Brückenkopf

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 03.12.2006, 11:27

REVISION 002 /Zustand 03

0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn scheint zu schwimmen, wie das Luftbläschen einer wackeligen Wasserwaage. Die Kopfhörer würgen Tom Waits "How's it gonna end?".

Ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Scheiß Alkohol. Wenn ich voll bin, neige ich zum Resümieren.
"Klassische Indologie? Wovon willst du danach leben?"
"Spießer!, Materialisten!" die eintönige Antwort. Dann ist sie gestorben. Der Tod machte mich wütend. Ich sprayte "Motherfucker Buddha" an's Unigebäude. Sie erwischten mich. Exmatrikulation. Zwei Jahre reichten die Ersparnisse meiner Mutter. Ich verließ nur zum Einkaufen meine Einzimmerwohnung. Nicht mal die Rollläden zog ich hoch.
Alles nur, weil ich mir nicht verzeihen wollte, dass ich ihr nie gesagt habe, dass, ach egal.

Mein Nachtwächterjob jetzt bei der Dresdner ist eigentlich ganz okay. Ab und an mal ein Fehlalarm, das ist's auch schon.

Natürlich will der Schlüssel nicht ins Fahrradschloss passen. Ich richte mich auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Na also.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, in diesem Zustand zu fahren. Irgendwann hätte ich gern ein Fahrrad mit funktionierendem Licht, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die nur unterwegs sind, um solche wie mich zu jagen.

Der warme Fahrtwind hebt meine Stimmung. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party.

Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?

Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da!
Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn. Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Dann stelle ich mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich. Ich will in die Pedale treten "Nur weg hier", rutsche aber ab und stoße mir mein Schienbein. Fuck! Ich steige wieder ab und werfe das Fahrrad an die Straßenseite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter. Auf einmal renne ich los. Geradewegs zu dem dunklen Etwas, greife blind danach und schleife es von der Straße. Die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!

Ich liege auf dem Rücken. Während sich langsam mein Herzschlag beruhigt, muss ich ans Studium und an Worte von Krishna denken. Ich brabbele sie vor mich hin wie ein Durchgedrehter:
"Spirituelle Arbeit ist nie nutzlos. Sei unbesorgt, meine Freundin. Wer diese gute Arbeit verrichtet, wird kein schlimmes Ende nehmen, weder in dieser Welt noch in irgend einer jenseitigen Welt. Du musst diese tiefgründige Wahrheit erfahren: Wer nach Verwirklichung strebt, gerät nie ins Unheil!"

Das Gerettete bewegt sich. Es ist eine Frau. Sie hat schwarze Haare und lächelt.
"Schicksal eben", flüstert sie.
Mir ist plötzlich, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, es knackt unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang.

"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Ich überlege, ob ich mit meiner Hand über ihr Haar streiche, mach's dann aber doch nicht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige an der Alten Brücke aus.

REVISION 001 /Zustand weiß ich nicht mehr
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2. Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn schwimmt haltlos im Schädel herum. Über meine Kopfhörer würgt mir Tom Waits "How's it gonna end?" in die Ohren und ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Allerdings nur kurz, weil ich Katastrophen vermeiden möchte und der Film um mich herum noch schneller läuft, wenn ich solchen Gedanken nachsteige. Da passiert es auch schon. Eine Frau um die vierzig mit streng zusammengebundenem Haar, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, taucht wie aus dem Nichts auf und unsere Schultern prallen zusammen.
"Blöder Penner!"
"Tschuldigung", nuschel ich.

Ob sie mich auch Penner genannt hätte, wenn ich nüchtern wäre, wenn ich mein Soziologiestudium abgeschlossen hätte, wenn meine Haare nicht so lang wären, wenn ich einen Anzug tragen würde, wenn, wenn, wenn... Ich denke wieder zu viel und prompt will der Schlüssel nicht ins U-Schloss meines Fahrrads passen. Also richte ich mich noch einmal auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Wer sagt's denn.
Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich in so einem Zustand Fahrrad fahre, obwohl ich nie einen Führerschein besessen habe, den ich verlieren könnte. Irgendwann möchte ich mal ein Fahrrad besitzen, an dem das Licht funktioniert, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die so tun, als seien sie nur unterwegs, um Ratten wie mich zu jagen.

