Pas de deux

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Max

Beitragvon Max » 28.07.2005, 18:45

Hier eine kleine Fingerübung, die schon ein wenig älter ist (alt genug, um Abstand zu haben, aber zum Glück nicht so alt, dass ich mich ihrer richtig schäme ;-) )

Pas de Deux

I. Erzählung

Den Ort, von dem ich erzählen werde, gibt es nicht mehr, doch lebt er in meiner Erinnerung doppelt. Das Haus, jenes erste Haus am Platz, ist längst durch einen Neubau ersetzt, imposanter noch und größer als sein Vorgänger. Das Parkett der Eingangshalle hat einem hellen Marmor Platz gemacht, das dunkle Holz der Aufzüge ist Spiegelglas gewichen, das dich vergisst, wenn du es aus den Augen verlierst. Auch den Pagen mit der dunkelblauen Kappe mit Goldkordel gibt es nicht mehr. Geblieben ist das Meer, dessen rhythmisches Lachen man bei geöffnetem Fenster hört und der Wind, der an stürmischen Tagen auch zwischen den Mauern des neuen Hauses singt.
Jener Wind, der mich auch an jenem Tag vor über 30 Jahren über den Strand geblasen und dann die Dünen hinauf getrieben hatte. Wie einen leichten, flatternden Vorboten der tiefgrauen Regenwolken, die mir auf dem Fuß folgten und die mich veranlassten Zuflucht in dem gläsernen Cafe zu nehmen, das dem Hotel angeschlossen war. Durchfroren und erleichtert dem Regen entkommen zu sein, nahm ich an einem der freien Tische Platz.
Ich habe mich seitdem oft gefragt, was mir wohl als erstes an ihr auffiel und ich weiß beinahe sicher, dass es ihr Perlenlachen war. Jenes Lachen. Mit dem sie für Bruchteile eines Moments die Unterhaltung einer ganzen Gesellschaft unterbrechen konnte. Ein Lachen wie eine Bitte, für einen Moment den Atem anzuhalten und zu lauschen. Ich stelle mir vor, dass ich an jenem Tag dieses Lachen in meinem Rücken hörte und dass ich mich, wie auf eine höfliche Bitte hin, umdrehte. Ich stelle mir vor, dass ich sie erblickte, dass ich sie sah, wie ihr Lachen ihre Augen in Sterne legte, wie das Gleichmaß ihrer Züge ihren Gesprächspartner in Bann nahm. Ebenso wie mich. Ich stelle mir vor, dass ich die Waschräume aufsuchte, um bei meiner Rückkehr so Platz zu nehmen, dass ich sie nun seitlich betrachten konnte. Ich stelle mir vor, dass ich den Rest des Nachmittags in leisem Staunen verbrachte, vielleicht sogar ein Lächeln probierte, unsicher aber, ob es beantwortet würde. All das stelle ich mir vor, erinnern kann ich mich nicht ,mehr.
Was ich noch weiß: dass ich von jener Stunde an täglich jenes Cafe besuchte, manchmal vormittags und nachmittags, während des gesamten Urlaubs. Dass ich sie herbeizubeten versuchte, weiß ich noch, während die unerlässlichen Kaffeebestellungen meine schmale Urlaubskasse fledderten. Auch wurde mir allmählich klar, dass ich nicht der einzige war, der sie in jenem Cafe erwartete. Sie war die Attraktion des kleinen Ferienortes an der See. Stets sah ich die gleichen Männer, Menschen in meinem Alter, die ähnlich mir, ihres Kommens harrten. Auch daran, dass sie meine Gebete erhörte, erinnere ich mich noch. An den Moment, in dem sie mich anlächelete, in dem sie mich ansprach, in dem sie mich erhob. An das Feuerwerk, das in mir losbrach, an das Brausen in meinen Ohren, das jedes Meeresrauschen übertraf, auch an meine taumelnden Worte, werde ich mich stets erinnern. Dennoch: es entspann sich ein Gespräch, ich war erwählt.

Roman

Sabine und ich trafen uns auch nach dem Urlaub wieder. Zunächst lose, unregelmäßig, beinahe zufälllig, dann immer häufiger. Sabine fand zunehmend Gefallen an mir und weil dem nichts im Weg stand, heirateten wir auch. Unsere Liebe gedieh, wie unsere Karrieren. Sabine wurde ein erfolgreiche Anwältin, ich machte mir als Architekt einen Namen. Wir bekamen eine zauberhafte Tochter, die wir Alina tauften. Unsere Freunde schienen uns manchmal zu beneiden und das bestärkte ich mich in der Gewissheit auf dem rechten Weg zu sein.

