Aphorismen von Jules Renard und de La Rochefoucauld, kommentiert

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.04.2016, 17:25

Jules Renard hat geschrieben:Um zu arbeiten, warte ich, bis mein Thema an mir arbeitet. (1900)

Oft verschwende ich Stunden damit, einen Text erzwingen zu wollen, der mir trotz aller Anstrengung nicht gelingt. Dann aber fließt er mir plötzlich wie von alleine zu. Dabei kann es zu inhaltlichen Verschiebungen kommen, die ich in der Phase des absichtlichen Schreibens nie vorgenommen hätte, auf die ich auch gar nicht gekommen wäre. Mit dem Begriff "Inspiration" kann ich nicht viel anfangen. Aber Renards Formel leuchtet mir unmittelbar ein: Das Thema muss anfangen, an mir zu arbeiten. Diese Verselbständigung dessen, was man gestalten will, ist vielleicht das Schönste an der ganzen Schreiberei.



Zitiert nach Jules Renard: Das Leben wird überschätzt. Aus den Tagebüchern ausgewählt und übersetzt von Henning Ritter. Matthes & Seitz, Berlin 2015 und nach Jules Renard: Ideen in Tinte getaucht, Tagebuchaufzeichnungen, übersetzt und ausgewählt von Hanns Grössel, Winkler, München 1986
Zuletzt geändert von Quoth am 11.06.2019, 17:10, insgesamt 2-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.08.2018, 17:48

Mucki hat geschrieben:
Jules Renard hat geschrieben:
Die Überlegenheit einer einzelnen Blume vor einem ganzen Strauß. (1899)

Vielleicht ist sie überlegen, weil sie ganz gezielt, mit Bedacht ausgewählt wurde. Und vllt. auch, weil derjenige, der sie auswählte, wusste, dass genau diese Blume eine besondere Bedeutung für den anderen hat, dem sie geschenkt wirkt. Sprich: die Aufmerksamkeit ist viel größer, schenkt man eine einzelne Blume, sowohl der Blume als auch der Beschenkten gegenüber.

Ich finde, das mit dem Schenken ist so eine Sache: Es kommmt wohl eher auf die spürbaren Gefühle des Schenkenden an, als auf das Geschenk selbst. Wenn das Geschenk spürbar herzlich gemeint ist, kommt eine kleine Blume so gut an wie ein großer Strauß. Wenn das Geschenk spürbar nur dem Protokoll dient, wird selbst der größte Strauß als wertlos empfangen.

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Beitragvon Mucki » 27.08.2018, 19:36

Pjotr hat geschrieben:Ich finde, das mit dem Schenken ist so eine Sache: Es kommmt wohl eher auf die spürbaren Gefühle des Schenkenden an, als auf das Geschenk selbst. Wenn das Geschenk spürbar herzlich gemeint ist, kommt eine kleine Blume so gut an wie ein großer Strauß. Wenn das Geschenk spürbar nur dem Protokoll dient, wird selbst der größte Strauß als wertlos empfangen.

Jep. Stimme dir zu.

Die schönsten Geschenke, denke ich, sind diejenigen, die auf einer Geschichte, einer Begebenheit beruhen, die nur zwischen den Beiden bekannt sind. Je länger die Begebenheit zurückliegt, um so "magischer" das Geschenk, da es diese Begebenheit wiederbelebt und der Beschenkte weiß, dass der Schenkende sie nicht vergessen hat. Dies kann dann eine alberne Kleinigkeit, für andere etwas völlig Unscheinbares sein. Nur den Beiden ist das 'Geheimnis' bekannt, welches darin verborgen ist. Aber dies sind natürlich Besonderheiten/Ausnahmen und sehr intim.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 29.08.2018, 11:01

Hettys Gedanken zur Geschichte der Rosenzucht sind sehr interessant! Eine schöne Idee, dass Gärtnerei und Ästhetik so eng verbunden sind.
Für mich ist eine einzelne Blume, selbst wenn sie nur ein blühendes Gras ist, unvergleichlich, im Strauß aber liefert man sie "dem Elend des Vergleichens" (Handke) aus.