Der warme Fahrtwind dieser Sommernacht hebt meine Stimmung wieder. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party wie in jeder milden Sommernacht.

Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor, die alten Wächter, die ich liebe. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?

Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da! Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn.
Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Ich stelle mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich.
Gerade will ich in die Pedalen treten "Nur weg hier", da greift eine eiserne Hand nach meinem Denkapparat. Das Bild meiner Mutter erscheint. Sie sagt nichts, blickt nur maßlos enttäuscht. Die schlimmste Strafe für mich, obwohl sie lange tot ist. Also steige ich wieder ab und werfe das Fahrrad zur Seite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter.
Ich renne, greife blind nach dem dunklen Etwas und schleife es von der Straße, die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!

Ich liege auf dem Rücken und danke den Sternen. Mir ist, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, plötzlich knackt es unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang. Das gerettete Fundstück bewegt sich. Ein schwarzhaariger Frauenkopf lächelt mich an.

Sie sagt leise: "Schicksal eben."
"Aaaaach, so schlimm wird's schon nicht sein!", antworte ich wohl wenig überzeugend. Ich muss sie untersuchen, vielleicht ist sie gelähmt?
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Das würde ich gerne glauben.
Ich beschließe sie ein Stück weiter die Straße hoch in eine Bushaltestelle zu hieven. Auf der Bank sackt sie zusammen wie eine Marionette, der man das Führungskreuz abgeschnitten hat.
"Ich bin müde", lallt sie und kippt seitlich auf meinen Schoß. Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung. Dennoch kann ich nicht ewig hier sitzen. Aber ich will sie nicht alleine lassen. Nicht jetzt in der Nacht. Ein Bus kommt. Ich klemme sie unter den Arm und steige mit ihr ein. Sie scheint tatsächlich nicht verletzt zu sein, nur maßlos betrunken. "How's it gonna end? " will ich von ihr wissen. Sie schnarcht und ich steige am Brückenkopf aus.
Zuletzt geändert von Nifl am 12.12.2006, 20:21, insgesamt 8-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 05.12.2006, 19:38

Huhu Madame Bleu.

Das Wort Brückenkopf ist etwas schwer zugänglich (dein Gebrauch gefällt mir aber), einfach weil es nicht (behaupte ich jetzt mal dreist, weil es bei mir so ist) nicht aus dem Wortschatz abrufbar ist....ob man das noch anders beschreiben kann und trotzdem den Gedanken retten kann?

Das mit dem Brückenkopf ist mir ehrlich gesagt ein bisschen peinlich. Muss ich irgendwie substituieren …

How's it gonna end ?<---Leerzeichen weg

Immer diese Schlampereien! Werde ich gleich beseitigen.

Auch sonst gibt's für mich nichts zu verlieren, außer meinem Leben vielleicht.<--zu pathetisch, das will doch der text sagen. Durch den Satz wird es zu gewollt.

Ja, vollkommen richtig. Ich hatte auch Bauchschmerzen bei dem:
Ob sie mich auch Penner genannt hätte, wenn ich nüchtern wäre, wenn ich mein Soziologiestudium abgeschlossen hätte, wenn meine Haare nicht so lang wären, wenn ich einen Anzug tragen würde, wenn, wenn, wenn

Aber es ist so schwer die äußere Dimension eines Ich-Erzählers zu zeichnen.

Erst ist mir die plötzliche Nähe unangenehm, doch dann genieße ich die Berührung.<--zu kalt erzählt, die Geschichte wird hier zu stark zu Texterzähltem, berührender bitte!

okay…

Der Protagonist ist dann etwas seltsam gezeichnet, einerseits hat der Erzähler die Tendenz ihn als "Penner" zu kennzeichnen, aber er scheint noch einigermaßen im Leben zu stehen (Wohnung, Fahrradschloss, typische (soll heißen gesellschaftskonforme) Gedanken). Entweder wünsch ich mir noch ein wenig klarer gezeichnetes Bild (mehr über zu erfahren) oder etwas weniger Pennerklischee.

