WORT DER WOCHE
- jede Woche ein neues Wort als Musenkuss -
Lyrik, Prosa, Polyphones, Spontanes, Fragmente, Schnipsel, Lockeres, Assoziatives, Experimentelles
- alles zu diesem Wort - keine Kommentare - alles in einem Faden - 7 Tage Zeit -
~ Inland ~
WORT DER WOCHE ~ Inland ~
ROT UND SCHWARZ
Der Mann ist schwarz, oder jedenfalls dunkel, „nicht mehr ganz jung“, wie man so sagt, aber ich will versuchen, nicht zu berücksichtigen, was „man“ „so“ sagt. Über Schwarze sagt „man“ viel. Ich will lieber selber schauen: Wie er da steht, mitten im Grün einer Wiese, es ist Frühling, und aussieht, als sei er überrascht, sogar überrumpelt; wie er auf seine Hand blickt, seine dunkle Hand, die eine rote Mohnblume hält.
Das Rot der Freude.
Das Weiß der Vorsicht.
Das Grün des Blicks.
Seine Augen kann ich nicht gut sehen, bin zu weit weg.
Noch weiß er nicht, dass ich es bin, die ihm die Blume gepflückt hat. (Oder ich werde es sein. Werde ich es sein?) Vielleicht wird er enttäuscht sein, wenn er es erfährt, aber vielleicht erfährt er es auch nie.
Der Gedanke macht mich traurig.
Das Grün der Wiese.
Das Rot der Blume
Das Weiß der Augen.
Das Schwarz der Angst.
Ich wünschte, ich wäre in der Lage, es zu teilen, nicht nur mit Gott, nicht nur „mit allen Menschen“ oder gar Lebewesen („alle“ ist keiner), sondern das Rot dieser Blume, die ich gepflückt haben möchte für diesen Mann.
Er schaut sie an und ich weiß nicht.
Ob ich das Richtige getan habe.
Ob es das Richtige gibt.
Und schneller als der rote Mohn in der dunklen Hand – was für ein Bild! Wie kann ich bei rotem Mohn (ausgerechnet!) das Klischee vermeiden, ohne selbst eines zu werden? – verwelken könnte, falle ich in mir zusammen, stockt mein Fluss, versickert, vertrocknet an den altbekannten, an den furchtbar langweiligen Zweifeln.
Wir sind beide nicht mehr jung, und ich darf nicht mal „wir“ sagen. Gar nichts darf ich, müsste das Verbotene tun.
Das Verbotene hat mit jenem Wort zu schaffen, das ich nicht kann, bei dem es sich grundsätzlich um eine Behauptung handelt, vor deren Konsequenzen mir angst und bange ist.
Der Mann mit meinem Mohn kommt aus Afrika, aus einem Land, einst Hochkultur, nun hungernd, regiert von Chaos und Clan-Egoismus. So hat er erzählt, der nun schon lange Jahre nicht mehr dort, lebt, sondern „bei uns“, in einem Land, dessen „Hochzivilisation“ viel jünger ist als jene seiner Heimat, die „wir“ uns angewöhnt haben, „unterentwickelt“ zu nennen. Die Bedeutungen dieser Worte verwischen sich, bleiben unentwickelt, denn wer schreibt diese Dinge zu? Welche Substanz füllen „wir“ hinein in all die Substantive „unseres“ Subjekt-Objekt-Schemas? – „Entwicklung“, „Kultur“, „Wachstum“…
Der Mohn in seiner Hand wächst nicht, aber in meinem Traum lächelt er. In meinem Traum sehe ich, wie sie die Blume sachte zum Mund führt, um daran zu atmen. (Duftet Mohn? Ich habe es vergessen, oder nie gewusst, habe mich vom Bild ablenken lassen.)
Das Rot der Erde.
Das Grün des Werdens.
Das Schwarz des Wissens.
Meine kleine weiße Hand, stelle ich mir vor, passt zweieinhalbmal in seine dunkle, aber das stimmt gar nicht: Seine Hände sind nicht sehr groß, und auch er arbeitet mit dem Kopf, und auch er kommt damit mehr schlecht als recht über die Runden.
In Wahrheit arbeitet, wer mit dem Kopf werkt, immer mit der Hand.
In Wahrheit ist meine Hand auch nicht weiß, sondern „hautfarben“, wie wir als Kinder sagten, denn wir kannten nur die eigene Haut; „hautfarben“ wäre nicht korrekt, weil die Haut so viele Farben hat wie der Körper Gerüche; so viele Tönungen wie die Stimme Klänge. Jede Haut klingt anders. Auch deshalb ist seine Hand nicht schwarz: Schwarz ist keine Farbe. Schwarz klingt nicht. Schwarz ist stumm. Kein Mensch hat schwarze Haut.
