Brachland

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 14.04.2008, 13:51

Ein altes, verrottetes Fußballtor, Zeuge einer längst vergangenen Kindheit. Der viel zu kurz gemähte Rasen, gelb, schlammig, wie die Erinnerung an diese Zeit. Nie hätte ich daran gedacht an diesen Ort zurückzukehren. Und letztlich ist es auch nur purer Kitsch, dass ich es dennoch tue. Verklärte Romantik. Am Ende denkt man sich immer alles schön.
Die Bank ist so unbequem wie ich sie in Erinnerung habe, nur das Dorf ist nicht mehr so hässlich - es ist noch viel hässlicher geworden. Die Fenster der leerstehenden Häuser glotzen mich böse im Dämmerlicht an und der aufkommende Wind lässt die letzten Blätter an den kargen Bäumen bedrohlich leise rascheln. Es ist eher ein Zischen, ein Vorwurfsvolles, dass auch noch zu hören sein wird, wenn das letzte Blatt vom Baum gesegelt ist. Der ganze Tag wollte schon nicht hell werden, es war mir gleich.
Der Wind wird heftiger, die Blätter zischen wilder. Erste Regentropfen fallen auf meinen Nacken, den ich, meinen Kopf nach vorne gebeugt, schutzlos der Witterung aussetze. Mein Schal liegt im Auto und es ist mir egal. Ich bleibe vielleicht noch zehn Minuten sitzen, es kann auch eine Stunde sein, ich weiß es nicht. Meine Uhr habe ich schon lange der Ewigkeit zurückgegeben und mit ihr mein Zeitgefühl.
Als ich mich von der Bank erhebe, bin ich nass bis auf die Knochen und mir kommt ein Satz meiner Mutter in den Sinn 'Du holst dir noch den Tod'. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, nicht vor Kälte, sondern vor Angst, die Natur könnte mir zuvor kommen. Doch ich weiß, dass ich einfach schneller sein werde, das beruhigt mich. Der Regen peitscht mir ins Gesicht und ich öffne meinen Mantel, knöpfe mein Hemd auf, um ihm auch noch die andere Backe hinzuhalten. Der Wind ist so heftig, dass es mich anstrengt gegen ihn anzugehen. Die Tropfen werden fester und fester, bis schließlich kleine Hagelkörner mich auspeitschen, als Strafe für mein Vorhaben.
Die Fensterscheiben meines Autos beschlagen sofort und die Heizung, unfähig gegen diese Menge Feuchtigkeit anzukämpfen, versucht es erst gar nicht, als wüsste sie was kommt und geht einfach aus. Freiwillig. Es gibt viel, von dem ich mir wünschte es beendete aus freiem Willen seine Existenz, doch nie tat mir etwas diesen Gefallen - nur die Heizung, aber ich verzeihe ihr.
Ich bin an der Straße mit den Pflastersteinen angekommen, schalte Scheinwerfer und Scheibenwischer aus, gebe Gas, schließe die Augen - gleich kommt die Kurve. Ich habe mir vorgenommen nicht zu heulen, falsche Sentimentalität, und nun rinnt mir doch eine Träne aus dem rechten Augenwinkel. Ich presse die Lider aufeinander, um zu verhindern, dass es mehr werden. Und gerade als ich einatme, ganz tief und seltsam ruhig, merke ich, es ist nicht mehr nötig mich so anzustrengen. Die Kurve ist schon da. Erlösend pralle ich mit dem Kopf auf mein Lenkrad. Der Baum steht da, wo er auch noch die nächsten Jahre stehen wird. Alles still.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.04.2008, 20:39

Liebe Rebekka,

für mich beginnt der Text schlicht und ich tauche ein, ab und an stört mich ein zu deutliches Attribut, aber ich kann der Szene gut folgen (Highlight für mich der kommende Gedanke an den Spruch der Mutter).
Leider kippt der Text für mich mit dem "zweiten" Teil (ab: "Doch ich weiß, dass ich einfach schneller sein werde, das beruhigt mich....") - er wird mir viel zu handlungsorientiert und dadurch melodramatisch bzw. überladen - muss die Protagonistin wirklich umbringen, damit ihr Schmerz deutlich werden kann? Ich wünsche mir, der Text würde ihn auf so schlichte Weise fangen können wie der Text beginnt. So ein Ende birgt für mich keine Überraschung und keinen menschlichen und erzählerischen Freiraum.

