Regen-Duett

Rubrik für Theaterstücke, Szenen, Sketche, Dialoge, Hörspiele, Drehbücher und andere dramatisch angelegte Texte
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 18.12.2025, 01:16

Regen-Duett

(Eine abendliche Fußgängerzone in einer Kleinstadt nach Ladenschluss. Die Straßen sind leer, nur hier und da ist noch ein einzelner Passant auf dem Heimweg. Ein junger Mann betritt die Szene, zögert, hält inne.)


Er: „Die Sonne sinkt! Es naht die Zeit der Diebe

Der Dunkelheit, der Träume – und der Liebe!

Mit ihrer Kraft, die Musengunst verleiht

Habe ich wacker Vers an Vers gereiht

Und nun bin ich bereit! Heut will ich’s wagen

Zu ihr zu geh’n und es ihr vorzutragen!

(Er stockt kurz, atmet tief durch.)

Nur zu – dann bin ich ein paar Minuten da…“

(Eine junge Frau tritt um eine Ecke auf die Straße. Sie schaut auf ihr Telefon und trägt Kopfhörer, so dass sie den jungen Mann nicht bemerkt, obwohl sie nur einen knappen Meter vor ihm an ihm vorbei geht. Der Mann erstarrt in der Bewegung.)

Er: „Oh Himmel! Seh ich recht? Da ist sie ja!“

(Sie geht weiter, er, von ihr unbemerkt, folgt ihr auf dem Fuße mit großen Augen, offenem Mund und einem halben Schritt Abstand.)

Da geht sie, schwebt, wie’s nur ein Engel tut

–und ach, ich merk’s – schon schwindet mir der Mut!

Wohl übt ich meine Rede vor dem Spiegel – stundenlang!

Doch nun, da ich sie sehe, wird mir bang!

Ich spür, dass mir, der sonst doch so beredt

Vor ihr kein einzig Wort über die Lippen geht!“

(Er bleibt stehen, wendet sich halb von ihr ab und kratzt sich am Kopf.)

Er: „Wie mach ich’s nur, das ich trotzem was sagen kann?“

(Seine Miene hält sich auf, als sei er erleuchtet worden.)

Er: „Ich hab’s! Ich seh sie einfach gar nicht an!“

Ich trete vor sie, werde kurz sie grüßen

Und dann, bis ich geendet, meine Augen schließen!

Auch meine Ohr’n halt ich mir zu, denn wer nichts hört

Bleibt – wie Odysseus Mannen – selbst von Engelsstimmen unbetört.“

(Er tritt wieder hinter sie, die inzwischen stehen geblieben ist und von ihrem Telefon in den Himmel schaut. Sie verzieht das Gesicht. Er hebt kurz den Arm, wie um sie anzutippen, lässt ihn dann aber wieder sinken und setzt stattdessen, während sie mit dem Rücken zu ihm steht, ein gewinnendes Lächeln auf.)

Er: „Heda! G’rad war ich auf dem Weg zu dir nach Haus!“ (Er schließt die Augen und presst sich die Hände auf die Ohren.)

Sie (weiter mit dem Rücken zu ihm, nach oben schauend): „Was für ein Kack! Es sieht nach Regen aus!“

Er: „Und nun treff' ich dich hier! Ist das ein Zeichen?“

(Es wird dunkler. Man hört einen aufkommenden Wind.)

Sie: „Mist! Bis nach Hause wird die Zeit nicht reichen.“

Er: „...dass Himmelsmächte dem gewogen sind...“

(Man hört von fern ein Grollen.)

Sie: „Es fängt schon an zu donnern! Menschenskind...“

Er: „...der sich ein Herz fasst. Also will ich's wagen...“

Sie (wütend): „Ich könnt dem Wetterfritz eins in die Fresse schlagen!“

Er: „… dir, oh, Du süße, zarte, wunderschöne Rose,“

Sie: „Kein Wort von diesem Dreck in der Prognose!“

Er: „...nun endlich doch mein Herz zu offenbaren!“

Sie: „Verdammt noch eins! Wär' ich doch Bus gefahren!“

(Er zögert erneut, tritt von einem Fuß auf den anderen.)

Er (Zu sich, um sich Mut zu machen): Nur weiter jetzt! Solche Gelegenheit ist selten!

