Ich werde privat

... Aber manchmal erlebe ich zur Abwechslung so einprägsame Geschichten, dass ich sie nicht für mich behalten kann, aber auch keinen Rummel darum erheben will. Deshalb dachte ich hier passt sie hinein:
Hier ist der Text wieder. Ich habe NICHT beim Wettbewerb gewonnen... Dabei habe ich es allen, die ich kenne vorher angekündigt. Schweinerei!
Der Frühling ist ein Croupier.
Davor der Frühling: „Bitte, das Liebesspiel zu machen - Rien ne va plus.“
Danach wir:
"Die Athener gewinnen."
"Die haben die besseren Waffen."
Ich liebe dieses weiße Bett. Die Nachttischlampe ist daran montiert und lugt neugierig über unsere Köpfe. Man kann sie dehnen und wegschieben, sie ist so formbar wie ein Hefeteig. Ihr Licht ist grell und lässt seinen hellen Arm noch bleicher aussehen. Dabei ist er noch keine Leiche.
Er liest keinen Satz in diesem Geschichtsbuch. Er dreht wieder einen seiner Filme. Ich komme mir mit ihm tatsächlich vor wie in einem Film und er ist auch hier der Regisseur.
Es ist seit einer halben Stunde zu Ende mit uns und ich habe meinen Stolz verloren, er hat seinen Stolz verloren, denn der Plan war mich auf dem Sofa schlafen zu lassen.
Ich habe es zehn Minuten unter der Stehlampe auf dem Sofa ausgehalten. Das Bettzeug und das Weinglas genommen und an die Schlafzimmertür geklopft. Es kam mir albern vor zu klopfen, aber ich dachte wir sind jetzt keine Liebenden mehr, sondern Freunde.
Ich liege in diesem weißen Bett, ich liege das letzte Mal darin. Die Jalousie ist herunter gelassen. Dahinter blendete sonst die Fensterfront eines Nachbarn, der die ganze Nacht 100-Watt-Glühbirnen leuchten lässt. Niemand weiß weshalb. Ich werde es nie herausfinden.
Ich hasse ihn, weil ich ihn so liebe. Weil kein anderer Mensch auf dieser Welt jetzt ein Buch über griechische Kriege lesen würde. Weil kein anderer Mensch mir mitten in der Nacht von einem Pflaumenkuchen vorschwärmt, den er noch nie gebacken hat und den er nur aus einem Kochbuch kennt, dass er nicht mehr besitzt.
Jetzt wird er sich wieder in all seiner Exzentrik durch die wilden grauen Haare streichen und mich angrinsen. Er tut es. Ich grinse zurück und seufze. Ich streichle über seinen bleichen Arm und staune über seine breite Hand.
"Mein Vater hat mal gesagt, Menschen mit breiten Händen sind kreativer."
"Soso..."
"Mein Vater hat das nur gesagt, weil er breite Hände hat."
Er grummelt ein Lachen und legt seinen bleichen Arm um mich.
"Du bist süß!"
Ich komme mir schon vor wie der Pflaumenkuchen und bin wieder besoffen von all diesem verlogenen Glück.
Ich küsse einen Leberfleck auf seiner Schulter. Wir kugeln uns übereinander. Ich küsse seinen Hals entlang und er liest hinter meinem Rücken sein Geschichtsbuch. Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, würde ich ihn wieder erschießen. Ich wollte ihn schon mehrfach erschießen in Gedanken. Ich habe keine Ahnung, ob das eine gute Voraussetzung für eine gemeinsame Zukunft war.
Er legt sein Buch endlich fort.
Wenn wir heute Liebe machen, mache nur ich Liebe und er etwas Dummes. Er verliert dabei regelmäßig den Verstand und ich verliere ihn dann mit. Er unterhält sich dabei. Er kann aussprechen, was er nicht fühlt, aber gerne empfinden würde. Ich liebe Dich. Ich will Dich. Willst du meine Frau werden? Ich ficke Dich. Ich ficke mein kleines Mädchen. Ja. Ja. Ja. Fick mich! Fick mich, mein Schatz. Was ist? Was ist denn? – Nichts.
