Autostopp

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 04.06.2019, 18:00

Autostopp

Das Mädchen hatte es sich auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht.

„Das ist aber nett, dass sie mich nach Hannover mitnehmen.“, lächelte sie den jungen, sonnen-gebräunten Fahrer des Sattelschleppers an.

„Ich konnte sie doch nicht an der Autobahn-Auffahrt stehen lassen.“, lächelte dieser zurück. „Was wollen Sie denn in Hannover?“, fragte er dann.

„Meine Mutter feiert Geburtstag, den Vierzigsten. Ich bin zwar mitten im Lernen für das Abitur, aber die Party meiner Mutter lasse ich mir nicht nehmen.“, sie nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Cola-Flasche.

„Und warum habe ich Sie dann in Hamburg aufgelesen?“, er zündete sich eine Zigarette an.

„Ich lebe bei meinem Vater, meine Eltern sind geschieden.“, sagte sie mit einer leichten Bitterkeit in der Stimme.

„Wir müsssen kurz an der nächsten Tankstelle halten“, sagte er mit einem Blick auf das Armaturen-brett. „Das Benzin ist alle.“

Paar Minuten später hielt er an einer Autobahnraststätte.

„Bin gleich wieder da“, dann sprang er aus der Fahrerkabine, betankte den Brummi und ging zur Kasse.

Das Mädchen machte das Autoradio an. Die 13 Uhr-Nachrichten waren fast zu Ende. Sie hörte nur noch: „ … das Opfer wurde in die Klinik gebracht. Zu dem Vergewaltiger konnte die junge Frau fast keine Angaben machen. Das Einzige, woran sie sich erinnern könne, war, dass der Täter auf dem Rücken seiner rechten Hand eine Rose eintätowiert hatte. Das waren die Nachrichten, weiter geht es mit Schlagern am laufenden Band.“

Der Fahrer kam vom Bezahlen der Tankrechnung zurück und kletterte wieder in das Führerhaus. Er machte sofort das Radio aus, drehte den Schlüssel im Zündschloss, legte den ersten Gang ein und fuhr wieder auf die Autobahn.

„Ich kann dieses Schlagergedudel nicht mehr hören“, sagte er lächelnd und griff in seine Jackentasche. „Ich habe Ihnen aus der Tanke etwas süßes mitgebracht.“

Er hielt ihr einen Schokoriegel hin, mit der rechten Hand, auf deren Rücken eine Rose tätowiert war ...
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 04.06.2019, 19:14

Hallo Cicero,


„Das Benzin ist alle.“

Das hat er sicher nicht gesagt.


: „ … das Opfer wurde in die Klinik gebracht. Zu dem Vergewaltiger konnte die junge Frau fast keine Angaben machen. Das Einzige, woran sie sich erinnern könne, war, dass der Täter auf dem Rücken seiner rechten Hand eine Rose eintätowiert hatte. ...“

Ne, das klingt nicht nach Radio.

Das Ende ist leider auch sehr vorhersehbar.

Trotzdem schön flüssig zu lesen.

Gruß
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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birke
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Beitragvon birke » 05.06.2019, 08:12

lieber cicero,
ja, für mich auch leider viel zu vorhersehbar!
fast hätte es mich mehr überrascht, wenn du geschrieben hättest: "... auf deren Rücken keine Rose tätowiert war."
oder du müsstest dem text noch eine überraschende wende geben...
ein weiterer haken ist für mich auch die radionachricht, die so tatsächlich nicht nach radio klingt.
zwei kleinigkeiten noch, am anfang müsste das anrede-"Sie" konsequent groß geschrieben werden.
Paar Minuten später hielt er an einer Autobahnraststätte.

bisschen sehr umgangssprachlich, besser "Ein paar Minuten später..."?
lg, birke
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.06.2019, 09:51

birke hat geschrieben:fast hätte es mich mehr überrascht, wenn du geschrieben hättest: "... auf deren Rücken keine Rose tätowiert war."

Das wäre in der Tat ein origineller Schluss. Sehr gute Idee, finde ich. Das wäre nach dieser klaren Vorhersehbarkeit nicht nur überraschend, das würde zusätzlich noch selbstironische und psycho-soziologische Ebenen erzeugen.

(Oder statt "keine Rose" irgendein anderes Tatoo.)

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 05.06.2019, 16:36

Vielen Dank für Eure Rückmeldungen, ich werde den Text überarbeiten und Eure Kritikpunkte einfließen lassen.

Herzlich,
Cicero
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