Arion christopheri

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 18.06.2020, 21:49

Mit dem Mut eines Columbus
macht die Unbehauste sich auf,
auf silbrig glänzender Spur
den Radweg zu überqueren,
auf dem schon viele ihresgleichen
vertrockneten. Sie aber schafft es
beinahe, doch kurz bevor sie
ihr vermeintliches Indien erreicht,
wird sie überrollt. Wäre es
Columbus doch ebenso ergangen!
Wir könnten uns noch heute
ihre Schrift von den Maya erläutern lassen,
wir könnten erschauern vor den Menschenopfern
der Azteken, die Inka würden uns zeigen,
wie man Quipus knüpft und hätten Machu Picchu
nicht bauen müssen, einen letzten Mohikaner
hätte es nie gegeben, kein einziger Afrikaner
wäre je nach Amerika verschleppt worden,
und Blues und Jazz wären nie entstanden!
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

carl
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Beitragvon carl » 01.07.2020, 06:38

Nette Idee: Schnecke und Kolumbus
Alles eine Frage des Blickwinkels...
Allerdings wüssten wir dann nichts von
Quipus und Mayas
der Sklavenhandel wäre
anderweitig aufgeblüht die Inkas etwa
hätten Amerika erobert
den letzten Mohikaner geopfert
und wären kollabiert.
Aber der Blues, der gedeiht überall
und wer, verdammt, wäre denn dann das:
„Wir“?

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 02.07.2020, 23:18

und warum machu picchu erbaut wurde
weiß eh niemand

ernst war da ein paar mal
befragte die reiseleiter
anani von den qechua und juan von den aymara

juan bekam hiebe in der schule
weil er kein spanisch sprach

aber warum machu picchu
wusste er auch nicht mehr
obwohl er dabei war damals ...

nur die frühnebel
wenn der erste bus des tages ankommt
im sonnentor ein
alpaka in weißem dunst
man teilt cocablätter aus
die sanfte frage des morgens
aber warum du?
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 03.07.2020, 21:43

Hallo Carl, ein Regenspaziergang, die Meldung vom geköpften Columbus-Denkmal in Boston und ein Hauch von Traurigen Tropen in meinem Kopf haben diesen Text zusammegeklustert. Die Überlegungen sind so absurd wie Träume und logisch nicht zu rechtfertigen, da hast Du völlig recht.

Hallo Zefira, ist die Behauptung, die Inka seien vor den spanischen Eroberern in die hohen Anden hinauf geflüchtet und hätten da als Zufluch Machu Picchu gebaut, falsch? Ein Deutschschüler aus Chile, der den Mapuche angehört, hielt sie für richtig. Schön Deine Zeilen - klingen nach ebenfalls geträumten Reiseerinnerungen.
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 04.07.2020, 00:42

Hallo Quoth,
die Quechua Anani und der Aymara Juan haben mir jede(r) was anderes erzählt - aber beide stimmten insofern überein, dass Machu Picchu vor dem Erscheinen der Spanier auf dem Kontinent gebaut worden sei, und warum die Stadt verlassen wurde, wisse man nicht. Einer der beiden, ich weiß nicht mehr welche(r), tippte auf den Ausbruch einer Seuche.
Natürlich können beide unrecht haben - ich habe noch ein paar weitere Baudenkmäler in Peru mehrfach besucht (im Abstand von ein paar Jahren) und dabei festgestellt, dass jeder Guide was anderes erzählt.
Die Schönheit der Stätte ist hinreißend, und für mein unwissenschaftliches Gemüt eher noch eindringlicher, wenn sie möglichst viel von ihrem Geheimnis bewahrt. Als wir das zweite Mal da waren, lag auf der ganzen Anlage ein sonnendurchglühter Dunst, es war gerade mal acht Uhr früh oder so, wir waren mit dem allerersten Bus hochgefahren. Ein drittes Mal möchte ich auf keinen Fall hin, das wäre asozial, es sind ohnehin zu viele Leute da.
Mein Reisehase Ernst (im Gedicht erwähnt) fand die Anlage schön, hat aber allgemein keinen Hang nach Höherem. Ich nehme ihn überallhin mit, aber er interessiert sich in erster Linie für die lokalen Biersorten und ähnlich profane Dinge. Immerhin hat er sich eine stilechte Mütze angeschafft.

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carl
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Beitragvon carl » 04.07.2020, 07:22

Hallo Quoth: war keine Kritik! Im Gegenteil, hat mich zum Nachdenken angeregt, wer „wir“ heute wären ohne die Entdeckung Amerikas...
Hallo Zafira: netter Reisebegleiter! :pff:
Ich glaube die von den Europäern eingeschleppten Seuchen waren es. Ohne die hätte es Pizarro nicht geschafft, Peru zu erobern...

Quoth
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Beitragvon Quoth » 17.07.2020, 22:50

Carl schrieb: "Hallo Quoth: war keine Kritik! Im Gegenteil, hat mich zum Nachdenken angeregt, wer „wir“ heute wären ohne die Entdeckung Amerikas..."
Lichtenberg spottete: "Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Enteckung." Amerika musste nicht entdeckt werden, denn es waren bereits Menschen da, die es kannten. Ich finde es gut, dass dieser Entdeckerhochmut im Moment in Frage gestellt wird. Es wurde ein Erobererhochmut daraus, für den man sich heute nur schämen kann.
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