Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
Beiträge: 3916
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden
Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Jelena

Beitragvon Jelena » 11.01.2012, 20:05

Sind doch nur Töne. Schrill, gackernd, schief. Man weiß nicht, wie sie gemeint sind. Nur Töne. Schall und Rauch. Von jetzt an wirst du leiser lesen. Dass sie keiner hört. Am besten du denkst dir deine eigenen Töne dazu. Fortissimo, aber nur für dich. Pssst.

Gerda

Beitragvon Gerda » 12.01.2012, 10:21

… Hast du noch Töne …

Es ist Januar. Seit dem Vorjahressommer blühen Margueriten und Löwenmäulchen ohne eine Ruhephase einzulegen. Im Dezember pflanzte ich eine Christrose ins Beet daneben. Sie trägt prächtige Blüten.
Am Bach, der, nach dem Sturm und andauernden Regenfällen schon mehrfach zum reißenden Fluss wurde, spielen die Stockenten verrückt. Fünf Erpel versuchen zwei Enten zu begatten. Dabei schlucken die Damen kräftig Wasser.

Ich sehne die trockene Kälte, den Frost herbei, einen Winter der Motten und Mücken vertreibt und ich würde mich gern mit dir und an dir aufwärmen.

©GJ20120111

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 12.01.2012, 12:00

Wie der Wind an den Häusern rüttelt, an den längst kahlen Bäumen reißt, das ist kein warmer Ton. Und draußen kein Schnee, der die Geräusche verschlucken konnte. Habgierig und still, mit seinem unüberwindlichen Weiß.
Stattdessen die kranke, verstümmelte Birke, die dem Sturm anmutig trotzt, darüber ein grauer Himmel, der nur in Gedanken aufbricht. Aber wie schlimm wäre es erst andersherum; nur aufbrechende Himmel und kein Gedanke daran.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 24.01.2012, 13:47


Und er begräbt mich nicht

Wie er klopft. Wie er an meinen Nerven zerrt. Wie warm er sich anfühlt. Wie ich sein Ziehen jeden Moment nehme. Langsam und meine Lippen leckend. Heiß und schwarz. Winde mich in seiner Gier und gehe mit. Kein Gedanke daran, dass er böse ist. Kein Gedanke daran, nicht seine kalte Hand zu packen. Kein Gedanke daran, dass es krank ist, so zu denken.

Nifl
Beiträge: 3916
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 27.01.2012, 21:11

Ich träumte, ich würde in den nächsten Minuten Vater werden. Es war diese Art von Traum, in dem man zeitlich unter Druck steht, was erreichen muss, aber nicht vorankommt.

Auf dem Krankenhausflur zum Kreißsaal treffe ich in meiner Eile einen Vorgesetzten. Er ist sturzbetrunken und in Feierlaune legt er seinen Arm um meine Schulter, will mit mir durch die Gassen ziehen.
Er ist so ein Typ, bei dem ein dümmliches Dauergrinsen ab einem gewissen Pegel als Grundstellung eingefriert, als wäre das Gesicht eine überspannte Sprungfeder, die nach dem Lachen nicht mehr in die natürliche Ausgangsposition zurückkehren kann. Eine verunglückte Elongation einer ehedem blöden Fresse. Bei diesen Typen schwellen im Suff auch meistens die Lippen an, werden wulstig und feucht. Er nimmt mich in den Schwitzkasten, will mir ins Ohr lallen. Ich hoffe, dass er nicht aus Versehen mit seinen Lippen mein Ohr berührt, starre auf seinen hellblau und weiß gestreiften Hemdkragen.
"Habe keine Zeit, werde gleich Vater", sage ich und schiebe ihn von mir. Jetzt dreht erst richtig auf, als hätte ich ihm endlich einen Grund für seine Partylaune gegeben, will sofort mit mir los. Ich lasse mich ein paar Meter mitziehen. Dann reißt er sich wie aus dem Nichts doch noch zusammen, erzählt von seinen zwei Kindern. Drei und sieben Jahre alt.
Jonas und Aron. "Und wie heißt dein Kind?". Mich durchströmt ein Glücksgefühl. Ja, den Namen haben wir wunderbar ausgesucht. "Er heißt, er heißt...". Ich habe es vergessen. Ich habe den Namen meines Kindes vergessen. Das kann doch nicht angehen. Gleich werde ich ihn wieder wissen. So ein schöner Name. Aber da ist nichts als Leere. Um meinem Hirn zu helfen, stelle mir ihr Lächeln vor, als wir uns einig wurden über den Namen. Nichts. Sage dann: "Es ist ein Geheimnis, erst wenn er geboren ist, werden wir ihn verraten". Nun laufe ich zur letzten Tür im Flur, kann aber nicht eintreten ohne Namen.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 05.02.2012, 01:04

