HBF - 03 Die Krähen

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 07.02.2016, 10:06

HBF

3 - Die Krähen


Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab
und gehen keck Patrouille inmitten
von dutzend Beinen, spähen auf die Fritten,
stolzieren, hüpfen, ducken sich, tapp tapp
und schnapp hat eine ein Stück Brot erhascht.
Ein Prachtstück: Viel zu groß, es ganz zu schlucken.
Zwei Tauben aus gemessnem Abstand gucken;
Die Krähe schleppt das Brot aufs Dach und nascht
in Ruhe erst das Weiße, lässt die Rinde
ins Gleisbett fallen, zögernd schaun die Tauben
ob sie im Schotter diesen Brotrest finden
und lassen sich erneut den Happen rauben:
Schnell auf die Fahnenstange; - das war knapp.
Die grellen Messebanner hängen schlapp.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.02.2016, 11:13

Lieber Zaunkönig,

ich mag Krähen ja sehr gern, auch ihre Geräusche. Ich finde auch, dass sie sich toll bewegen, auch auf dem Boden. Sie wirken klug und machen ihr Ding und sonderlich aggressiv wirken sie auch nicht auf mich. Deshalb mag ich die Szene.

Ich würde aber Hbf statt der Großbuchstaben im Titel schreiben. (Die Abkürzung finde ich ansonsten toll als Titel).

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gerda

Beitragvon Gerda » 07.02.2016, 11:30

Feine Beobachtung, lieber Zaunkönig. Sehr charakteristisch sowohl für die Krähen als auch die Tauben. Die Reime fließen gekonnt und passend.

Herzlich
Gerda

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Beitragvon ZaunköniG » 07.02.2016, 11:58

Wenn ich an die 80ger und 90ger Jahre zurückdenke, kann ich mich nur an Tauben am Bahnhof erinnern, und ich frage mich, ob die Krähen ihr Verhalten geändert haben oder ob sich der Ort zu ihren Gunsten verändert hat.

Hbf ist wohl die korrekte Schreibweise, zumindest die geläufigere.

Wie sieht es beim Kreiskrankenhaus aus? Kkh oder KKH? Von Werbung / Marketing / Öffentlichkeitsarbeit wird ja gerne mit Schreibweisen gespielt um Wahlweise Seriosität oder Dynamik darzustellen.

Liebe Grüße
ZaunköniG
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nera
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Beitragvon nera » 07.02.2016, 12:27

gefällt mit auch sehr!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.02.2016, 19:57

Lieber Zaunkönig,

ich finde einfach, bei Hbf ist man gleich drin in der Szene...ich habe jedenfalls bei HBF nicht gleich an Hauptbahnhof gedacht, mir gefällt aber bei diesem Text, von Anfang an, darin zu sein. Sieht auch schöner aus, finde ich :-)

Liebe Grüße
Lisa
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 07.02.2016, 20:30

Mitten drin, sollte man sein. Es ist schließlich schon Teil 3 dieses Zyklus.
Ich hatte meine Zweifel, ob der auch allein funktioniert, aber die Sorge war wohl unbegründet.

Teil 1 + 2 --> viewtopic.php?f=2&t=15494
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Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.02.2016, 17:29

Hallo ZaunköniG,
die erste Zeile ist ja dieselbe wie die letzte des zweiten der älteren Hbf-Sonette, d.h. Du schließt bewusst an diese beiden Texte an. Deine Vogelbeobachtung ist unbestreitbar gelungen, aber was mir fehlt, ist etwas, das in den ersten beiden Sonetten vorhanden war, nämlich ein erkennbar reflektierendes Subjekt - dort der frühere Zugführer, der, nachdem ihm einer vor den Zug gesprungen ist, Gebäudereiniger geworden ist. Wo ist er geblieben? Er fehlt mir bitterlich, und ich bezweifle, dass er allein dadurch, dass man die drei Texte im Zusammenhang vorläse, im dritten Sonett noch mitschwingen würde. Die einzige reflektierende Zeile, die nicht "nur" Tierverhaltensbeobachtung ist, ist die letzte: "Die grellen Messebanner hängen schlapp." Bei dieser Zeile atme ich regelrecht auf - denn in dieser Beobachtung löst sich der Text von den Krähen und den Tauben und kehrt zu irgendwem, zu einem reflektierenden Menschen, ob es nun der Gebäudereiniger ist oder ein anderer, zurück.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 10.02.2016, 16:28

Hallo Quoth,


Die Option einen Kranz daraus zu entwickeln wird nun konkret. Ich hatte ja schon damals mit der Möglichkeit geliebäugelt, aber nun werden aus Notizen auch Gedichte. Von Anfang an sollte aber nicht der Gebäudereiniger im Mittelpunkt stehen. Grundidee ist, verschiedene Bahnhofseindrücke zu sammeln, so flüchtig, wie sie sich einem Reisenden eben ergeben, wenn er etwa etwas Aufenthalt beim Umsteigen hat.
Dem Gebäudereiniger hatte ich ursprünglich auch nur ein einzelnes Sonett zugedacht, aber schnell gemerkt, dass die I. alleine eher unverstanden bleibt.
Ich werde zum Gebäudereiniger also eher nicht nicht wieder zurückkehren. Aber wenn es ein Trost ist:
In den folgenden Sonetten, soll es auch wieder um Menschen gehen.