Jules Renard hat geschrieben:Vor allem sollte man das, was man tut, freiwillig und mit Freude tun. Das Ergebnis spielt keine Rolle. Es ist nicht vorauszusehen und lässt sich schlecht abschätzen. Doch der Autor selbst ist befriedigt. (1893)

Gehört nicht ein bisschen Sichquälen zur Kreativität dazu? Hier huldigt der jüngere Renard für mich allzu leichtfertig der Vorstellung, Arbeit müsse Spaß machen!
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.08.2018, 12:19

Hier geht es Renard wohl um die "Arbeit" des Schreibens (durch den letzten Satz: "Doch der Autor selbst ist befriedigt").
Und ich stimme ihm zu. Man kann Schreiben nicht erzwingen, wenn die Muse einfach fehlt oder man eine Schreibblockade hat.

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birke
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Beitragvon birke » 29.08.2018, 15:57

ich stimme ihm nur zum teil zu ... klar sollte "das, was man tut, freiwillig und mit freude" geschehen - allerdings finde ich nicht, dass das ergebnis keine rolle spiele. wenn mein tun nur müll produziert, bin ich nicht zufrieden ;)
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.08.2018, 16:14

Ein sehr komplexes Thema, mit zahllosen speziellen Bedingungen und individuell definierten Begriffen. Bestenfalls in speziellen Zusammenhängen besprechbar, im allgemeinen überhaupt nicht aphorisierbar.

Ich nehme an, das Zitat ist auch nicht als Aphorismus gemeint, sondern bezieht sich auf einen speziellen Kontext.


Aber was der Handke da über den Blumenstrauß schrieb, das ist auch ein guter Punkt.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.08.2018, 16:48

Ob Renard zu dieser Zeit bereits an kreatives Schreiben dachte?

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Beitragvon Quoth » 30.08.2018, 20:19

Es gibt zwei Arten zu schreiben: Zum eigenen Vergnügen (oder zur Selbsttherapie), für diese Art Schreiben trifft Renards Bemerkung zu. Aber wenn man mit einem Ziel schreibt, z.B. um ein Publikum zu belustigen, das kann harte Arbeit werden - bei Drehbüchern können 10 Fassungen mit Sitzungen entstehen, auf denen hart gestritten wird - und womöglich wird das Ergebnis dann noch vor Publikum erprobt - lacht es auch an den richtigen Stellen?
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Beitragvon Quoth » 04.09.2018, 20:28

Jules Renard hat geschrieben: Immerhin verzichte ich nach und nach auf allerlei Dinge, die ich eben nicht haben kann. (1899)

Hier ist er wieder der typisch französische Moralist und macht sich lustig über sich selbst.
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Beitragvon Pjotr » 05.09.2018, 01:57

Dieses "verzichten" lese ich hier als "bewusstes loslassen". Zuerst wollte er die Dinge haben, und er bekam sie nicht. Nun bekommt er sie immer noch nicht, aber jetzt will er sie ohnehin nicht mehr*. Er, immerhin, kann loslassen. Andere nicht.


* Beziehungsweise: Er, immerhin, versucht aufzuhören mit dem Habenwollen. Andere hören damit nicht auf.

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Beitragvon birke » 05.09.2018, 08:24

schmunzel, ich muss an die fabel vom fuchs und den trauben denken ... :)
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Beitragvon Mucki » 05.09.2018, 12:41

Als lakonisches Loslassen lese ich diese Zeile.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.09.2018, 13:09

Ja, Birke, der Fuchs und die Trauben ...
Jules Renard hat geschrieben: Der beste Trumpf der bösartigen Dummheit der einen ist immer noch die großzügige Klugheit der anderen. (1902)

Aber in Amerika scheinen die anderen ihre Großzügigkeit langsam abzulegen.
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Beitragvon Mucki » 09.09.2018, 13:45

Das hat Renard gut gesagt.
Quoth hat geschrieben:Aber in Amerika scheinen die anderen ihre Großzügigkeit langsam abzulegen.

Ja, hoffentlich wird daraus auch etwas, was ich allerdings bezweifle.


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