Ich habe heute zum allerersten Mal ein Buch ins Feuer geschoben. Es war "Kinder der Finsternis" von Wolf von Niebelschütz.

Dieses Buch habe ich vor vielen Jahren gekauft; an die genauen Umstände erinnere ich mich nicht mehr, habe aber damals im entsprechenden Themenordner im Klassiker-Forum niedergelegt, dass mein Buchhändler es mir wärmstens empfohlen hätte - dann wird das ja wohl stimmen. (Übrigens empfiehlt auch Hans Wollschläger, der erste Übersetzer des Ulysses, das Buch ungehemmt im Klappentext, was aus irgendeinem Grund für mich den Ausschlag gab.)

Seitdem habe ich x-mal versucht, es zu lesen. Es geht darin, kurz gesagt, um familiäre und weltanschauliche Verwicklungen in einem fiktiven Land namens Kelgurien, das der Provence entspricht. Der Roman beginnt um 1100 herum. Der Plot ist an sich spannend, aber aus meiner Sicht ist das Buch unleserlich: Es ist extrem verdichtet; fast alle Handlung ist in die Dialoge verlegt, die schnellfeuergewehrartig abgespult werden. Einerseits wimmelt es von Sprachmanierismen; so ist ein Mann prinzipiell nicht bärtig, sondern gebartet, und wer sich des Grafentitels schmeicheln darf, wurde gegraft (was geradezu kafkaesk anmutet). Andererseits klingen die Dialoge bisweilen wie direkt aus dem Computerreich, wenn zum Beispiel aus einem "Wie geht es Marisa?" ein "Erkundung Marisa" wird. Es wäre ja auch spannend zu lesen, wie man im zwölften Jahrhundert jemandem, der an chronischem Kopfschmerz leidet, ein Stück Hirnschale herausmeißelt, damit Luft ans Hirn kann. Wenn der Vorgang ein wenig mehr Raum hätte als zwei Sätze in aller Hast. Vergleichsweise breite Schilderung erfahren die Verstrickungen zwischen dem im Mittelpunkt stehenden Grundherren und den ihn umgebenden Frauen, die allesamt leidern und diese und jene Nacht nicht vergessen können. "Du weißt. Der Weinberg." - "Vorbei. Lange." Oder so ähnlich.

Ich hatte es schon mal zu drei Vierteln durch und dann für drei Jahre weggelegt. Jetzt habe ich es wieder hervorgeholt und etwa die Hälfte gelesen. Ich lag schräg auf dem Sofa, meine rechte Hand war eingeschlafen, ich ließ sie herunterfallen und schüttelte sie, während ich las: "Erkundung Marisa". Ich entschied, es sei an der Zeit aufzustehen. Ich riss das Fensterchen des Kachelofens auf und schob das Buch ins Feuer. Wie weiland Frodo den Ring.

Da man mir beigebracht hat, dass man Bücher nicht wegschmeißen darf (es sei denn, sie sind pornographisch), machte ich das Fensterchen sofort wieder zu und schämte mich. Aber eigentlich, gestand ich mir nach einer Weile ein, schämte ich mich gar nicht. Im Gegenteil. Es war ein phantastisches Gefühl.

