Prosa-Marathon bis zum 01. Mai 2014

Hier ist Raum für Fortsetzungsgeschichten, das Wort der Woche, interne Schreibwettbewerbe und alle anderen literarischen Projekte, bei denen mehrere Saloner zusammenarbeiten
Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.05.2013, 18:48

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Peng! (Startschuss)
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Rala

Beitragvon Rala » 12.06.2013, 20:07

II

Licht&Schatten

Der Tag neigt sich und das Visuelle macht dem Taktilen Platz, nur noch fahlblaue Schemen und Gefühl und feiner abgestufte Laute. Die Spannung beim Kirschenessen, weil man die Würmer nicht sehen kann. Noch kurze Zeit und es ist so weit, dass man mich nicht mehr von ihr unterscheiden könnte, dass ich mich, ohne aufzufallen, für sie ausgeben könnte. Sofern ich schwiege. Machte ich den Mund auf, wäre der Unterschied wieder deutlich, auch wenn unser beider Stimmen beinahe identisch klingen – zumindest wurde mir das des Öfteren so gesagt – die Worte und ihr Inhalt würden mich verraten.

Am Anfang war grelles Licht. Ich fühlte mich nackt. Ein kleiner Käfer kroch über die weiße Tischplatte, orientierungslos, bis er an den Rand meines dünnen Blätterstapels stieß. Er lief daran entlang, rundherum, immer wieder. Ich sah ihm fasziniert dabei zu, fragte mich, ob er nun irgendwie glücklicher oder zufriedener war, weil er etwas gefunden hatte, das ihm eine Richtung vorgab. Eine Art von Halt, so absurd sie auch sein mochte. Ich vergaß beinahe, wo ich war und was ich dort sollte. Bis mich ein Geräusch irritierte, das aus dem mich umgebenden Klangbrei herausstach wie ein Kirschkern im Kompott. Die Bewegung eines Schattens in der äußersten Ecke meines Blickfeldes. Ich sah auf und sah dich. Du sahst mich an, als müsste ich dich kennen und setztest dich in die vorderste Reihe, ganz am Rand. Meine Nervosität veränderte sich. Nicht in ihrem Maß, nur in ihrer Qualität. Auf einmal ging es nicht mehr darum, mich irgendwie durch die ganze Sache hindurchzuretten.

Der Rest des Publikums verschwamm in der Dämmerung, die über den Stuhlreihen lag, und bot dir eine schmeichelnde Kulisse. Der Käfer ließ auch nicht von seiner Wanderung um das Papier herum ab, als ich die Blätter in die Hand nahm, um besser lesen zu können. Als ich das erste dann beiseite legte, klammerte er sich an dessen Rand und landete mit ihm wieder auf der Tischplatte, auf dem Rücken liegend. Ich bemühte mich, nicht auf das Strampeln seiner Beine zu achten, nicht auf den seltsamen Schatten, den er im Scheinwerferlicht auf dem Tisch erzeugte. Ich las, ohne wirklich mitzubekommen, was ich las. Deine Präsenz schob alles Übrige in den Hintergrund.

Irgendwie hängte sich der Film an dieser Stelle auf. Das Licht blieb, deine Präsenz blieb. Und ich war erst mal begeistert, dass du ausgerechnet mich wolltest, meine Person und meine Arbeit. Und irgendwann, ohne dass ich es zunächst bemerkte, war sie dann da. Und ich lief um die Ränder meiner Papierstapel herum wie dieser Käfer, und jedes Mal, wenn ich hoffte, mich endlich auf den Rücken legen und mit den Beinen strampeln zu können, nahmst du mich und setztest mich auf das nächste Blatt, das sie dann in die Hand nahm und von dem sie meine Texte las.

Ich schalte das Terrassenlicht ein, obwohl jetzt niemand hier ist, der mich verwechseln könnte. Nur ich selbst. Aber ich hatte genügend Spannung in meinem Leben in den letzten Jahren, jetzt brauche ich sie nicht auch noch beim Kirschenessen.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 19.06.2013, 21:27



(Parkdeck/Spurensicherung)

Das Parkdeck lag sehr hoch, fast alle Häuser im Umkreis waren niedriger. Die Sonne sank bereits und verlängerte die Schatten des Kommissars und Gabrieles fast über die ganze Fläche.
Drei Spurensicherungsleute knieten auf dem Beton und kratzten versteinerten Kaugummi ab. Noch immer war Brösels Renault das einzige parkende Auto. Die Türen standen offen; vermutlich hatte jemand darin Staub gesaugt.
»Ist das immer so leer hier?«, fragte der Kommissar.
»Im Gegenteil, meistens ist es ziemlich voll. Nur wegen der Hitze, wissen Sie, suchen sich die meisten Kollegen im Augenblick lieber einen Parkplatz irgendwo unten. Und dann sind ja auch Semesterferien.«
»Hitze, ja«, seufzte der Kommissar und öffnete einen Hemdknopf. Nach Brösels klimatisierter Küche war die Sonnenglut auf dem Parkdeck doppelt drückend. »Und was haben die Semesterferien damit zu tun?«
Gabriele zeigte auf das Gebäude gegenüber, einen großen ziegelroten Kasten im Stil der Gründerzeit. »Das ist die Volkshochschule. Die Angestellten und die Lehrer von dort benutzen unser Parkdeck mit. Hauptsächlich abends, wenn Unterricht ist. Aber den Sommer über sind ja Ferien dort, es geht gerade jetzt langsam wieder los.« Genau in diesem Augenblick wurde im obersten Stock des roten Gebäudes ein Fenster geöffnet. Eine Person, auf die Entfernung nur im Umriss zu erkennen, riss beide Flügel auf und schob die Vorhänge zurück, wie jemand, der eben aufgestanden ist und den Tag begrüßen will. Ob es ein Mann oder eine Frau war, konnte der Kommissar nicht erkennen, aber die Kleidung der Person leuchtete in fröhlichem Gelbgrün.