Er ist ein Looser, aber kein Penner, jobbt in einer Bank als Nachtwächter. Seinen Freunden erzählt der immer, er hat das Studium geschmissen, weil er unüberwindbare Prüfungsängste hat. Oh ä ja … so einer ist "ich" in meinem Kopf.

Danke für den Kommentar.

LG
Nifl

Hallo Peter,
ich lese deine Kommentare immer mit Spannung. Sie sind stets auch ein Text für sich. Auf was für Interpretationsideen du kommst, meine Hochachtung! Bewusste Intention war es zwar nicht, aber wer weiß schon, was so alles im Unterbewusstsein abläuft. Jedenfalls mein Dank für die kunstvolle Schilderung deiner Sicht.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Peter

Beitragvon Peter » 05.12.2006, 20:26

Hallo Nifl,

das freut mich, dass du deinen Text nicht nur in deiner Hand, sondern auch um deine Hand herum sein lässt. An meinen Texten selbst bezweifle ich oft sehr, in welcher Hand sie liegen - finde aber, es ist doch das offne Ende des Wortes, und also jeder Geschichte, was das Schreiben erst schreibenswert macht. Natürlich kann es dann aber geschehen, dass man von einer Suppe schreibt, was aber dann - lass mich sagen - das WUNDER DES WORTES nicht mindert, sondern vielmehr bestätigt. (Das für Magic, der ich eine Suppe eingebrockt habe, die sie mir nicht verzeihen will.)

An euch beide liebe Grüße
Peter

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.12.2006, 20:27

Lieber Nifl,
Er ist ein Looser, aber kein Penner, jobbt in einer Bank als Nachtwächter. Seinen Freunden erzählt der immer, er hat das Studium geschmissen, weil er unüberwindbare Prüfungsängste hat. Oh ä ja … so einer ist "ich" in meinem Kopf.


Kann man das in den Text einpflegen? Mir war shcon klar, dass der Prot kein Penner sein soll, aber eben zu Teilen angestrahlt wird, als wäre er einer. Die Details fände ich sehr gut, wenn sie im Text ständen?

Peter deine Lesart ist herrlich und schön zu lesen. Mir gefällt diese Idee und man kann den Text durchaus so lesen!

Übrigens hat mir die Fahrradszene auch am besten gefallen, weil ich die Fahrten vom Bahnhof nachts weg auch immer so erlebt habe - ich hatte alles auch genau vor Augen. Vorallem die Schatten, vor denen ich mich - früher (!*g*) immer gegruselt habe, weil sie vorbeiziehen wie einzelne Leben (es kommt ja immer ein neuer von hinten...und ich habe immer gedacht, irgendwann sind sie leer, so wie die 7 (8?) Leben der Katze.... Hat mir daher auch sehr gefallen!

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Peter

Beitragvon Peter » 05.12.2006, 20:57

Hallo Lisa,

danke dass du mir folgen kannst. Es lässt mich hoffen, dass ich noch nicht ganz außerirdisch bin - in der Sternensuppe schwimme.

Liebe Grüße,
Peter

Klara
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Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 05.12.2006, 22:00

Hallo,

es zieht sofort rein, holpert in der Folge noch ein wenig, und so ganz glaube ich dem "Penner" seine Komplexe ebensowenig wie seine Trunkenheit, habe aber noch nicht herausgefunden, woran das liegt. Vielleicht weil er zu deutlich spricht? Zu sauber?

Ich geh mal am Text entlang
0:30 Uhr. Heidelberger Hauptbahnhof. Gleis 2.

Das ist gut.

Ich steige aus der S-Bahn und muss mich konzentrieren gerade zu laufen. Mein Hirn schwimmt haltlos im Schädel herum.

Wenn es schwimmt, ist es schon haltlos - haltlos kann raus. Ich würde bevorzugen: "wabert". Fast könntest du "im Schädel" auch streichen (denn wo sonst sollte es wabern?), aber das wäre wahrscheinlich zu minimalistisch.