Seine Augenfarbe kann ich nicht sehen, aber ich meine mich zu erinnern, dass sie braungrün sind. Hell. Ich träume.
Das Braun des Gewesenen.
Das Rot des Wassers.
Das Licht der Sonne.
Das Weiß der Angst.
Der Mann trägt eine Menge Vergangenheit mit sich herum, aber er bringt es fertig, nicht zu schwer daran zu schleppen: Sein Gang ist aufrecht, sein Bauch rund und dick, seine Haare rastalanges Statement, die Beine kurz. Ich habe ihm geraten zu heiraten, damit er bleiben kann. Dann bin ich rot geworden. Dann hat er nach mir gefragt. Dann habe ich ihm noch eine Blume gegeben. Dann hat er gesagt, er möchte mit mir äthiopisch essen gehen. Ich weiß nicht, was es in Äthiopien zu essen gibt, ich kenne das Land nur aus den Hungernachrichten, und ich schäme mich, weil nicht die Lust, sondern die Furcht überwog: dass das Essen zu fett wäre, dass er nicht genug Geld hätte. Dann hat er die Verabredung abgesagt – wahrscheinlich weil er nicht genug Geld hat. Wir haben einen Kaffee draus gemacht. Kaffee gibt es in Äthiopien schließlich auch.
Ich mag es dick und teuer.
Ich habe zu viel Angst – vor seinen Problemen, und davor, dass seine Probleme sich auf eine Art mit meinen Problemen überkreuzen, bei der ich mich verheddere.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Ich habe das Weitergehenlassen nicht zugelassen, obwohl ich eigentlich nichts über die Zukunft schreiben wollte, wenn doch die Gegenwart nach all den Jahren endlich anfängt, zögerlich, zu duften.
Ich träumte vergebens, dass ich mich traue.
Das Rot der Scham.
Das Grün der Hoffnung.
Das Schwarz der Schrift.
Kann man Mohnblumen essen?
Der Mann ist schwarz, oder jedenfalls dunkel, „nicht mehr ganz jung“, wie man so sagt, aber ich will versuchen, nicht zu berücksichtigen, was „man“ „so“ sagt. Über Schwarze sagt „man“ viel. Ich will lieber selber schauen: Wie er da steht, mitten im Grün einer Wiese, es ist Frühling, und aussieht, als sei er überrascht, sogar überrumpelt; wie er auf seine Hand blickt, seine dunkle Hand, die eine rote Mohnblume hält.
Das Rot der Freude.
Das Weiß der Vorsicht.
Das Grün des Blicks.
Seine Augen kann ich nicht gut sehen, bin zu weit weg.
Noch weiß er nicht, dass ich es bin, die ihm die Blume gepflückt hat. (Oder ich werde es sein. Werde ich es sein?) Vielleicht wird er enttäuscht sein, wenn er es erfährt, aber vielleicht erfährt er es auch nie.
Der Gedanke macht mich traurig.
Das Grün der Wiese.
Das Rot der Blume
Das Weiß der Augen.
Das Schwarz der Angst.
Ich wünschte, ich wäre in der Lage, es zu teilen, nicht nur mit Gott, nicht nur „mit allen Menschen“ oder gar Lebewesen („alle“ ist keiner), sondern das Rot dieser Blume, die ich gepflückt haben möchte für diesen Mann.
Er schaut sie an und ich weiß nicht.
Ob ich das Richtige getan habe.
Ob es das Richtige gibt.
Und schneller als der rote Mohn in der dunklen Hand – was für ein Bild! Wie kann ich bei rotem Mohn (ausgerechnet!) das Klischee vermeiden, ohne selbst eines zu werden? – verwelken könnte, falle ich in mir zusammen, stockt mein Fluss, versickert, vertrocknet an den altbekannten, an den furchtbar langweiligen Zweifeln.
Wir sind beide nicht mehr jung, und ich darf nicht mal „wir“ sagen. Gar nichts darf ich, müsste das Verbotene tun.
Das Verbotene hat mit jenem Wort zu schaffen, das ich nicht kann, bei dem es sich grundsätzlich um eine Behauptung handelt, vor deren Konsequenzen mir angst und bange ist.
