Spende
Hier bog sie ab, das Rad mit dicken silbernen Schutzblechen,
den Kopf zugestöpselt, achtlos, zum Reitstall,
die Schotterstraße entlang Richtung Kiesgrube,
dem Abzweig, wo jetzt auf dem steinernen Herz
immer neue Plüschbären liegen,
wo ein Apfelbaum gepflanzt ist,
wo ihre Ohren überhörten, dass unter den Bässen
ein zweiter Rhythmus sich ihrer Niere einnistete,
dass es in der Leber zu pulsieren begann,
im eignen Herz schon fremde Leben zuckten,
die jauchzten, als ihr Kopf auf die Motorhaube schlug,
seines Mustangs, mächtig angetörnt, hundertvierzig Pferdchen,
der am Steinbruch die Abkürzung entlangraste
ein Sound, zum Küssen, zum Sterben
und ihr Beat mitten im Ohr
stehenblieb.
Eine lange Woche liegt die fünffach schlagende Gabe,
warmgehalten, gewaschen, genährt. So ungefähr
wollte sie es. Ich aber spende: die Augäpfel, mein Blut
und die Säfte meiner Eingeweide
den eiligen, windliebenden Cabriofahrern.
Allen Vorwärtsdrängenden meine weichen Organe,
mit Streifen meiner Haut an Backsteine oder Kanaldeckel gewickelt,
von Autobahnbrücken mögen sie auf schnellstem Weg
sich in ihr Inneres transplantieren,
meine Knochen mögen mit Geschick den Weg in die Speichen
rasender Motorradfahrer finden und an ihnen
sich meines Willens würdig erweisen, ich verfüge:
so darf einmal mein toter Leib sich nützlich zeigen.
Spende
Puh, Franz. Das ist echt harter Tobak. Gnadenlos und krass. Genial-schwierig komponierte Windungen, die man erst mal überwinden, sozusagen die einzelnen "Gliedmaßen" (was gehört zu wem) sortieren muss. Diese Windungen passen heftig gut zu dem, was da passiert.
Chapeau-Grüße
Gabi
Chapeau-Grüße
Gabi
Hallo Franz,
ich habe hier schon ein paar Mal zu einer Antwort angesetzt. Ein heftiger Text, der den Themenkreis Organspende, (Schuld, "verdienen", Recht auf Rettung, Leben ...) auf eine sarkastische und zynische Weise anpackt. Einer der (Aufmerksamkeit) erregt, aufregt (mich zumindest :)), einen Ausgangspunkt für Diskussionen, oder Selbstbeobachtung bilden könnte, bei einem wichtigen Thema, dem man sich gerne entzieht.
Diese Stelle:
im eignen Herz schon fremde Leben zuckten,
die jauchzten, als ihr Kopf auf die Motorhaube schlug,
finde ich grenzwertig, vor allem, wenn ich mir vorstelle, dass jemand, der auf eine Organspende angewiesen ist, das liest.
Der Text ist mutig und entschieden genug, eine Angriffsfläche zu bieten. Wenn es mein Text wäre, hätte ich aber vermutlich Bauchschmerzen, ob der Text auch wirklich kontrovers betrachtet, hinterfragt wird, oder ob die Haltung des Textes einfach "stammtischmäßig" angenommen wird und bereitwillig die vorhandenen, angstbesetzten Vorstellungen damit angeheizt werden.
Stünde der Text ohne weitere Anmerkungen, oder einen bestimmten Kontext in einem Buch, oder einer Zeitschrift, hätte ich damit vermutlich noch größere Schwierigkeiten.
Zwei Kleinigkeiten:
Gut gemacht und vom Ton und der eingenommenen Haltung konsequent durchgehalten ist der Text für mich auf jeden Fall ... ich bin trotzdem noch immer zwiespältig, ob ich ihn für gelungen halte und bin gespannt auf weitere Rückmeldungen und was du dazu schreibst.
Liebe Grüße
Flora
ich habe hier schon ein paar Mal zu einer Antwort angesetzt. Ein heftiger Text, der den Themenkreis Organspende, (Schuld, "verdienen", Recht auf Rettung, Leben ...) auf eine sarkastische und zynische Weise anpackt. Einer der (Aufmerksamkeit) erregt, aufregt (mich zumindest :)), einen Ausgangspunkt für Diskussionen, oder Selbstbeobachtung bilden könnte, bei einem wichtigen Thema, dem man sich gerne entzieht.
Diese Stelle:
im eignen Herz schon fremde Leben zuckten,
die jauchzten, als ihr Kopf auf die Motorhaube schlug,
finde ich grenzwertig, vor allem, wenn ich mir vorstelle, dass jemand, der auf eine Organspende angewiesen ist, das liest.
Der Text ist mutig und entschieden genug, eine Angriffsfläche zu bieten. Wenn es mein Text wäre, hätte ich aber vermutlich Bauchschmerzen, ob der Text auch wirklich kontrovers betrachtet, hinterfragt wird, oder ob die Haltung des Textes einfach "stammtischmäßig" angenommen wird und bereitwillig die vorhandenen, angstbesetzten Vorstellungen damit angeheizt werden.