Einen kurzen Augenblick frage ich mich, ob er „mein Schatz“ oder „mein Schwanz“ flüstert und komme zu dem Schluss, dass es auch keinen Unterschied mehr machen würde.
Wir werden zwei Triebe.
Da ich ihn nicht erschießen kann, kratze ich ihm über den Rücken und er beißt mich, wo er mich beißen kann. Ich beiße zurück.
„Da klebt mein Blut an Deiner Wange!“ erkläre ich ihm. Er hört nichts mehr. Meine Brust wird blau. Er nagt an meinen Brustwarzen. Zum Tiger fehlen ihm nur noch die Streifen.
Schließlich, im absoluten Delirium sind wir dabei uns gegenseitig die Luft wegzudrücken. Ich habe zeitweise Angst zu ersticken. Dann denke ich, es würde auch egal sein. Ein schöner Tod.
Ich stelle mir vor, wie er nackt einen Krankenwagen ruft und erinnere mich an den Morgen, als ich die "Pille danach" brauchte.
Es war Samstagmorgen, halb sechs Uhr. Er wählte eine Arzt-Nummer aus dem Branchenbuch. Eine männliche Stimme meldete sich in der Leitung. Er erklärte:
"Guten Morgen, Regit hier. Können wir jetzt bei Ihnen vorbeikommen und uns die Pille danach abholen?"
Der Mann am anderen Ende klang müde.
"Was?"
"Wir wollen die Pille danach! Können wir schnell bei Ihnen vorbeikommen?"
"Ich habe keine Pille. Ich bin kein Arzt."
"Achso! Na, dann..."
Aber das ist eine andere Geschichte. Eine kleine Geschichte in mitten unserer großen. Ich freue mich, dass wir in den wenigen Monaten so viele kleine Geschichten gesammelt haben. Wir haben sie gesammelt wie Zeugnisse und sie in unser Gedächtnis geheftet. Ich weiß nicht, was er mit seiner Zeugnismappe anfangen wird. Vielleicht hat er gar nichts gesammelt und sich umsonst abgemüht. Ich werde meine Mappe immer mit mir tragen.
Meine Lippe schmerzt. Sie fühlt sich taub an. Das letzte Mal, als wir noch Liebende waren, habe ich im Bett den Vögeln zugehört. Den ersten Vögeln dieses Jahres und gerufen: "Es ist Frühling!" Sodass er aufwachte und fragte: "Was?" und ich wieder rief: "Es ist Frühling!" im Wissen, dass wir dem Frühling vollkommen egal sind. Wir sind dem Frühling so egal wie die Gewohnheitsspieler dem Casino, aber wir hören nicht auf, alles in ihm zu verlieren. Wenn wir einmal den Jackpot knacken, verspielen wir alles wieder.
Ich lecke über meine Lippe und schlafe ein. Ich träume.
Ich stehe vor einer großen Kirche. Einer Kathedrale. Davor drei Jongleure. Der erste jongliert mit Stühlen. Der zweite mit Zeitungen. Der dritte mit bunten Bällen. Immer wieder schaut ein Mann aus einem hohen Kirchenfenster und schreit: "Was ist das?" - Sobald er die Frage gestellt hat, hören alle Jongleure auf zu jonglieren und starren ihn an. Beim vierten Mal schaut mich der Mann mit den Stühlen an und erklärt ganz ruhig: "In der Kirche geht gleich eine Bombe hoch."
Ich weiß, dass die Kirche prall gefüllt ist. Eine Hochzeitsgesellschaft ist darin. Ich laufe durch die große Pforte und stehe im Kirchsaal. Dort gibt es keine Holzbänke, sondern Restaurant-Tische. An einem der Tische sitzt er und unterhält sich mit den anderen wie ein gesunder, gesellschaftsfähiger Mensch es tun würde. Ich starre ihn an und rufe durch den Saal: "Hallo! Hier geht gleich eine Bombe hoch!" Ich rufe diese Ansage immer wieder, aber alle Kirchenbesucher wollen mir nicht glauben. Sie warten auf die Hochzeitstorte.