Und so verfügte ich mich stehenden Fußes in meine Küche, wo es ein gewisses kleines Regal gibt, auf dem Bücher mit ungesichertem Status liegen, und griff mir sofort zwei weitere. Das eine war ein Krimi, dessen Titel ich schon wieder vergessen habe; das andere war "Interview mit einem Vampir".

Beinahe wäre auch Akif Pirinccis "Die Tür" den gleichen Weg gegangen. Ich hatte es schon in der Hand, das Feuer brannte lustig. Dann entschied ich aber, das Buch sehe doch noch recht ordentlich aus. Ich schloss das Fensterchen und setzte das Buch ins Tauschforum. Fünf Minuten später wurde es abgerufen. Damit hatte meine Mordserie an ungeliebten Büchern ein abruptes Ende.

Vielleicht mache ich am Montag weiter.


ps. Dass man nur pornographische Bücher wegschmeißen darf, hat mir mein Vater beigebracht. Er hat "Der Alptraum" von Norman Mailer und "Ehepaare" von John Updike in meiner Gegenwart in den Mülleimer gestopft. Ich weiß nicht, ob er das nur zu Demonstrationszwecken tat oder deshalb, weil er die Bücher wirklich nicht mochte - ich habe beide, als Vierzehnjährige, gelesen, wieder vergessen und keine Ahnung mehr, was drin stand. Mein punktuell-fotografisches Gedächtnis hat aus beiden Büchern hier und da halbe Seiten gespeichert, aber nicht den Plot.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Jelena

Beitragvon Jelena » 07.02.2012, 19:17

Das Gleichgewicht einer Gemeinschaft bleibt immer gewahrt, das ist ein Gesetz. Sie weiß das. Sie ist machtlos. Würde der eine sterben, käme er auf der anderen Seite wieder zur Tür herein. Das Gleichgewicht einer Gemeinschaft bleibt immer gewahrt. Sie hat keine Möglichkeit, es sei denn, sie wäre bereit, sich in die Mitte dieses Kreises zu stellen. Nur die Arme hätte sie, um sich vor den fliegenden Steinen zu schützen. Nein, sie wird sich nicht opfern. Aber es gibt keine Möglichkeit, zu fliehen. Auch nicht zu bestrafen. Sie ist hier nicht die Königin und das ist gut so. Sie herrscht an anderer Stelle. Jeder ist Königin und jeder ist Untertanin. Jeder an einem anderen Ort. Das Gleichgewicht bleibt immer gewahrt.
Aber eines kann sie tun: Sie geht an den Schrank und fegt alles von den Regalen, was ihr in den Weg kommt. Solange, bis der ganze Fußboden von Farben und Papieren geflutet ist und keine Fußspuren mehr zu sehen ist. Alle waten jetzt im Schlamm. Alle.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 14.02.2012, 00:18


Unlogische Träume

"Das Unterbewusstsein arbeitet im Traum. Es arbeitet logisch, verarbeitet alltägliche Dinge, gibt uns Antworten auf Fragen, die wir mit uns herumschleppen." So heißt es. Heute morgen wurde mir klar, dass das völliger Unsinn ist. Nichts ist logisch in Träumen.
In meinem Traum stand unser Haus unter Wasser. Der Pegel stieg und stieg. Ich sah einfach zu. Ich bin ein Filofaxfreak par excellence. Auf meinem Schreibtisch lag mein aufgeschlagener Kalender. Die Wasserflut erreichte den Schreibtisch, schwappte schon über meinen Planer. Ich sah einfach zu. Sagte: Ach, den hol ich später. Die Möbel schwammen bereits herum. Ich stand im eiskalten Wasser (ich fror natürlich nicht. Dabei friere ich schon bei 21 Grad) und sah einfach zu. Als das Wasser das Dach erreichte, stand ich unter Wasser (atmete natürlich dabei) und hörte eine männliche Stimme (also nicht meine): Du musst dein Filofax holen. Es ist sehr wichtig. Ich antwortete: kein Problem, ich tauche einfach und hole ihn. Ich kann überhaupt nicht tauchen bzw. die Luft länger als zehn Sekunden anhalten. Ich versuchte es immer wieder. Es ging nicht (das entsprach wenigstens der Realität). Der Kalender war hinüber.
Als ich aufwachte, warf ich sofort einen Blick auf meinen Schreibtisch. Dort lag mein aufgeschlagener Kalender, unversehrt, zum Glück!
Aber ich wusste endlich, was ich beim nächsten Friseurtermin machen werde. Schon lange möchte ich eine Veränderung, konnte mich jedoch nicht entscheiden, was für eine Veränderung. Nun ist es für mich klar.
Hm, hab ich also doch eine Antwort im Traum erhalten. Doch was zum Henker hat meine Frisur mit dem Terminplaner zu tun? Und wieso muss dafür das ganze Haus absaufen?

