10 minuten

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.06.2008, 19:09

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10 minuten



und in 10 minuten werde ich wieder
diese straße hinuntergelaufen sein

während in sichuan
die dämme brachen

und einer an krebs starb
den ich kannte



es werden detonationen verhallt sein
und bilgenpumpen schmieröl ins meer gedrückt haben
belächelt von männern mit mützen

und hundert leute
sprangen unterdessen von brücken
und ein stern kollabierte

und ein goldzahn hat grienend
auf maisbrei gekaut
und auf erinnerungen an warme milch



und die zweige werden längst das laub abgeworfen haben
und neue knospen tragen
bis ich dort bin

derweil die hauskatzen unsere singvögel zerfleischten
in den hecken, mit stumpfen krallen, zum spaß
und messer zwischen rippen fuhren

und die brunnenvergifter
wieder neue viren züchteten
für eine bessere welt



und die schatten werden geflohen sein vor der mittagssonne
um sich in kellerlöchern zu verstecken
zwischen asseln, in feuchten ritzen

und das brot verbrannte im ofen
der tanklastzug raste in ein wohngebäude
und das kind kriegte endlich seinen lutscher

und die platten verschoben sich
tief unter uns, um millimeter
und die westwinde drückten die springtide rein



während richthofen ein paar spads aus den wolken holte

zappa einen zwölftonfurz ließ

und ein anderer drei fünfen würfelte



die huren werden sich infiziert haben
als kuranyi sich den knöchel verstauchte
den rechten

und eine frau eine frage stellte
während gewitter aufzogen
im ermland und der danziger bucht

und viele werden sich wieder
die kissen über den kopf gezogen haben
und gebetet, dass alles nur ein traum ist



und am ende der straße werde ich
acht sekunden an mutter gedacht haben
wie sie dalag, mit starrem blick

außerdem einen knopf verloren
drei namen vergessen
und deinen geruch

und einer
hat den schalter umgelegt
und nichts wird sich verändert haben



nichts


* zeile 3 geändert - 'tief im osten' gegen 'sichuan'
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 02.09.2008, 09:52, insgesamt 6-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 17.06.2008, 15:53

Lieber Tom,

jetzt erst entdeckt - große Klasse!

Smiles Zitate aus deinen Fragmenten, die tatsächlich noch etwas dichter sind, geben ihr zwar irgendwie Recht, aber ich finde der Intensitätsgrad ist auch hier schon schön hoch - und was mir vor allem gefällt ist die Setzung - andere (wie ich zuletzt) hätten den text wohl in Abschnitte geteilt, dass du es nicht tust, tut dem text wirklich gut, finde ich.

Mir ist am Anfang der Osten etwas auffällig - er fällt sprachlich raus, nicht, dass ich solch einen Duktus nicht schätze (siehe gewinnergedicht damals), aber hier am Anfang ist man noch nicht so drin, dass ich das gleich als echt lesen kann (obwohl es es ist, ich weiß, aber das sind ja zwei verschiedene Dinge). (vielleicht wäre es schon durch eine etwas weitere setzung an der stelle etwas integrierter?

Was mir noch aufgefallen ist: Man merkt etwas, dass der Text zum Teil beim Gehen entstanden ist (also die Gedanken) und zum Teil dann hinterher weiter entstanden ist - jedenfalls wirkt es so auf mich. (oder jemand denkt aufgrund des eindrucks der ersten Strophen beim Gehen und merkt dann, dass er denkt und beginnt dadurch anders weiterzudenken). Ich merke das daran, dass es etwas uneinheitlich ist, was die Perspektive angeht: der erste Teil sammelt eine Reihe von "tristen", harten Bildern, dann folgt ein Arrangement, das gemischt ist aus Banalem und tristem, die Distanz wechselt, jetzt riecht keiner mehr, jetzt kreiert jemand ein Parfüm ~; für mich ist das ganz hier bewusster komponiert (beides ist gut, aber es stört sich gegenseitig etwas). Vielleicht könnte man das noch ein bisschen durch Umstellungen aufeinander abstimmen.

