Beitragvon Peter » 02.03.2012, 23:30
Augen Welt?
Diese ... Art und Weise, die sich in der Erwartung von Dingen verbirgt, dieses ... angstdurchlichterte Folienwerk, worin Gesichter aufziehen und Handlungen geschehen, die es doch nie geben wird ... oder doch?
Dass ich morgen ein Gespräch haben werde, war die Woche lang ein offenes Fenster, an das ich Tücher warf, an das ich Träume schob, gegen das ich die Bettdecke hob, gegen das ich lebte und dachte und das mich doch fortwährend durchdrang. Ich könnte wegsinken vor Müdigkeit, hinfallen vor diesem seltsamen Rätsel dieser Art und Weise, die sich in der Erwartung von Dingen verbirgt.
Wer ist das, der da ewig geistert, der ein Gesicht trägt, das von meinem Gesicht nicht lässt; dessen Blick mich in Bann hält; dessen Gedanke mich richtet und der mich ständig auslegt zu ebenso geisternden, flackernden Schatten.
Wäre das Gespräch schon den Tag später gewesen und nicht um diese Woche verschoben, hätte ich zwar auch ein Geistern erlebt, aber da es nun diese Woche war, kam es mir immer mehr zu Bewusstsein, dass ich geistere.
Was ist es denn, was ist es immer wieder, was ist dieses Etwas, das sich in der Erwartung verbirgt, was diese unermessliche Kommunikation, dieser erstickende Zufluss - freier? - Luft.
Werde ich das Gespräch hinter mir haben, werde ich lachen oder erleichtert sein oder mich wundern. Es wird wenig gewesen sein, verwunderlich klein, ein Mensch, ein Raum, ein paar Worte, nicht wert, darüber zu sprechen.
Aber was ist es jetzt, was sind all diese Dinge in diesem großen Jetzt, das so offen steht und sich hereinbricht, als wären oben die Dachplatten aufgebrochen und es schüttete sich ein heimlicher Stern über uns aus, sodass wir an den Schatten, die sich von uns werfen, fast ertrinken.
Ein mächtiges, ein übergroßes und man kann nicht sagen: freundliches? furchtbares? hässliches? notwendiges? wirklich gegenwärtiges? oder eher vergangenes? Licht.
Seit frühester Zeit war es dieses Licht; es ließ uns nicht schlafen, als wir noch Kinder waren, und es wird uns nicht schlafen lassen, wenn wir alt sein werden. Es ist immer da; es fordert, es zwingt, es erhebt, es verwirft. Und unsre Augen, die sich nicht schließen können, geistern vor Begegnungen, die keine sind.
Ich weiß nicht, wie oft, wie viele Male ich inzwischen vor jenen hintrat, mit dem ich morgen das Gespräch haben werde; wie viele Male ich mich umwandte, mitten aus anderem, um das Gespräch zu führen. Immer bereit, immer da, immer bereit und da, wie es das Licht selbst ist.
Dabei kenne ich jenen Menschen. Oder zumindest: ich weiß ihn etwas. Das müsste das Fluten eindämmen. Aber da das Gespräch andrerseits nur ein Moment einer Folge sein wird, dahinter der Arbeitsvertrag, noch mal ein Gespräch, dahinter die Arbeit, dahinter die Frage, was sie sein wird ... reißt mich das ganze hinfort.
Mein Gott, dieses Fluten; es sind doch gar nicht die Dinge selbst, die uns überfordern und die in ihrer Einfachheit oft nur lächerlich sind; es ist die Flut, diese nie aufhörende Flut, so sehr wir uns verstecken, Wände aufziehn und Fenster schaffen, die uns glauben lassen, dass wir das Äußere kennten ... es sind die Fluten, und dass wir vom Äußeren gar nichts wissen, oder schlimmer noch: alles wissen müssen.
Vor ein paar Wochen, ich weiß nicht mehr aus welchem Grund, lag ich ebenso wach, ich hatte noch einen Film angesehen, und da war es plötzlich so einleuchtend, von was er gehandelt hatte, oder vielmehr, warum dieser Film eine so große Aufnahme vor allem beim jungen Publikum gefunden hatte. Diese ... digitalen Monster waren es ganz selbst, waren dieses riesige Jetzt, das mich, als ich einschlafen wollte, wieder überkam und mich so aufwühlte, dass ich wach blieb. Wirklich, ich sah das Jetzt als die helle Umrisslinie jener digitalen Monster, und dass ein Sturm ums Haus ging, kam noch dazu; alles war/ wurde der Film auf überzeugende, einleuchtende Weise, eine vollkommene Metapher für das Jetzt. Es sind diese ungeheuren Zähne, die sich in das weiche Fleisch unsrer Vorstellung schlagen, und es zerfetzt uns unsre Furcht.
