Aphorismen von Jules Renard und de La Rochefoucauld, kommentiert

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.04.2016, 17:25

Jules Renard hat geschrieben:Um zu arbeiten, warte ich, bis mein Thema an mir arbeitet. (1900)

Oft verschwende ich Stunden damit, einen Text erzwingen zu wollen, der mir trotz aller Anstrengung nicht gelingt. Dann aber fließt er mir plötzlich wie von alleine zu. Dabei kann es zu inhaltlichen Verschiebungen kommen, die ich in der Phase des absichtlichen Schreibens nie vorgenommen hätte, auf die ich auch gar nicht gekommen wäre. Mit dem Begriff "Inspiration" kann ich nicht viel anfangen. Aber Renards Formel leuchtet mir unmittelbar ein: Das Thema muss anfangen, an mir zu arbeiten. Diese Verselbständigung dessen, was man gestalten will, ist vielleicht das Schönste an der ganzen Schreiberei.



Zitiert nach Jules Renard: Das Leben wird überschätzt. Aus den Tagebüchern ausgewählt und übersetzt von Henning Ritter. Matthes & Seitz, Berlin 2015 und nach Jules Renard: Ideen in Tinte getaucht, Tagebuchaufzeichnungen, übersetzt und ausgewählt von Hanns Grössel, Winkler, München 1986
Zuletzt geändert von Quoth am 11.06.2019, 17:10, insgesamt 2-mal geändert.
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birke
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Beitragvon birke » 19.08.2018, 15:44

ich weiß nicht, mucki ... es steht ja hier umgekehrt: die (reichen?? vielleicht auch prominenten?) glücklichen (?) menschen beneiden das "kleine begrenzte glück"... (und das wiederum wäre dann auch kein glück, wenn diese menschen das "große glück" neideten, wovon hier aber ja auch nicht die rede ist.)
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.08.2018, 17:25

Jules Renard hat geschrieben:
Ich habe stets glückliche Menschen gesehen, aber wenn sie zu hoch dafür bezahlen mussten, beneideten sie das kleine begrenzte Glück im stillen Winkel. (1901)

Ich hab nochmal über das "im stillen Winkel" nachgedacht.
Vielleicht ist diese kleine begrenzte Glück im stillen Winkel die Privatsphäre?
Das würde bedeuten: der Preis, der bezahlt wird, ist die ständige Präsenz in der Öffentlichkeit, das Fehlen von Privatsphäre. Hm?

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birke
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Beitragvon birke » 19.08.2018, 18:12

ja, das ergibt für mich sinn, mucki :)
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Beitragvon Pjotr » 19.08.2018, 21:20

Dem Glück geht immer etwas voraus. Das ist das Pech.

Glück ist keine Ebene, es ist ein Aufstieg.

Glück ist eine Welle. Wellenschlagen kostet Kraft.

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birke
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Beitragvon birke » 19.08.2018, 23:45

pech muss dem glück nicht zwingend vorausgehen, meine ich...
allerdings meine ich: glück ist nur in momenten spürbar. (eine "welle" trifft es auch...)
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Beitragvon Pjotr » 20.08.2018, 02:26

Je mehr Pech vorausging, desto wuchtiger ist das folgende Glücksmoment.

Bloße Zufriedenheit hat nicht die Spannkraft für wuchtigste Glücksmomente.

Hungrig eine Nuss zu entdecken, macht glücklicher, als mit sattem Bauch eine Nuss zu finden.

Manche satte Menschen sind zufrieden, weil sie nicht das Glück suchen, sondern die Zufriedenheit. Zufriedenheit ist eine Ebene.

Manch andere satte Menschen sind nie zufrieden; sie suchen das stete Glück, ohne zwischendurch hungrig zu werden. Also weil sie nie nach unten gehen, um neue Spannkraft anzukurbeln, türmen sie ihre Bergspitze weiter auf, damit sie auf jedem neuen Gipfel noch weiter aufsteigen können. Ihr Leben ist meist kurz.

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Beitragvon birke » 20.08.2018, 07:37

zufriedenheit ist nicht gleich glück, aber auch in einer zufriedenheit kann man glücklichkeit erleben. (wobei das erleben ja so oder so individuell sein dürfte.. genauso wie die definition von glück?)
ist denn das gegenteil von glück tatsächlich pech? ist es nicht vielmehr traurigkeit?
(die natürlich eine folge von "pech" sein kann...)
spannend, über das glück zu sinnieren!
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Beitragvon Pjotr » 20.08.2018, 09:56

Glück und Pech sind für mich Sammelbegriffe für vielerlei positive und negative, dehnbare Eigenschaften. Oben schrieb ich über deren Intensitäten relativ zueinander; ich meinte das nicht als absolute Fixpunkte.

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 20.08.2018, 10:08

Pech ist für mich etwas, das an einen Moment gebunden ist. Das gleiche gilt für Glück. Dennoch sehe ich es wie Birke, das Gegenteil von Glück ist eher die Traurigkeit. Aber die Abwesenheit von Traurigkeit bedeutet nicht unbedingt Glück. Traurigkeit kann zum Beispiel von Gelassenheit abgelöst werden. Oder von Heiterkeit. Ja, ein spannendes Thema.

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Beitragvon Pjotr » 20.08.2018, 11:02

Ein anderer Sammelbegriff für den Sammelbegriff "Pech" wäre für mich der Sammelbegriff "Schmerz".

Traurigkeit ist ein mentaler Schmerz, Zahnweh ein körperlicher. Und wenn man den hat, ist das doch auch ein Pech.

Der Tod ist für mich auch ein Pech, sofern es kein Selbstmord ist. Wenn Schmerz zum Selbstmord treibt, dann ist der Schmerz das Pech und der Selbstmord das Glück.

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Beitragvon Mucki » 20.08.2018, 13:22

Hetti hat geschrieben:Traurigkeit kann zum Beispiel von Gelassenheit abgelöst werden. Oder von Heiterkeit.

Man hört und liest oft den Begriff "heitere Gelassenheit". Diese empfinde ich persönlich als erstrebenswert. Es hat etwas Stoisches, den Dingen gelassen ihren Lauf lassen und sich nicht zu zermürben. Es hat auch etwas von sich fallen lassen, im positiven Sinne. Es ist wohl ein Zustand, der schwer zu halten ist, ob in Zeiten von Glück oder Pech oder Schmerz oder Traurigkeit. Ein "meditativer" Zustand.

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Beitragvon Hetti » 20.08.2018, 15:17

Vielleicht ist es das, was J. R. meint, wenn er vom Glück spricht, das zu teuer bezahlt. Die Vielfalt von Gefühlen. Stets glücklicher Mensch: Jemand der bar aller Sorgen ohne Herausforderung und bewältigte Krisen?

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birke
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Beitragvon birke » 20.08.2018, 16:05

... und bar jeder sehnsucht?
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Beitragvon Mucki » 20.08.2018, 17:02

Jules Renard hat geschrieben:
Ich habe stets glückliche Menschen gesehen, aber wenn sie zu hoch dafür bezahlen mussten, beneideten sie das kleine begrenzte Glück im stillen Winkel. (1901)


Interessante Idee, Hetti. Damit würde sich auch das Wort "stets" erklären. Renard meint es dann wörtlich.
Darauf habe ich bisher gar nicht geachtet.


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