zirkus

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
scarlett

Beitragvon scarlett » 04.01.2008, 20:04

nur ein narr verschluckt
seinen eigenen köder
würgt und krepiert daran
nicht

(c) Monika Kafka, 2008
Zuletzt geändert von scarlett am 12.01.2008, 18:10, insgesamt 1-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.01.2008, 17:22

Hier wird etwas auf den Punkt gebracht, so trefflich, daß ich es als EINE WEISHEIT bezeichnen möchte.

Fein und Bravo.

Moshe

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Beitragvon Pjotr » 09.01.2008, 18:36

Hallo,

ich versteh's leider nicht. Wollte abwarten, ob ich durch Kommentare noch Denkanstöße bekomme. Aber stattdessen wurde es für mich noch unverständlicher. Ich glaube, ich bin ein Narr. Aber wo sind dann die Köder?


Servus

Pjotr

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.01.2008, 19:06

Bist du ein Narr ohne Köder?

Nannte man den Narren mit Köder nicht u.a. Eulenspiegel?

Eine Pointe kommt nie ohne einen Anfang aus.

MlG

Moshe

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Beitragvon Pjotr » 09.01.2008, 21:43

Vielleicht folgendermaßen interpretieren?

Anderen eine Grube grabender Narr
fällt selbst hinein
sieht's nicht



Aber egal. Ich verstehe in Scarletts Text das "nicht" nicht, es erscheint mir so allgemein. -- Es kommt spät, nach einem Zeilenumbruch, und es steht sehr kurz da im Verhältnis zum Vorbau. Wirkt wie ein Fazit. Aber ist dieses "nicht" nicht ein bisschen zu beliebig gehalten?

Ich erfreue mich des Lebens
nicht



Oder doch?


Salud

Pjotr

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Beitragvon Pjotr » 09.01.2008, 21:48

Die zeilenoptische Distanz zum "nicht" als Ausdruck des Wartens und der Hoffnung: Hoffentlich krepiert er bald ... hoffentlich krepiert er bald ... schade, er überlebt.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 09.01.2008, 22:55

Lieber Pjotr!

Bist du ein Genarrter, oder ein Narr?

Moshe :hut0007:

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Beitragvon Pjotr » 10.01.2008, 00:30

Beides, lieber Moshe.

Gast

Beitragvon Gast » 10.01.2008, 10:12

Sinn-Suche

Ich möchte einmal versuchen mich diesem, meines Erachtens schwierigen Text zu nähern, in dem ich die Bildebene „Zirkus“ benutze, denn so ist der Text schließlich betitelt.

mit dem Narren setze ich, den „Dummen August“, den „Clown“, gleich.

Seine Komik lebt weniger davon, dass der dem Publikum den Köder, also den Anlass durch die Sprache übermittelt, denn durchs Schau-Spiel.
Oftmals unter vollem körperlichen und seelischen Einsatz. Seelischer Einsatz besonders dann, wenn er sich selbst als Person, die er spielt und deren Fähigkeiten er in Frage stellt, lächerlich macht..
Das ist sein Job, vielleicht sogar seine Berufung, auf jeden Fall eine Kunst, wenn er die Menschen zum Lachen bringt und damit vielleicht auch noch Tiefgründiges“ verknüpfen kann, das das Publikum aufnehmen sollte.

Soweit so gut. Der Köder ist also das, was er dem Publikum serviert und wofür er, der Narr als Lohn vielleicht einen Riesenapplaus erhält.

Warum sollte er daran krepieren; denn die Betonung, dass nur er nicht krepiert schließt die Möglichkeit mit ein, dass er es ebenso (wie andere) könnte.

Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, was die Autorin vermitteln möchte, so leid es mir tut, und so sehr ich überlegt habe. Diesen Text habe ich schon viele Male hin- und her gewendet, bin aber zu keinem sinnvollen Ergebnis gekommen.

So bleibt für mich die Frage offen, weshalb (nur) der Narr, an seinem Köder nicht krepiert, was ja impliziert, dass andere (die Zuschauer?), es tun.

Ich komme also nicht hinter den tieferen Sinn, was ja nicht zwangsläufig heißen muss, der Vers habe keinen, denn ich gehe sehr wohl davon aus, dass Monika eine ausgewogene Intention hatte, dieses, gerade so zu schreiben.

Mir verschließt sich der Text und das finde ich sehr schade, und so ganz kann ich die Ursache des Nichtverstehens auch nicht ausschließlich bei mir suchen.
Ich glaube, dass Monika, etwas zutiefst Schlüssiges wohl reichlich kompliziert ausgedrückt und gesetzt hat.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.01.2008, 12:42

M.E. geht es hier um die Narrenfreiheit.