Viele Bilder sind einfach treffsicher, mir gefällt ja die wende zum lutscher am besten und das ende ab "und am ende der straße" ..was aber nur so ist, weil alles davor wirkt.

schön, dass es mal wieder was von dir zu lesen ab,
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 09:35

Hello Matthew,

wie würdest du denn die Zeiteinheit benennen, die es braucht, bis das Laub abgefallen und neue Knospen an den Bäumen sind? :o)))

Es ging mir darum, durch solcherlei Eindrücke zu verdeutlichen, dass 10 Minuten auch eine (halbe?) Ewigkeit sein können. Vieleicht sollte ich an der von dir zitierten Stelle lieber von 'Metern' sprechen, um das deutlicher ins Unmögliche zu steigern? Oder ist die besagte Stelle eh nur was für Stochastik-Majore? :o))

Aber auch deinen Einwand werde ich in den Gärungsprozess einfließen lassen. Und der gärt, oh ja ...

Hab Dank,
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 10:03

Hach, die Lisa ist ja auch da :o) Hab deinen Beitrag erst gar nicht gesehen (wegen Seitensprung).

Moment ... muss den mal eben lesen ....

...

...

...

Ach du je, das riecht nach Hausaufgaben :o) ... ich fang direkt mal an, der Reihe nach ...


- Smiles Zitate/Setzung -
Der Vergleich hinkt ein bisschen, einen meiner atmosphärisch dichtesten Text (und dessen aus dem Zusammenhang gepickten Rosinen) als Messlatte für jeden weiteren Text zu nehmen, finde ich unzulänglich. Denn selbst in den 'Fragmenten' reichen sich Weisheiten und Profanes tüchtig die Hand. Ich finde das für diesen Text unerlässlich.
Bei der Setzung habe ich schon Absätze gebildet (durch mehr Leerzeichen). Es sind eigentlich immer Dreierpäckchen von Strophen; die wollte ich zum Luftschnappen benutzen, und auch, um zwischendurch mal aus dem FuturII rauszukommen (siehe Komm zu Mucki).
Oder was meinst du mit Setzung?

- Der Osten -
Das Bild war das Brechen der Dämme in China/Sichuan. Sollte ich da dann auch China/Sichuan hinschreiben? Glaube ja.

- Zitat Lisa -
Was mir noch aufgefallen ist: Man merkt etwas, dass der Text zum Teil beim Gehen entstanden ist (also die Gedanken) und zum Teil dann hinterher weiter entstanden ist - jedenfalls wirkt es so auf mich. (oder jemand denkt aufgrund des eindrucks der ersten Strophen beim Gehen und merkt dann, dass er denkt und beginnt dadurch anders weiterzudenken).

Wow. Du hast dir den Magister wirklich verdient!!! :o)
Besonders, was du in der Klammer geschrieben hast, trifft zu 104 (vorläufige Hochrechnung) Prozent zu (hallo Max).
In der Tat findet ein Gedankenprozess statt, nämlich der, dass der Protag sich neben der 'schwerwiegenden' Eindrücke des Zeitgeschehens gleichzeitig des Profanen und auch seiner Ohnmacht bewusst wird. Und da gebe ich dir völlig Recht, dass da die Chronologie der Gedanken noch verbessert werden könnte. (genau das ist immer das Problem, wenn einem während des Laufens was einfällt: Zuhause kriegt mans nicht mehr genauso zusammen)

Aber das ist der richtige Ansatzpunkt, um nochmal neu auf die Anordnung der Bilder zu schauen. Supertipp!!!
Ich werds mir ausdrucken und nochmal die Straße runterlaufen ... Zumindest gedanklich :o)

Vielen lieben Dank,
Tom.
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 22.06.2008, 01:23, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.06.2008, 11:36

Lieber Tom,

ja, das hat eine große Kraft. Wut, Schmerz, Resingnation, jedenfalls eine eruptive Mischung aus Gefühlen steckt darin.
Manche der Bilder wirken stärker, manche weniger auf mich, die konkreten sind stärker als die allgemein gefassten, das liegt, denke ich, in der Natur der Sache.
Beim Schwenk in die Vergangenheit fliege ich persönlich raus.