Gruß
ZaunköniG
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.02.2016, 18:43

Hallo Zaunkönig,

Grundidee ist, verschiedene Bahnhofseindrücke zu sammeln, so flüchtig, wie sie sich einem Reisenden eben ergeben, wenn er etwa etwas Aufenthalt beim Umsteigen hat.
Wenn ich dieses hier alleine betrachte, kann ich es so lesen. Die ersten Teile sind jedoch für mich aus/mit der Innensicht des Gebäudereinigers erzählt und das zieht sich dann hier weiter, da ich keinen bewusst gesetzten Perspektivenwechsel erkennen kann. Insofern steht er für mich schon im Mittelpunkt und ich sehe weiter durch seine "Augen" und habe somit auch den menschlichen (Rück)Bezug. Was ich aber auch gut so finde. :)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Beitragvon ZaunköniG » 11.02.2016, 08:53

Hallo Flora,

Die ersten Teile erzählen vom Gebäudereiniger in der dritten Person.
Aber du hast recht, einige Details sind zu intim für einen flüchtig vorbeieilenden Reisenden.
Vielleicht ein Pendler, der jeden Tag den gleichen Menschen begegnet? Oder arbeitet er selbst im Bahnhof?
Über die Figur des Erzählers habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig.

Ich habe mir übrigens erlaubt deine Übersetzungen der ersten beiden Teile auch ins Sonett-Forum zu stellen.
In diesem Zusammenhang noch Grüße von Sneaky!
Er hat sich gleich am fehlenden Metrum gestört und eigene Fassungen nachgelegt.
Da merkt man gleich, was das Metrum ausmachen kann. Dennoch: Beide Übersetzungen haben ihren Reiz.


Liebe Grüße
ZaunköniG
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Beitragvon Ylvi » 11.02.2016, 11:24

Hallo Zaunkönig,

Über die Figur des Erzählers habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig.
Das finde ich schon wichtig (sehr! :nicken: aber das mag meine persönliche Lesermacke sein), vor allem, wenn in den nächsten Teilen dann auch wieder Menschen auftauchen.
Ich habe mir übrigens erlaubt deine Übersetzungen der ersten beiden Teile auch ins Sonett-Forum zu stellen.
In diesem Zusammenhang noch Grüße von Sneaky!
Er hat sich gleich am fehlenden Metrum gestört und eigene Fassungen nachgelegt.
Da merkt man gleich, was das Metrum ausmachen kann. Dennoch: Beide Übersetzungen haben ihren Reiz.
Grüße zurück. Er kann gerne wiederkommen und es hier einstellen, dann schreibe ich auch was zu seiner Version. :mrgreen: Erstaunlich finde ich immer wieder, was man als holprig empfindet und wie unterschiedlich das offensichtlich von Leser zu Leser ist.

Liebe Grüße
Flora
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Quoth
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Beitragvon Quoth » 11.02.2016, 17:14

Hallo ZaunköniG,
hier muss ich mich vollumfänglich der "Lesermacke" Floras anschließen: Für einen Sonettkranz musst du noch elf weitere Sonette mit Bahnhofsbeobachtungen füllen, und wenn daraus kein Notizbuch-Sammelsurium werden soll, das nur durch die identischen Schluss- und Anfangszeilen zusammengehalten wird, dann brauchst Du eine Perspektive, und da ist Dir in den ersten beiden Sonetten dieser phantastische traumatisierte Exzugführer eingefallen, der jetzt die Glasscheiben putzt - das ist ein Goldschatz, vor allem auch wegen der depressiven Düsterkeit seiner Sichtweise - die sich im Laufe des Kranzes durchaus aufhellen kann, es führen ja Wege aus der Depression heraus! Vielleicht verliebt er sich???? O Gott nein, bloß das nicht, keine Rückkehr in den Schneewittchensarg!
Gruß
Quoth
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Jürgen

Beitragvon Jürgen » 12.02.2016, 20:27

Hallo ZaunköniG,

gefällt mir sehr gut. Ich mag Gedichte dieser Art. Meinst Du (ist jetzt wirklich eine Frage), man kann Rinde in Rinden ändern, damit es sich auf finden reimt?

Gerne und mit einem Schmunzeln gelesen. Ich mag die Vögel in unseren Städten.

Jürgen


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