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 02.03.2012, 22:00

Sie sagt: Wir alle sehen Tiere an, und die Tiere schauen zurück. (Stimmt – ich sehe gern Hundegesichter; sie sind Menschengesichtern so ähnlich, nur wacher und aufmerksamer.) Und wir sehen Pflanzen an. Schauen die auch zurück?

Das kann sein, werfe ich ein. Stiefmütterchen habe ich schon zurückschauen sehen – so! Mit verkniffener Miene, als hätte sich das ganze Gesicht um einen Mittelpunkt herum eingekraust.

Ja, sagt sie. Aber schau mal, mein Farn! Und deutet auf die Ampel, die in der Zimmerecke hängt. So! Sie macht eine große Bewegung mit dem Arm. Schau, dieser Bogen, den er macht. Er verneigt sich. Wenn er einen Hut hätte, würde er ihn abnehmen und schwenken (sie macht es vor, in einer schwungvollen Parodie auf d’Artagnan). Er sieht uns an!

Es fällt mir schwer, darauf eine Antwort zu finden; die unverstellte Begeisterung in ihrem Gesicht lässt mich schrumpfen. Vorhin hat sie mir ihre Kamelie gezeigt, die jetzt, Anfang März, prachtvolle rote Blüten trägt.

Ich schaue in die Teetasse, in deren weitem Bauch ein kleiner, tröstlich grüner See schwappt. Sehe mich selbst plötzlich winzig klein in dem See, um Hilfe zirpend, die Ärmchen verzweifelt ausgestreckt nach dem viel zu hohen Tassenrand. Mir fällt eine Pflanze ein, die wie trockenes Stroh aussieht, sich aber nach einem Wasserguss zu grüner Pracht entfaltet und wie wiederbelebt aussieht. Auferstehungspflanze nennt man sie, obwohl sie tot ist; sie wirkt nur lebendig, weil ihre trockenen Röhren das Wasser ansaugen und sich grün färben.

Einen Augenblick lang habe ich nicht mehr zugehört. Sie redet immer noch. Und lebende Steine!, sagt sie und macht wieder ihre große Musketier-Bewegung mit dem Arm. Kennst du lebende Steine?

Ja, sage ich, die kenne ich.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Peter

Beitragvon Peter » 02.03.2012, 23:30

Augen Welt?

Diese ... Art und Weise, die sich in der Erwartung von Dingen verbirgt, dieses ... angstdurchlichterte Folienwerk, worin Gesichter aufziehen und Handlungen geschehen, die es doch nie geben wird ... oder doch?

Dass ich morgen ein Gespräch haben werde, war die Woche lang ein offenes Fenster, an das ich Tücher warf, an das ich Träume schob, gegen das ich die Bettdecke hob, gegen das ich lebte und dachte und das mich doch fortwährend durchdrang. Ich könnte wegsinken vor Müdigkeit, hinfallen vor diesem seltsamen Rätsel dieser Art und Weise, die sich in der Erwartung von Dingen verbirgt.

Wer ist das, der da ewig geistert, der ein Gesicht trägt, das von meinem Gesicht nicht lässt; dessen Blick mich in Bann hält; dessen Gedanke mich richtet und der mich ständig auslegt zu ebenso geisternden, flackernden Schatten.
Wäre das Gespräch schon den Tag später gewesen und nicht um diese Woche verschoben, hätte ich zwar auch ein Geistern erlebt, aber da es nun diese Woche war, kam es mir immer mehr zu Bewusstsein, dass ich geistere.