Der Mann mit meinem Mohn kommt aus Afrika, aus einem Land, einst Hochkultur, nun hungernd, regiert von Chaos und Clan-Egoismus. So hat er erzählt, der nun schon lange Jahre nicht mehr dort, lebt, sondern „bei uns“, in einem Land, dessen „Hochzivilisation“ viel jünger ist als jene seiner Heimat, die „wir“ uns angewöhnt haben, „unterentwickelt“ zu nennen. Die Bedeutungen dieser Worte verwischen sich, bleiben unentwickelt, denn wer schreibt diese Dinge zu? Welche Substanz füllen „wir“ hinein in all die Substantive „unseres“ Subjekt-Objekt-Schemas? – „Entwicklung“, „Kultur“, „Wachstum“…
Der Mohn in seiner Hand wächst nicht, aber in meinem Traum lächelt er. In meinem Traum sehe ich, wie sie die Blume sachte zum Mund führt, um daran zu atmen. (Duftet Mohn? Ich habe es vergessen, oder nie gewusst, habe mich vom Bild ablenken lassen.)
Das Rot der Erde.
Das Grün des Werdens.
Das Schwarz des Wissens.
Meine kleine weiße Hand, stelle ich mir vor, passt zweieinhalbmal in seine dunkle, aber das stimmt gar nicht: Seine Hände sind nicht sehr groß, und auch er arbeitet mit dem Kopf, und auch er kommt damit mehr schlecht als recht über die Runden.
In Wahrheit arbeitet, wer mit dem Kopf werkt, immer mit der Hand.
In Wahrheit ist meine Hand auch nicht weiß, sondern „hautfarben“, wie wir als Kinder sagten, denn wir kannten nur die eigene Haut; „hautfarben“ wäre nicht korrekt, weil die Haut so viele Farben hat wie der Körper Gerüche; so viele Tönungen wie die Stimme Klänge. Jede Haut klingt anders. Auch deshalb ist seine Hand nicht schwarz: Schwarz ist keine Farbe. Schwarz klingt nicht. Schwarz ist stumm. Kein Mensch hat schwarze Haut.
Seine Augenfarbe kann ich nicht sehen, aber ich meine mich zu erinnern, dass sie braungrün sind. Hell. Ich träume.
Das Braun des Gewesenen.
Das Rot des Wassers.
Das Licht der Sonne.
Das Weiß der Angst.
Der Mann trägt eine Menge Vergangenheit mit sich herum, aber er bringt es fertig, nicht zu schwer daran zu schleppen: Sein Gang ist aufrecht, sein Bauch rund und dick, seine Haare rastalanges Statement, die Beine kurz. Ich habe ihm geraten zu heiraten, damit er bleiben kann. Dann bin ich rot geworden. Dann hat er nach mir gefragt. Dann habe ich ihm noch eine Blume gegeben. Dann hat er gesagt, er möchte mit mir äthiopisch essen gehen. Ich weiß nicht, was es in Äthiopien zu essen gibt, ich kenne das Land nur aus den Hungernachrichten, und ich schäme mich, weil nicht die Lust, sondern die Furcht überwog: dass das Essen zu fett wäre, dass er nicht genug Geld hätte. Dann hat er die Verabredung abgesagt – wahrscheinlich weil er nicht genug Geld hat. Wir haben einen Kaffee draus gemacht. Kaffee gibt es in Äthiopien schließlich auch.
Ich mag es dick und teuer.
Ich habe zu viel Angst – vor seinen Problemen, und davor, dass seine Probleme sich auf eine Art mit meinen Problemen überkreuzen, bei der ich mich verheddere.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Ich habe das Weitergehenlassen nicht zugelassen, obwohl ich eigentlich nichts über die Zukunft schreiben wollte, wenn doch die Gegenwart nach all den Jahren endlich anfängt, zögerlich, zu duften.
Ich träumte vergebens, dass ich mich traue.
Das Rot der Scham.
Das Grün der Hoffnung.
Das Schwarz der Schrift.
Kann man Mohnblumen essen?
Ich lerne zur Zeit inländisch. Es ist schwieriger als ich dachte. Ständig muss ich Pausen einlegen, weil mein inneres Ausland interveniert, mir erzählen will, was richtig ist. Dabei weiß bzw. lerne ich gerade, dass eben genau dieses innere Ausland mich bösartig manipuliert, dirigiert und mit allen Mittel versucht, mir das Inländisch-Lernen madig zu machen. Und dies aus einem konkreten Grund: wenn ich die inländische Sprache beherrsche, und zwar in jeder Situation (in Notfallsituationen beherrscht jeder Mensch inländisch), muss mein inneres Ausland kapitulieren. Wenn dies geschieht, brauche ich keine Sprache mehr.
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