Ich ließe den Text einfach mit dem Satz:

Als ich mich von der Bank erhebe, bin ich nass bis auf die Knochen und mir kommt ein Satz meiner Mutter in den Sinn 'Du holst dir noch den Tod'. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, nicht vor Kälte, sondern vor Angst, die Natur könnte mir zuvor kommen


enden - das fände ich viel freier und der Satz wird zu etwas ganz anderem.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 21.04.2008, 20:21

Liebe Lisa,
der Text sollte handlungsorientiert sein ;o)
Der Tot bzw. Selbstmord des Protag. sollte nicht so schmerzlich wirken, wie es es scheinbar tut. Klar, melodramatisch...ok....vielleicht ein bisschen, da gebe ich dir Recht. Er ist jemand, der zurückkehrt an einen Ort aus seiner Vergangenheit – seiner Kindheit. Was er da sucht, oder will oder tut sein mal dahin gestellt...Es hat schon was von einer melodramatischen Geste, dass er quasi Abschied nimmt, aber das ist letztlich nicht melodramatischer, als ein Croissant aufzuschneiden und es mit Marmelade zu bestreichen, in einem Cafe, in Paris, in einer Seitenstraße, vor den Augen fünf fassungsloser Franzosen.... weißt du, was ich meine?
Da ist einer, der beendet sein Leben. Es wäre ja irgendwie nicht zu Ende erzählt, wenn ich mit dem Satz seiner Mutter aufhören würde. Dann wäre es vielleicht in prosaisch ansprechender Form, nur andeutend, jeder weiß, was Sache ist – aber darum geht es gar nicht...

(Ich weiß, dass ich noch feilen muss am Text, aber das Grundgerüst mag ich sehr – sonst hätte ich es in die Textwerkstatt gesetzt...)

Danke für deinen Kommentar.

lg

Rebekka

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 22.04.2008, 12:39

Hallo Rebekka,

Dein Text lässt mich zwiegespalten zurück.

Zum einen bist Du eine gute Erzählerin, die sich einer verständlichen und passend gewählten Sprache bedient. Zum anderen stört mich die konkrete Beschreibung des Suizids. Ich kann den Sinn nicht nachvollziehen.Aber wenn Dir das wichtig, solltest Du es natürlich so belassen.

Die Sätze zu Anfang ohne Verben, haben mich beim ersten Lesen etwas gestört. Sie wirkten abgehackt. Beim zweiten Lesen empfinde ich sie als Schlaglichter und so sind sie wohl auch gedacht. Passt zur verschwimmenden Erinnerung.

Schönen Tag

Jürgen

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 24.04.2008, 11:57

Hallo Rebekka,

dein Grundgerüst ist für mich mehr als nur ein "Grundgerüst". Da sind ein paar Formulierungen, die mich nicht überzeugen, aber die sind im Verhältnis Kleinigkeiten. Ich stell sie dir untereinander hin, aber wie gesagt, die Geschichte als solche finde ich bis zum - ausgesprochenen - Selbstmord passend.

glotzen mich böse im Dämmerlicht, böse ist entbehrlich, Dämmerlicht zu lyrisch Halblicht vielleicht?

bedrohlich leise rascheln geht bedrohlich laut im Zusammenhang mit rascheln?

Einmal Zischen bei den Blättern ist fein, Kurz darauf wieder zischen gefällt mir dann schon nicht mehr.

"Erste Regentropfen fallen auf meinen Nacken, den ich, meinen Kopf nach vorne gebeugt, schutzlos der Witterung aussetze. " Der Einschub "den ich.." finde ich sperrig.

"Meine Uhr habe ich schon lange der Ewigkeit zurückgegeben und mit ihr mein Zeitgefühl. " Den Satz finde ich (trotz der "Ewigkeit") klasse!

"die Natur" glaube ich dir nicht. Der Zufall?

"bis schließlich kleine Hagelkörner mich auspeitschen, als Strafe für mein Vorhaben. " Die Hagelkörner sind also pardon hellsichtig? Die Heizung ist es wenigstens nicht "als wüsste sie was kommt"

Das sind die Dinge die mich ein Stück weit aus der Geschichte genommen , aber nicht vollständig aus der Kurve gehauen haben.

Feintuning, mehr ist da für mich nicht nötig.

Gruß

Sneaky


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