Was ist es denn, was ist es immer wieder, was ist dieses Etwas, das sich in der Erwartung verbirgt, was diese unermessliche Kommunikation, dieser erstickende Zufluss - freier? - Luft.
Werde ich das Gespräch hinter mir haben, werde ich lachen oder erleichtert sein oder mich wundern. Es wird wenig gewesen sein, verwunderlich klein, ein Mensch, ein Raum, ein paar Worte, nicht wert, darüber zu sprechen.
Aber was ist es jetzt, was sind all diese Dinge in diesem großen Jetzt, das so offen steht und sich hereinbricht, als wären oben die Dachplatten aufgebrochen und es schüttete sich ein heimlicher Stern über uns aus, sodass wir an den Schatten, die sich von uns werfen, fast ertrinken.

Ein mächtiges, ein übergroßes und man kann nicht sagen: freundliches? furchtbares? hässliches? notwendiges? wirklich gegenwärtiges? oder eher vergangenes? Licht.

Seit frühester Zeit war es dieses Licht; es ließ uns nicht schlafen, als wir noch Kinder waren, und es wird uns nicht schlafen lassen, wenn wir alt sein werden. Es ist immer da; es fordert, es zwingt, es erhebt, es verwirft. Und unsre Augen, die sich nicht schließen können, geistern vor Begegnungen, die keine sind.

Ich weiß nicht, wie oft, wie viele Male ich inzwischen vor jenen hintrat, mit dem ich morgen das Gespräch haben werde; wie viele Male ich mich umwandte, mitten aus anderem, um das Gespräch zu führen. Immer bereit, immer da, immer bereit und da, wie es das Licht selbst ist.
Dabei kenne ich jenen Menschen. Oder zumindest: ich weiß ihn etwas. Das müsste das Fluten eindämmen. Aber da das Gespräch andrerseits nur ein Moment einer Folge sein wird, dahinter der Arbeitsvertrag, noch mal ein Gespräch, dahinter die Arbeit, dahinter die Frage, was sie sein wird ... reißt mich das ganze hinfort.

Mein Gott, dieses Fluten; es sind doch gar nicht die Dinge selbst, die uns überfordern und die in ihrer Einfachheit oft nur lächerlich sind; es ist die Flut, diese nie aufhörende Flut, so sehr wir uns verstecken, Wände aufziehn und Fenster schaffen, die uns glauben lassen, dass wir das Äußere kennten ... es sind die Fluten, und dass wir vom Äußeren gar nichts wissen, oder schlimmer noch: alles wissen müssen.

Vor ein paar Wochen, ich weiß nicht mehr aus welchem Grund, lag ich ebenso wach, ich hatte noch einen Film angesehen, und da war es plötzlich so einleuchtend, von was er gehandelt hatte, oder vielmehr, warum dieser Film eine so große Aufnahme vor allem beim jungen Publikum gefunden hatte. Diese ... digitalen Monster waren es ganz selbst, waren dieses riesige Jetzt, das mich, als ich einschlafen wollte, wieder überkam und mich so aufwühlte, dass ich wach blieb. Wirklich, ich sah das Jetzt als die helle Umrisslinie jener digitalen Monster, und dass ein Sturm ums Haus ging, kam noch dazu; alles war/ wurde der Film auf überzeugende, einleuchtende Weise, eine vollkommene Metapher für das Jetzt. Es sind diese ungeheuren Zähne, die sich in das weiche Fleisch unsrer Vorstellung schlagen, und es zerfetzt uns unsre Furcht.

