Tunnel (Beitrag zum TdM: Angst)

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Eule
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Beitragvon Eule » 11.10.2010, 14:51

Tunnel


Es war Abend
Mitternacht
Morgen

Die Zwänge waren allein

Im Gehen
Im Lieben
Strafen und Mut

und kälter und kürzer
die Aufenthalte
unter den Menschen.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.10.2010, 18:49

Hallo Arne,

die Soziophobie, die du hier beschreibst, finde ich sehr spannend dargestellt. Aus mehreren Gründen:
Durch die Abwesenheit des LIs wird quasi auch in diesen Zeilen der Kontakt zu anderen Menschen vermieden, eine Distanz geschaffen. Es stellt sich natürlich die Frage, ob durch Einführung eines LIs diese Angst stärker rauskäme, doch dann müsste der Text m.E. länger sein, die Angst-Situationen mehr auserzählt werden. Insofern passt das fehlende LI hier für mich sehr gut.
Prägnant auch, dass in der ersten Strophe der Tag fehlt. Am Tag begegnet man den meisten Menschen, hier ist die Soziophobie am Stärksten ausgeprägt. Aber du sparst den Tag aus. Hier geschieht für mich das gleiche Phänomen, wie beim fehlenden LI. Der Tag fehlt, wird nicht erwähnt, vermieden. Er wird nicht angesprochen, als wäre allein die Erwähnung schon "Gefahrengebiet".
Dann der Satz, der mich am meisten beschäftigt hat:
Arne hat geschrieben:Die Zwänge waren allein

Hier sehr adäquat, dass du, wie zur Unterstreichung, diesen Satz auch für sich alleine stehen lässt.
Dies kann man auf zwei Arten lesen. Einmal: Das (fehlende) LI ist allein gelassen mit seinen Zwängen, ihnen ausgeliefert.
Oder aber genau umgekehrt: Gerade, und hier muss man es im Kontext lesen, abends, um Mitternacht und am Morgen waren die Zwänge allein, im Sinne von: sie begleiteten das LI nicht. Zu diesen Zeiten war das LI frei von Zwängen.
Und lese ich es im Kontext mit den nachfolgenden Zeilen:
Arne hat geschrieben:Die Zwänge waren allein

Im Gehen
Im Lieben
Strafen und Mut

lese ich hier sehr interessante Bezüge. "Im Gehen" interpretiere ich hier als "Strafen" und "Im Lieben" als "Mut". Hier lese ich einen Kampf. LI, auch wenn es nicht explizit erwähnt wird, weiß genau, was sich da abspielt, wie es geht, spricht flüchtet, wie es liebt, sprich, sich extrem Menschen nähert, sich straft (durch das Flüchten und damit dem Nachgeben der Zwänge) und Mut zeigt. Und doch kann es sich nicht befreien, der Tunnel, den ich nicht nur mit Enge des Lebensraumes, sondern auch mit Dunkelheit um das LI verbinde, wird immer enger, die Aufenthalte unter Menschen immer kürzer.

Wie oben erwähnt, finde ich diese unaufdringliche Art der Darstellung sehr spannend und anregend.

Saludos
Gabriella

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Eule
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Beitragvon Eule » 19.10.2010, 19:37

Hallo Gabriella, Deine positive Reaktion freut mich und Deine Kommentare zum fehlenden lyrI und den textlichen Querbezügen sind sehr zutreffend, wie überhaupt Deine gesamte Textinterpretation.

Der Abend am Anfang spielt ein wenig auf die "ewige" Abfolge des Alltags an, und zwar, wie Du ebenfalls angemerkt hast, in stark eingetrübter oder verkürzter Form.

Vielen Dank für Deine Beschäftigung damit und Deinen Kommentar !
Ein Klang zum Sprachspiel.


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