»Wann haben Sie Herrn Brosler eigentlich zuletzt gesehen?«, wandte sich der Kommissar wieder an Gabriele.
Sie zuckte die Achseln. »Nach dem Essen ging er weg. Da gingen alle weg. Ich bin noch etwas geblieben und hab mit Pia gequatscht, was wir am Wochenende machen. Sie wollte ins Schwimmbad und ich, nun ja, ich muss zu 'ner Taufe. Bin Patentante.« Sie strahlte plötzlich. »Meine erste Nichte. Also, wir redeten vielleicht fünf, sechs Minuten, dann guckte Brösel noch mal rein, um sich zu verabschieden. Er hatte die Autoschlüssel in der Hand. Das war das letzte, was ich von ihm gesehen habe.«
»Wie war er eigentlich als Kollege?«
»Er war in Ordnung. Das sag ich nicht nur so, er war wirklich in Ordnung. Machte bei jeder Gelegenheit den Kasper, es war unmöglich, in seiner Gegenwart schlechte Laune zu haben. Das war ja auch der Grund, warum er ins Fernsehen kam. Kennen Sie die Geschichte? Brösel hat für ein Lokal in Hamburg gekocht, ich weiß den Namen nicht mehr, irgendwas Französisches. Das Lokal hat einen ganz ordentlichen Ruf, so eine Art Szene-Fresstempel, aber Brösel war bloß einer von vielen in der Küche, in keiner Weise irgendwie herausragend, verstehen Sie. Irgendwann kam ein Filmteam dorthin, um ein paar Fotos für ein Feature zu machen, und Brösel muss wie ein Wasserfall geredet haben. Er hatte so was angenehm Unverschämtes, immer hart an der Grenze des guten Geschmacks, nie richtig drüber, aber immer haarscharf an der Grenze entlang. Wahrscheinlich hat sich das herumgesprochen. Er wurde ins Studio eingeladen, erst ging es um eine Serie über junge Köche, dann um einen Kochwettbewerb im Vorabendprogramm, und in jeder Sendung hat er alle anderen glatt an die Wand gelabert. Das Ende war, dass er seine eigene Sendung bekam.«
Sie wischte sich eine Träne ab. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Wir haben immer gewitzelt, wenn er mal stirbt,muss man sein Mundwerk extra totschlagen.«


Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 30.06.2013, 13:28

Letzte Ansprache

Meine lieben Seniorinnen und Senioren,

als ich vor vielen Jahren gewählt wurde, als Ihr mich gewählt habt, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich je eine so folgenschwere und furchtbare Entscheidung würde treffen müssen. Glaubt mir, sie ist mir nicht leicht gefallen, und ich bin froh, dass alles in die Wege geleitet ist und es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Ich würde jetzt, wo ich Euch sagen muss, was uns bevor steht, zaudern und umkehren wollen. Aber es muss sein!
Ich möchte Euch erklären, was mich bewegt hat, diesen Schritt zu tun, und Euch danken für Eure Treue. Es wird ein Abschied für immer. Lasst es ein Abschied in Freude sein!

Der Mensch, die Krone der Schöpfung, hat keinen natürlichen Feind mehr außer sich selbst. Ernstzunehmende Fressfeinde haben wir schon lange nicht mehr, wir fressen die anderen. Und wir sind so human, können die Grausamkeit des Lebens nicht ertragen, also wird sie beseitigt. Wissenschaft und Technik haben vieles möglich gemacht, Krankheitserreger wurden ausgerottet wie zuvor die Wölfe, wir werden beschützt und behütet und am Leben gehalten wider die Natur. Lange haben wir gebraucht, aber dann ist es uns gelungen, selbst Kriege bis auf einige ganz kleine Scharmützel abzuschaffen. Jeder Mensch hat ein Recht zu leben. Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf Wohlstand. Aber die Zahlen, die Mengen! Was könnte uns dezimieren? Wachsen, wachsen, wachsen. Es gibt ein hübsches Gedankenexperiment mit Kaninchen und Füchsen auf einer Insel. Ein Beispiel für einen biologischen Regelkreis, ein Gleichgewicht, bei dem gefressen und gestorben wird. Solange sich die Beteiligten nicht ändern, geht es in Zyklen immer weiter, das Gefressen-Werden gehört dazu wie das Verhungern. Wir Menschen sterben nicht gern, also haben wir immer schon alles getan, was wir konnten, um das Sterben zu verhindern. Wir ändern uns ständig, schnell und gnadenlos. Nur das Altern konnten wir nicht verhindern, leider nur das Sterben hinauszögern. Wir können uns vermehren und fressen, alles verzehren. Wir sind so unglaublich schlau, finden immer wieder etwas, mit dem wir unsere Überlegenheit vergrößern können. Doch wenn schließlich alles Gras gefressen ist, sterben alle, Kaninchen wie Füchse. Wovon sollen wir leben? Ihr seht es selbst, die Zeit des Friedens ist vorbei, das große Sterben hat begonnen. Unserem Planeten ist das egal. Dem Universum ist das egal. So wie es egal war, ob Vulkane oder Meteoriteneinschläge ganze Gattungen auf einen Schlag hinweggerafft haben. Wir werden unser eigener Untergang sein. Doch ist das vernünftig? Kann es nicht noch einen anderen Weg geben?

Hier bei uns haben wir im Prinzip die richtige Entscheidung getroffen: wir, als Volk, schrumpfen. Nicht aus den richtigen Gründen, nicht aus Vernunft, sondern aus Eigennutz, aber das spielt keine Rolle. Es ist richtig so, dass wir weniger werden. Dieses Land ernährt uns viele nicht. Doch wie Ihr alle wisst, gibt es einen Haken bei dieser Art zu schrumpfen: es gibt mehr nutzlose Alte als produktive Junge, zu viele von uns. Die Reduktion der Geburtenrate spart am falschen Ende der Pyramide, der Effekt verstärkt sich auch noch selbst, wir kriegen keine Kinder mehr. Zunächst sah es ja noch ganz gut aus, als würden wir die Kurve kriegen. Als würde der Generationenvertrag mit Hilfe von importierter Jugend aufrechterhalten werden können. Wir glaubten lange auch noch, wir würden die wachsende Zahl von Alten schon irgendwie von billigen Kräften aus dem Ausland versorgen lassen können, Augen zu und durch. Aber es geht so nicht mehr, die Welt hat sich verändert seit damals. Es will niemand mehr für uns aufkommen, nicht für das, was wir geben können. Wir sind eine Last geworden, in die zu investieren es sich nicht mehr lohnt. Die glorreichen Zeiten, wo uns als Marktmacht gehuldigt wurde, sind längst vorbei. Wir werden jämmerlich verhungern, verrecken in unserem eigenen Dreck, langsam und schmerzhaft zugrunde gehen.

