Durchleuchten

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 02.03.2008, 22:37

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Glück braucht Kontrastmittel, das ist das Pech.


© 2004



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glück
gedeiht nur
auf dung
pech!



© 2008



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In der Dauerglücksmaschine weilend, wurde er langsam sauer.


© 2008



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Meine drei Zöglinge hoffen auf die Zusage des Gastwirts, im selben Zimmerlein übernachten zu dürfen. Na zdrovje.

Nicole

Beitragvon Nicole » 03.03.2008, 09:02

Moin Pjotr,

Nr. 1 gefällt mir besonders, weil es "doppeldeutig" lesbar ist.
Erste Version: Glück braucht Konstrastmittel und das Kontrastmittel ist das Pech.
Zweite Version: Das Pech ist, das Glück ein Kontrastmittel braucht...
In der zweiten Version würde ich nach dem Dung ein Komma setzen, aber vielleicht ist das nicht gewollt, damit man Lesen kann "Glück gedeiht nur auf dem Dung "Pech"?!?
Nr 3 läßt mich ein bißchen ratlos zurück.....

Insgesamt mag ich die Idee, daß Glück nur "spürbar" ist, wenn man auch das Pech kennt ... und es ist "Pech", daß es so ist. :-)

Gruß, Nicole

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.03.2008, 11:35

Hi Pjotr,

Nr. 2 finde ich gut, weil es frech ist,-)
(Eigentlich liest man: glück
gedeiht nur
auf scheiße
pech!)

Den Titel "Durchleuchten" dazu kapier ich nicht, scheint mir nicht so recht zu passen.

Nr. 3 wirkt mir zu konstruiert.
Was du sagen willst, ist klar: wenn man immer nur glücklich ist, wird man irgendwann missmutig (weil man den Gegensatz nicht mehr kennt)
Saludos
Mucki

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.03.2008, 13:37

Zu Nr. 1 und 2: Wo Ihr Recht habt, habt Ihr Recht, Nicole und Mucki.
"Scheiße" klingt auch gut, und Komma wäre ebenfalls passend, aber das Doppeldeutige wäre dann weg ("Pech!" als Ausruf und "Pech" als Name des Dungs).


Zu Nr. 3: Auch das soll doppeldeutig sein. Sauer synonym für unglücklich, aber auch wortwörtlich für sauer wie saure Milch. Es kann nicht alles weiß sein, wenn weiß sich von schwarz nicht mehr unterscheidet. Sobald alles, in Zeit und Raum, weiß wäre, gäbe es kein weiß mehr. – Die Gefühlspalette hört auf zu sein, wenn es auf ihr keine Unterschiede mehr gibt. Im Einerlei ist nichts.

Ich glaube, für 1 Kilo Glück muss man früher oder später, geballt oder in Raten, 1 Kilo Pech berappen. Wenn man das über das Leben verteilt, kann man maximal unterm Strich nicht mehr als die halbe Lebenszeit mit Glück ausstatten, denn das bezahlt man mit der anderen Hälfte in Pech, dann ist der Geldbeutel leer. Mehr als die Hälfte in Glück geht demnach nicht, weniger hingegen schon, mit mehr als die Hälfte in Pech bezahlt, wenn die Inflation steigt – oder mit billigem Pech: aber dann ist auch das Glück nur von schlechter Qualität. Bei zu großem Geiz entsteht Apathie (Glück und Pech verschmelzen zu Einerlei).

Plus gibt es nur, weil es Minus gibt. Eine Dauerglücksmaschine kann es nicht geben, denn wenn ihr Antrieb, das Pech, zur Neige geht, beginnt sie zu dösen, dann wird's flach, fad, sauer, apathisch. Und wenn hingegen die Pechzufuhr weiterläuft, ist ebenfalls kein Dauerglück vorhanden. Gehupft wie gesprungen.

Wenn die Emmentalerkäsemaschine keine Löcher mehr haut, ist der Käse zwar durchgehend lochfrei, aber er ist dann kein Emmentalerkäse mehr. In der Lochfüllmaschine weilend, wurde der Emmentaler langsam einerlei. Ah ne ich kann jetzt keinen klaren Gedanken mehr fassen.


Gut' Nacht

Pjotr
Zuletzt geändert von Pjotr am 03.03.2008, 13:57, insgesamt 1-mal geändert.

Anton

Beitragvon Anton » 03.03.2008, 13:52

Hallo Pjotr,

finde alle drei gut, Nr. 2, wie Mucki, besonders gelungen.

