Die Traumtänzerin

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 15.04.2006, 15:31

Die Traumtänzerin

Ein letzter prüfender Blick in den randlosen Garderobenspiegel.
Das schwarze Pailettenkleid sitzt perfekt. Die schmalen Träger hält ein neuartiges transparentes Klebeband.
Letztes Jahr verfehlten sie den Spitzenplatz nur knapp.
Sie musste beim Quickstep mit der linken Hand blitzschnell den lockergewordenen Träger zurechtrücken. Seine ausgestreckte Hand verfehlte sie nur um den Bruchteil einer Sekunde. Der gestrengen Jury entging dieser Patzer nicht.
Durch die angelehnte Garderobentüre vernimmt sie die aufgeregten Stimmen der anderen Paare, die sich für die Formation bereitmachen. In den letzten Minuten vor dem Turnier sind ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.
Sie lacht ihrem Spiegelbild aufmunternd zu und erhebt sich entschlossen, als er eintritt.
Sein Anblick fasziniert sie stets aufs neue. Der schwarze Maßanzug betont seine durchtrainierte Figur. Darunter trägt er das obligate weiße Hemd und die schwarze Fliege.
Seine Augen blicken spitzbübisch und strahlen wie die Spitzen seiner schwarzpolierten Lackschuhe.
„Darf ich bitten“ sagt er und bietet ihr galant den Arm an.
Seine Stimme ist ruhig und gefasst. Sie beneidet ihn um seine Gelassenheit,
hakt sich bei ihm ein und sieht ihn fragend an.
Er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, sanft, um ihr Makeup nicht zu verwischen.
„Diesmal klappt es, du wirst sehen“.
Aus dem Saal dringt gedämpfte Musik.
Das Turnier ist seit Wochen ausverkauft. Nur die 10 weltbesten Tanzpaare qualifizierten sich für das Finale.
Sie haben die Starnummer fünf gezogen. Die Fünf ist ihre Glückszahl.
Der Turnierleiter begrüßt die Gäste.
Paarweise stehen sie auf dem Parkett. Der Lichtstrahl aus einem der sieben Scheinwerfer ist auf sie gerichtet und bildet einen hellen Kreis.
Die ersten Takte erklingen. Er umfasst mit sicherem Griff ihre Taille. Sie legt die rechte Hand an seine linke Schulter. Orchestermusik hüllt sie ein und ihre Füße schweben in rhythmischen Gleichklang über das blankpolierte Parkett.
Sie hört den begeisterten Applaus des Publikums.
Die letzten Klänge der Rumba.
Gespanntes Warten.
Dann endlich – Höchstnote!
Mit flinker Hand gleitet sie über die gesträkte weiße Hemdbrust.

Elegant, das noch heiße Bügeleisen in der Hand verbeugt sie sich und dankt mit einem Lächeln nach allen Seiten.

pandora

Beitragvon pandora » 15.04.2006, 16:16

hallo ursula,

deine geschichte gefällt mir.

titel und der vorletzter/abschließender satz enthüllen die ebene, die unter der oberfläche liegt. dazwischen: die hausfrauenphantasie.
ich könnte mir vorstellen, dass der text gewinnt, wenn auch im tanzturnierteil versteckte bezüge zur bügelrealität hergestellt würden.
hier noch vertippselungen, die mir auffielen:

"Die ersten Takte erklingen. Er umfasst mit sicherem Griff ihre Taille. Sie legt die rechte Hand an seine linke Schulter. Orchestermusik hüllt sie ein und ihre Füße schweben in rhythmischen RHYTHMISCHEM Gleichklang über das blankpolierte Parkett.
Sie hört den begeisterten Applaus des Publikums.
Die letzten Klänge der Rumba.
Gespanntes Warten.
Dann endlich – Höchstnote!
Mit flinker Hand gleitet sie über die gesträkte GESTÄRKTEweiße Hemdbrust.

