor den Spätmeldungen der letzte Furz. Ohne Würde ist der Mensch wie ein Akku ohne Spannung. Ich krame in den cerebralen Schließfächern, stöbere unkoordiniert herum in jenem hermetisch zur Außenwelt abgeschotteten Gezeitenraum, fern der Raumzeiten. Wenn ich nicht gerade Kandisberge versetze, bewege ich mich im Kreis auf meinem Gedankenstrahl. Circulus vitiosus – alles andere wäre vermessen. Ich hatte zu viele große Denker erlebt, mit kleinen Brettern vor den Köpfen, womit sie sich zierten. Man riss sie ihnen herunter, zimmerte sich komplette Hütten draus. Columbus wusste, die Erde ist rund und man kommt so an seinen Aufbruchspunkt zurück. Ich laufe ebenso herum, denn wer sich nicht fortbewegt, würde Amerika nicht entdecken, weder aufs verschollene Bernsteinzimmer treffen noch zu sich selber finden. Den muffigen Schleier über den Erinnerungen werde ich außerdem wieder einmal lüften müssen wie die Matratze im Frühling. Erlebnisse einer kalibrierten Vergangenheit öffnen sich in die Gegenwart, doch sie sind nicht in der Lage ihren innewohnenden Glücks- oder Unzufriedenheitszustand freizusetzen für mich im Jetzt. Ich denke an meine Exgeliebte Nadine – trockene Bilanzen, Historie, mit der man zufrieden sein kann, die aber nicht wiederverwendbar ist, um einen in der Gegenwart zu befriedigen oder exzessiv zu enttäuschen. Nadine versuchte stets ihre Ehre, gerade wenn diese besudelt war und das Gewissen sie drückte, demonstrativ wie ein weißes Friedenstuch herauszuhängen, beschwörend kundzutun, aber gleichzeitig behielt sie den Finger am Abzug des Gewehres und irgendwann ging es in immer die gleiche Richtung los. Unsere Freundschaft war nicht mehr wert als eine Verbindung, die scheinbar entsteht, wenn man Wasser mit Sand in einem Glas verquirlt. Wunderschönes Eisblumengespray haftete an den Butzenscheiben, als ich Nadine aus den Augen verlor und sie sich wieder einmal bereitwillig von Franz Lüdeking, meinem ungeliebten Nachbarn, ficken ließ. Ich hätte gern weggesehen, aber der Blick hinaus war vereist. Jahre zuvor hatte ich noch versucht, Franz aufzuklären, hatte ihm an einem Beispiel klar gemacht, was „paradox“ bedeutet: „Franz“, sagte ich, „wenn man dieses Teil nach dem Bad trocken rubbelt, umso nasser wird es.“ Fragte Franz: „Was für ein Teil soll denn das sein?“ Ich darauf: „Die Möse einer Frau.“ „Kann nicht sein“, widersprach der ständig besserwisserische Franz, „habe ich schon längst bei der scharfen Liesbeth von nebenan ausprobiert.“ „Siehste Franz“, entgegnete ich, „das ist ja das Paradoxe – ich auch.“ Nun versiegele ich geschwind dies Erinnerungsfach als Mahnmal für die Ewigkeit, öffne weiter entfernt ein Fenster. Auch hier streicht mir der störrische Blick hinter die unpassierbare Krümmung die Geige nicht, obwohl ich frühlingstrunken suche sie zu entblättern, meine geflutete Leidenschaft zum Entlauben. Im Freien Fall befinde ich mich längst, schwerelos im All, über den kindlichen Horizont von der rasanten Erde gestolpert in die Flugangst. Es zeigt sich eine von Rost angefressene Landmine auf der Lauer. Eine Schnecke kommt des Weges, will gerade vorbeiziehen, als die Landmine sie aufhält: „Wohin des Weges, meine Beste?“ Das Weichtier erschrickt: „Ich will über diesen Berg hier.“ Die Landmine erwidert: „Liebe Schnecke, was willst du einen so beschwerlichen Aufstieg machen. Du brauchst nur durch mein Rostloch zu kriechen, den Zünder auslösen, und ich werde dich sogleich über den Hügel heben.“ Und so erfüllte sich für die Landmine ein blitzartiges, aber herrlich hochexplosives Leben. Ja, das Glück gebührt den Gewitzten. Die Schnecke war ich. Auch dieses Türchen schließe ich ohne Erregung. Im vorletzten Fach meines kreisrunden Gedankenganges sehe ich meine Frau Ellen auferstehen und wie wir dasitzen auf einer Parkbank in unserem letzten gemeinsamen Urlaub auf Teneriffa. Zuweilen war mir diese eheliche Geborgenheit wie Käseglocken über brennenden Kerzen. Und Ellen konnte so tröstlich sein … Ich höre uns noch sprechen: „Wie die Zeit vergeht.“ Sie darauf: „Ja, schau meine grauen Strähnen.“ Ich: „Ach, was soll ich erst sagen, drei Haare sind mir geblieben.“ Sie: „Aber sie haben immer noch diesen wundervollen Schimmer.“ Mein damaliger Chef Jonny Rothschild hatte aber einen weitaus schillernderen Mercedes 600. In diesem brannte sie konsequenterweise mit Jonny durch. Voll in die Scheiße …? Eine sichere Form von Glück wäre, wenn man mitten in der Großstadt mittig in einen Kuhpabs träte, wo mittendrin sich ein unverdautes mittelmäßiges vierblättriges Kleeblatt befände und mitten drauf ein Marienkäfer säße, der dann noch das Glück hätte, unversehrt aus der Nummer zu entfleuchen mitten in der Nacht. Klappe zu und zum letzten, wichtigsten und alles in Frage stellenden Bereich, dem Lebenssinn an sich – gibt’s den? – wage ich einen Einblick. Aber leider, in Gesichtsfalten und Gehirnfalten habe ich keine Erkenntnis zu verbuchen gehabt – elende Leere. Unsere Ideale sind wie Rockzipfel, die uns voraus eilen. Die Wahrheit über unsere Welt war mir nicht mit Vernunft zu ergründen, so probiere ich es zukünftig mit Nonsens. Früher ging ich immer in die Natur, um Trost zu finden, denn ihr Busen ist am größten, oder ich legte mich in einen Sarg zur Probe, seit die Glühwürmchen verglimmt schienen, und nachdem meine letzte Liebschaft mich hier hocken ließ in sinnlos gewordenem Möbelplüsch, während meine Blicke beim Abschied sich an sie klammerten wie rammelgeile Kaninchen und es mir vorkam, als hallten ihre Highheels nach mir trotzend auf dem Asphalt vor dem Wohnblock zwischen dem Spalier von rosarotem Rugosa. Wollte mich in jener lauschigen Nacht stürzen im Kick mit dem Strick um den Hals am Brückengeländer gezurrt, oh Heureka – in unbekannte Tiefen. Dann bremste mich dieser Widerhall, im Gehör das Mahnen ihrer Highheels auf dem Asphalt, und ich rannte zurück durch’s Spalier von rosarotem Rugosa. Leider hatte ich die Botschaft der Highheels gründlich missverstanden und musste mich in die unfreiwillige Einsiedelei ergeben. Und nun ist das Erste, was ich machen werde, ich begrüße den nächsten Mitmenschen um mich, Dimitrippi, einen User im Internet, und interessiere mich, wie es ihm so ergeht in seiner Vorstellung von Wahrheit und empiristischem Wahn, als wenn ich mich daran erwärmen könnte.