Erzählung II

Ich sah das Hotel am Abend eines Herbsttages wieder. Sieben Jahre nach meinem ersten Aufenthalt. Nach der Ankunft nahm ich direkt im Cafe Platz und orderte einen Espresso und einen doppelten Cognac. Es war schon spät. Erst nachdem ich ausgetrunken hatte, checkte ich ein. „Waren sie schon einmal unser Gast?“  „Ja, das heißt, nein, ich kenne ihr Haus nur gut.“  „Sie haben kein Gepäck?“  „Nein.“

Nachdem ich die Zimmertür hinter mir abgeschlossen hatte, warf ich mich quer übers Bett. Ein breites Doppelbett. Ich beobachtete die Decke über mir. Ein langer Riss lief zickzackförmig von der Verankerung des Leuchter über mir zur gegenüberliegenden Wand. Ein kleiner Blitz. Ich stand auf und öffnete die Balkontür. Der Wind und das rhythmische Rauschen den Meeres strömten mir entgegen. Ich trat ihnen entgegen. „Atmen, dachte ich. „Einfach weiteratmen. Und dann wie zu einem Kind: „Ist alles nicht so schlimm. Wird alles wieder gut. Du musst nur weiteratmen.
Natürlich war es schlimm. Dass mit Sabine und mir nicht alles zum besten stand wusste ich. Bewusster wäre es mir noch gewesen, hätte ich meinem Unbehagen nicht die Liste unserer Erfolge entgegengestellt. Dass wir uns zu wenig sprachen, wog ich auf mit unseren Karrieren. Schien mir, dass wir zu wenig gemeinsam hatten, dachte ich an unser Haus, einen Traum, den wir uns beide verwirklicht hatten. Den gereizteren Gesprächen stelle ich den Neid unserer Freunde entgegen, die unsere Ehe für musterhaft hielten. Und schließlich: Hatte ich nicht eine bezaubernde Frau, auf die ich stolz war und hatten wir nicht gemeinsam eine Tochter, die wir über alles liebten?
Diesem Kartenhaus hatte Sabine an jenem Abend mit einem Griff die untersten Karten entzogen. Als ich nach Hause kam, hatte ich einen Zettel auf dem Nussbaumtisch gefunden:
„Martin, ich muss über unsere Ehe nachdenken. Ich bin bei Kerstin. Alina habe ich mitgenommen. Bitte ruf nicht an. Sabine.
Ich las es und spürte: ich lese mein eigenes Leben.
Seit da an die Unsicherheit, ob das, was ich erlebte auch tat-sächlich geschah. Der Weg hier zum Hotel wie in Trance. Nun stand ich auf dem Balkon vor meinem Zimmer. „Es ist zu Ende, dachte ich und bereute den Gedanken sofort. Einmal angestoßen war dieser Gedanke nicht mehr zu stoppen. Er stürmte los, bedrängte mich, spiegelte sich in mir und echote in meinem Kopf wie das nahe Meer in meinen Ohren: Es ist zu Ende. Es ist zu Ende.
Ich hörte wie sich der Schlüssel zur Tür des Zimmers neben mir drehte. Stimmen drangen durch die dünnen Wände. Eine männliche und eine weibliche. Ich schätzte die beiden auf Mitte Zwanzig, jünger noch als mich. Offensichtlich waren sie ausgelassen. Die Frau hatte ein kollerndes Lachen, fein sprudelnd. „Ein Champagnerlachen”, dachte ich. Dann vermeinte ich Gläserklirren vernehmen zu können. Ich stellte mir vor, die beiden seien vielleicht auf Hochzeitsreise.
Unsere Flitterwochen hatten Sabine und ich zunächst auch in diesem Hotel verbringen wollen. Alles war schon fest geplant. Dann schenkte uns Sabines Vater eine Reise in die Dominka-nische Republik zur Hochzeit. Also Karibik statt Nordsee. Sabine bekam die Hitze nicht. Ich verbrachte Tage neben meiner
frisch angetrauten Frau und machte ihr Wadenwickel gegen das Fieber. Dazu ein unerträgliches Klima drinnen wie draußen. Dort eine sengende Hitze, denen das Hotel die geballte Kraft seiner Klimaanlage entgegenstellte. Mit dem Erfolg, dass es innen viel zu kalt war. Erst kurz vor dem Rückflug war Sabine wiederhergestellt. Das schweißt uns zusammen, dachten wir.
Drüben war es leiser geworden. Ich wußte nicht, wie lange das Lachen schon verstummt war. Ich ging ins Zimmer zurück. Auch hier war nichts zuhören. „Seltsam”, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass die beiden vielleicht noch an die Bar gegangen waren. Inzwischen war es später Abend. Doch, drüben waren doch noch Geräusche. Also waren sie nicht an der Bar. Sie schienen sich zu unterhalten. Ich konnte Wortfetzen erkennen, dazwischen wieder das Champagnerlachen. Es war ein merkwürdiges Gespräch. Langen Phasen der Stille folgen plötzliche Eruptionen. Lachen, laute Worte, dann wieder Stille. Dann ein rhythimsches Klopfen. Nun erst erkannte ich es: die beiden liebten sich. Es stach, als ich an Sabine dachte.
Vor Jahren, als ich sie in diesem Hotel zum ersten Mal gesehen hatte, hatte ich mir körperliche Liebe mit ihr nicht vorgestellt. Die Reinheit, die ich beim Gedanken an Sabine empfand, konnte ich nicht durch eine solche Vorstellung beflecken. Später hatte ich gelernt, dass Sabine es durchaus nicht als Befleckung empfand, wenn ich sie begehrte. Sie liebte es, wenn sie mein Verlangen nach ihr spürte. Sie versuchte dann, es noch weiter anzustacheln, mich aufzuheizen. Besonders, wenn es aussichtslos erschien, dass ich meinem Wunsch sofort nachgeben konnte. Ich erinnerte mich an eine Begebenheit, bei der ich als Sachverständiger in eine Stadt in Süddeutschland gebeten worden war. Sabine hatte sich einen Tag freigenommen und mich begleitet. Auf dem Weg zu meinem Auftraggeber, im Auzug, in den Pausen, immer wieder hatte sie mir ihre Phantasien ins Ohr geflüstert. Ich war entzündet und erregte sie mit meinen Worten. All das war noch gesteigert worden durch die Sicherheit, dass wir unsere Ideen nicht ausleben konnten. Als wir abends wieder im Hotel angekommen waren, waren wir übereinander hergefallen, als wären wir uns soeben zum ersten Mal begegnet. Später glaubte ich mir gerne, dass an jenem Tage Alina gezeugt worden war.