Lisas Beobachtung trifft es sehr genau, finde ich. Mich würde die allererste (wie ich vermute intuitive) Rohfassung interessieren. Ich könnte mir fast vorstellen, dass der eingeschaltete Kopf an manchen Stellen zuviel des Guten wollte.

Nichtsdestotrotz ist das ein saustarker Text, finde ich!

Liebe Grüße

leonie

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 11:48

Hallo Leo, vielen schönen Dank!

Eigentlich ist das die Erstfassung, bis auf die Tatsache, dass ich (ziemlich lange) an den Tempi rumgefriemelt habe, also den Wechsel von FuturII ins Perfekt usw. Das ist bis dato (hoffentlich) das einzige, wo der Knopf eingeschaltet war ... (man merkts ja mitunter selbst gar nicht)

Ich glaube aber nach Lisas Kritik, dass ich den jetzt nochmal einschalten muss hinsichtlich der Chronologie, den intuitiv ist ja postum nix mehr zu machen ...

Welche Stelle meinst du denn mit 'Schwenk in die Vergangenheit'?

Tom
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leonie
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Beitragvon leonie » 18.06.2008, 11:50

Richthofen und Zappa

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 12:19

aha?

Könnte sich um gedankliche Flashbacks handeln, die beim Grübeln schonmal so um die Ecke kommen ... Assoziationen ...
Das Schöne ist ja, dass der Text (hoffentlich) selbst sagt, dass alles bedeutungslos ist ...

In diesem Sinne ...

Tom
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.06.2008, 12:21

tausche jetzt
'osten' gegen 'china' (wo ausnahmsweise mal kein Sack Reis umfällt ...)

oder ne ...

doch direkt (für Louisa detaillierter) 'sichuan'
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Beitragvon leonie » 19.06.2008, 10:24

Ja, klar, könnten flashbacks sein. Ich als Leserin fragte mich halt: Wo kommt denn jetzt plötzlich Richthofen her, und Zappa: Der ist doch schon ziemlich tot. Weil ich das andere alles mehr in der Gegenwart verortete.
Bin halt so schnell nicht ganz hinterhergekommen.

leonie langsam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.06.2008, 13:17

leonie hat geschrieben:Der ist doch schon ziemlich tot.


:spin2:
amüsierte Grüße
Mucki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.06.2008, 13:32

Und Richthofen ist noch toter :o)))
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Max

Beitragvon Max » 21.06.2008, 14:44

Vieleicht sollte ich an der von dir zitierten Stelle lieber von 'Metern' sprechen, um das deutlicher ins Unmögliche zu steigern? Oder ist die besagte Stelle eh nur was für Stochastik-Majore? :o))


Mag sein, dass das meine nörgelige Phase war ...

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon Thomas Milser » 21.06.2008, 14:49

Wer hätte dafür mehr Verständnis als ich, lieber Matthias? :o)))
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Klara
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Beitragvon Klara » 22.06.2008, 01:09

hallo tom,

(keine kommentare gelesen)

das ist ein hinreißender text.
traurig? schaurig? schön?

geheimnisvoll:
bis ich dort bin
.
und auch: kunstvoll banal
und ich bin mir nicht mal sicher, ob es dieses dramatische "nichts" am ende überhaupt braucht. der klang braucht es, man erwartet dieses "nichts" so sehr als wiederholung, dass sie fast im kopf klingt, ohne dass es da stehen müsste, "nichts". ich bin mir nicht sicher.

da ist so ein leben drin, der mut zum großen vereinnahmenden wahrnehmen und rauspicken, die angst vor schlussfolgerungen - jaja, hier lässt du mir, leserin, raum für eigene gedanken ,-) (das war eine art insider, sorry an die outsider .)=)

große dinge in kleinen dingen in großen dingen = großer text!

klara


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