Über meine Kopfhörer würgt mir Tom Waits "How's it gonna end?" in die Ohren

Über meine > ersetzen durch: Die Kopfhörer würgen... Vielleicht könntest du auch direkten Bezug zum schwimmenden Hirn nehmen. Der Kopfhörer würgt mir Tom Waits "How's it gonna end?" mitten rein in die Soße..

und ich frage mich das Gleiche auch mal wieder. Allerdings nur kurz, weil ich Katastrophen vermeiden möchte und der Film um mich herum noch schneller läuft, wenn ich solchen Gedanken nachsteige.


Würde und ich frage bis kurz streichen und das Folgende ändern in: Ich will Katastrophen vermeiden. Dummerweise läuft der Film um mich herum noch schneller mit Tom Waits. und anschließen:

Da passiert es auch schon. Eine Frau um die vierzig mit streng zusammengebundenem Haar, einen Rollkoffer hinter sich herziehend, taucht wie aus dem Nichts auf und unsere Schultern prallen zusammen.
"Blöder Penner!"
"Tschuldigung", nuschel ich.

Nach dem Passieren so weiter: Wie aus dem Nichts taucht eine Frau auf, um die vierzig, ihr Haar ist zusammengebunden, sie zieht einen Rollkoffer hinter sihc her. Unsere Schultern prallen zusammen.

Ob sie mich auch Penner genannt hätte, wenn ich nüchtern wäre, wenn ich mein Soziologiestudium abgeschlossen hätte, wenn meine Haare nicht so lang wären, wenn ich einen Anzug tragen würde, wenn, wenn, wenn... Ich denke wieder zu viel und prompt will der Schlüssel nicht ins U-Schloss meines Fahrrads passen. Also richte ich mich noch einmal auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Wer sagt's denn.
Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich in so einem Zustand Fahrrad fahre, obwohl ich nie einen Führerschein besessen habe, den ich verlieren könnte. Irgendwann möchte ich mal ein Fahrrad besitzen, an dem das Licht funktioniert, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die so tun, als seien sie nur unterwegs, um Ratten wie mich zu jagen.

Ich würde diesen Absatz so machen:
Ich weiß: Ich bin nicht nüchtern, hab meinen Abschluss versaut, meine Haare sind zu lang, und ich trage keinen Anzug... [abgebrochene Soziologie ist so Klischee...] Außerdem denke ich wieder mal zu viel, und natürlich wll der Schlüssel nicht ins Fahrradschloss passen. Ich richte mich auf, hole tief Luft und starte einen zweiten Versuch. Na also.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, in diesem Zustand zu fahren, aber ich hab eh keinen Führerschein. Können sie mir auch keinen weg nehmen. rgendwann hätt ich gern ein Fahrrad, dessen Licht funktioniert, dann wird man nicht dauernd angehupt von Autos mit Xenon-Greifvogelaugen, die nur unterwegs sind, um solche wie mich zu jagen


Der warme Fahrtwind dieser Sommernacht hebt meine Stimmung wieder. Ich rieche den süßlichen Duft des Neckars. Noch zwei, drei Kilometer bis zu meinem Bett. Auf der Neckarwiese ist noch Party wie in jeder milden Sommernacht.

Wieso "wieder"? streichen. (...) Auf der Neckarwiese ist Party. Sommernacht weg oder anders zeigen.

Die Platanen zischen vorbei, so kommt es mir jedenfalls vor, die alten Wächter, die ich liebe. Manchmal taucht unvermittelt ein Schatten auf der Straße auf und ich erschrecke, als wäre ein Schatten ein Hindernis, als besäße Schatten Raum. Da wieder einer, direkt vor mir. Er wirkt besonders plastisch. Der Schatten reißt mich aus der Spur und ich falle auf den weichen Bodendecker der Straßenrandbepflanzung.
Scheiße, was war das denn?

Wächter und zischen widerspricht sich irgendwie.
besäße > besäßen (oder: bräuchten?)

Schnell bin ich wieder auf den Beinen und suche mein Fahrrad. Hinten blitzen zwei Lichter auf.
Und da! Da liegt etwas zusammengekrümmt auf der Fahrbahn.

