Verlassen (Männergedicht)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sam

Beitragvon Sam » 17.03.2008, 18:59

Verlassen (Männergedicht)


Ich fühle mich unumsorgt.

Die Lider heruntergelassen,
dahinter verdreckte Augen.
Meine Haut liegt ungebügelt auf mir herum,
Mund und Rachen schon lang nicht mehr gefegt.
Zigfach geblasene Trübsal vergammelt in Herz und Hirn,
neben dem Gedankenmüll im Stirnbereich.
Mein Haar gehört gemäht und
aus Ohren und Nase das Unkraut gezupft.
Und mein Geschlecht, oh mein Geschlecht:
Stellt sich jeden Morgen an
und bleibt trotzdem ein Arbeitsloser.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.03.2008, 00:31

Hi Sam,

gefällt mir gut, wie du die Larmoyanz hier derart übertreibst, dass ich mich als Leser dazu aufgerufen fühle, das LI sofort heftigst zu trösten und danach in den Allerwertesten zu treten,-)
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 20.03.2008, 05:38

Hallo und herzlichen Dank für eure Kommentare!

@marlene
Sollen wir LI wirklich bedauern? Oder zu einem schönen Tritt in den eigenen Sitzbereich raten?

Da ich ein Mann bin, würde ich sagen: Bitte bedauern. er hat es wirklich nötig! :mrgreen:

@Nicole
Dank dir! Das "stellt sich an" muss aber leider bleiben. Das schlägt die Brücke zur Arbeitslosigkeit und ist auch nicht so eindeutig wie "stellt sich auf".

Was die dreckigen Augen angeht, so wird, glaube ich, niemand auf die Idee kommen, du hättest bei mir geklaut. Ich kenne dein Gedicht und weiß, dass dort "dreckig und alt" in Verbindung mit dem Augen ein starkes, charakterbeschreibendes Bild ist. In meinem Gedicht folge ich ja nur der Körper/Haus Metapher und darin müssen die Augen als Fenster herhalten. Und die können verdreckt sein. Im Übrigen mache ich einen Unterschied zwischen dreckig und verdreckt. Ersteres ist ein wesentlich stärkeres Wort.
Also bitte dein Gedicht an dieser Stelle NICHT ändern!

@Elsa
ist es tatsächlich so, dass Männer sich derart gehen lassen?

Nicht alle. Aber ich finde, dass der Selbstmitleidsfaktor bei uns Männern schon sehr ausgeprägt ist. Und verhallt die männliche Jammerei ungehört, dann kann es schon passieren, dass er innerlich und äusserlich verlottert. ;-)

@jürgen
wie ich schon bei Nicole schrieb, beruht das "Verdreckt" auf der Körper/Haus Metapher mit den Augen als Fenstern. Und Fenster können schon ganz schön verdreckt sein, wenn sie lange nicht geputzt wurden.

@leonie
Wegen der verdreckten Augen siehe bitte bei Jürgen und Nicole.
klingt für mich so, als würde die Arbeitslosigkeit wohl noch ein Weilchen anhalten

Ohh ja, der Typ kommt das so schnell nicht mehr raus. Die Verlotterung wird die Arbeitslosigkeit ja nur unterstützen. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja eine uneigennützige, großherzige, umsorgungsbereite Sie und rettet ihn. :mrgreen:

@Lisa
Vielen Dank dass du so genau auf den Text eingangen bist. Und ja, deine Kritikpunkte sind berechtigt.
Die Metapher Körper/Haus ist nun wirklich nicht neu und auch nicht besonders originell. Schon der gute alte Petrus bezeichnete in der Bibel seinen Körper als "Hütte, die verfällt".
Dieses Entlanghangeln an einer Metapher stört mich auch oft. Man merkt richtig, wie der Dichter eine kleine Idee zu einem Gedicht breitwalzt. Das war in meinem Fall auch so und deswegen kann ich deiner Kritik nichts entgegensetzen.
Nun war das für mich von Anfang an ein humoriges, selbstironisches Textlein an dessen Anfang natürlich das Unumsorgt stand. Darauf folgte die Idee, den Mann als vernachlässigte Wohnung oder Haus darzustellen. Da sucht man natürlich nach passenden Bildern. Und diesen haftet das Gesuchtwordensein leider etwas an.

Die an sich witzige Pointe zum Ende mit wieder toll vorbereitendem Rhythmus verliert so für mich etwas an Frische. Auch finde ich sie noch nicht perfekt formuliert, wirkt noch etwas umständlich.

Das Ende hat mich bein Schreiben am meisten Zeit gekostet. Es sollte irgenwie beides sein: Überhöhung und Profanisierung. Deswegen habe ich auch die Körpermetapher verlassen. Als umständlich erachte ich diese Zeilen nicht und wüsste auch nicht, wie ich es anders formulieren sollte.