Und so habe ich beschlossen, den einzig sinnvollen Schritt zu tun. Wir Alten werden sterben, jetzt, heute, mit der Erinnerung an die guten Zeiten, alle. Für unsere Kinder, um der jungen Generation in diesem Land eine neue Chance zu geben. Jetzt können wir noch glücklich sterben! Es ist für alles gesorgt, Ihr müsst weiter nichts tun, werdet nicht viel spüren. Ja, Ihr dürft ruhig ein letztes Mal erstaunt sein, was wir Menschen alles zu erfinden vermögen. Ich werde mit Euch gehen, vor Euch sogar. Während ich spreche, laufen Prozesse im Hintergrund, unaufhaltsam, ganz von selbst. Wenn die Kamera abgeschaltet wird, werde ich aufstehen, ein Glas Wasser trinken und einfach einschlafen. Ich bitte Euch: folgt mir ohne Murren. Das was jetzt auf uns zukäme, wäre zu schwer für uns. Ich stelle mir vor, Ihr empfändet Dankbarkeit dafür, dass ich Euch die letzten bitteren Jahre erspare, das Grauen, und auch dafür, dass wir müden Alten eine letzte Chance erhalten, etwas Großes für unser Vaterland zu tun. Habt keine Angst mehr, es ist vorbei!

Ich danke Euch!
Zuletzt geändert von Zakkinen am 30.06.2013, 19:59, insgesamt 1-mal geändert.

pjesma

Beitragvon pjesma » 30.06.2013, 19:53

Nach dem sie den Mülleimer erfolglos durchsuchte, um entgültig sicher zu stellen dass sie das Floristenmesser nicht , wie so viele Male, mit dem Grünmüll entsorgte, resignierte Tanja ein bisschen. Es war ihr etwas übel geworden, ein Unwohlsein in der Magengegend machte sich breit. Ein Mulmiggefühl. Sie ließ, zur Ablenkung, ihren Blick durch das Fenster zum Hinterhof schweifen. Ein Vogel hüpfte draußen von Ast zu Ast der alten Kastanie. An dem Gefälle unter dem nackten Ligusterbusch, fror goldleuchtend eine viel zu früh ausgeschlagene Primel. Tanja lauschte, in diesem Stück angehaltener Zeit, wie jemand in den oberen Stockwerken den Klospülungsknopf betätigte, das Wasser plätscherte in den Rohren des Altbau vertraut und beruhigend. Jemand weiter rechts im zweiten Stock stritt mit jemandem, oder sprach nur aufgeregt, jedenfalls überboten sich eine weibliche und eine männliche Stimme auf Italienisch. Irgendwo anders im ersten Stock, ganz in Tanjas Nähe, piepste und winselte ein anscheinend allein zu Haus gelassener Hund.
Ihr wurde plötzlich grün vor Augen, rasch musste sie sich hinsetzen. Sie zog mit dem Fuß einen Hocker zu sich und lies sich auf ihn fallen. Ihre Beine waren weich wie Gummi geworden, ihr Mund vollkommen trocken. Ihre Seele war weg.
„Das war es, also, was fehlte!“ dachte sie und zitterte unaufhaltbar am ganzen Körper. Der kalte Schweiß brach aus ihrer Stirn. Die Seele war abgehauen! Alles drehte sich in ihrem Kopf, und bevor es ganz dunkel um sie wurde, schossen ihr durch den Kopf unzählige Gedankenbruchstücke und Fragen. Es fielen ihr urplötzlich all die Gelegenheiten ein, in denen ein sorgfältig und liebevoll zubereiteter Sonntagsbraten nach Nichts schmeckte und eine große Hungerschneise hinter sich ließ, nach Etwas, was man nicht weiß was es ist und was man mit Schokolade zu überlisten versuchte . Es fielen ihr die Stadtspaziergänge ein, die nur ihrem Körper, nur ihren Beinen und ihrem Rücken gut taten; die eine Wartung der Maschine waren, sozusagen , ohne tatsächlichen Gewinn, außer Erhalt der Maschine. Die wolkigen, nichtsagenden Ahnungen im Bauch beim Betrachten einer fremden grünen Wiese fielen ihr auch ein, welche man hätte lieben können wäre die Wiese zurück zu lieben im Stande gewesen, somit man sich gegenseitig gehören könne, unzertrennlich und für immer. Der unerklärlich blaue Eindruck der Verlassenheit eines Raumes der vollgefüllt mit den Menschen war, fiel ihr ein, die stattgefundenen Gespräche mit den Menschen: sie erinnerte sich nachher immer nur an die Lichtverhältnisse, Gerüche, an die Atmosphäre dieser Gespräche, an den Lautstärkepegel der Geräuschkulisse, sie erinnerte sich, wie ihr Gegenüber die Beine übereinander schlug, oder sich bei Unsicherheiten sinnlos an dem Ohrläppchen zupfte, den Kopf drehte, um mit den Zähnen zu fletschen um jemanden im Vorbeigehen breitlächelnd zu grüßen; und bei Manchen erinnerte sie sich ganz präzise wie ihre Nasenflügel bei unterdrückter Emotion zu beben anfingen, wie Pferdenüstern vor dem Gewitter…aber worüber geredet wurde, was das Thema war dieser Gespräche und gab es überhaupt ein Thema: daran erinnerte sie sich beim besten Willen nicht mehr. Die Gespräche selbst waren austauschbar. Und jetzt wusste sie auch warum: die Seele hatte sich ihr entrissen und war entflohen. Stand irgendwo in unerreichbarer Weite und ließ sich nicht berühren. Sie hörte nicht mal mit und zu.
Ein Hauch von aufsteigender Wut auf diese ungehorsame, nicht mitmachenwollende Seele lies Tanjas Blut etwas wärmer werden. Sie fand sich schließlich in der Lage in den Pausenraum zu gehen und sich einen neuen Kaffee aufzubrühen. Während der Kaffee brühte, ließ sie sich den kalten Strahl Wasser aus dem Wasserhahn über die Handgelenke fließen, wusch sich einschließlich das Gesicht und trocknete es mit dem Eck ihrer Arbeitsschürze ab. Und als sie dann ihre Augen im Spiegel sah, gesellte sich ihrer Angst und ihrer Wut auch die aufrichtige Sorge dazu.
Da das Treiben der Seele endlich enthüllt war, wäre es jetzt logisch gewesen zu erwarten, dass die Seele reumütig auftauchte. Aber nichts geschah, die Seele blieb aus. Äußerst beunruhigt sprach die Tanja zu ihrem Spiegelbild: „Es hilft ja Nichts. Ich muss Prioritäten setzen. Ich werde den Fluchtgründen schon noch nachgehen. Warum, wohin, wie viele Male. Aber als erstes, jetzt, muss ich sie suchen. Vielleicht sitzt sie irgendwo in der Klemme.“
Und so gedacht, schubste sie den Hocker entschlossen mit dem Fuß zur Seite und noch während sie auf dem Weg zwischen dem Binderaum und dem Ausstellungsraum in ein wattiges, unausweichliches Schwarz zu fallen anfing, ganz sanft in die vorgezogenen Hortensien, dachte sie bei sich : „Jemand sollte die Kaffeemaschine ausschalten“. Aber keiner war da, außer ihr.

