Im Eiscafe

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
Kurt
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Beitragvon Kurt » 29.07.2016, 06:16

Ich war gestern, bei schönstem Sommerwetter, mit meinem fetten Nachbarn Max im Eiscafe. Es waren leider keine Damen alleine anwesend. Unerwartet jedoch welche mit Kinderwagen. Ich war wohl etwas frustriert. Was sollte mich sonst geritten haben, zu der Frau zwei Plätze neben mir, zu sagen: „Meine Jüte, wat haben se für ein hässliches Baby.“ Bevor ich noch sagen konnte: ‚Aber für Sie ist es sicherlich das schönste auf der ganzen Welt.’ keifte die Dame mich an. Ihr Mund wurde zur Revolverschnauze, und ich geriet unter Dauerbeschuss. Jetzt kam Max dazu mit zwei Eisbechern in Händen. Ich zeigte auf das Baby: „Max, schau doch nur, wat für ein potthässliches Baby.“ „Ja, das ist es wirklich. Aber es ist zwecklos, einer Mutter davon zu überzeugen.“ „Dahinten, siehst du die Zeugen Jehovas, die sind da anderer Meinung. Denn nur die Wahrheit wird euch freimachen, postulieren sie.“
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Eule
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Beitragvon Eule » 22.09.2016, 23:28

Ein ziemlich banales Beispiel fürs Strohmännerschiessen. Der Protagonist "besticht" mit dumm-ehrlicher Dreistigkeit, ohne es selber zu merken, da er Dummheit und Hässlichkeit ja nur bei den Anderen sieht.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 23.09.2016, 03:16

Eule, ich wünsche mir eine Gesellschaft, die nicht so verlogen ist, sich selber etwas vormacht, und solche Kommentare wie deinen hier gar nicht erst aufkommen ließe. Und das geht am Besten, wenn man sich die Wahrheit eingesteht. Dann hätte Göbbels die Hässlichkeit, die jeder „glorreiche“ Krieg mit sich bringt, nicht verschwiegen. Und wenn man dem Hässlichen von vornherein offen und ehrlich begegnen würde, blieben uns solche Situationen erspart, in denen verunsicherte Mütter ihre Kinder von behinderten Menschen wegzerren, weil es ihnen peinlich ist, wenn ihr Kind die Hässlichkeit anspricht. Dann fühlte der Behinderte sich durch das Wegziehen des Kindes betroffen, nicht durch die Betrachtung seiner Hässlichkeit. Ein selbstverständlicher Umgang mit der Hässlichkeit würde deren Akzeptanz einschliessen.

LG Kurt
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.09.2016, 08:30

Ein Text, über den man sicherlich diskutieren kann (z. B. auch mit Schülern) - der Typ hat ja immerhin nicht ganz die Fähigkeit zur Selbstkritik verloren, und so ergibt sich eine ganz interessante "Herumeierei". Zumal der Hinweis auf die Zeugen Jehovas nochmal einen anderen Aspekt von Wahrheit einbringt.

Wenn Du, Kurt, Dir eine Welt wünschst, die nicht verlogen ist (nachvollziehbar), so wünsche ich mir eine, die weiß, dass einen fremde hässliche Babys nichts angehen. Diese Einmischung in alles finde ich ganz grässlich. Zu allem gibts (immer, wenn man es unbedingt will) einen negativen Kommentar! Für mich ist das nichts weiter als ein alltägliches Machtgeplänkel, wenn man jemand anderen runterputzen kann, gehts gleich besser (scheinbar wenigstens). Das hat uns schon bedenkenswert viel Diskussions-Unkultur eingebracht.
Hier ist es doch gerade kein "selbstverständlicher Umgang mit der Hässlichkeit" - wir wissen ja nicht einmal, ob das Baby wirklich hässlich ist. Und was der Typ, vermutlich völlig "baby-unerfahren", gerade empfindet ("frustriert"), tut doch gesellschaftlich gesehen überhaupt nichts zur Sache, hat mit der Frage nach der allgemeinen Verlogenheit nichts zu tun.

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birke
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Beitragvon birke » 23.09.2016, 10:16

hässlich und schön sind doch zwei höchst subjektive begriffe. babies sind babies, und da sie absolut wehrlos sind, unantastbar, was das angeht, meine ich. erwachsene, die, die mit mir „auf einer stufe“ stehen, die kann ich kritisieren. übrigens, neugeborene sehen zuweilen aus wie greise oder kleine nackte tiere. ja und? das ist leben. babies sind babies. und schützenswert. hässlich oder schön tut nix zur sache! und ich sehe in dieser episode (in diesem text) wenig sinn, da hier weniger von „wahrheit“ die rede ist als von subjektiver wahrnehmung und unverschämtem oder zumindest fragwürdigem verhalten. es ist ja noch lange keine lüge, wenn ich das aussehen eines babys nicht kommentiere.
insofern, ja, diskussionswürdig ist der text allemal ;)
…meint birke
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 23.09.2016, 10:27

Es ist ein uralter und primitiver Trick, andere zu beleidigen und dann scheinheilig zu behaupten, man habe doch bloß die Wahrheit sagen wollen.

Ich war wohl etwas frustriert. Was sollte mich sonst geritten haben, zu der Frau zwei Plätze neben mir, zu sagen:


Ein echter Dienst an der Wahrheit wäre, zu der Frau zu sagen: "Ich bin grade so frustriert, dass ich nicht anders kann, als Ihr Baby hässlich zu nennen. Danke fürs Zuhören."
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 23.09.2016, 12:24

Es ist ja nicht einmal die Wahrheit.

Hässlichkeit ist eine individuelle Empfindung.

Ein Satz wie "Das Kleid ist hässlich" ist weder wahr noch falsch, weil er unvollständig ist: der Empfindende fehlt.

Nur ein Satz wie "Igor findet das Kleid hässlich" kann wahr sein.

Der Text oben ist überfüllt mit logischen Fehlern, und sozial betrachtet ein unrettbarer Schwachsinn; -- was soll man da noch sagen? Ein sehr hässlicher Text ist das, finde ich.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.09.2016, 14:30

Hallo Kurt,

ich wollte haargenau dasselbe schreiben wie Zefira - mit eben dem Zitat aus dem Text, das sie gebracht hat. Das, was du dir wünscht und was ich auch spannend finde, wird vom Protagonisten im Text jedenfalls nicht geleistet. Davon ab finde ich es nicht unangemessen ein Baby hässlich zu finden (und ich glaube, das finden sogar viele oder zumindest zum Teil in ihren anderen Wahrnehmungen in diesem Moment), aber darum geht es beim Helden ja eigentlich gar nicht.

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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