G. Kolmar dazu:

'Was ist das Leben? Ein Dung, drauf weiße Narzissen erblühn'

oder Fried:

'wie viele Steine
geschluckt werden müssen
als Strafe
für Glück'


Gruß
Anton

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.03.2008, 13:59

P.S.: Danke, Anton. Danke auch für die Beispiele, die kannte ich noch nicht.

P.P.S.: Ach, ich vergaß ... Der Titel "Durchleuchten" ... hätte auch heißen können "Röntgen". Kontrastmittel schluckt oder fixt man, damit der Dok auf dem Foto bestimmte Organwände erkennen kann.

Gut' Nacht.

Nicole

Beitragvon Nicole » 03.03.2008, 16:20

Kontrastmittel schluckt oder fixt man



.... FIXT man?!?!? :totlach:

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.03.2008, 16:38

Hallo Pjotr,

Das Wort "Glück" hat ja mehrere Bedeutungen. Im englischen gibt es dafür "luck" und "happiness". Da du hier als Antonym das "Pech" setzt, sehe ich eher erste Zufallsglücksvariante, also das Glück haben anstatt das Glück empfinden. In deinem Kommentar dazu beziehst du dich jedoch eher auf das "Glücklichsein". Aber egal welche Variante ich nehme, stimme ich deiner Glücksrechnung und auch der Grundaussage nicht zu. ;-) Macht aber Spaß, es zu durchleuchten.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.03.2008, 01:10

Hallo Nicole,

intravenös, meine ich, oder wie das heißt ... Bild



Hi Smile,

Du nennst einen Punkt, über den ich auch lange schon nachdachte. Inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass auch "Zufallsglück", etwa im Roulette, doch auch nichts anderes als ein Glücksgefühl ist. Letztendlich geht es, so meine ich, um Wohlgefühl. Egal ob Glück im Roulette, in der Liebe, in der Arbeit – es geht um ein Wohlgefühl, um eine Empfindung, und die ist, wie alle Empfindungen, unbeschreiblich (Synonyme zählen nicht, die verschieben nur das Unbeschreibliche). Einzig beschreiblich ist, dass Glück sich immer glücklich anfühlt, egal ob im Roulette oder im Bett. Wäre interessant, was die Etymologie dazu sagt (bedeutete Spielglück ursprünglich die Spielursache oder die Spielwirkung?).

Luck, happiness, joy ... Glück, Zufriedenheit, Freude, Wohlbehagen ... halte ich schlussendlich für Intensitätswörter für ein und dieselbe Empfindungsdimension. Sie stehen für die Quantität ein und derselben Qualität (nicht für süß, nicht für laut etc., sondern für wohltuend). Wobei ich die Einteilung in Quantität und Qualität nicht übertreiben will, denn ab einem gewissen Fokus ist Quantität und Qualität abermals dasselbe, weil Qualität am Ende doch mit einzelnen Quantitäten beschreibbar ist. Beispiel: Die Luft ist qualitativ gut, weil sie feucht ist; diese Feuchte wiederum ist eine Quantität. Zuletzt: Die kleinste Informationseinheit halte ich sowohl für eine Qualität (schwarz ist anders als weiß) als auch für eine Quantität (1 gegenüber 0, oder ja gegenüber nein).

Edit: Hat man zufällig etwas schlechtes bekommen, ist das Pech; hat man zufällig etwas gutes bekommen, ist das Glück. Diesem Vergleich nach liegt der Fokus des Glücksbegriffs (auch des Pechbegriffs) in der Wirkung, und die Ursache hingegen liegt in der Seltenheit (oder im Ungeplanten). Will sagen, egal ob das Gefühl geplant oder zugefallen ist, es ist das selbe Gefühl. Und um die Ermöglichung dieses Gefühls geht es in meinen drei Texten, um die Ermöglichung allgemein, nicht speziell (Roulette, Flirt, Festzins, Achterbahn etc. wäre zu speziell). Es geht um das Glücksgefühl, das nur sein kann, wenn es neben ihm noch andere Gefühle gibt. (Wäre ich ein Theist, würde ich sagen, Gott oder Götter kann es nur deshalb geben, weil es neben ihnen Nichtgötter gibt. Andernfalls wäre alles nichtiges Einerlei.) Edit Ende.



Hallo Mucki nochmal,

apropos "konstruiert": Der dritte Text handelte ursprünglich von einem Konstrukteur! Bild Das ging so:

"Als der Inscheniör in seine Dauerglücksmaschine gestiegen war, wurde er langsam sauer."

Ich muss sagen, diese unreduzierte Version hätte ich lassen sollen. Die Reduktion oben war ein spontaner Last-Minute-Edit.