aram
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Beitragvon aram » 30.06.2013, 23:58

wiari a gschropp woa

wirid religion vaoabeit hob

a bisl komisch sans ma scho vuakumman, di eawoxanan. mit wos se di ois de gaunze zeit beschäftigt hom, wos di ois wichtig gnumman hom - des woan lauta so sochn, di woan fost olle so - no, heit sogat i 'materialistisch' dazua. und se hom so dau, ois wa des ollas gauns wesentlich, gauns real, a waunsas söba erfundn khobt hom. und don hods a no de kiachn gebn, des betn, in liabn god - do hob i ma denkt, do schau her, imahin, amoi a bisl wos ondas in dem gaunzn.

de gschichtln vom jesus, de wunda, des jingste gricht, des hokuspokus bei da mess, und nua wau ma brav woa, is ma in himme kumman - oba des hod ma vurher trozdem nia gwußt, des hot se no im leztn aungblick ändan kennan.

gwundat hod mi, wia de eawoxanan des gaunze eibaud hom in ia fertiche wöd: grod a so, ois warats a sowos noamales wia ois ondare.
oba iangtwi hob i hoid genauso damit ogfongt, hobs a in mei wöd eibaud.
bet hob i jedn obnd vuan eischlofn. fia mi, de mutti, den papa, di irene, di omama, di tante gisi, den onkl pepi, de tante lizzi, und fia de oamen hungandn kinda in indien.

oba midn brav sein und in himme kumman, do hob i ma iangtwon dengt, des gaunze is so drohend unsicha - am bestn, i wea pforra, do ker i don zum peasonal, und kum automatisch in himme.
oiso hob i ma des fest vuagnumman, und nimaundn varodn.

de omama, wias nimma recht aufsteh hot kennan, und vü gjomat hod, hod mi amoi gruafn und hod gsogt - geh rikkerl, tuast eh betn fia mi? gö, tuast sche betn fia mi in da kiachn, bet fia mi! und hodma zwanzg schüling gebn. des woa ma a bisl komisch. den zwanzga hob i gnumman, oba extra bet hob i ned fia si.

do bin i daun scho ind schui gaungan. do hots in kaplan gebn, der hod in da religionsschtund imma an flummi außakoid, und hod uns buam - ob d madln a mitgmocht hom, waas i jez nimma - den flummi hupfn lossn. und wer eam gfongt hod, hod a schtoiweak griagt.

amoi hod die lerarin gfrogt, ob iangtwer di aufgob ned gmocht hod, und i, obwoi is net gmocht ghobt hob, hob ned aufzeigt. zum glik is ma a ned draufkumman. oba wias don auns beichtn gongan is, hob i gwußt, des miassat i beichtn, des wor a sind - oba do khert jo dazua, das ma bereid, und bereid hob is ned, des häd i nua, wauns ma draufkumman wa. i hob gwusst, des is jetzt a wichtige frog, und hob des gaunze dem kaplan dazöht, bein beichtgeschpräch. hob eam gfrogt, wos ma do jetzt mocht, wos i jez duan soi - ma miassat jo berein, oba i bereis jo ned.
do hod a mi schwea entteischt, da kaplan. wäu er hod nur gsogt, na do muas ma afoch berein.
oba des komma se jo ned aussuachn, entweda ma bereid, oda ma bereid ned - des hod a net vaschteh woin; do muast afoch berein, hod a gsogt.

a gscheidare auntwuat hoda ned khobt - do hod a mi alla glossn, und i woar don a bisl kritischa mit da religion, und nimma so begeistat von peasonäu.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 02.07.2013, 20:56


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Zuletzt geändert von Nifl am 03.08.2013, 12:45, insgesamt 2-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 03.07.2013, 22:53



(Besprechung)


