Traum

Der Publicus ist die Präsentationsplattform des Salons. Hier können Texte eingestellt werden, bei denen es den Autoren nicht um Textarbeit geht. Entsprechend sind hier besonders Kommentare und Diskussionen erwünscht, die über bloßes Lob oder reine Ablehnungsbekundung hinausgehen. Das Schildern von Leseeindrücken, Aufzeigen von Interpretationsansätzen, kurz Kommentare mit Rezensionscharakter verleihen dem Publicus erst seinen Gehalt
scarlett

Beitragvon scarlett » 14.06.2009, 20:47

Traum
/denn es ist Brauch
in solcher Nacht
Unmögliches zu tun - R. Ausländer/


Als ich eintrat
saß die tote Freundin am Tisch
zwischen vorgestrigen Worten
und aufgeschäumtem Lachen
bewegten sich ihre Lippen
im Kreise verweigerten Lichts

Dies ist mein Schwarzfeld
sagte sie und schob
mit Alabasterhänden die Luft
wie einen Vorhang zur Seite
fiel ihr Mondblick stumpf
auch das immer noch so kurze Haar
wie du siehst wächst hier nichts

außer den Stühlen und einer
ist noch frei ...


© Monika Kafka, 2009
Zuletzt geändert von scarlett am 06.05.2010, 08:11, insgesamt 2-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 16.06.2009, 11:29

Wir besuchen die toten Dichter

da ist was ganz Feines gelungen zur vorangestellten Glosse der verehrten Rosa Ausländer!

Die Toten mehren sich um uns, erfüllen uns mit Trauer, Hilflosigkeit und der eigenen Angst, einmal zu sterben. Sterben ist unausweichlich für jeden Organismus, nur die einen haben keine Begrenzung durch Krebs o.ä., die anderen spüren die Zeitenge absolut.

Auch Ausländer fürchtete wohl die Begrenzung, ja, die Bedrohung ständig, das ließ sich rastlos sein, hin- und hergerissen zwischen ihren Wurzeln und dem Fluchtreflex. Sie hätte wohl nie gedacht, eines Tages im Altersheim ihr Leben auszuhauchen.
Wenn ich das Gedicht einzig (was ja nicht geht, es hat ja auch mit der Autorin zu tun) auf sie beziehe, lese ich Biografisches, spannend formuliert. Da lese ich, ohne dass es hier steht, von der Bukowina, wohin sie nach der USA reiste, um ihre kranke Mutter zu pflegen, da lese ich, wie sie vorher in Czernowitz im Ghetto Paul Celan begegnete, da lese ich auch, dass sie als US-Spionin inhaftiert wurde. Ich lese von einer Fliehenden/Reisenden/Sehnsüchtigen. Die Quintessenz sind ihre Gedichte.

Ein Gedicht besucht in Ausländers Text den Dichter, es heißt, die Zeit zu nutzen.
Bei Monika besucht das LI die Dichterin in einem Raum zwischen den Lebenden und den Toten. Ein Raum, in dem noch ein Platz frei ist, im Moment, obwohl nach Bedarf die Anzahl der Stühle wachsen werden. Es ist der Raum der Poesie, denn die ist unsterblich.

Das alles lese ich aus diesem, für mich wunderbar formulierten Gedicht heraus, mitsamt der Ruhelosigkeit des Dichters, der Dichterin. Und der Angst, die einen befällt, weil man immer wieder vermeint, - zwischen vorgestrigen Worten - die Ausdruckskraft, die Ideen zu verlieren.

Was man aber hier bei diesem Gedicht ganz und gar nicht feststellen kann!


ELsa
Schreiben ist atmen

Sam

Beitragvon Sam » 18.06.2009, 20:49

Im Traum ist alles erlaubt

Rose Ausländers eigentliche Heimat waren Erinnerungen und Träume. Diese bilden jenes faszinierende Amalgam, aus denen ihre Gedichte bestehen.
Nirgends sonst kommt der Traum der Wirklichkeit so nah, als im Gedicht, weil er dort zur Wirklichkeit werden kann - zur erdichteten, zur erlesenen. Womöglich ist sogar das Dichten die angemessenste Antwort auf unsere Träume, ist ihm Schwester und Gegner.
So wie der Traum eigentlich etwas „Unmögliches“ ist, ist es auch das Gedicht. „Unmöglich“, aber dennoch untrennbarer Teil des Menschseins und damit der Realität.
In dem von scarlett zitierten Gedicht lässt Rose Ausländer Fische singen. Bewirkt durch den Nachtzauber, der ja nichts anders ist, als dass ein Poem sie besucht, in dem diese Dinge halt passieren.
In scarletts Traum nun bekommt das LyrI Besuch. Durch das Eingangszitat meint man zu wissen, wer es ist: Die Dichterin, die als Freundin bezeichnet wird.
Offensichtlich war sie nicht eingeladen, sondern sitzt einfach da, als das LyrI den Raum betritt. Ein trübe Stimmung herrscht dort: Vorgestrige Worte, aufgeschäumtes Lächeln, verweigertes Licht. Nun, es gibt kein Gesetzt welches Dichtern ein glückliches Leben garantiert. Im Gegenteil. Nicht selten ist das geschriebene Wort ein Schmerzensschrei, ein Aufbegehren gegen die grausamen Unabänderlichkeiten des Lebens. Natürlich gibt es Lichtblicke, aber das durchgängig helle, das dauernd leuchtende Licht wird leider zu oft verweigert.

Und so sitzt die Dichterin am Tisch, zeigt auf die vorgestrigen Worte (liegen da vielleicht ihre Gedichtbände auf dem Tisch?) und sagt:
„Dies ist mein Schwarzfeld“ – das Feld, auf dem die Ernte des verweigerten Lichtes eingefahren wurde. (Interessant ist, dass man in Verbindung mit der Bukowina sehr oft auf den Namen Schwarzfeld trifft).

Dann schiebt sie die Luft beiseite, ein Moment der Atemlosigkeit, nichts befindet sich mehr zwischen dem LyrI und ihrem Besuch, es ist eine Art Vakuum entstanden.
Hier ist auffallend die Beschreibung der Haare. Sie sind noch immer kurz. Auch wenn die Dichterin, wie anfangs gesagt wurde, tot ist, so ist das Haar noch kurz. D.h. für das LyrI lebt sie noch. Aber nur an einem Ort im Traum, einem Ort, an dem nichts wächst außer Stühle. Wo Stühle wachsen, wird jemand erwartet. Und die Besucherin verweist auf noch einen leeren Platz.

Natürlich könnte man sich darüber streiten, was mit dieser Einladung nun gemeint ist. Wollte man böse sein, könnte man behaupten, da erträumt sich jemand einen Platz neben einer berühmten Dichterin in der Hinsicht, dass er ihm gebühre. Eine solche Lesart würde aber das zitierte Gedicht außer acht lassen.

...denn es ist Brauch in solcher Nacht Unmögliches zu tun.

Warum also nicht im Traum, im Gedicht, das Unmögliche tun und einen Platz annehmen, den man sich in Wirklichkeit vielleicht immer verweigern würde?
Im Traum ist alles erlaubt.


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