Aber wie gesagt, deine Kritik ist berechtigt (in einem Perry Ordner führst du ähnliche Argumente an und da gehe ich ebenfalls mit dir konform)
Zu meiner (und des Gedichtes) entschuldigung kann ich höchstens sagen:
Es war in erster Linie Spaß. Ich mag es, mich selber auf die Schippe zu nehmen, bin wesentlich humorvoller, als das vielleicht einige von mir vermuten, und wollte mit diesem Gedicht nur ein wenig der allgemeinen Tristesse im Salon entgegenwirken. Aber das nur auf meine (männlichen und dichterischen) Kosten.

@jondoy
PS: Die „Umgangsweise“ hier im Blauen Salon ist mir noch ziemlich suspekt, bin ihn nicht gewöhnt,

Ja, wir sind hier sehr freundlich zueinander. (Meine unpersönliche @ Anrede ist hier eigentlich auch nicht Usus, aber um deinetwillen habe ich es mal so gemacht.)
Manchmal kratzen wir uns trotzdem gegenseitig die Augen aus. Fast ein bisschen britisch, dieses Forum.

Deine Kritik zielt auf die Glaubwürdigkeit des Textes ab: Für einen Verlassenen ist das LyrI zu selbstbezogenen. Der oder die Verlasssende bleibt völlig unberücksichtigt.
So ein kleines Bisschen erweckt dein Kommentar den Eindruck, dass du noch nicht von allen utopischen Beziehungs- und Liebesvorstellungen geheilt bist (das war jetzt Spaß!!!)
Du erwartest einen Bruch, damit die Realität in den Text Einzug hält. Und zwar deine Realität. Der Text hat aber seine eigene Realität, und wie schon bei Lisa erwähnt, ist er von mir in allererster Linie selbstironisch gemeint. Wenn du ihm aber eine ernste Seite abgewinnen willst, dann die, dass wir in dem Zustand des Verlassenssein immer auf uns selbst zurückfallen. Im Übrigen beschreibt das Lyri hier nicht Ursachen, sondern Auswirkungen.
Vielleicht wird das LyrI zum Gegenstand und das wäre dem Gedicht dann wirklich anzukreiden. Danke jedenfalls, dass du so genau hingeschaut hast.

Das Buch, an das dich letzten Zeilen erinnern: Falls dir einfällt, welches es war, sag doch mal Bescheid!

@Mucki
gefällt mir gut, wie du die Larmoyanz hier derart übertreibst, dass ich mich als Leser dazu aufgerufen fühle, das LI sofort heftigst zu trösten und danach in den Allerwertesten zu treten

Getröstet will das LyrI bestimmt werden. Und das möglichst heftig. Das in den Allerwertstentreten hinterher wird ihn wahrscheinlich aber wieder in die stachelig-kuscheligen Gefilden des Selbstmitleids treiben ;-)

Nochmal herzlichen Dank euch allen!

Sam

Mucki
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Registriert: 07.09.2006
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Beitragvon Mucki » 20.03.2008, 11:42

Aber ich finde, dass der Selbstmitleidsfaktor bei uns Männern schon sehr ausgeprägt ist. Und verhallt die männliche Jammerei ungehört, dann kann es schon passieren, dass er innerlich und äusserlich verlottert. ;-)

Hach, das sollte man einrahmen! :-) Endlich mal ein Mann, der es zugibt, yeah! :mrgreen:
Saludos
Mucki

Nicole

Beitragvon Nicole » 20.03.2008, 13:08

Hi Sam,

na, dann "danke" für die dreckigen Augen ... ich werde die Zeile des Gedichts so lassen!

Lieben Gruß, Nicole

jondoy
Beiträge: 1571
Registriert: 28.02.2008

Beitragvon jondoy » 21.03.2008, 01:16

Hi Sam,

von mir kurz drei Dinge,

gerne würde ich dir den Titel des Buches nennen, nur er fällt mir nicht mehr ein. Falls doch noch, werd ich mich melden.

Erst nachdem ich meinen Kommentar bereits geschrieben hatte, las ich, dass dieser Text hier unter der Rubrik "Humorige und satirische Lyrik steht".
Ich wollte meinen Kommentar daraufhin deswegen nochmals drehen, denn beim Schreiben ging ich irrtümlich davon aus, dieser Text stände unter Lyrik (ohne diesen Zusatz), habs dann aber doch bleiben lassen,
irgendwie passt das Geschriebene dann nicht mehr zusammen.

Die Ausführlichkeit deines Statements find ich beachtlich.
Und fast schon salomonisch.

Herzliche Grüße,
jondoy


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