Stünde der Text ohne weitere Anmerkungen, oder einen bestimmten Kontext in einem Buch, oder einer Zeitschrift, hätte ich damit vermutlich noch größere Schwierigkeiten.
Zwei Kleinigkeiten:
... sich in ihrer Niere einnistete?ein zweiter Rhythmus sich ihrer Niere einnistete,
sich meines Willens?sich meines Willes würdig erweisen, ich verfüge:
Gut gemacht und vom Ton und der eingenommenen Haltung konsequent durchgehalten ist der Text für mich auf jeden Fall ... ich bin trotzdem noch immer zwiespältig, ob ich ihn für gelungen halte und bin gespannt auf weitere Rückmeldungen und was du dazu schreibst.
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
Noch ein paar Gedanken zu deinem Text, Franz:
ich lese ihn als Rache-, Wuttext des LI, das seine Partnerin durch diesen Unfall verloren hat und die verfügt hat, dass ihr Herz im Falle ihres Todes gespendet wird.
Diese Wut wird für mich vor allem hier deutlich:
Dass sich Rachegedanken / extreme Trauer und Wut mit derartiger Wucht entladen, finde ich genau richtig. Alles andere wäre mir zu seicht.
Die von Flora zitierte Stelle ist die heftigste und in meinen Augen auch die zynischste. Daher rührt wohl auch diese ungerechte Übertreibung.
Im ganzen Text schreit hier die ohnmächtige, fassungslose Wut.
ich lese ihn als Rache-, Wuttext des LI, das seine Partnerin durch diesen Unfall verloren hat und die verfügt hat, dass ihr Herz im Falle ihres Todes gespendet wird.
Diese Wut wird für mich vor allem hier deutlich:
RäuberKneißl hat geschrieben:meine Knochen mögen mit Geschick den Weg in die Speichen
rasender Motorradfahrer finden und an ihnen
sich meines Willes würdig erweisen
Dass sich Rachegedanken / extreme Trauer und Wut mit derartiger Wucht entladen, finde ich genau richtig. Alles andere wäre mir zu seicht.
Die von Flora zitierte Stelle ist die heftigste und in meinen Augen auch die zynischste. Daher rührt wohl auch diese ungerechte Übertreibung.
Im ganzen Text schreit hier die ohnmächtige, fassungslose Wut.
Lieber Franz,
ich finde es grandios. Böse, zynisch, auch aufdeckend. Die Seite zeigend, die gerne verschweigen wird. Aber die gehört zur Wahrheit auch dazu...
Vielleicht fände ich es noch besser ohne den zweiten Teil, er ist mir fast zu "bekennend", aber da überlege ich noch...
Liebe Grüße
leonie
ich finde es grandios. Böse, zynisch, auch aufdeckend. Die Seite zeigend, die gerne verschweigen wird. Aber die gehört zur Wahrheit auch dazu...
Vielleicht fände ich es noch besser ohne den zweiten Teil, er ist mir fast zu "bekennend", aber da überlege ich noch...
Liebe Grüße
leonie
so, zurück aus dem wilden Osten.
Etwas hadert jeder mit solchen Texten, glaube ich, das Etikett 'Betroffenheitslyrik' muss in dem Fall einfach akzeptiert werden (es geht um eine grade 18-jährige, Gabi, deshalb die Plüschbären und das Reiten), aber es bleibt jedenfalls für mich nichts lesbares übrig, wenn ich dem Bedenkenträger die Leine lang lasse.
In der Regel liegt hinter jedem Organempfänger eine lange Phase von Warten und sich steigerndem Leiden, so dass ich es für natürlich halte, wenn über die Nachricht, dass endlich ein passendes Spenderorgan gefunden wurde Freude und Dankbarkeit empfunden wird (das religiös geladene 'jauchzen') - dass irgendein dunkles Unglück dahinter lauert, über das Bewusstsein davon lässt sich vom Empfänger sicher empfindungsvoll und Chrismon-Seitenfüllend berichten, der unmittelbarere Impuls dürfte meist der eigene Lebenswille sein, wie gesagt für mich nachvollziehbar.
Den ganzen zweiten Teil wegzulassen hatte ich auch versucht, leonie, aber das Gerüst bleibt dann so sentimental leer, zusammen ist das Ventil erkennbarer und der alttestamentarische Sprung ins Unrecht.
Grüße
Franz
PS: geht das nicht als Dativ 'sich ihrer Niere' - ich bin grammatisch dünn besohlt.
Etwas hadert jeder mit solchen Texten, glaube ich, das Etikett 'Betroffenheitslyrik' muss in dem Fall einfach akzeptiert werden (es geht um eine grade 18-jährige, Gabi, deshalb die Plüschbären und das Reiten), aber es bleibt jedenfalls für mich nichts lesbares übrig, wenn ich dem Bedenkenträger die Leine lang lasse.
