Marlene mosert
... über Altpapierberge und zu spät gelieferte Zeitungen
‚Einmal ist keinmal’, so dachte ich an einem herbstlich schönen Montagmorgen um 8.00 Uhr, als meine Zeitung noch immer nicht im Briefkasten lag. ‚Geh jetzt in die Abstellkammer’, befahl mir der wissensdurstige Teil meines Ichs, ‚such im Impressum nach der Nummer für den Abo-Service und sieh zu, dass das Ding ins Haus kommt. Ich will wissen, was los ist in der großen weiten Welt!’
Gedacht ist auch schnell getan. Mit freundlichen Worten und aufrichtigem Bedauern in der Stimme versicherte mir die Dame am anderen Ende der Leitung, wie außerordentlich Leid ihr der Vorfall tue, und dass die Nachlieferung schnellstmöglich erfolgen würde.
Zwischenzeitlich meldete sich aber der fleißige Teil meines Ichs und verlangte von mir, die erzwungene Muße zu nutzen, mich an den Computer zu setzen, von der Flatrate Gebrauch zu machen – und mir doch bitte schön einmal das e-paper-Angebot unseres regionalen Zeitungsverlages zu Gemüte zu führen. Aber vorher zurück mit der Zeitung von gestern ins Altpapier. Und die Zeitungspapierkiste gleich in den Flur stellen, damit das Zeug auch wirklich heute noch zum Container gebracht wird!
Den ordentlichen Teil meines Ichs könnte ich manchmal an die Wand klatschen.
Auf den ersten Blick hat der sparsame Teil meines Ichs nichts Besonderes gefunden. Die e-paper ist billiger als die gedruckte Ausgabe und steht schon um 5.00 Uhr früh abrufbereit im Netz. Vom Leitartikel bis zu den Sonderangeboten, da fehlt nichts! Aber, und jetzt meldete sich der bequeme Teil meines Ichs, müsstest du deine Lesegewohnheiten ändern, liebe Marlene. Nix auf dem Sofa lümmeln, Kaffee trinken usw. Runter jeden Morgen ins Arbeitszimmer und sich an den Schreibtisch gesetzt. Und die Wurstsemmel oben im Esszimmer gelassen – von wegen der Fettflecke! Sonst putzen!
Den ordentlichen Teil ... Sie wissen schon.
Von dem Gemecker wurde prompt der umweltfreundliche Teil meines Ichs wach. Sauer, schon um die frühe Tageszeit was tun zu müssen, spulte er den altbekannten Text über die zahllosen Bäumen vom Stapel runter, welche trotz Recycling tagtäglich für den Informationsbedarf der Leser ihr Leben lassen müssen. Für was Neues war wohl noch zu früh.
Vom Familienmenschen in mir kriegte er Unterstützung. Auch diese Beiden könnte ich ... Sie wissen schon.
‚Zwei von drei Personen dieses Haushalts sind Pendler und müssen in aller Herrgottsfrühe los’, mussten sich der sparsame und der bequeme Teil meines Ichs sagen lassen. ‚Wer um 7.00 Uhr aus dem Haus muss, für den ist jede Druckausgabe schon Altpapier, ehe sie um frühestens 7.15 Uhr im Briefkasten landet!’
Draußen war es unterdessen hell geworden, und die Nachlieferung landete gerade mit Rumpeln und Poltern im Briefkasten. Ob ich die Hundehütte doch nach draußen stellen und unseren Hasso auf Zeitungsausträger dressieren soll? Einen Gedanken, den ich gleich wieder verwarf. Unser Hund ist nicht mehr der Jüngste, und die Winter bei uns sind erbärmlich kalt. Zudem läuft der Zeitungsausträger Marathon und ist im Schützenverein.
Ich fuhr den Computer runter, stand vom Schreibtisch auf, überließ die diversen immer noch streitenden Teile meines Ichs ihrem Gezänk.
Auf dem Flur stolperte ich prompt über die randvolle Kiste mit Zeitungspapier! Kann sich das Zeug nicht selbst entsorgen?! Für was lebe ich denn im einundzwanzigsten Jahrhundert! Was nützt mir die schönste SiFi wenn doch nur alles Fi ist?
‚Ja denkst du denn gar nicht an die Leute, die darauf angewiesen sind, dass du eine gedruckte Ausgabe beziehst?’, meldete sich der staatsbürgerlich denkende Teil meines Ichs. ‚Auch der Zeitungsausträger will leben. Und die Vereine im Ort brauchen das Zeitungspapier, um den Sommerausflug zu finanzieren. Was ist mit dem Fisch- und Käsehändler, der das Zeug aufkauft, um darin seine Waren einzuschlagen? Mit dem Zeug, das du jede Woche zum Container fährst, könntest du eine Menge Gutes tun.’
Die gedruckte Ausgabe, kalt und klamm wovon auch immer, steckte ich gleich in die dafür vorgesehene Kiste.
Am Freitagmorgen wieder keine Zeitung, wieder Telefonieren mit dem Aboservice. Dieses Mal war die Dame nicht ganz so freundlich, aber dafür bass erstaunt, dass das gute Stück schon wieder nicht geliefert wurde. Wieder endlose Debatten unter den diversen Teilen meines Ichs. Um nicht vom Nichtlesen gaga zu werden, habe ich den Stier bei den Hörnen gepackt:
• die gedruckte Ausgabe zum nächsten Ersten auf e-paper umgestellt,
• den Pendlern im Hause erlaubt, beim Frühstück statt hinter der Zeitung zu verschwinden (kommt sowieso noch nicht um diese frühe Zeit) die Nase ins Notebook zu stecken und dort rumzumuffeln,
• die Zeitungspapierkiste zu Feuerholz für den Werkstattofen verarbeitet, (gut für die Galle, schlecht für den Nagellack)
• den diversen Teilen meines Ichs mit einem Besuch beim esotherisch-makrodynamisch angehauchten Urschreitherapeuten angedroht,
• das gesparte Geld in ein Bücherabo gesteckt.
Der Zeitungsbote und die Vereine bekommen die ausgelesenen Bücher zum Verhökern auf dem Flohmarkt, für den Käse- und Fischhändler nehme ich künftig immer Haushaltsdosen als Verpackung mit. Und für Wurstsemmel und Kaffeetasse nehme ich das kleine Frühstückstablett mit ins Arbeitszimmer.
Geht doch alles.
Marlene mosert II
guter stil.
die selbstironie, die das moralische gut verdaubar macht &
meine nach oben strebenden mundwinkel bei der rezeption
noel
die selbstironie, die das moralische gut verdaubar macht &
meine nach oben strebenden mundwinkel bei der rezeption
noel
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).
Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel
Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel
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