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Beitragvon Mucki » 05.10.2011, 00:20

Hallo Kurt,

diese kritische Reflexion wird dem Titel sehr gerecht. Der Erzähler gräbt und windet sich hier wie ein Maulwurf durch düstere Gänge. Doch dieser Maulwurf hat Augen. Er fokussiert die Fallen, die ihm gestellt wurden und die Fallen, die er sich selbst stellt. Vor allem diese. Er versucht, sich die Gräben wegzudenken, doch es gelingt ihm nicht. So hält er sich fest an Erinnerungen, als wolle er eintauchen in Zeiten, in denen er nicht blind umherirrte, sondern der Wissende war, um dann diese Schubladen zu schließen, doch auch dies gelingt ihm nur scheinbar. Schließlich erklärt er trotzig und frustriert, sich selbst und die großen Denker gleich mit vom großen Podest stoßend, das aberwitzige Kleine zum großen Glück, das so unwahrscheinlich ist, dass es auf diese Weise nie geschehen kann, um letztendlich in der Einsamkeit, in der erkannten Einsamkeit anzukommen. Er, der von Anfang an betrogen wurde und es der Welt zeigen wollte, zeigt es sich hier selbst auf.

Ein Text mit vielen verschlungenen Pfaden, intelligenten Wahnvorstellungen, bizarren Auswüchsen, die den Circulus vitiosus dieses Menschen auf faszinierende und verschlingende Weise anschaulich ausmalen.

Saludos
Gabriella

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 05.10.2011, 10:27

Hallo Kurt,

ich fand das sehr anstrengend zu lesen und nicht auf eine Weise, die für mich letztlich für den Text sprechen würde, woraus sich eine Reibung oder ein Nachhall ergibt. Du hast viel hineingepackt, man wird meinem Gefühl nach tatsächlich über- oder verschüttet und nicht mit hineingenommen in die einzelnen Gänge und das System. Es blieb bei mir wenig hängen.
Vielleicht würde sich daran schon durch eine Gliederung in Absätze, Leerzeilen, etwas verändern, oder den Einsatz von Klammern um Einschübe sichtbar zu machen.
Das Ende gefällt mir gut.

Zwischen dem eingestellten Bild und dem Text entwickelt sich für mich keine Spannung oder ein Zusammenspiel. Ich weiß nicht, wie sie "zusammenhängen" und aufeinander auswirken sollen?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Beitragvon Mucki » 05.10.2011, 11:18

Flora hat geschrieben:Zwischen dem eingestellten Bild und dem Text entwickelt sich für mich keine Spannung oder ein Zusammenspiel. Ich weiß nicht, wie sie "zusammenhängen" und aufeinander auswirken sollen?

Für mich setzen diese Bilder mit dem Titel "schöne bunte Welt" quasi einen sarkastischen Kontrapunkt zum Text, der genau vom Gegenteil erzählt.


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