Wieder vereint

Rala

Beitragvon Rala » 27.01.2009, 21:28

Die Trennung kam plötzlich. Ihr großer Bruder hatte versprochen, ihrem Teddy nichts zu tun. Dann hatte er ihn einfach im Wohnzimmer in die Luft geworfen, der Teddy war auf der schweren Schrankwand gelandet, die die ganze Zimmerlänge einnahm, und sie hörten ihn hinten an der Wand hinunterrutschen.
Fünf Jahre war sie damals alt. Ihre Eltern erklärten, es sei absolut unmöglich, das Riesenmöbel wegzuschieben, „nur“ um einen Teddy zu retten. Er sei ja nicht fort, lebe jetzt eben nur dort, wo man ihn nicht sehen könne, es gehe ihm gut.
Sie musste immer wieder an ihn denken. Malte sich das Leben in der fremden Welt hinter der unüberwindlichen Barriere aus. Warf bisweilen, wenn niemand es sah, einen Keks hinüber, sie konnte sich nicht vorstellen, dass es dort etwas Anständiges zu essen gab. Später schrieb sie ihm Briefe, wusste nicht, ob diese ankamen. Irgendwann hörte sie damit auf, doch in ihrem Inneren war der Teddy in der heimischen Fremde immer präsent.
Das war vierzig Jahre her. Nun war der Vater gestorben, die Mutter zog in eine Seniorenresidenz, das Haus wurde ausgeräumt, alle Möbel, auch die Schrankwand. Das bedeutete ein Wiedersehen nach vier Jahrzehnten. Ein großer Augenblick, spannend, nach all den Jahren der Mutmaßungen. Da war er, völlig vertraut und doch vollkommen anders als in ihrer Erinnerung. Das lag nicht nur an der Staubschicht, die sich auf ihm angesammelt hatte. Er fühlte sich fremd an, ungewohnt, roch anders … es würde eine Weile dauern, bis sie sich wieder aneinander gewöhnen würden.
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Nutzer gelöscht

Beitragvon Nutzer gelöscht » 28.01.2009, 01:17

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 28.01.2009, 08:50

Huhu Rala,

ich las Beas ersten Satz und habe gedanklich heftig protestiert, weil ich dachte, nun folge, dass der zweite Text nicht so dolle sei. Aber ich muss ihr voll zustimmen. Den Schranktext finde ich so wunderbar, einfach herrlich und auch stimmig was den "Transfer" betrifft. Gaaaanz großartig. Ich hätte als Kind zwar anders reagiert, hätte nichts unversucht gelassen, wäre auf den Schrank geklettert und hätte geangelt, hätte mich an die Seite gequetscht und mit einem Besenstiel rumgefuchtelt oder mit der Stichsäge ein Loch in die Rückwand gesägt, aber meine Mutter hat auch immer gesagt, ich wäre der Erste gewesen, der in der DDR im Knast gelandet wäre...
insofern ist der komponierte Charakter deiner Figur trotzdem glaubhaft... Was ich allerdings etwas ungerecht finde, ist, dass bei dir das Wortlimit auf 5000 hochgesetzt wurde (ohne nachgezählt zu haben *hihi) ... so, nun gehe ich mit Bea Fähnchen für deinen Text schwingen...

LG
Nifl
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.01.2009, 13:23

Liebe Rala,

ich bin enttäuscht :-(((


Denn ich las den Text gestern und was soll ich sagen? Ich (ich ich) wollte die erste sein, die schreibt wie fein, wie genial dieser Teddytext ist. Und nun darf ich mich nur noch einreihen.


Ich finde solch ein Text darf nicht in der 20-Jahre-Mauer-Sammlung fehlen, weil er einfach das Thema Trennung ohne irgendein Tamtam so glaubhaft erzählt, dass ich fragen/rufen will: Das hat sie sich doch nicht ausgedacht?! (ich möchte keine Antwort darauf, es ist die Leistung, dass der Text diese Frage produziert nicht dass er sie beantwortet!) und krankerweise schafft er es in meinen Augen auch nicht nur zum Thema Trennung sondern ganz konkret zur Berliner Mauer zu sprechen, warum auch immer, nicht nur, weil die Berliner Mauer ein Fall der Trennung war und deshalb eh als Beispiel unter das Thema deines Textes fällt, sondern aufgrund der Stimmung - der Schrankwandstimmung, wie sich das Wohnzimmer auftut und die Jahre, die Kekse, die Briefe, einfach diese hohe Mauer, hinter etwas weiter da ist und alles verändert sich und die Form der bewussten Verlorenheit ist das einzige, was bleibt etc., ich finde das ganz großartig und würde diesen Text neben der Mauerantho gern als Link zum Drehbuchprojekt dazusetzen, weil eine Verfilmung davon einfach nur genial wäre - darf ich das?

