die jahre ...

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.07.2016, 15:58

die jahre lassen mich
mager zurück

kind um kind
füllt seinen koffer
gürtet ihn
mit einem rest nabelschnur
es rollt die fracht
zur haltestelle
über den berg

geht
soll landschaften urbar machen
Zuletzt geändert von Amanita am 14.07.2016, 11:37, insgesamt 2-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 12.07.2016, 16:27

Hey amanita,
Das Gedicht ist ein gedicht! Gefällt mir sehr!

Beste grüße - Niko

pjesma

Beitragvon pjesma » 12.07.2016, 18:30

Urban?

Niko

Beitragvon Niko » 12.07.2016, 19:13

Liebe pjesma... Meinst du urban statt urbar? Urbar ist ein deutsches wort, das man mit "kultivierbar machen" übersetzen könnte.

Liebe grüße - niko

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.07.2016, 20:28

Danke, Niko (doppelt!).

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 12.07.2016, 22:23

Ich bin auch begeistert. Genau die richtigen Worte. !

Kurt
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Beitragvon Kurt » 12.07.2016, 22:47

Ja, sehr schöne Bilder, außer „die Jahre lassen mich mager zurück“. Das ist wirklich dünn; damit kann ich nichts anfangen. Soll es heißen, wenn die Kinder im Hause geblieben wären, wäre es LyrIch nicht bewusst geworden, dass ihr die vergangenen Jahre nichts gebracht haben mit ihnen?

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.07.2016, 23:14

Soll heißen ... dass die "Kinderjahre" viel Kraft/ Energie gekostet haben.

Niko

Beitragvon Niko » 12.07.2016, 23:34

Ich habe das "mager" wie "ausgezehrt" gelesen! Ich finde diese Stelle sogar als eine der wichtigsten und stärkste Stellen in diesem ohnehin schon starken Text!

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 12.07.2016, 23:38

Niko, das ist genau richtig. Ausgezehrt - danke.

aram
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Beitragvon aram » 13.07.2016, 00:00

► Text zeigen

hallo amanita,

der text ist für mich gut verständlich bis gegen ende. die begriffe 'landschaft(en)' und 'urbar machen' bekomme ich nicht recht zusammen. (ersteres lese ich, da es hier kontextfrei aufscheint, nah an der ursprünglichen wortbedeutung, vom menschen überformt. es beinhaltet bereits 'schaffen'. zweiteres setzt jedoch ursprünglich 'wildnis' voraus - das 'machen' wird hier nochmals auf das 'schaffen' draufgelegt. 'landstriche' fände ich deshalb etwas besser.)
auch motivation und bezug des 'soll' erschließt sich nicht ganz. (läßt sich auf 'kind' oder das naheliegendere 'fracht' beziehen, womöglich sogar auf das ich - inhaltlich findet sich kein hinweis)
dadurch wirkt das ende auf mich etwas nebulos, bisschen weniger allgemein würde mir gefallen:
warum 'soll' da (jemand?) etwas, und welche 'landschaften' könnten gemeint sein?
woher das 'soll' kommt, welcher anspruch dahinter stehen könnte, würde mich interessieren.

die bildsprache der vorangehenden strophe - jedes kind 'gürtet' 'seinen koffer' 'mit einem rest nabelschnur', 'es rollt die fracht' 'zur haltestelle' 'über den berg' - wirkt demgegenüber, auch in ihrer metaphorik, märchenähnlich direkt. 'es', sowohl unpersönlich als auch auf 'kind' bezogen lesbar, bewirkt eine leichte betonung/zäsur im aussagenfluss.

ein persönlich wirkender text, metaphernreiche sprache, das ende läuft ins unausgesprochene.

liebe grüße

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 13.07.2016, 08:21

Hallo Aram, Deinen Gedanken mit der "geschaffenen" Landschaft kann ich nachvollziehen. Wobei mir der "Landstrich" irgendwie gegen den Strich geht (hahaa, ja), er wäre mir - warum auch immer - zu mächtig. Vielleicht, weil ich male und zeichne und das gleich damit verbinde. Man könnte "Gelände" schreiben? Oder einfach nur "Land"?

Andererseits ist der leichte Widerspruch für mich nah an der Realität - mal etwas verallgemeinert auf den Punkt: Jede Generation tut so, als müsse sie den Urwald neu roden, übersieht gewissermaßen, dass die Generationen zuvor schon Landschaften geschaffen haben.

aram
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Beitragvon aram » 13.07.2016, 11:58

hallo amanita, 'urbar machen' passt nach meinem empfinden auf etwas, das entweder wildnis ist, oder verödetes gebiet.
das ende des textes ist knapp und allgemein gehalten - wofür oder für wen die 'urbarmachung' erfolgen soll, worauf sie sich beziehen könnte, müsste leser erschließen.
nach deinem kommentar würde ich meinen, dass jedes erwachsen werdende kind seine fruchtbarkeit in der welt entwickelt, indem es neue räume für sich 'urbar macht' - die vorgefundenen landschaften sind für junge menschen gleichsam noch wilder naturraum.
das gedankenbild finde ich gut, aber im text bisher nicht evoziert (nicht nur textbezüge müssen, auch die metapher muss ja erst 'erlesen' werden) - falls es so intendiert ist, diente eine nähere bezeichnung, entweder der landschaften oder des urbar machens (etwa: für sich urbar machen), meinem verständnis.
..auch das 'soll' steht wie gesagt kontextlos (und bei näherer betrachtung recht zentral) da - kann zb. vermutet werden, dass es eine forderung/erwartung des lyr.ich darstellt - das wirkt dann in dieser sprache allerdings eher vorausgesetzt als bewusst gesagt, und ich weiß nicht, ob das so gewollt ist - verständlich, was ich meine?

Kurt
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Beitragvon Kurt » 13.07.2016, 21:30

Amanita, ich nehme es dir nicht ab. Ich möchte das an einem (ähnlichen) Fallbeispiel, welches mir
soeben eingefallen ist, darstellen: (mich abba nich auslachen! :blink1: )

Gerade, als Edeltrauds Titten erschlafft bis auf die Zehenspitzen hingen, im Sitzen natürlich, verließ er sie wegen einer knackigen Jüngeren. Edeltraud fühlte sich um all die Jahre betrogen, in denen sie Hermann den Haushalt geführt, ihm fünf Kinder geboren hatte, die er sich gewünscht und sie ihm großgezogen hatte. Und nun fühlte sie sich ausgemergelt; es hatte viel Kraft und Energie gekostet. Die Kinder waren alle schon aus dem Haus, führten ihr eigenes Leben. Und nun war sie ganz allein. Sie fühlte sich ausgenutzt wie eine Sklavin. Aber die Wahrheit ist, dass sie all die Jahre ein erfülltes Leben geführt hatte, wie sie sich es immer gewünscht hatte. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn Hermann und sie bis ans Lebensende zusammengeblieben wären, wie sie es sich bei ihrer Hochzeit versprochen hatten. Edeltraud kann aber nicht sagen, sie hätten sie „mager“ zurückgelassen, nur weil sie sich im Moment so fühlte. Sie hatte gut gelebt. Aber enttäuscht zog sie ihren augenblicklichen Trauerflor bis in die Vergangenheit. Es entspricht aber nicht den Tatsachen.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
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