Ein Narr hat bekanntlich "Narrenfreiheit" (im Volksmund), sprich, er hat seinen Ruf bereits weg, seinen Ruf verspielt. Ein Mensch, der einen guten Ruf hat, hat etwas zu verlieren, der Narr jedoch nicht mehr. So denke ich mir, dass es hier darum geht, dass dieser Narr hier dies erkannt hat und eben nicht mehr an den Reaktionen seiner Umwelt "würgt", sich einen Deibel darum scherrt, sondern die Narrenfreiheit für sich nutzt und somit "über den Dingen" steht, sich befreit hat. Der Titel "Zirkus" narrt den Leser, da er ihn auf die Fährte des Clowns lockt, der aber m.E. gar nicht gemeint ist.
Sprich, bereits mit dem Titel wird ein Köder gelegt ,-) An diesem Köder "würgt" jedoch der Leser und nicht der Narr.
Ein schlauer Text, der uns an der Nase herumführt, uns "vorführt", wie diese Narrenfreiheit aussieht,-)
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 10.01.2008, 18:33

Auch wenn ich jetzt gegen Regeln im Publicus verstoßen sollte, möchte ich dir, liebe Mucki, herzlich danken, du hast mir im wahrsten Sinn des Wortes die Augen geöffnet.

Liebe Grüße
Gerda


Ja, dem was Mucki schreibt, kann ich mich anschließen, mehr noch, ich bin dem Text zuvor voll auf den Leim gegangen, insofern hat sich mein "Verdacht", dass Monika, sich ganz sicher eine ausgewogene Intnetion hat, auf das Schönste bestätigt.
Nun verstehe ich und kann mich reinfühlen und finde das "Stückchen", in seiner Art sehr gelungen.
Ganz nach dem Spruch: ... und ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert.
(Ist von W. Busch - also doppelt passsend, da gestern sein Todestag)

Ach, ich bin richtig froh, dass mir jemand die Tür aufgeschlossen hat.

Sam

Beitragvon Sam » 11.01.2008, 06:30

Gerde, ich wüsste nicht, gegen welche Regeln du verstoßen hast. Der Austausch unter den Kommentatoren ist im Schlegel ja durchaus erwünscht. Nur der arme Autor..... ;-)

Auch ich finde Muckis Gedanken sehr spannend und sie haben mich dazu gebracht, meine eigene Lesart nochmal zu überdenken.

Narrenfreiheit (Danke Mucki!!)

Zunächst hat mich die Verbindung Zirkus/Narr etwas verwundert. Im Zirkus gibt es Clowns aber keine Narren. Nun hat aber Mucki das Stichwort Narrenfreiheit geliefert. Diese bestand ja zur höfischen Zeiten darin, dass der Narr sich eigentlich über alles lustig machen durfte, selbst über den König. Wofür andere an den Galgen oder aufs Schaffott kamen, erntete der Narr die Lacher des Königs. Eben weil es ein Narr war, der da sprach, jemand den man nicht ernstnehmen brauchte. Dabei haben diese Narren (zumindest in der Literatur, man schaue z.B. in Shakespears King Lear nach) oftmals die ungeschminkte Wahrheit gesagt. Provozierende Wahrheiten. Und es kommt einem so vor, als hätten sie Köder ausgelegt, kleine Fallen, in welche die doch meist etwas degenerierten Monarchen dann gerne getappt sind, indem sie sich über ihre eigenen Schwächen und Grausamkeiten "königlich" amüsierten. Während draussen das aufbegehrende Volk krepierte, überlebte der Narr am Hofe selbst die subversivsten Äusserungen.

Das ist natürlich widersinnig, grotesk, beinahe clownesk (seitens der Monarchen) - und damit wären wir beim Titel: Zirkus. Welcher das Leben ja eigentlich auch ist. Im positiven wie negativen Sinne.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 12:03

Hi Sam,

um deinen Kommentar noch mehr auszuweiten: das Gedicht hätte Monika vermutlich unter Lyrik und Kultur gestellt (wenn sie nicht den Schlegel gewählt hätte).
Ja, das Leben bzw. die Welt, in der wir leben, ist ein Zirkus. Und diejenigen, die sich eben nicht narren lassen, sind es, die nicht krepieren, die sich nicht vom System kaputt machen lassen, sondern über den Dingen stehen.
Deshalb war die Frage von Moshe so treffend:
moshe.c hat geschrieben:Lieber Pjotr!
Bist du ein Genarrter, oder ein Narr?
Moshe :hut0007:


Saludos
Mucki

Maija

Beitragvon Maija » 12.01.2008, 19:19

Hallo,

Eigentlich sind wir ja alle Narren und deshalb krepieren wir vielleicht nicht an unserem eigenen Köder...? Für mich ist das Bild nicht klar, da hier ja kein Zirkus direkt beschrieben wurden ist. Für mich stellt sich die Frage: "Was ist ein eigener Köder?" Zum Beispiel einen Köder legen und wenn er anbeißt, seine Schuld!
Der Köder also unser "Ego"..? Weil wir Menschen sind, ersticken wir also nicht an unserem "Ego"...?

Nachdenkliche Grüße, Maija


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