Am Ende dieser Woche weiß ich doch kaum noch etwas zu sagen, oder dass es mir schwer fällt, meinen Puls noch zu fühlen, weil er überall ist.
Ich weiß, ich kenne die Welt zu wenig. Ich bin kein Kind dieser Abläufe, sonst schliefe ich längst. Ich bin ein Kind des Gedankens, ich denke die Welt, und dass ich sie denke, ist, was sie mir erhält. Ich staune viel. So staunte ich auch, als ich vor den Tauben stand, vor dem ersten Gespräch, und warten musste. Ich bin auch schon alt, hab schon viele Tauben gesehen, aber staune noch immer. Möcht auch gar nicht anders, als staunen und teilhaben an dem, was mehr als das Sachliche, leicht zu Umfangende und auch leicht daran zu Sterbende ist.
Strenggenommen ginge mir eine nicht mehr einzuholende Ernüchterung voraus; man hat sie in meinen Jahren. Aber ich floh sie; ich fliehe sie schon solang, als es sie gibt. Diese ... neuen Tage, die von ihr aufgerichtet wurden, habe ich nie oder nur peripher bewohnt. Und da ist mir jetzt, ich müsste in diese Tage zurückkehren, wie in eine Stadt, die fern in einem östlichen Nirgendwo liegt, wo man meine Sprache nicht spricht und wo immer nur Winter herrscht.
Es ist mir wirklich so, und das Jetzt weiß davon und schüttet dieses Geistern aus, als müsste ich Mitte der nächsten Woche nach Russland ziehen, und was mich nicht schlafen lässt, ist, dass ich mich in fremde Sprachen einlerne, meinen Koffer packe und meinen Körper vorbereite auf kalte Zeiten.

Es ist das und mitunter so vieles, und das Jetzt weiß davon, so stolz, so erhaben, so abgebrüht, so schwer ich mich gebe: das Jetzt weiß davon und weht mich fort.
Ich tanze vielleicht; ich weiß nicht ich schauspielere; ich spiele auf einer Bühne unter dem großen grellen Licht; ich spreche, ich sage alles vor und lausche: Hat es das Licht geglaubt? Und es scheint so, und ich lege mich schlafen, aber das Licht hat es nicht geglaubt, es durchdringt mich wie zuvor, und was allein mir Schutz und Zuflucht gab, war bloß das Laute meines Redens gewesen.

Das Licht weiß, es weiß und weiß, und ich frage mich, was ich denn wissen müsste.
Was fehlt diesem Gespräch, wenn es denn ein Gespräch ist; was fehlt dem ganzen an Zutun; was hätte ich zu wissen?
Träume ich, gehen Tausend Dinge in mir vor, alles verwirrt mich noch mehr. Das geisternde Gesicht ist eine Reise. Die Reise ein Abweg von Zuhaus. Zuhaus ist hinter dem nächsten Hügel. Machst du die Tür auf, fällst du einen Abgrund hinab. Aber unten ist eine Insel. Du kennst sie. Du kommst an du schaust auf ... aber da ist sie nur die Wand, an die das kalte Morgenlicht fällt.

Vielleicht ist dieses Licht nur ein Spiel. Würde nicht einer, der hören könnte, daraus ein Lachen vernehmen, wenn auch fern, wie von einem Stern, der in dieser großen Öffnung funkelt? Dieses Spiel hieße wohl: Wir - zu allen Zeiten - Wir - das alle Zeiten durchdringt - das im Begrenzten offen steht - weil es da nichts gibt, das, unter allen Brüchen, denen wir selbst obliegen, dieses brechen kann.

Das Jetzt ist, was immer ist, um das wir uns gleichsam verschieben; wir schlafen; wir träumen; wir sind wach; wir sind müde - aber das Licht ist immer da. Es vergisst uns nicht, wie wir uns selbst vergessen, und wenn wir tänzeln, erkennt es uns; wenn wir lügen, ist es wahr; wenn wir all diesen Brüchen folgen, bleibt es ganz. Es sieht uns an. Es scheint an Ansehen. Aber wir, wir haben nicht ... die Augen ... wir haben nicht ... die Welt?

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 09.03.2012, 00:04


Der Spiegel

Mit gesenktem Kopf schlich sie durch die Straßen der Altstadt. Grotesk, das bunte Treiben der vielen Menschen in der überfüllten Fußgängerzone. Hier und da rempelte sie jemand an. Erzwungener Blickkontakt. Grimmige Gesichter. Böse Augen. Verbissene Lippen. Was suchte sie hier? Mechanisch ging sie weiter. Menschenmassen in Eisdielen, Cafés, Boutiquen. Die fröhlichen Gesichter erschienen ihr wie höhnische Fratzen.

