Beitragvon Klara » 20.09.2007, 09:20
Fastentagebuch
3. Tag
(Ich bin zu spät, ich erzähle von gestern, und später von heute, unter "4. Tag"). Das Schulbroteschmieren macht mir heute Morgen nichts aus. Ausnahmsweise bringe ich die Töchter zum Bus, der sie in die Schule fährt, und gehe danach noch ein Stündchen spazieren, am Lietzensee entlang, ein strahlender Herbsttag, so frisch, dass man beinahe Handschuhe bräuchte, um halb acht Uhr früh, wäre man mit dem Fahrrad unterwegs. Ich versenke meine Hände in den Hosentaschen und schaue den erwachenden Enten zu, wie sie sich putzen, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, strecke mich mit Blick über den See kräftig aus, fühle mich wohl.
Vormittags gehe ich zu einer Ayurveda-Massage, werde mit warmem Sesam-Öl begossen und von oben bis unten massiert, auch am Kopf. Sogar die Haare werden ganz ölig, und es ist wunderbar – besser als Essen. (Ich lächle.) Wenn es nicht so teuer wäre, hätte ich das gerne öfter.
Der Haferschleim mittags tut wieder gut, ich lege mich für ein halbes Stündchen hin, erwarte die Schulkinder, doch sie rufen an, kommen später, essen bei Freunden. Gut, dass ich noch nicht angefangen habe, etwas für sie zu kochen.
Dass der Hunger beim Fasten nach zwei, drei Tagen vergeht, ist, glaub ich, nicht wirklich wahr. Man erträgt ihn nur von Tag zu Tag etwas leichter, aber dieses Mal fällt mir das Fasten eher schwer. Ich nehme auch kaum ab und fühle mich seelisch schlapp, dafür körperlich recht fit. Ohnehin geht es mir besser, wenn ich mich bewege, aber in den Nachmittagsstunden leide ich besonders.
Es gibt Momente, das ist es wunderschön, so bei sich zu sein. Aber ich fürchte mich ein wenig vor heute Abend, Gesangsunterrichtsstunde hungrig absolvieren, danach Elternabend - was das wohl wird. Ich habe ja einen ziemlich eisernen Willen, wenn es drauf ankommt, aber der Körper ist eben auch stark. Kaffee-Entzug halbwegs überstanden, jetzt fehlt mir nur noch der Geschmack. Ich mag Kaffee. Ich mag die nervöse Ruhe, die im Kaffee liegt, sie entspricht mir.
Wieder so ein Wahnsinnsherbsttag! Wie von Gott persönlich gemacht.
Das Angenehme am Fasten: Ich denke nicht so viel an Sex. Also daran, dass er nicht passiert. Nicht genug. Nicht richtig. Nicht wirklich. Wasauchimmer. Undsoweiter. Sex ist etwas Schwieriges, auch wenn ich gerne mal das Gegenteil behaupte. Insbesondere wird es schwierig, wenn man ihn gerne leicht hätte. Einfach und selbstverständlich. Darüber spricht man nicht gerne.
Fasten vergeistigt in gewisser Weise. Es kann aber auch sein, dass Fasten nur insofern vergeistigt, als man halt statt an Sex ans Essen denkt. (Smiley) Weil Essen natürlicherweise noch mehr fehlt als Sex. Selbsterhaltung ist ein stärkerer Trieb als Fortpflanzung. Andererseits: Ohne Sex ist man ja auch kein Selbst mehr…Küchenphilosophie à la Klara. Ich bin wahrscheinlich nicht besonders gut geeignet für die allgemeine Vergeistigung. Nicht langfristig jedenfalls. Dies wieder lächelnd geschrieben, aber dabei mit den Zähnen knirschend.
Ich gehe mit meiner großen Tochter wegen Verdacht auf Skoliose zur Krankengymnastik. Erster Termin, ein ganz junger, etwas übergewichtiger Therapeut, aber sehr freundlich und bemüht. Ihr gefällt es, im Mittelpunkt zu stehen, das merke ich. Und sie kann gut mit Männern (Lehrer in der Schule liegen ihr mehr als Lehrerinnen, Klavierlehrer, auch wenn sie schwul sind - Hauptsache Mann). Sie steht so krumm. Ich möchte, dass sie sichzeigt Sie ist so eine tolle Person, soll sich nicht in der Brust zurückziehen, einkrümmen müssen/wollen. Sich wegkrümmen. (Es bricht mir das Herz, und ich erinnere mich, wie ich mich eingekrümmt habe, mich körperlich wegnehmen wollte, genau in dem Alter, und dann jahrelang, und vielleicht immer noch, weiß es nicht, faste ich auch deshalb? Immer die Angst, zu viel zu sein, zu doll, zu schwer, zu dick, zu raumgreifend. Man muss ja bescheiden sein, und alles berücksichtigen, und immer alles in Zweifel ziehen, und darf sich auf keinen Fall gut finden, weil Selbstlob stinkt und Unglück bringt, das reimt sich, aber warum ist das denn so, Himmelnochmal? Ich hoffe, ich bin ein bisschen größer geworden... wenn auch mit Falten im Gesicht...)
Und wenn es angeborene Schieflage ist, kann man auch etwas tun. Danach holen wir Emma von ihrer Freundin ab, kaufen noch ein Käsebrötchen auf dem Weg (nicht für mich! riecht gut!). Ich trinke eine Gemüsebrühe. Heiß und köstlich. Aber die Erleichterung währt nur kurz.
Warum faste ich?
Vor Hunger hab ich’s vergessen, aber es geht mir gut. Ich komme etwas zu spät zum Gesangsunterricht (sehr untypisch), entschuldige mich, sage "ich bin heute etwas schlapp, weil ich faste. Dritter Tag." Das findet sie gut. Fragt, warum ich das mache. Ich sage, dass es mir beim letzten Mal bei der chronischen Sehnenscheidenentzündung oder Handgelenksentzündung oder was immer diese Schmerzen verursacht geholfen hat: Entgiftung. Wir machen auf meine Bitte Gehörbildung, und es macht Spaß, sich auf die Töne zu konzentrieren, die ich mit etwas flacherer Stimme als sonst versuche zu singen, oder die ich erkennen lernen will. Akkorde. Ohne aufs Klavier zu gucken.
Der Elternabend der Großen (7. Klasse) ist anregend, angenehm gemischte Leute, die den Mund aufmachen. Die Leute sehen aus, als hätte das Leben sie angedetscht, und wahrscheinlich sehe ich auch so alt aus, merke es nur nicht, weil ich mich ja meistens nur von innen sehe; manchmal sehe ich auch die anderen so ähnlich wie von innen, wenn ich mich konzentriere, wenn ich es will.
Diesmal muss ich nicht Elternpsrecherin werden: es stehen sogar drei zur Wahl! Hurra!
Mit dem Rad nachhause, noch einen Abendtee, eine Mail an die Partner-Elternsprecherin aus der fünften, und schlafen. Ich schlafe unruhiger als sonst, wache öfter auf, liege im Bett und grüble. Über schnarchende Ehemänner, gute Schulbildung, verpasste Chancen, den Sinn des Lebens und das Glück im Allgemeinen.
Warum faste ich?