Cheers

Pjotr

aram
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Beitragvon aram » 04.03.2008, 03:13

"Als der Inscheniör in seine Dauerglücksmaschine gestiegen war, wurde er langsam sauer."

Ich muss sagen, diese unreduzierte Version hätte ich lassen sollen.



ja, da musste ich erstmals schmunzeln! (empfehle noch 'nachdem' statt 'als')

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.03.2008, 04:45

"Nachdem der Inscheniör in seine Dauerglücksmaschine gestiegen war, wurde er langsam sauer."

Deine Empfehlung finde ich gut, Aram. Das Wort "nachdem" eröffnet eine unendlich lange Zukunft und klingt damit präziser und auch logischer in Bezug auf den folgenden Säuerungsprozess – während das Wort "als" eher nur einen kurzen Moment zur Verfügung stellt.

Ich habe es mir nun eine Weile angesehen mit "nachdem" statt "als". Jetzt vermisse ich doch etwas. Es ist die traditionelle "Als"-Komik, diesen "Als"-Cartoon-Stil ... diesen Hauch von Alltags-Erzählsprache ... weißt Du, was ich meine?

Sam

Beitragvon Sam » 04.03.2008, 05:17

Hallo Pjotr,

ich habe mich schon oft mit Menschen über das Thema Glück unterhalten. Und sehr oft kommen da Aussagen, die deinen Aphorismen ähneln. Erst durch das Unglück kann man das Glück schätzen. Höher gegriffen sagt man: Es braucht das Böse, um das Gute zu schätzen. Ich halte von diesen Aussagen nicht viel. Das ist wie wenn man jemanden, der nur alle drei Tage etwas essen darf sagen würde, dass er, wenn er irgendwann einmal alle zwei Tage etwas essen darf, froh sein wird.

Wir Menschen sind mit einer unstillbaren Sehnsucht nach Glück ausgestattet. Warum diese Sehnsucht nicht erfüllt wird, wissen die Philosophen oder die Theologen. Wir kleinen Menschlein dagegen haben scheinbar nur diese eine Möglichkeit mit dem Unglück umzugehen: Es als "gottgewollten", "schicksalsgegebenen", "sosistdaslebennunmaleben" Teil des Lebens hinzunehmen und unsere Glücksmomente daran zu messen.

Das wahre Glück misst sich aber nicht an der Masse von Unglück, dem es gegenüber steht.

Liebe Grüße

Sam

aram
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Beitragvon aram » 04.03.2008, 07:31

Pjotr hat geschrieben: Das Wort "nachdem" eröffnet eine unendlich lange Zukunft und klingt damit präziser und auch logischer in Bezug auf den folgenden Säuerungsprozess – während das Wort "als" eher nur einen kurzen Moment zur Verfügung stellt.

Ich habe es mir nun eine Weile angesehen mit "nachdem" statt "als". Jetzt vermisse ich doch etwas. Es ist die traditionelle "Als"-Komik, diesen "Als"-Cartoon-Stil ... diesen Hauch von Alltags-Erzählsprache ... weißt Du, was ich meine?


ich verstehe dich, pjotr - klassischer konflikt [nein, nicht das jetzt]

'als' verträgt sich schlecht mit 'langsam' - letzteres ist aber wichtig, sonst könnt es auch bedeuten: "als der inschen... gestiegen war, wurde er [umgehend] sauer"

für die traditionelle als- komik braucht es aber die plötzliche wende.

deshalb: k.k. - eines musst du wohl opfern. (ich gab mit meinem vorschlag dem sprachgefühl vorrang, du kannst natürlich dem pointengefühl vorrang geben.)


- übrigens teile ich sams meinung. früher war ich genau deiner auffassung, pjotr - irgendwann, vermutlich in indien,-) konnte ich dann einen paradigmenwechsel nicht verhindern ~ deshalb gefällt mir der aphorismus mit ingenieur als einziger bzw. mit abstand am besten, denn dabei geht es offensichtlich genau um diese art glücksvorstellung (des ingenieurs), die auf dualität basiert - tja und dann...

ich finde diesen aphorismus schön und amüsant.

Sam

Beitragvon Sam » 04.03.2008, 07:58

Zum letzten Aphorismus, der mir in seiner Ingenieurform auch am besten gefällt, möchte ich noch sagen, dass er doch letztlich auf einer naiven, schlaraffenlandesken (geiles Wort, oder? :-) ) Vorstellung vom Glück beruht.

Anders gesagt:

Je allgemeiner (oberflächlicher?) man das Wort Glück definiert, desto notwendiger ist der Vergleich mit dem Unglück.


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