Sie: „Ich hab echt keinen Bock, mich zu erkälten!“

Er: „Auf denn! Schönste! Auf ein Wort! Ich will dir sagen...“

(Es donnert erneut. Zugleich setzt ein heftiger Regenguss ein.)

Sie (zuckt zusammen): „Igitt! Jetzt läuft mir Wasser in den Kragen!“

Er (mit wieder wachsendem Mut): „Dass ich, seit ich dich erstmals sah...“

Sie (zieht den Kragen hoch, um ihren Hals zu schützen): „Kalt, nass und windig! Pfui! Pfui Deibel! Bah!“

Er: „...beständig daran denke, dass wir zwei...“

Sie: „Ich hoffe nur, ich hab mein Cape dabei!“

(Sie öffnet ihre Handtasche. Zugleich setzt ein Windgeheul ein.)

Er: „...geschaffen sind, um Hand in Hand zu gehen.“

(Er verstummt, weil er den Text vergessen hat.)

Sie: „Wie? Spricht da wer? Ich kann kein Wort verstehen...“ (Sie nimmt die Kopfhörer aus den Ohren.)

(Er nimmt eine Hand vom Ohr, um seine Augen von ihrem Anblick abzuschirmen. Mit der linken holt er einen Zettel aus der Hosentasche und faltet ihn auf. Dabei bewegt er stumm die Lippen. Sie lauscht kurz in den Wind, wendet den Kopf ein wenig nach links und nach rechts, dann zuckt sie die Schultern und steckt die Kopfhörer zurück in die Ohren.)

Er: „Durch deinen Anblick, oh, Geliebte, fing…“

Sie (kramt in ihrer Tasche, wirft dabei wahllos Dinge auf die Straße): „Ich hab echt zu viel Zeug – wo ist das Ding?!

Er: „ich Feuer, wie vom Blitz ein trock'ner Scheit.“

Sie (dreht die Tasche um, so dass der gesamte Inhalt herausfällt, zum Schluss auch das Cape): „Aha – na endlich. Wurde ja auch Zeit!“

Er: „Nun fass ich meinen Mut, dir zu gestehen…“

(Sie bückt sich, um das Cape vom Boden aufzuheben. Das Cape ist in einer mit einem Reißverschluss verschlossenen Tasche eng verpackt.)

Sie (nestelt und zerrt am Cape herum, um es aufzubekommen): „Na gut, wie geht’s jetzt weiter? Hm, mal sehen…“

Er: „dass ich nun für dich brenne, wild und heiß...“

Sie: „Jetzt geht das Ding nicht auf! Was soll der Scheiß?!“

Er: „Ich würde nackt im Eise nicht erfrieren…

Sie (zerrt vergeblich weiter herum, wütend): „Wie soll man da nicht die Geduld verlieren?“

Er: „Noch in des Weltalls leerer, ew’ger Nacht“

Sie: „Was habe ich verfickt schon wieder falsch gemacht?“

Er: „solange ich mir nur dein Bild vor Augen halt‘.“

Sie (reißt heftig am Cape; es entfaltet sich mit einem Geräusch wie von reißendem Stoff. Man sieht einen klaffenden Riss im offenen Cape): „Mir reicht es jetzt!! Dann eben mit Gewalt!“

Er: „Nun ist’s heraus – doch sollst auch dies Du wissen:“

Sie (schaut auf den Riss, schlägt sich die Hand vor die Stirn): „Ich glaub es nicht! Die Naht ist eingerissen!“

Er: „Dein Glück! Dein Lachen! Das ist nun mein Streben!“

Sie: „Können Die das nicht ordentlich verkleben?!“

Er: „Ich würde alle Erdenschätze darum geben…“

Sie: „Ich reklamier das Ding! Die können was erleben!“

Er: „Und Jahre der Entbehrung, des Verzichts…“

Sie: „Naja – auch so wird’s besser sein als nichts…“

(Sie faltet das Cape weiter auf, um es sich anzuziehen.)

Er: „Gern auf mich nehmen, dass Du‘s gut hast, Liebelein!“

(Sie stülpt sich das Cape über den Kopf und verschwindet darunter.)

Sie (von unter dem Cape): „Hier irgendwo muss wohl der Kopf hinein…“

Er: „Ich will es noch mal so zusammenfassen:“

Sie (unter dem Cape, das im Wind heftig flattert): „Ach nee, das ist ein Ärmel – Dann kann das ja nicht passen!“

Er: „Dass ich von Stund' an ganz der deine bin!“

(Beim Versuch, das Cape zurecht zu ziehen, tritt sie darauf, verliert das Gleichgewicht und fällt um.)