Am Ende dieser Woche weiß ich doch kaum noch etwas zu sagen, oder dass es mir schwer fällt, meinen Puls noch zu fühlen, weil er überall ist.
Ich weiß, ich kenne die Welt zu wenig. Ich bin kein Kind dieser Abläufe, sonst schliefe ich längst. Ich bin ein Kind des Gedankens, ich denke die Welt, und dass ich sie denke, ist, was sie mir erhält. Ich staune viel. So staunte ich auch, als ich vor den Tauben stand, vor dem ersten Gespräch, und warten musste. Ich bin auch schon alt, hab schon viele Tauben gesehen, aber staune noch immer. Möcht auch gar nicht anders, als staunen und teilhaben an dem, was mehr als das Sachliche, leicht zu Umfangende und auch leicht daran zu Sterbende ist.
Strenggenommen ginge mir eine nicht mehr einzuholende Ernüchterung voraus; man hat sie in meinen Jahren. Aber ich floh sie; ich fliehe sie schon solang, als es sie gibt. Diese ... neuen Tage, die von ihr aufgerichtet wurden, habe ich nie oder nur peripher bewohnt. Und da ist mir jetzt, ich müsste in diese Tage zurückkehren, wie in eine Stadt, die fern in einem östlichen Nirgendwo liegt, wo man meine Sprache nicht spricht und wo immer nur Winter herrscht.
Es ist mir wirklich so, und das Jetzt weiß davon und schüttet dieses Geistern aus, als müsste ich Mitte der nächsten Woche nach Russland ziehen, und was mich nicht schlafen lässt, ist, dass ich mich in fremde Sprachen einlerne, meinen Koffer packe und meinen Körper vorbereite auf kalte Zeiten.
Es ist das und mitunter so vieles, und das Jetzt weiß davon, so stolz, so erhaben, so abgebrüht, so schwer ich mich gebe: das Jetzt weiß davon und weht mich fort.
Ich tanze vielleicht; ich weiß nicht ich schauspielere; ich spiele auf einer Bühne unter dem großen grellen Licht; ich spreche, ich sage alles vor und lausche: Hat es das Licht geglaubt? Und es scheint so, und ich lege mich schlafen, aber das Licht hat es nicht geglaubt, es durchdringt mich wie zuvor, und was allein mir Schutz und Zuflucht gab, war bloß das Laute meines Redens gewesen.
Das Licht weiß, es weiß und weiß, und ich frage mich, was ich denn wissen müsste.
Was fehlt diesem Gespräch, wenn es denn ein Gespräch ist; was fehlt dem ganzen an Zutun; was hätte ich zu wissen?
Träume ich, gehen Tausend Dinge in mir vor, alles verwirrt mich noch mehr. Das geisternde Gesicht ist eine Reise. Die Reise ein Abweg von Zuhaus. Zuhaus ist hinter dem nächsten Hügel. Machst du die Tür auf, fällst du einen Abgrund hinab. Aber unten ist eine Insel. Du kennst sie. Du kommst an du schaust auf ... aber da ist sie nur die Wand, an die das kalte Morgenlicht fällt.
Vielleicht ist dieses Licht nur ein Spiel. Würde nicht einer, der hören könnte, daraus ein Lachen vernehmen, wenn auch fern, wie von einem Stern, der in dieser großen Öffnung funkelt? Dieses Spiel hieße wohl: Wir - zu allen Zeiten - Wir - das alle Zeiten durchdringt - das im Begrenzten offen steht - weil es da nichts gibt, das, unter allen Brüchen, denen wir selbst obliegen, dieses brechen kann.
Das Jetzt ist, was immer ist, um das wir uns gleichsam verschieben; wir schlafen; wir träumen; wir sind wach; wir sind müde - aber das Licht ist immer da. Es vergisst uns nicht, wie wir uns selbst vergessen, und wenn wir tänzeln, erkennt es uns; wenn wir lügen, ist es wahr; wenn wir all diesen Brüchen folgen, bleibt es ganz. Es sieht uns an. Es scheint an Ansehen. Aber wir, wir haben nicht ... die Augen ... wir haben nicht ... die Welt?