Und da!
[Absatz]
Liegt etwas... etc


Ich blicke zwischen meinem Fahrrad und dem Wäscheknäul hin und her, kann mich nicht entscheiden. Was tun?
Ich stelle mein Fahrrad auf, richte zittrig den verdrehten Lenker wieder aus und denke ans Abhauen. Die Scheinwerfer nähern sich.
Gerade will ich in die Pedalen treten "Nur weg hier", da greift eine eiserne Hand nach meinem Denkapparat. Das Bild meiner Mutter erscheint. Sie sagt nichts, blickt nur maßlos enttäuscht. Die schlimmste Strafe für mich, obwohl sie lange tot ist. Also steige ich wieder ab und werfe das Fahrrad zur Seite. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter.
Ich renne, greife blind nach dem dunklen Etwas und schleife es von der Straße, die letzten Meter fallen wir rückwärts auf den Randstreifen. Verdammt, das war knapp!

Die eiserne Hand, die greift, und der Denkapparat... hm, ich weiß nicht. Und dann ist es doch keine Hand, sondern das Bild. Wirklich BILD?? Das glaube ich so nicht. Ich würde die Mutter weg lassen.
Vielleicht so: "Nur weg hier!", doch meine Füße verhaspeln sich mit den Pedalen und ich stolpere wieder runter vom Rad. Verdammter ist, ich kann einfach nicht. Ich werfe das Fahrrad zur Seite [wohin?? was ist da m Rand? Gebüsch?]. Die Lichter kommen schnell näher, das Motorengeräusch wird lauter.

Der Bruch jetzt ist mir zu brüchig. Etwas zwischenschieben?
Ich liege auf dem Rücken und danke den Sternen. Mir ist, als läge ich auf dem Eis eines zugefrorenen Sees, plötzlich knackt es unter mir und ein Riss halbiert meinen Körper in Yin und Yang. Das gerettete Fundstück bewegt sich. Ein schwarzhaariger Frauenkopf lächelt mich an.

Das gefällt mir, das Yin und Yang. Danach so weiter: Das Gerettete bewegt sich. Es ist eine Frau. Sie hat schwarze Haare und lächelt.

"Schicksal eben.“
"Aaaaach, so schlimm wird's schon nicht sein!", antworte ich wohl wenig überzeugend. Ich muss sie untersuchen, vielleicht ist sie gelähmt?
"Tut dir was weh?"
Etwas verzögert murmelt sie: "Nein, nein, alles in Ordnung"
Das würde ich gerne glauben.

Wohl wenig überzeugend streichen.

Und hier würde ich den Text enden, auch wenn der schöne Tom Waits dann ins Leere genuschelt hat ,-)

LG
Klara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.12.2006, 23:19

Natürlich kann es dann aber geschehen, dass man von einer Suppe schreibt, was aber dann - lass mich sagen - das WUNDER DES WORTES nicht mindert, sondern vielmehr bestätigt. (Das für Magic, der ich eine Suppe eingebrockt habe, die sie mir nicht verzeihen will.)


*lach* Die Suppe haste dir selber eingebrockt, Peter. Damit musst du jetzt leben :alien0017:
Saludos
Magic ;-)

Rala

Beitragvon Rala » 06.12.2006, 18:18

Hallo Nifl!