Kriminalassistent Friedrich, ein kompakter Mann mit grauen Stoppeln und Anglerweste, erschien auf dem Parkdeck zum Rapport. Er hatte die letzte halbe Stunde unten beim Pförtner zugebracht und sich die Einfahrt erklären lassen. »Unten gibt es eine Schranke vor der Einfahrt und daneben eine Glaszelle, in der der Pförtner sitzt. Ein alter Zausel mit Wollmütze. Stell dir vor, eine Wollmütze bei dieser Hitze! Er trinkt ununterbrochen Tee und liest Heftchen. In der Kabine liegt ein ganzer Stapel. Die Schranke braucht er nicht zu bedienen; wer hinein will, macht sie selbst mit einer Chipkarte auf. Wer keine Chipkarte hat, kommt nicht rein. Außer vielleicht zu Fuß.«
»Der Täter muss voller Blut sein, zu Fuß ist der bestimmt nicht weg, weder durch das Parkhaus noch durch die Studios. Gibt es denn Überwachungskameras oder so was?«
Friedrich zeigte im Kreis herum. »Siehst du welche? Es gibt keine. Im ganzen Parkhaus nicht. Vielleicht werden jetzt welche aufgehängt, sagt der Pförtner. Nachdem es einen Toten gegeben hat. Und natürlich sind entweder irgendwelche Ausländer daran schuld oder durchgeknallte Jugendliche oder Schwule. Und drüben an der VHS gibt es ein paar langhaarige Ökos, die kommen auch als Täter in Frage. Sagt der Pförtner.«
»Warum sitzt er überhaupt da?«
»Weil das Verfahren mit den Chipkarten erst letztes Jahr eingeführt wurde, und der Pförtner ist unkündbar. Steinalt und dazu noch behindert. Er hat Arthrose und humpelt. Wenn er sich entschließt, freiwillig zu gehen, wird die Pförtnerloge abgebaut. Das hat er mir übrigens selbst erzählt – im Ton höchster Entrüstung.«
»Also, vorläufige Hypothese«, resümierte der Kommissar, »unser Täter ist im Besitz einer Chipkarte. Was bedeutet, er arbeitet entweder hier, oder in der VHS, oder er kennt jemanden, der hier oder in der VHS arbeitet.«
»Oder«, schob Friedrich politisch korrekt ein, »es ist eine Sie, die entweder hier oder in der VHS arbeitet oder jemanden kennt, der oder die hier oder in der VHS arbeitet.«
»Wie auch immer, du gehst morgen hier ins zentrale Büro, falls es so was gibt, und erkundigst dich nach den Karten. Wieviele es davon gibt und wer eine hat, und zwar sowohl hier als auch in der Volkshochschule. Irgendwo muss das ja erfasst sein. Vielleicht ist in den letzten Wochen eine Karte als verloren gemeldet worden … Und wenn wir nicht das Glück haben, unseren Mörder gleich zu finden, dann wird nichts anderes übrig bleiben, als jeden einzelnen Chipkartenbesitzer zu befragen.«
»Besitzer und Besitzerinnen«, korrigierte Friedrich und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken.
»Lass und mal zu Broslers Wohnung fahren. Vielleicht finden wir diese Drohbriefe und können uns die Ochsentour mit den Chipkarten sparen.«
Brosler bewohnte fünf Zimmer in einem renovierten Altbau, in einem der teuersten Viertel der Stadt. Die Wohnung war hell und vornehm, zu den Füßen poliertes Schiffsbodenparkett, an den Wänden ein teurer Wischputz. Obwohl der bekannte Fernsehkoch seit mindestens einem Jahr dort wohnte, sah es aus, als wäre er eben erst eingezogen. An den Wohnzimmerwänden waren Taschenbücher aufgestapelt, und die Kleidung – Jeans und T-Shirts – war unordentlich in den Schlafzimmerschrank gestopft. Mit den Kochbüchern hatte er sich mehr Mühe gegeben; es gab eine ganze Menge davon, und sie standen in der Küche ordentlich in einem Regal. Die Küche war im übrigen bei weitem nicht so professionell eingerichtet, wie der Kommissar erwartet hatte. Selbstverständlich gab es einen Gasherd, und auf dem Fensterbrett standen Töpfchen mit Küchenkräutern. Aber der Kühlschrank war leer bis auf ein riesiges Steak im Wachspapier, ein Rest Butter und eine rote Paprika, und in den Schränken fanden sich Fertigsoßen und Suppenpäckchen. Auf der polierten Anrichte stand ein Messerblock – selbstverständlich ein anderes Farbikat als das im Fernsehstudio.
Bis auf den Kleiderschrank sah alles ordentlich aus, Brosler besaß nicht genug Kram, um viel herumliegen zu lassen. Nirgends Anzeichen für eine zweite Person, eine Freundin oder Besucher. Im Badezimmer Duschgel, Haargel, Rasierzeug und ein einzelnes Handtuch am Ständer. Es gab einen kleinen Balkon zur Straße hinaus mit einem einsamen Plastikstuhl darauf, darunter stand eine leere Bierflasche. Der Anblick hatte etwas Bedrückendes.
Friedrich machte den Kommissar auf ein Notebook aufmerksam, das zugeklappt auf einem weißen Schreibtisch stand. »Sollen wir das mitnehmen?«
»Ja, natürlich. Schau es dir an, du kennst dich besser damit aus als ich.« Der Kommissar durchsuchte die Schreibtischschubladen und fand einen Ordner mit Korrespondenz. Brosler hatte ein Kochbuch herausgegeben, das sich sehr gut verkaufte, und erfolgreich Werbung für ein Haarfärbemittel gemacht. Privatbriefe gab es keine. Nicht mal Fanbriefe. Auch von den angeblichen Drohbriefen fand sich bei der ersten Durchsuchung nichts. Brosler musste sie jeweils kurz nach Erhalt entsorgt haben.
»Komischer Starkoch, der seine ganze Fanpost wegschmeißt«, grübelte der Kommissar. »Oder hat er vielleicht gar keine gekriegt?«
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Beitragvon Ylvi » 04.07.2013, 09:23

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Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Rala

Beitragvon Rala » 10.07.2013, 19:02

III

Klang&Stille

Wie allein ich mich fühlte, abgeschnitten von der Außenwelt als Kind, dick verpackt in Mütze und Kapuze, so dass ich fast nur noch mich selbst hörte und meine Umgebung allenfalls wie von fern wahrnahm. Dagegen in einem fast leeren Zimmer der Versuch, mich durch kurze laute Schreie mir selbst bemerkbar zu machen, ich kam als kratziges Echo von den hässlich graubraunbeige tapezierten Wänden zu mir zurück, ein Teil von mir wird wohl immer noch dort in den Mauern hängen.