Sie (im Fallen): „Is' doch nicht wahr! Jetzt packt's mich auch noch hin!“

Er: „Drum lasse dich vom Regen nicht verdrießen;“

(Sie verstrickt sich auf dem Boden hoffnungslos in das Cape, das sie komplett einhüllt und ist nur noch als strampelnder Sack zu sehen.)

Er: „Lässt Regenfall nicht neue Blütenblätter sprießen

(Von der Seite betritt ein Passant die Szene, der sich unter einen Regenschirm duckt.)

Er: „der schönsten Blume, die auf Erden je erblüht!“

Passant (kopfschüttelnd) „Dass einer so für einen Sack erglüht...“

Er (atmet laut durch die Nase ein, wie, um einen angenehmen Geruch zu genießen; dabei bekommt er Wasser in die Nase): „Ganz Duft! Ganz Blüte! Nicht ein einz'ger Dorn!“ (er niest)

Sie: „Verdammt, ich seh' nichts! Wo ist bei mir vorn?“

Passant (schaut überrascht, beugt sich dann neugierig über das am Boden liegende flatternde Cape): „Ich höre wohl nicht recht! Der Fetzen spricht...“

(Sie stößt eine Folge lauter, unartikulierter Flüche aus.)

Passant (prallt zurück): „...gar grauslich grob! Das gebe ich mir nicht!“ (Geht schnell ab.)

Er: „Nimm meine Hand! Dass ich an deiner Seite...“

(Sie bekommt die Füße aus dem Cape und richtet sich langsam auf.)

Er: „...so oft sie kommt, die finst’re Nacht durchschreite“

(Sie steht jetzt vor ihm, die Hände kommen aus den Ärmeln, sie beginnt, an der Kapuze zu zupfen.)

Er: „stets nah dir, bis es lieblich tagt!“

Sie (befreit ihren Kopf aus dem Cape, sieht ihn zum ersten Mal): „Geschafft! – Oh, hi! Äh... – hast Du was gesagt?“
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 20.12.2025, 09:32, insgesamt 1-mal geändert.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 20.12.2025, 00:18

Das Drehbuch, das du da geschrieben hast, hat wirklich einen gewissen Charme, hab mich köstlich amüsiert, harmonische Reime, sie lassen durch ihre Harmonie die Szenerie vor meinen Augen noch etwas schräger erscheinen, ein zeitreisender Minnesänger trifft auf eine Julia, die im einundzwanzigsten Jahrhundert lebt, und mit den Widrigkeiten des Lebens kämpft, konsequent durchgezogen bis zum Schluss, steht zu recht unter Dramatisches und der Titel lässt mich an ein Gesangsduett aus einer zeitgenössischen Oper denken, ich stell mir grad vor, wie man dieses Stück choreografisch in zeitgenössisches Tanztheater für zwei Personen umsetzen könnte, wie die beiden das, was zwischen denen zwei da in diesem Stück passiert, tänzerisch ausdrücken würden,
ich könnte nur noch zwei winzige Anmerkungen machen,
wenn er nur einen halben Schritt hinter der Frau ist, wenn er ihr folgt, das geht gar nicht, dass muss sie doch fast schon spüren, das hab ich in dem Moment gedacht, als dieses Detail im Text erwähnt wurde, und Capes sind im Gegensatz zu Ponchos zumindest in ihrem früheren Leben als modisches Accessoire ärmelfrei in Regenpfützen getreten, bevor sich diese Unterschiedsfeinheiten im Outdooring umgangssprachlich verwischt haben