In der Regel liegt hinter jedem Organempfänger eine lange Phase von Warten und sich steigerndem Leiden, so dass ich es für natürlich halte, wenn über die Nachricht, dass endlich ein passendes Spenderorgan gefunden wurde Freude und Dankbarkeit empfunden wird (das religiös geladene 'jauchzen') - dass irgendein dunkles Unglück dahinter lauert, über das Bewusstsein davon lässt sich vom Empfänger sicher empfindungsvoll und Chrismon-Seitenfüllend berichten, der unmittelbarere Impuls dürfte meist der eigene Lebenswille sein, wie gesagt für mich nachvollziehbar.
Den ganzen zweiten Teil wegzulassen hatte ich auch versucht, leonie, aber das Gerüst bleibt dann so sentimental leer, zusammen ist das Ventil erkennbarer und der alttestamentarische Sprung ins Unrecht.
Grüße
Franz
PS: geht das nicht als Dativ 'sich ihrer Niere' - ich bin grammatisch dünn besohlt.
Hallo,
jetzt bin ich etwas verwirrt. (Es könnten ja chronologische Rückblenden im Text sein.)
Hatte das Mädchen während des Unfalls gespendete Organe im Leib, sprich: geht es darum, dass sie unachtsam mit dieser Spende umging?
Oder geht es um ein Mädchen, das keine gespendeten Organe im Leib hatte, sondern eigene, die nach ihrem Unfall gespendet werden?
Gruß
P.
jetzt bin ich etwas verwirrt. (Es könnten ja chronologische Rückblenden im Text sein.)
Hatte das Mädchen während des Unfalls gespendete Organe im Leib, sprich: geht es darum, dass sie unachtsam mit dieser Spende umging?
Oder geht es um ein Mädchen, das keine gespendeten Organe im Leib hatte, sondern eigene, die nach ihrem Unfall gespendet werden?
Gruß
P.
Hallo Franz,
Ob es gleich Chrismon braucht, weiß ich nicht. Ich vermute, dass die Problematik ziemlich religionsunabhägig ist?
Sowohl den alttestamentarischen Sprung kann ich nachvollziehen, als auch das hier: aber es bleibt jedenfalls für mich nichts lesbares übrig, wenn ich dem Bedenkenträger die Leine lang lasse.
Liebe Grüße
Flora
Hm ... Ja, das sehe ich auch so. Aber ich glaube der unmittelbare Impuls, wenn sie den Unfall sehen würden, bzw. dabei wären, wie es dein Text in den Raum stellt, wäre Entsetzen und Schock, Betroffenheit, Trauer um diesen Menschen. In dieser Gleichzeitigkeit, wäre es eben nicht "irgendein dunkles Unglück dahinter", eine Nachricht. Es wäre nicht der "erlösende" Anruf, nicht aus der Distanz, unsichtbar und "unpersönlich".RäuberKneißl hat geschrieben:In der Regel liegt hinter jedem Organempfänger eine lange Phase von Warten und sich steigerndem Leiden, so dass ich es für natürlich halte, wenn über die Nachricht, dass endlich ein passendes Spenderorgan gefunden wurde Freude und Dankbarkeit empfunden wird (das religiös geladene 'jauchzen') - dass irgendein dunkles Unglück dahinter lauert, über das Bewusstsein davon lässt sich vom Empfänger sicher empfindungsvoll und Chrismon-Seitenfüllend berichten, der unmittelbarere Impuls dürfte meist der eigene Lebenswille sein, wie gesagt für mich nachvollziehbar.
Ob es gleich Chrismon braucht, weiß ich nicht. Ich vermute, dass die Problematik ziemlich religionsunabhägig ist?
Sowohl den alttestamentarischen Sprung kann ich nachvollziehen, als auch das hier: aber es bleibt jedenfalls für mich nichts lesbares übrig, wenn ich dem Bedenkenträger die Leine lang lasse.
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
Hallo, Franz,
durch den Monatsbrief bin ich jetzt auf deinen Text gestoßen, ich schließe mich den anderen an, der Text ist herausragend mit seinen heftigen Bildern, die ohne Larmoyanz, fast mit einer trotzigen Lebensfreude vorgetragen werden, die natürlich schnell als Fatalismus oder auch Wut enttarnt wird. Super, auch die verschiedenen emotionalen Ebenen des Spenderproblems. An diesem Text kann man mal wieder sehen, was Lyrik anderen Formen der textlichen Darstellung voraus hat.
Viele Grüße
fenestra
durch den Monatsbrief bin ich jetzt auf deinen Text gestoßen, ich schließe mich den anderen an, der Text ist herausragend mit seinen heftigen Bildern, die ohne Larmoyanz, fast mit einer trotzigen Lebensfreude vorgetragen werden, die natürlich schnell als Fatalismus oder auch Wut enttarnt wird. Super, auch die verschiedenen emotionalen Ebenen des Spenderproblems. An diesem Text kann man mal wieder sehen, was Lyrik anderen Formen der textlichen Darstellung voraus hat.
Viele Grüße
fenestra
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