Gefällt mir sher gut, dein Text. Finde auch, dass eine Fortsetzung oder etwas in der Art zwar interessant wäre, aber kein Muss.
Vor allem einige deiner Beschreibungen gefallen mir sehr gut, z. B. die von mir selbst in vielen Fällen exakt genau so empfundene nächtliche Radfahrt.
Nur eine Stelle hat mich beim ersten Lesen total aus dem Konzept gebracht, woran aber vermutlich in erster Linie ein gruseliger Kurzfilm schuld ist, den ich mal gesehen habe. Ich meine den Satz: "Ein schwarzhaariger Frauenkopf lächelt mich an." Der Film ist aus Sicht eines Verkehrsunfallopfers gedreht, das auf der Straße liegt und auf Hilfe wartet. Die Frau sieht in einiger Entfernung einen kopflosen Körper liegen, den sie für ihren Unfallgegner hält, bis sie schließlich merkt, dass es ihr eigener Körper ist. Und daher war ich mir einen Moment nicht mehr sicher, ob dein Protag jetzt eine ganze Frau gefunden hat oder nur den Kopf. Aber auch abgesehen davon finde ich den Satz nicht übermäßig gelungen, solltest du vielleicht umformulieren (s. Klaras Vorschlag). Nachdem sich Klara den Text schon so gründlich vorgenommen hat, verzichte ich darauf, ihn noch mal durchzufieseln.
Nur eins noch: Gerade will ich in die Pedale(!) treten (danke).

Liebe Grüße,
Rala

Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.12.2006, 20:46

Hallösche Madame Lisa.

Kann man das in den Text einpflegen? Mir war shcon klar, dass der Prot kein Penner sein soll, aber eben zu Teilen angestrahlt wird, als wäre er einer. Die Details fände ich sehr gut, wenn sie im Text ständen?

Jam. Allerdings hat Klara wohl Recht, dass "Soziologie-Abbruchstudent" Klischee ist, mal sehen…also weg vom Klischee … ja, hm, ich glaube er hat doch 8 Semester "Klassische Indologie" studiert….

KLARA!

Superstarker Kommentar. Ich gehe mit fast allen Anmerkungen und Vorschlägen konform. Werde demnächst die Rundumerneuerung beginnen.
DANKE für deinen Adlerblick, hat mich riesig gefreut und mir sehr viel gebracht.

Huhu Rala.

Die Szene aus dem Film liest sich wirklich gruselig aber durchaus reizvoll. Das wäre dann Variante 4. Jetzt, in diesem Moment habe ich wirklich vor, alle vier Plots umzusetzen.

Danke für deinen Kommentar.


LG
vom Nifl, der sich über die große, dezidierte Resonanz sehr freut!
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Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 06.12.2006, 21:44

Hallo Nifl,

nur ganz kurz und unqualifiziert - im Gegensatz zu den anderen Kommentatoren - muss ich Dir sagen, dass ich diese Geschichte wirklich gerne gelesen habe. Sie ist völlig anders als Deine triviale Sexgeschichte, die Du vor einiger Zeit mal hier eingestellt hast.

Ähnlich wie Rala würde ich mir allerdings wünschen, dass der Frauenkopf nicht so losgelöst vom Körper erscheint, wenn die Frau nachher an einem Stück an der Bushaltestelle sitzt.

Grüße

Paul Ost

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.12.2006, 23:20

Hallo Nifl,

Das wäre dann Variante 4. Jetzt, in diesem Moment habe ich wirklich vor, alle vier Plots umzusetzen.


na, das ist aber echt ne Herausforderung. Ich fände es sehr sehr spannend, tatsächlich die verschiedenen Umsetzungen von dir zu lesen ;-)
Saludos
Magic

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 06.12.2006, 23:36

Ja, ich will auf jeden Fall die mit dem lächelnden Kopf lesen. Ich liebe Horrorstories.

Blutige Grüße
Zefira (unterschreibt mit der Axt)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.12.2006, 23:52

Uuiiiiiii Zefi, so kenn ich dich ja gar nicht *grusel*
Saludos
sich unterm Bett versteckende Magic ;-)

Nifl
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Beitragvon Nifl » 07.12.2006, 18:58

Hi Paul,

nur ganz kurz und unqualifiziert -

sag mal, hast du eigentlich mit Madame Louisa einen Wettstreit laufen, wer es schafft am tiefsten zu stapeln?

Danke dir für dein Feedback!

Zefi,
Horror hm … habe ich noch nie geschrieben … mal sehen.

Blut von der Axt ableckende
Grüße

Nifl
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Beitragvon Klara » 07.12.2006, 19:49

Blut von der Axt ableckende
Grüße


autsch... zum Glück steht so eine zerhackte Konstruktion nicht in deinem Text :mrgreen:

lg
k


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