Noch schlimmer fand ich es aber, wenn ich ihr zuhören musste, ihrer Stimme, die meiner angeblich so ähnlich war, jedoch einen blasierten Unterton hatte, ihren leeren gelehrten Worten, die nicht viel mehr sagten, als dass sie sie an der richtigen Stelle einzusetzen wusste. Ich hätte gern meine Ohren vor dieser Stimme verschlossen, mich in mein Schädelinneres zurückgezogen, bis ich außer Hörweite gewesen wäre, aber es ging nicht. Ich war zur Anwesenheit verdammt, zum Zuhören.

So hörte ich also, wie sie die blankpolierten Sätze las, die sie aus meinen Gedanken gemacht hatte, wie sie ihre sehr eigene Art von Kreativität dazu verwendete, anderen aufregende Geschichten über die Entstehung ihrer Texte zu erzählen, wie sie mit Fragmenten ihres literaturwissenschaftlichen Wissens um sich warf, wenn sie gefragt wurde, was sie sich denn so gedacht habe bei dem, was sie da geschrieben habe. Wie sie, ein Sektglas in der Hand, geschickt Bescheidenheit und Belesenheit heuchelte.

Bisweilen verriet sie ihr wahres Ich. Dann entglitt ihr die Stimme, wurde für einen Moment rau und kratzig oder quietschte, als drohte sie, in unkontrolliertes Lachen abzurutschen, doch meist fing sie sich sofort wieder. Kontrolle war wichtig. Selbstkontrolle. Das Wichtigste überhaupt. Nicht aus der Rolle fallen. Nicht so werden wie ich, nicht gewöhnlich erscheinen, nicht langweilig. Du warst ja auch immer in der Nähe, um darauf zu achten, dass dein Geschöpf auch dem entsprach, was du dir vorgestellt hattest. Um als sein Schöpfer den gewünschten Eindruck zu machen, einen Anteil von seinem Glanz zu erhaschen, den du allein niemals erlangen zu können glaubtest.

Nun ist Ruhe. Sie hat keinen Mucks gemacht, als ich Hand an sie gelegt habe. Keinen Versuch, sich zu wehren. Es war ungefähr so, als hätte ich mit einer dünnen Nadel in eine aufgeblasene Gummipuppe gestochen und ihr sei ganz langsam und leise die Luft ausgegangen. Ein unauffälliger, stiller Abgang, der so gar nicht ihrer Art entsprach. Ein Abgang ganz in meinem Stil. Obwohl mir ein bisschen Schreien schon recht gewesen wäre. Protest, Angst, Schmerz. Ich hätte ihr gerne wehgetan, wenigstens ein bisschen, so wie sie mir wehgetan hat.

Nur manchmal ist es, als hörte ich ihre Stimme noch gedämpft aus den Wänden hervorsickern, von den Hügeln im Park, wo sie an den Grashalmen hinaufkriecht, oder sie schwebt aus den Rillen der Gullydeckel zu mir hinauf. Ich decke dann meist einen Geräuschteppich darüber, sofern mir gerade einer zur Verfügung steht, oder ich beginne, mit mir selbst zu sprechen. Ihre Texte mit meinen zu überdecken. Die Fälschungen mit dem Original. Aber noch lieber ist mir die vollkommene Stille.

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 11.07.2013, 21:10

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pjesma

Beitragvon pjesma » 15.07.2013, 14:04

Von wegen in der Klemme. Die Seele saß auf einem Zwetschgenbaumast, pfiff die Melodie eines Kinderliedes und baumelte mit den Beinen hin und her in der Luft. Tanja erkannte sie sofort, trotz
herrschender Dämmerung.
Als sich Tanjas Augen an das Halbdunkel gewöhnten, schaute sie rund um sich und stellte fest, dass sie sich auf einem Bergplateau befand, umzingelt mit Bäumen. Sie saß mitten auf dem Pfad der zwischen den Bäumen entlang führte, es war kalt, der Boden war gefroren und sie zitterte. Mit Staunen erkannte sie die Gegend, aber der Erkennungsfaktor erhöhte ihre Verwirrung. Was hat die Seele um drei Gottesnamen da verschlagen, an die unbedeutendste Stelle diesen kleinsten der kleinen Orte dieses längst verlassenen Landes? Wie hat sie das hier bloß gefunden, obwohl sie, Tanja, an diesen Ort nie willentlich dachte? Und wie so wusste sie, Tanja, dass sie sie hier finden wird? Ein Zufall? Es war rätselhaft, es war sinnlos sich die Fragen zu stellen. Tanja strengte ihre Augen an um die Umgebung genauer zu erkunden und erkannte plötzlich grünschimmernd im Dunkeln die Außenwände eines Gebäudes von dem sie wusste dass es ihres Vaters Schule war, vor langer, langer Zeit in seinem Heimatort, als er noch lebte und ein kleiner Junge war.
Was sollte das bloß bedeuten? Im Kopf ging sie die Erinnerungen schnell durch, die an diesem Ort hingen, aber nur Vaters uralten Geschichten fielen ihr ein; über Buchstabierung, Bestraffung, Beten. Lauter Belanglosigkeiten. Sie selbst hat das Gebäudeinnere nie betreten. Warum ist dies Gebäude wichtig? Ist es überhaupt wichtig? fragte sie sich, und ihr Blick wuselte sich durch das Gestrüpp zu dem anderen Gebäude. „Kirche!“, erkannte Tanja die Silhouette. Ist die Kirche das Eigentlich Wichtige? Tanja schielte kurz zu der Seele auf dem Baum hinauf, die weiter unbekümmert pfiff, jetzt mal ein deutsches Kinderlied, und ihr dabei keinerlei Aufmerksamkeit würdigte. Die Seele vermittelte keinen Eindruck, als würde sie erneut abhauen wollen, keine Unruhe ging von ihr aus, im Gegenteil: sie strahlte die Zufriedenheit dessen aus, der genau da ist wo er sein möchte und es überhaupt nicht vor hat weg zu rücken. Tanja fragte sich, ob sie die Seele ansprechen sollte, und verwarf es erst mal, unsicher der Wirkung und auch der Sprache mit der sie sie ansprechen sollte. „Pfeifen sollte ich , vielleicht. Pfeifen auf die blöde, ungehorsame Seele“. Das Maß an Verwirrung war für sie erreicht, der Vorrat an logischem Denken verbraucht, und so stand sie auf von der kalten Erde und ging langsam und nicht allzu viel nachdenkend zu dem Kirchenportal. Sollte sie vielleicht Beten, ist das das was ihr die Seele sagen wollte? Ausgenommen der frühen Kindheit und der Jugend, war sie nie besonders religiös gewesen, warum sollte sie jetzt damit anfangen? Dennoch mochte sie die Kirchen, die Rituale, und vor allem die Glockenklänge. Diese Kirche hier hatte, erinnerte sie sich, eine besonders klangvolle Glocke, die aus einer kostbaren Legierung gegossen war. Die Glocke wurde angeläutet wenn die Leute aus dem Dorf starben oder heirateten…und wenn ein Gewitter im Anzug war. Aber auch zwischendurch läutete es, weil die Dorfkinder ihren Spaß daran hatten, trotz allen Drohungen mit Höllenqualen, sich an dem dicken Glockenspagat festzuhalten, und sich mit den Füßen fest angehakt an dem Spagatknoten von der Glocke hoch heben und hinunter sinken zu lassen. Irgendwann erschien dann der Zaun um den Spagat, damit es endlich Ruhe gibt. Zu diesem Zaun tastete sie sich durch die Säulen des Eingangsbereichs, fasste im Dunkeln nach dem Spagat und noch bevor sie darüber nachdenken könnte was sie da täte, zog sie kräftig daran und läutete die Glocke in die Nacht.