Minimale Veränderungen

Die Trennung kam plötzlich. Sein großer Bruder warf seinen Teddy eines Tages in einem Streit im Wohnzimmer in die Luft, der Teddy war auf der schweren Schrankwand gelandet, die die ganze Längsseite des Zimmers einnahm, und sie hörten ihn hinten an der Wand hinunterrutschen.
Fünf Jahre war er damals alt. Seine Eltern erklärten, es sei absolut unmöglich, die Schrankwand wegzuschieben, „nur“ um einen Teddy zu retten. Er sei ja nicht fort, lebe jetzt eben nur dort, wo man ihn nicht sehen könne, es gehe ihm gut.
Er musste immer wieder an ihn denken. Malte sich das Leben in der fremden Welt hinter der unüberwindlichen Barriere aus. Warf bisweilen, wenn ihn niemand beobachtete, einen Keks hinüber, er konnte sich nicht vorstellen, dass es dort etwas Anständiges zu essen gab. Später schrieb er ihm Briefe, wusste nicht, ob sie ankamen. Irgendwann hörte er damit auf, doch in seinem Inneren war der Teddy in der heimischen Fremde gegenwärtig[/color].
Das war vierzig Jahre her. Nun war sein Vater gestorben, seine Mutter zog in eine Seniorenresidenz, sie räumten das Haus aus, alle Möbel, auch die Schrankwand. Das bedeutete ein Wiedersehen nach vier Jahrzehnten. Ein großer Augenblick, spannend, nach all den Jahren der Mutmaßungen. Da war er, völlig vertraut und doch vollkommen anders als in seiner Erinnerung. Das lag nicht nur an der Staubschicht, die sich auf ihm angesammelt hatte. Er fühlte sich anders an, ungewohnt, roch anders.
Es
würde eine Weile dauern, bis sie sich wieder aneinander gewöhnen würden.


Es kann sein, dass ich den Anfang nicht besser gemacht habe, aber ich finde deinen bisherigen Einstieg noch nicht ganz rund ~ vielleicht noch anders.

Du siehst mich so dasitzen :love:

Umso mehr freut mich, dass Bea euphorisch ist!

Liebe Grüße,
Lisa


(der erste Text soll bei all dem nicht untergehen, ich finde ihn auch gut geschrieben, aber er rutscht eher durch, weil er so standardgut ist
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.01.2009, 14:37

Hallo Rala,

die Teddy-Passage hat es mir sehr angetan. (Die erste ist mir zu abstrakt). Du hast es wunderbar plastisch geschrieben. Allein die Idee, den Teddy quasi als Repräsentant für das Trennungsymbol zu nehmen, finde ich ganz großartig. Sehr fein!
begeisterte Grüße
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.01.2009, 15:04

Liebe Rala,

ich mag Deinen Teddytext auch, im Ganzen, aber auch die vielen Kleinigkeiten. Die Kekse und Briefe zum Beispiel :-), die jahrzehntealte Schrankwand, die um keinen Millimeter verrückt wird.
Und natürlich das Symbolische darin.
Am Ende würde ich versuchen, die Doppelungen von "anders" und "ungewohnt/gewöhnen" noch zu eliminieren. Vielleicht etwas konkreter: Wie roch er denn genau?

Gern gelesen!

Liebe Grüße

leonie

Rala

Beitragvon Rala » 28.01.2009, 21:04

Hallo ihr alle!

Komme grad von der Arbeit und schon haut ihr mich um! Ich hatte mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, aber nicht mit sowas ... War mir nämlich total unsicher, ob die Umsetzung wirklich passt (deshalb auch zwei Versuche ...)
Jetzt muss ich trotz meiner Müdigkeit vor Freude durch die Gegend hüpfen :frosch:
Danke!!!

