fenestras blühblog

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 14.05.2012, 18:26

Einen Blühblock im Mai zu beginnen ist eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen – im Blühmonat schlechthin – es wird nicht möglich sein, die Natur schreibend wieder einzuholen. Flieder blühduftet betäubend, Roßkastanien und Vogelbeere wetteifern um Insekten, der Taschentuchbaum wirft weiße Fetzen herum und der Star unseres Gartens, der Blauregen, krönt wie ein riesiger Springbrunnen einen Wäschepfahl. Am Meisenkasten sind bereits häufige Ein- und Ausflüge zu beobachten, offensichtlich ist der Nachwuchs geschlüpft. Der Zilpzalp zählt und zählt. Wahrscheinlich die Tage, bis sein Nachwuchs sich endlich aus dem Ei geschält hat. Nur wo ist das Nest? Ich habe es noch nicht entdeckt. Dafür weiß ich, dass die Dohle im Schuppenschornstein gebaut hat. Sie denkt allerdings, ich hätte es nicht bemerkt und gibt sich heimlich.

Einer meiner liebsten Blütenbäume hat mich dieses Jahr im Stich gelassen. Was ihm wohl fehlt? Ich habe ihm vor Jahren dieses Gedicht gewidmet:



blühstück


birnbaum dein blühstück
verdient allen bienenapplaus

in löwengezähnte szene setzt du dein kleid

wirfst es premieren-erfahren
auf gräsernen teppichen aus

raffst deine ringe
& stundest zum fruchten die zeit

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.07.2013, 11:37

Gut, dass du es hervorgeholt hast, Flora. Hier wollte ich nämlich auch noch schreiben, dass ich das so klasse finde, fenestra! Hier spielst du wieder wunderbar lebendig und klangvoll mit der (Pflanzen)Sprache. Es liest sich toll, sehr gelungen! :daumen:

Liebe Grüße
Gabi

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 01.07.2013, 21:33

Dank euch, ihr beiden! Die Holunderblüte war ja diesmal tatsächlich in einer Nacht verregnet - zu schade! Eigentlich wollte ich Hollersekt ansetzen. Nun habe ich wenigstens diesen Text.

Liebe Flora,

"rosindel die lunder" heißt für mich etwa: Gesindel! Die Luder! ;)

Das doppelte "die" brauche ich für die Metrik. Wenn du es laut liest, merkst du es sicher.

Danke fürs unter die Lupe nehmen und viele Grüße
fenestra

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 02.09.2013, 18:10

hummelschwank oder herbale entgleisungen


schrebergärten rührend altmodisch
(bei den budenheimern das butzenglas)

baugerüst
längst von wildem wein erklommen
streugutkasten
von robinien eingenommen

duftgeschwader vom gelben und weißen steinklee
ferkelkrautwiesengestückel
und mein ständiger reisebegleiter
ein greis mit unregelmäßiger zahnreihe
spreading along motorways *

manche machens wie die nachtkerzen
tragen augenbinden solange der tag vorbeifliegt

keiner entziffert die graffitikürzel
bunt/röter als rundbeete mit rosen

johanniskraut äfft gelbe stromverteilerhütchen nach
natternkopfrabatten bläuen zusehends das bild

richtung süden das gleisbett rosa ausgepolstert von honigklee
wer will da schon weichen
zusehends erröten die weidenröschen

windstille

brombeerhecken blühen fast
wiesenbocksbart? unbärtig schweben glaskugeln
entsenden fallschirme
mit schokoduftversprechen

luzernenschwärze auf dem chemin de luzifer
waldrebenranken schwappen über abstellgleise

durch den asphalt pickt sich der storchschnabel
gänzlich in der farbe von brombeersaft
fingerkräuter betasten ihn
hasenpfötchen springen vorbei WARTE schon WEG

sehr geehrte fahrgäste wegen einer kchrstlllllörrrck
hält unser zug für ppsttimmpfff zeit bitte nchchtssstaickrrrrn


und blumenpflücken.


*the invasion of central Europe by Senecio inaequidens

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 02.04.2014, 20:59

nemorosa

öffnet die krone
ich muss zum date
in den wald der wälder
den busch der büsche
der buschanemone

sie drängeln an wegen
böschungen pfaden
tanzen und wippen
einige nicken
im schoß der wurzeln
bald wieder ein

andere tuscheln
hinter den dunklen
spitzigen krägen
klatsch von der hummel
über den sauerklee
über die schlehen
draußen im huteland
die hätten längst
den frühling gesehen

dann bricht die sonne
sich bahn durch die stämme
die anemonen wenden die kronen
richten die schüsseln
empfangen das lenzprogramm
strahlen es aus
verblümt
für die bienen

und ich
bin eine von ihnen

P1060422busch2.jpg

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 08.04.2014, 09:37

Hallo fenestra,

ein wunderbarer Schwung ist da drin! Einzig das "lenzprogramm" sticht für mich ein wenig raus, auch klanglich. (Vielleicht auch, weil es mich an Lanz erinnert. Wetten dass? :o)) Vielleicht könntest du Frühling und Lenz tauschen?

die hätten längst
den lenz gesehen


empfangen den frühlingskanal
strahlen ihn aus


Nur so als Idee. Auf jeden Fall ein schön fenestriges Gedicht!

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Gerda

Beitragvon Gerda » 08.04.2014, 19:12

Liebe Jutta,

ih bin froh, dass Flora, etwas zu deinem Anemone-Buschwindröschen-Gedicht geschrieben hat.
So kommt es mit erneut auf den Schirm und darüber bin ich sehr froh, denn deine lyrischen Verse entspannen und machen mich froh. Das luftig Leichte sde Frühlings lassen sie zu und ich atme die Kuft am Eschbacher Pfingstwäldcheb, obgleich dein Gedicht ganz anderswo entstanden ist .

...auch wenn das jetzt keine substantierte Textbesprechung ist ... :daumen:

Herzliche Abendgrüße
Gerda

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 09.04.2014, 23:56

Hallo, das ist schön, dass ihr diesem etwas altmodisch-naturromantischen Textchen (à la Wurzelkinder) ein paar Worte widmet. Die Buschwindröschenblüte gehört für mich zu den Ereignissen, die ich nicht verpassen möchte, daher die kleine Hommage.

Deine Anregung habe ich ausprobiert, liebe Flora, allerdings ticke ich da rhythmisch etwas anders, ich habe ja abwechselnd (nicht ganz regelmäßig allerdings) Jambus und Dactylus verwendet und bei

"die hätten längst den frühling gesehen"

brauche ich den Dactylus, während ich ein Wort wie "Frühlingsprogramm", das mit einer betonten Silbe aufhört, überhaupt nicht rhythmisch einbauen kann. Vielleicht würde es gesprochen klarer.

Verregnete Frühlingsgrüße
fenestra


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