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 20.12.2025, 09:31

Oh, schön, das freut mich, vielen Dank dafür! :-)
Der kurze Abstand würde, denke ich, in einer szenischen Darbietung entsprechend komisch wirken -- sonderlich realistisch ist die Szene ja ohnehin nicht. (Wobei, aus meiner Erfahrung als Freund von Schabernack weiß ich, dass man durchaus sehr nah hinter Leuten stehen kann, ohne bemerkt zu werden -- zumindest gilt das für einige Personen aus meinem Freundeskreis. Und bei Sturm und Regen hört man vielleicht ja auch nicht mehr so viel...)
Danke für den Hinweis auf den Cape/Poncho-Unterschied, den kannte ich tatsächlich noch nicht. Da ist natürlich jetzt ein kleiner Konflikt, mit "Poncho" geht das Versmaß in "hab mein Cape dabei" kaputt, ohne Ärmel geht es nicht mehr, dass sie den Kopf durch ein Ärmelloch zu stecken versucht. Vielleicht rede ich mich einfach darauf hinaus, dass, wenn ich den Unterschied nicht kenne, ihn meine Charaktere auch nicht kennen müssen.* ;-)
(Mir fiel selbst noch auf, dass der Odysseus nicht passt, denn der verstopft sich ja als einziger von seiner Gruppe gerade _nicht_ die Ohren und wird allerdings betört (und nur davon zurückgehalten, dass er an einen Mast gebunden ist). Entsprechend habe ich das durch "Odysseus Mannen" ersetzt.)

*Laut Wikipedia ist die Unterscheidung zumindest inzwischen wohl nicht mehr so streng. Zwar werden sie eingangs als "ärmellos" beschrieben, aber dann kommt das:

"In der Regel sind Regencapes rundherum geschlossen oder haben eine durchgehende Knopfleiste an der Vorderseite. Es existieren aber genauso Varianten, die an den Ärmelseiten offen sind bzw. mit Ärmeln samt integrierten Regenhandschuhen versehen sind. Die meisten Modelle haben seitlich zwei Durchgriffe für die Arme und eine Kapuze." https://de.wikipedia.org/wiki/Regencape

Dann geht's ja doch.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 20.12.2025, 14:11

Hi Merlin,

witzigerweise hatte ich die Einwände, die du hier so schön genannt hast, beim Schreiben meines Kommentars auch schon im Kopf, insofern finde ich schön, dass du genauso drüber denkst, blöderweise kann ich, wenn ich mit dem Handy einen Kommentar poste, mir den Text nicht mehr ansehen, eigentlich wollte ich die textstelle, wo ich dieses Detail gelesen hatte, mir nochmals ansehen, aber ich wollte meinen angefangenen Kommentar nicht mehr löschen, nur um es nochmals nachlesen zu können,
In meiner Fantasie ist er auf sie drauf gekracht, versehentlich natürlich, weil er so mit seinem Vortrag beschäftigt war, sie hat zwar den Schlag bemerkt, aber einen heftigen windstoß als Auslöser vermutet, da sie so mit ihrem eigenen Kram beschäftigt war, dass ihr nicht mal im Traum eingefallen wäre, das hinter ihr ein tollpatschiger Romeo steht und dieses Gesäusel an ihrem Ohr doch kein Windpfeifen ist,
Ich hätte mir heute diese textstelle gerne nochmals durchgelesen, aber leider wurde sie entfernt ;-) was natürlich gar nicht mein Bestreben war, was ich mit dem Wort 'winzige' in meinem Kommentar andeuten wollte, weißt du, ich vermisse diese Textstelle mittlerweile in diesem korrigierten Text, schließlich passt sie in diesem Kontext tatsächlich zu dieser schrägen Geschichte,

..und was ich noch zu Cape und Poncho sagen wollte, der Umhang, den ich bislang immer für einen Poncho gehalten (habe hab so einen) ist nach puristischer Interpretationsauffassung ein Cape, was ich allerdings erst seit heute Nacht weiss ;-), hab ihn bislang immer für einen andenstylischen Poncho gehalten), und mein vermeintliches Regencape fürs Radfahren in Wirklichkeit ein klammheimlicher Poncho, weil der tatsächlich Ärmel hat, damit einem das Ding im Regen nicht wegfliegt.

Es ist jedenfalls ein witziger Text, danke für deine Rückmeldung und fürs Einstellen

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 20.12.2025, 19:39

Hi Jondoy,
die Stelle mit dem halben Schritt Abstand ist noch da, recht weit oben, die dritte Regieanweisung.
Ich habe nur "Odysseus" durch "Odysseus Mannen" ersetzt.
Ein Auflaufunfall, wie Du ihn vorschlägst, würde dem ganzen noch etwas mehr Slapstick-Humor geben -- sie könnte sich noch umdrehen, aber aus irgendeinem Grund dreht er sich gerade so mit, dass er dennoch nicht bemerkt wird, oder so.
Sollte das Ding je so etwas ähnliches wie eine Bühne sehen, kann man mit solchen Ideen mal experimentieren.


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