Liebe Grüße,
Rala

P.S.: Nifl, laut Word sind es exakt 250 Wörter ... (deshalb muss ich auch sehen, ob eure Änderungsvorschläge überhaupt Platz haben, Lisa und leonie, aber danke für die Anregungen)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.02.2009, 11:38

Hallo Rala,

oh, das ist wirklich eine feine Teddy-Mauer-Geschichte, gefällt mir ausgezeichnet. Sie nimmt die Mataphernebene mit einer famosen Leichtigkeit, ohne aufdringlich zu werden. Ich dachte erst, du würdest die beiden Texte zusammenhängend sehen, aber es sind zwei getrennte Versionen, oder?
Das einzige, was mich stellenweise etwas irritiert hat, obwohl es natürlich dann letztlich immer nachvollziehbar ist, oder man es sich zusammenreimt, ist, dass es sich um drei männliche Artikelträger handelt. Protagonist (männnlich), der Bruder und der Teddy. Hat es für dich einen bestimmten Grund, weshalb du nicht eine weibliche Protagonistin oder ein LIch gewählt hast, um das zu umgehen?

Die Trennung damals war plötzlich gekommen. Sein großer Bruder hatte versprochen, seinem Teddy nichts zu tun. Dann hatte er ihn einfach im Wohnzimmer in die Luft geworfen, der Teddy war auf der schweren Schrankwand gelandet, die die ganze Wand einnahm, und sie hörten ihn hinten an der Wand hinunterrutschen.
Fünf Jahre war
er damals alt. Seine Eltern erklärten, es sei absolut unmöglich, die Schrankwand wegzuschieben, „nur“ um einen Teddy zu retten. Er sei ja nicht fort, lebe jetzt eben nur dort, wo man ihn nicht sehen könne, es gehe ihm gut.
Er musste immer wieder an ihn denken. Malte sich das Leben in der fremden Welt hinter der unüberwindlichen Barriere aus. Warf bisweilen, wenn ihn niemand beobachtete, einen Keks hinüber, er konnte sich nicht vorstellen, dass es dort etwas Anständiges zu essen gab. Später schrieb er ihm Briefe, wusste nicht, ob sie ankamen. Irgendwann hörte er damit auf, doch in seinem Inneren war der Teddy in der heimischen Fremde immer präsent.
Das war vierzig Jahre her. Nun war
sein Vater gestorben, seine Mutter zog in eine Seniorenresidenz, sie räumten das Haus aus, alle Möbel, auch die Schrankwand. Das bedeutete ein Wiedersehen nach vier Jahrzehnten. Ein großer Augenblick, spannend, nach all den Jahren der Mutmaßungen. Da war er, völlig vertraut und doch vollkommen anders als in seiner Erinnerung. Das lag nicht nur an der Staubschicht, die sich auf ihm angesammelt hatte. Er fühlte sich anders an, ungewohnt, roch anders …es würde eine Weile dauern, bis sie sich wieder aneinander gewöhnen würden.


liebe Grüße
smile

Rala

Beitragvon Rala » 07.02.2009, 21:46

Hallo smile,

entschuldige, dass ich erst jetzt antworte, steckte mal wieder in einem Berg Arbeit fest ... Danke auch dir fürs Lesen. Gute Frage, die du da stellst, die Geschichte kam eben einfach mit einem männlichen Protagonisten in meinem Kopf an ... Wenn ich demnächst - hoffentlich - mal Zeit habe, werde ich neben den anderen Vorschlägen auch darüber nachdenken.

Liebe Grüße,
Rala

Rala

Beitragvon Rala » 21.02.2009, 11:24

Hallo,

habe den Text jetzt mithilfe eurer Anregungen überarbeitet, die mir, wie ihr sehen werdet, alle sehr genützt habe, daher herzlichen Dank noch mal!

Liebe Grüße,
Rala

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.02.2009, 12:59

Hallo Rala,

aus den vielen "er" und "sein/en"-Wiederholungen sind nun "sie" und "ihr/en"-Wiederholungen geworden. Vielleicht kannst du die eine oder andere WH noch ausmerzen? Ich weiß, ist schwierig.
Wenn die Endfassung steht, sag mir Bescheid, ok? Dann ersetze ich die aktuelle Fassung in der Antho.

Saludos
Mucki

Rala

Beitragvon Rala » 21.02.2009, 20:37

Danke Mucki!

Habs versucht, ein bisschen was ging noch.

Liebe Grüße,
Rala

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.02.2009, 22:23

Prima, Rala,

ich nehme dann diese Fassung und setze sie in die Antho.

Saludos
Mucki


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