Elegant, das noch heiße Bügeleisen in der Hand ,verbeugt sie sich und dankt mit einem Lächeln nach allen Seiten. "

ostergrüße
pandora

ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 15.04.2006, 18:01

Liebe pandora

Danke für dein Feedback - und vor allem für die "Korrekturarbeit"

Die Hausfrauenfantasien - du hast recht - ich werde den Text nochmals überarbeiten.

Liebe Grüße
Ursula

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 15.04.2006, 19:26

Hi Ursula,

auch ich habs gern gelesen. Und ich schließe mich Pandora an. Denn es ist eine Hausfrauenphantasie, die ein bisserl eben jener leicht kitschigen Heftromanphantasie entspricht.
Dadurch, daß du etwas mehr "Irritation" unterschummelst, kannst du mehr Spannung hineinbringen, ohne den Schlußgag zu zerstören.
Und du kannst der Problematik vorbeugen, daß der Text zu rasch falsch verstanden und abgetan wird (weil er während des Lesens nicht als ironische Persiflage erkannt wird, sondern erst durch den Schlußgag).
Ist kniffelig, das auszubalancieren, aber da bin ich guter Dinge, daß du das hinkriegst.

Gruß
Frank

ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 15.04.2006, 19:56

Hallo frankiteur

Danke für dein feedback.

Sagt dir der Name Dr. Olaf Kutzmutz etwas?
Dr. Kutzmutz leitet den Fachbereich Literatur der Bundesakademie Wolfenbüttel
Herr Dr. Kutzmutz gibt ein dreitätiges Seminar an dem ich nächste Woche von Freitag bis Sonntag teilnehme. Der Titel des Seminars "Eine gute Figur machen" Basiskurs Erzählen.

Es sst auf jeden fall spannend, Texte zu überarbeiten, nachdem man etsprechende hilfreiche Hinweise bekommen hat.

Danke und liebe Grüße
Ursula

ursula.stoehr

Beitragvon ursula.stoehr » 15.04.2006, 20:00

Hallo Franktireur
Entschuldige bitte, ich habe zu schnell getippt und daher sind mir bei deinem Namen ein paar Buchstaben verloren gegangen.
Gruß
Ursula

maria

Beitragvon maria » 15.04.2006, 21:10

Liebe Ursula,

Der Überraschungseffekt am Schluß ist wirklich gut gelungen! Die Kurzgeschichte ist dadurch witzig, aber auch tragisch - denn wie viele Menschen leben ihre Träume nur im Kopf aus ... Ungelebte Träume, bzw. die Furcht davor, überhaupt etwas dafür zu tun, damit sie verwirklicht werden können (weil´s ja eh nicht klappt...) - für mich ein Thema zum verrücktwerden! Ist halt schwerer mutig zu sein und was zu riskieren als alles beim alten zu lassen ... Wenn ich allerdings den Traum hätte Turniertänzerin zu werden - ui, ui! Da würd´ich glaube ich auch kapitulieren!

Danke für die Geschichte,
maria

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 15.04.2006, 22:32

ursula.stoehr hat geschrieben:Hallo frankiteur

Sagt dir der Name Dr. Olaf Kutzmutz etwas?


Ja. Wenn ich mich richtig erinnere, fing er gerade in Wolfenbüttel an, als ich noch die letzten Hörspielseminare unter Manfred Mixner und Kurse wie "Schreiben fürs Hören" und "Sprechen vor dem MiKro" mitmachte.
Das war Mitte/Ende der 90er.

Einen reinen Literaturkurs habe ich noch nicht mitgemacht in W.

Aber ich denke, es wird spannend und interessant sein, da die Teilnehmerzahl begrenzt ist und zuvor ausgesiebt wird, wer einen der begehrten Teilnehmerplätze bekommt (das geht nämlich nicht unbedingt nach Eingang der Anmeldung :-$ ).
Außerdem ist W. ein hübsches kleines Örtchen.
Ich wünsche dir da eine kreative und fruchtbare Zeit.

Gruß
Frank

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.04.2006, 10:32

Hallo ursula,
eine gern gelesene Geschichte über das Träumen und Nicht-Träumen :grin:


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