Er steckt sich eine Zigarette an und grinst zu mir herüber.
"Du rauchst?"
"Immer im Sommer."
"Aha? Aber verstehst Du denn nicht, hier geht gleich eine Bombe hoch! Wir müssen hier raus!"
Er starrt mich an ohne zu antworten.
Das Kirchendach öffnet sich und eine Torte wird herunter gefahren. Darüber ein blauer Himmel. Die Torte ist gewaltig. Sie steht auf einem Holzpodest. Jeder blickt beseelt auf die Hochzeitstorte. Der Saal ist hungrig nach Liebe.
Ich weiß: Die Bombe ist in der Torte. Ich nehme ihn bei der Hand und renne mit ihm aus der Kirche. Wir schmeißen uns auf den Boden und die Kirche explodiert. Kieselsteine und Schutt rieseln uns auf die Köpfe. Um uns fliegt Staub und Stille.
Ich wache auf. Er liegt neben mir und schläft. Er hat mir im Schlaf den Rücken zugewandt. Ich beuge mich über ihn und meine Augen liebkosen sein Gesicht. Sein Mund grinst nicht mehr. Er ist entspannt und traurig. Kein Mund dieser Welt lächelt von sich aus, denke ich. Wir sind keine sozialen Delphine.
Seine große Nase belustigt mich jedes Mal. Niemand hat diesen Knubbel am Ende der Nase. Ob seine Geschwister dieselbe Nase haben? Er atmet so friedlich, als hätte er noch nicht gelebt.
Ich beende meine Liebesblicke und denke an die Pistole. Ich rufe ihm ins Ohr: "Wir haben einen Bombenanschlag überlebt! Wir haben einen Bombenanschlag überlebt!"
Er schreckt auf und sieht mich fassungslos an.
"Was für einen Bombenanschlag?"
Ich grinse.
"Das habe ich geträumt."
Er fällt wieder ins Kissen. Ich erzähle seiner dösenden Hülle meinen Traum und schleiche zur Toilette. Im Spiegel sehe ich meine Lippe an. Ich sehe aus, als hätte ich mir Botox spritzen lassen, aber nur für die Unterlippe bezahlt.
Ich wandere wieder in das weiße Bett zurück. Der Raum ist jetzt tageshell und der Film neigt sich den Schlussszenen zu. Auf seinem Keyboard liegt ein benutztes Taschentuch. Auf dem Sofa ein Haufen Kleidung. Auf dem Parkett meine Unterwäsche. Ich mache wieder Liebe und er etwas Dummes.
Beim Kaffee erklärt er mir: „Wir sind zwei Geschichten. Du bist eine Geschichte und ich bin eine Geschichte und in den seltensten Fällen gehen zwei Geschichten gut ineinander über. Das ist ganz normal. Unsere passen einfach nicht zusammen. Das ist nicht deine Schuld.“
Am Ende gewinnt immer die Bank. Der nächste Frühling wechselt den alten ab. „Bitte das Liebesspiel zu machen…“
Als die Kaffeetassen leer sind und ich weinend auf seinem Schoß sitze, will ich ihn nicht mehr erschießen, sondern küssen...Aber das sind die Gesten der Liebenden, denke ich und frage mich, ob es diese Liebenden überhaupt gibt.
Eine Umarmung ohne Liebe fühlt sich an wie eine Schwarzfahrt mit zusteigender Fahrkartenkontrolle. Man fährt im richtigen Zug und will plötzlich am liebsten aus dem Fenster flüchten.
Trotzdem umarmen wir uns vor der Tür und ich trete aus dem Haus, als wäre ich darin von einem Laster überfahren worden. Die Tür fällt nicht ins Schloss, weil das herausgebrochen wurde. Aber selbst ohne Schloss, kann ich sie nicht mehr öffnen.
Es ist Frühling! – Mir und dem Frühling ist das vollkommen egal.