Chloe

Beitragvon Chloe » 31.07.2005, 15:45

Lieber Max,
gerade, wenn man in der Geschichte drin ist, hört sie auf! Was für eine Unverschämtheit :D Ist denn das das Ende? Ich finde, wenn ja, ist es etwas zu abrupt, er macht sich ja die ganze Zeit Gedanken, warum hört er gerade mit diesem auf?
Ich wäre ziemlich gespannt wie diese Geschichte weitergeht. Die Bilder sind noch viel jünger als in deiner jüngeren hier geposteten Geschichte, aber beide haben was. Wenn die anderen auch ausgereifter klingen, so spürt man in denen dieser Geschichte aber Gedanken, die einen an etwas erinnern, was man sich immer bewahren sollte.

Ps: Den Namen Sabine finde ich nicht soooo schön :-)
Liebe Grüße,
Chloe

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.12.2005, 18:08

Hallo Max,
Eine Erzählung muss schon sehr packend und spannend sein, wenn ich sie in der kurzen Internetcafézeit vollständig lese und zu dem noch kommentiere, aber diese war wirklich sehr, sehr schön-

Man kommt sich vor, als sei man in wenigen Minuten um die halbe Welt gereist, hätte durchs Schlüsselloch in fremde Lebensgeschichten gespäht und dann bleibt man auch noch gefesselt zurück-

Der Zeitensprung, die Naturbilder, die Wahrheiten und die sprachliche Meisterklasse haben mich wirklich von Satz zu Satz getragen-

Ich fand realistische Lebens- und Liebesberichte schon immer faszinierend und ich bin sicher, wenn Du einen ganzen Roman in dieser Form schreiben würdest, noch einige Überraschungen einbaust, dann wird´s ein Klassiker-

Liebe Grüße, Louisa


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