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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 30.07.2013, 21:57

Sommerblumen
Vor zwei Wochen habe ich in der Ecke im Hof hinten bei den verrosteten Autowracks eine kleine, zarte Blume entdeckt. Eine rosa Blüte war bereits halb verwelkt, aber es gab noch Knospen. Sie würde es nicht schaffen allein, das wusste ich. Die trockene Zeit kam. Die Erwachsenen hatten in den letzten Wochen Regenwasser in allen Gefäßen gesammelt, derer sie habhaft werden konnten. Onkel Lennart hat eine Plane über den Hof gespannt, um nur keinen Tropfen zu verlieren. Oma hat erzählt, früher, als sie jung war, habe die Menschen das Regenwasser einfach in die Kanalisation laufen lassen. Verrückt. Ich weiß, was eine Kanalisation ist, Oma hat es mir erklärt. Die Gänge unter der Erde, da ist früher das Wasser abgelaufen. Abwasser hieß das. Heute machen wir das nicht mehr. Wir brauchen das Wasser für das Feld, das wir da angelegt haben, wo früher der Supermarkt war. Oma sagt immer noch: „Ich geh mal Kartoffeln holen im Supermarkt“. Als es noch ein Supermarkt war, gab es aber nicht nur Kartoffeln und Bohnen und Kohl, sondern ganz viele Dinge. Oma sagt, damals haben die Menschen nicht alles selber machen müssen, und dann seufzt sie und fährt sich mit der Hand über den Kopf als wollte sie die Erinnerung fort wischen.
In den Gängen leben jetzt auch Menschen, aber wir reden nicht mit denen. Die Männer haben einen sehr großen Stein auf den runden Eingang zur Kanalisation im Hof gelegt. Ich muss daran vorbei, wenn ich zu meiner Blume gehe. Manchmal kann ich die Menschen unten rufen hören. Dann gehe ich etwas schneller. Die großen Jungs, Hayrettin, Samir und Thorsten, haben mal versucht, den Stein wegzuschieben. Ich habe die Erwachsenen noch nie so wütend erlebt. Mahmud ist völlig ausgeflippt. Wenn Papa nicht dazwischen gegangen wäre, ich glaube, Hayrettin hätte die Schläge nicht überlebt. Später hat sich Mahmud dann entschuldigt und Papa hat erklärt, dass er es nur getan hat, weil er so viel Angst um Hayrettin gehabt hat. Papa sagt, Mahmud hat auch mal in der Kanalisation gelebt, aber er redet nicht gern darüber.
Meine Blume braucht Wasser. Ich könnte da in die Hofecke pinkeln, aber ich mag das nicht, das stinkt. Man muss das Wasser aus den Toiletten erst lange lagern und irgendwas damit machen, erst dann darf es aufs Feld. Papa hat gesagt, es ist zu aggressiv sonst und die Pflanzen gehen kaputt. Ich will nicht, dass meine Blume kaputt geht, also muss ich Wasser stehlen. Wenn die anderen auf dem Feld sind und Oma schläft. Ich habe es jetzt schon fast zwei Wochen jeden Tag geschafft, aber heute ist noch keine Gelegenheit gewesen. Und ich muss aufpassen, vorgestern hätten sie mich beinahe erwischt. Ich konnte gerade noch die Blechdose unter eines der Autos werfen, als Mama auf den Hof kam. Natürlich wollte sie wissen, was ich da mache. Ich habe behauptet, ich hätte eine Ratte gesehen, auf der anderen Seite der Autos. Mama hat geschimpft und gesagt, ich wüsste doch, dass ich nicht allein Ratten jagen dürfte und mir verboten, noch mal rauszugehen. Gestern habe ich mich nicht getraut und heute muss ich erst mal die Dose wieder holen. Ich habe ein wenig Angst. Wenn herauskommt, was ich tue, gibt es ein riesen Donnerwetter.
Aber ich will meine Blume nicht im Stich lassen. Also husche ich schnell in den Hof und krieche unter die Autos, aber ich kann die Dose nicht finden. Ich schaue auch noch mal hinter den Reifenstapel, nichts, da höre ich plötzlich ein Geräusch. Ich will los rennen, da greift mich eine Hand an der Schulter, eine andere hält mir den Mund zu. Ich will schreien, beißen, doch da höre ich eine vertraute Stimme: „Pssst, Lisa, sei still!“ Es ist Oma. Sie lässt mich los, legt einen Finger auf die Lippen und lächelt. Dann zeigt sie auf den Boden. Dort steht meine Dose, voll Wasser. „Weißt Du, Lisa, als ich so alt war wie Du, da hatten meine Eltern einen Garten. Es gab so viele Blumen, vom Frühjahr bis zum Herbst, in allen Farben. Am liebsten mochte ich die Malven, rosa und lila Malven. Im Sommer haben wir sie täglich gewässert, mit einem Schlauch, kannst Du Dir das vorstellen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Komm!“ sagt Oma, ich nehme meine Dose und folge ihr in die Ecke. „Das“ , sagt sie, „ist eine Malve! Ich werde besser schlafen am Nachmittag, wenn Du mir versprichst, dass Du sie gießt.“
Sie ist verrückt, meine Oma, aber sie ist auch in einer verrückten Zeit groß geworden.