Schnell wich sie in ein kleines Seitengässchen aus. Nur weg hier. Unebene Pflastersteine unter ihren Schuhen. Gab es da nicht einmal einen Hinterhof mit solchen Pflastersteinen, auf denen sie mit anderen Kindern gespielt hatte? Kindheit? Alt fühlte sie sich, uralt.

Sie gelangte in einen kleinen Park. Die blühenden Bäume sah sie nicht. Auf einer Bank saß eine Frau, ganz in schwarz gekleidet. Es zog sie zu dieser Frau. Verwundert setzte sie sich schweigend neben sie. Fühlte sich wohl. Sonderbar. Niemals setzte sie sich zu einem unbekannten Menschen. Sie betrachtete die Frau. Leerer Blick. Gesenktes Haupt. Traurige Augen. Zierliche Gestalt. Alter nicht einschätzbar. Nicht alt, nicht jung. Erinnerung. Woran?

„Wer bist du?“, fragte sie.
„Dein Spiegel“, erwiderte die Frau. Schaute ihr lange direkt in die Augen. Sie hielt dem Blick stand. Keine Fluchtgedanken.
„Mein Spiegel?“, fragte sie zögernd. Die Fremde nickte.
„Schau mich an und du siehst dich selbst.“ Keinerlei Widerspruch kam in ihr auf.

Die Fremde hielt die Hände geschlossen, als ob sie etwas sehr Kostbares darin verborgen hielt. „Schließe deine Augen und öffne die Hände“, forderte die Unbekannte sie auf. Ohne Zögern tat sie es. Sie spürte etwas Leichtes.
„Was hast du mir gegeben?“, fragte sie.
„Deinen Schlüssel“, sagte die Fremde, lächelte und ging.

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 09.03.2012, 13:52

In Mode

Genau aus diesen Gründen habe ich Träume, in denen ich mit meinem Staubsauger durch die Straßen spaziere und mich übe, ihn möglichst originell hinter mir herzuziehen - dass es eine Mode wird. Dass ich darin bin.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 09.03.2012, 15:34

Die Campingplatzbetreuerin schlich mit mürrischer Miene über den Kiesweg, den Staubsauger hinter sich herzerrend wie einen widerspenstigen kleinen Hund. Der Staubsauer lachte über das ganze Gesicht, die Betreuerin sah drein wie drei Tage Regen (den wir tatsächlich auch gehabt hatten). Auf meine Nachfrage berichtete sie, in ihrem eigenen Zelt sei alles überschwemmt gewesen, einschließlich ihres Notebooks. Sie hätte nichts retten können, weil sie sich um die Touristen hätte kümmern müssen, das stünde so in ihrem Vertrag. Die ganze Zeit hörte ich den Staubsauger dazu kichern.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Eule
Beiträge: 2055
Registriert: 16.04.2010

Beitragvon Eule » 11.03.2012, 17:08

Kichern - ein wenig mehr Nachdruck, hörte ich meinen Trainer. Nachdrücklich kichern, fragte ich mich flüchtig. Ja, antwortete er hellsichtig, es sollte mehr wie ein Lachen klingen. Kicherndes Lachen oder lachendes Kichern, und schon war ich wieder mittendrin im Kopfduell. Schnitt ! Klappe ! Und nochmals von vorn ... nach 12 Stunden machten wir Essenspause, nach 18 Stunden war die Ernstfallübung vorbei. Die Szene vertagt, das Essen genossen, der Frust groß und das ganze Projekt mal wieder in Frage gestellt. Und nicht vergessen - mehr Versagen geht nicht, runzelte er leicht angespannt, seine Pupillen kaum erkennbar. Über die einen Moment lang, wohl angesicht einer Vorahnung der - 30 Grad Celsius, die uns draußen erwarteten, eine feiner Eisschleier nieselte.
Ein Klang zum Sprachspiel.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 13 Gäste