aram
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Beitragvon aram » 31.07.2013, 23:51

wiari a gschropp woar

wiari in gadsch gflogn bin

amoi homma an ausflug gmocht aufd sofienoipn. von da knedlhitn ged ma do bein koibedabeag umme, iwad fronzkoarlfeansicht, und iwad riglahitn komma sche wida zruckgeh.

oba domois woad omama no dabei. oiso sama min auto aufd sofienoipn gfoan - noch mariabrunn owe, und von mauaboch iwad sofienoipnschtroßn aufe. de omama, de dante gisi, di mutti, da bapa, di irene und i. mid zwa auto.
da bapa mid unsan graun käfa, buali hoda g'haßn, oda weviaochtansviaochtsiem. und de dante gisi mit ian höbäschn käfa, mit dens imma ind hintabrü gfoan is. der hod a an noman khobt, muaka'l oda so. es amerikanische modö, mit zwa vagromte heandln auf jeda schtoßschtongan. inda gonzn mitlschtroßn hots domois außadem no gem – des schwoaze merzedestaxi von hawamann, den ope rekoad, ara taxi, von de kamtna, den dunklblaun merzedes, ara taxi, von dotschegal, den fiat vom hean wohak (d'frau wohak hod de greißlarei ghobt wo mas brod und de müch kauft hom), a isetta vom inschenjer gretschi, am end von da schtroßn den döschöwe von onkl bepi, und meistns no an ödan ope karawan von hean seibt, in inschtallater wisawie. in seibt sei kraxn hod eftas neiche graue foabflekn oda gonz ondasfoabige kotfligln ghobt, und hod ibahaupt monchmoi gwexlt. amoi is wo a kanäudekl ogongan, hoda gsogt, amoi is a an schpotzn ausgwichn, hoda gsogt - jedsmoi a totala.

auf da sofienoipn drom hots ma gfoin. vü wiesn, vü himme mit woikn, de da wind vablosn hod. a bisl kü woas, oba i hob an graun lodnwedaflek ghobt.
de weidn hob i ausgnuzt und bin a bisl umanondagrennt. don san do longe dicke bamstäm glegn, sübagraue. do bin i drüwabalanziert.

volle konzentrazion, ohne an wogla. d'oam ausbrat, und sche grod vira üba de rundn rukn von de stämm. i waas no, wos so bsundas schee dron woa: einklich wa des nämlich harich gwesn, oba es woas ned. de zuvasicht und des kennan woan a und dessöbe. vü schpeda hod amoi wea "hara" gsogt dazua - wos des haaßt, "im hara sei". do is ma des glei wida eigfoin, wiari domois auf da sofienoim iwad stämm gongan bin, fost scho wia da jesus iwan see.

gschtead hod don nua de schreiarei, wiari grod aufn längstn stomm woa. "PEDA! OBA DO, ßafuat!" - waunin bapa sein schoafn komandoton hea, in da erinnarung, gruslt ma heit. da mutti ihr stimm woa gonz ondas, oba scho a recht spitz. "JESSASna!" - des hod glungan, ois häds bein e scho ka luft mea griagt.
do woans auf amoi wida, akustisch. de dante gisi a - "Rikkerl!", nua de omama und de irene, de woan glaubi ziwilisiata, wäu von denan is ma ka don hänganblibm.

no do hob i don a bisl wos ztuankobt, wäu i hob jo grod wos ztuankobt und in hara bleim miassn, aufn schtom obm. grod der ane is a no mitn iba soa schwoaze lokn driwagleng, und woa in da dikn fost mei greß. a guads schtikl bin i no kumman, oba do woan scho klane wogla drin, wäu des gschraa hod mi do iridiad. no und don bin i owegseglt, und quasi aso wiri vuaher übad stämm gschwebt bin, mit ausbreite oam in mein wedaflek, in gadsch einedaucht.

ob do woas don a rechte durarei. bis i wida drausd woa aus den sumpf, aus den gadsch, der iangdwi de beafekte konsistenz kobt hod - ollas uandlich fest vabikt, und noss aufd haud no dazua. i glaub, i mochs jetz a bissl kiaza, wäu de fünfhundat weata hob i scho.

es hod dauat, bis mi ausn gwond kobt hom. d'irene is do gschtondn mit ihre zwa zepf, auf obstond, und hod zuagschaud. da bapa hod imma a große zomglegte blastigfolie im koffaraum vuan bein reseavera'l zuwegsteckt ghobt, und no a bor so große gwebte sakln mit blastigfutta von da hanfjute. de homs jetz olle braucht, das mei ehemoligs gwond eipokn und mi. i bin nua mit da untahosn ind blastigfolie kumman und aufd hintare sitzbonk pokt wuan, nochdems de außadem no odekt hom.

es hod a ned wiaklich guat grochn. do muas iangdwos dafäud sein in den sumpf. jednfois woari auf da hamfoat mim bapa ala, und olle ondan san bei da gisi eigschtign.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 02.08.2013, 15:28


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